In unseren Forderungen, die, wie wir annehmen, die Arbeit befreien und so eine neue Gesellschaft hervorbringen werden, beschränken wir Sozialisten uns darauf, nur das zu fordern, was für die Gesellschaft notwendig ist um sich selbst zu formen und worin sie bereits auf dem Weg ist. Das halten wir für besser als ausgefeilte utopische Programme für die Zukunft aufzustellen. Wir bestehen darauf, dass das Besitzmonopol ein Ende haben muss, dass diejenigen, die verstehen die Produktionsmittel zu benützen, auch die Möglichkeit dazu haben sollten, und zwar ohne den Zwang, einen Großteil des von ihnen geschaffenen Wohlstands an einen Besitzer der Produktionsmittel abzuführen, der keine Verantwortung trägt. Wir vertrauen darauf, dass diese grundlegende Fairness die Gesellschaft erneuern wird und glauben, dass die so befreite Welt in eine neue Ära des Fortschritts eintreten wird. Wir sind bereit, möglichen Rückschlägen bei dieser neuen Entwicklung gelassen entgegenzusehen, weil wir davon überzeugt sind, dass es auf jeden Fall ein großer Gewinn ist, ein System los zu werden, das zuletzt nur noch ein einziger Rückschlag war. Die Behinderungen eines geschwächten Produktionssystems zu beseitigen wird nicht den Vorteil zerstören, den es der Welt bisher gebracht hat; im Gegenteil, diese Errungenschaften werden endlich der gesamten Bevölkerung zugänglich werden, anstatt dass nur einige wenige sie genießen können wie bisher. Kurz gesagt, angesichts der gegebenen Bedingungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Aufgabe der Reformer von heute nicht mehr so sehr das prophetische Wort als vielmehr die Tat ist. Es ist unsere Aufgabe, mit den sich bietenden Mitteln jetzt die dringendsten Übel zu beseitigen – den kommenden Generationen müssen wir es dann überlassen, die durch unsere Anstrengungen für sie gewonnene Freiheit zu beschützen und zu nutzen.
Nichtsdestoweniger kennen wir zumindest in großen Zügen die Richtung, in die sich die Welt in unmittelbarer Zukunft entwickeln wird. Das lehrt uns der Evolutionsprozess der Geschichte. Wir wissen, dass die Welt nicht in ihren eigenen Fußstapfen zurückgehen kann und dass sich die Menschen in der neuen Gesellschaft körperlich und geistig schnell entwickeln werden. Wir wissen, dass die Menschen im allgemeinen für die Verpflichtungen der Gesellschaft viel offener sein werden als die vorigen Generationen; dass ihnen die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit in der Produktion und im Leben allgemein viel stärker bewusst sein wird als zuvor. Das vergleichsweise unbeschwerte Leben, das die Befreiung der Arbeit mit sich bringen wird, wird allen Menschen mehr Muße und Zeit zum Nachdenken geben. Verbrechen werden seltener werden, weil es nicht mehr die gleiche Versuchung dazu geben wird. Die größere Unbeschwertheit des Lebens und die höhere Bildung werden zusammen dazu beitragen, dass Körper und Geist freier von Krankheiten sein werden. Kurz gesagt, mit den Fortschritten an Gerechtigkeit, Fairness und Mitmenschlichkeit wird zwangsläufig eine entsprechende Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen einhergehen.
Abgesehen von dem was wir wissen, ohne das wir uns die Misshelligkeiten überhaupt nicht einhandeln sollten, für eine Veränderung der gesellschaftlichen Grundlagen zu agitieren, können wir einen großen Teil von dem, was wir nicht wissen können, zumindest erahnen. Gerade dieses Vermuten und Hoffen, oder diese Träume von der Zukunft, wenn ihr so wollt, machen viele zu Sozialisten, die nüchterne Vernunftgründe, abgeleitet aus Wissenschaft und politischer Ökonomie oder das Prinzip der Auslese der Tauglichsten überhaupt nicht bewegen könnten. Sie motivieren sie dann dazu, die Gründe für ihre Hoffnung zu studieren; sie geben ihnen den Mut, sich mit Studien herumzuschlagen, die, wie ein arabischer König von der Arithmetik sagte, ansonsten für den Geist eines Menschen zu stumpfsinnig wären, um sich damit zu befassen.
In der Tat gibt es zwei grundlegend verschiedene Haltungen, mit denen soziale Revolutionäre genau wie andere Leute umgehen müssen – die analytische und die konstruktive. Da ich selbst zur zweiten Gruppe gehöre, bin ich mir völlig der Gefahren bewusst, denen wir uns aussetzen, und vielleicht noch mehr der Freuden, die uns entgehen; und bin, wie ich hoffe, den eher analytischen Köpfen gebührend dankbar dafür, dass sie uns wieder auf die rechte Bahn zurückbringen, wenn uns unser Tatendrang in die Irre führt. Ich gestehe: ich beneide sie irgendwie, wie sie verträumt über die Vervollkommnung irgendeiner Lieblingstheorie meditieren – ein Glück, das wir selten oder nie genießen können, weil wir mehr unsere Augen als unsere Verstandeskräfte zur Erkenntnis dessen gebrauchen, was auf der Welt vor sich geht. Wie auch immer, ich muss vorsichtig sein, was ich über sie sage, da sie unsere instinktive Vision leicht als Träumerei abtun könnten und auch werden, und da sie uns, zumindest ihrer Einschätzung nach, fast immer an Argumenten überlegen sind, wenn wir zu friedlichem Wettstreit zusammentreffen. Darum werde ich vorerst nur von den konstruktiven Visionären oder Praktikern sprechen. Eines muss ich gleich eingangs bekennen: Die Vorstellungen von uns Visionären oder Praktikern sind sehr unterschiedlich und keiner interessiert sich sonderlich für die Vorstellungen des anderen. Die Theorien der Analytiker hingegen unterscheiden sich nur wenig voneinander, aber jeder interessiert sich in hohem Maße für die Theorien des anderen – so wie ein Metzger an einem Ochsen interessiert ist, nämlich ihn zu zerteilen.
Ich werde also nicht versuchen, meine Vorstellungen mit denen anderer Sozialisten zu vergleichen. Ich werde zu euch einfach über einige von den meinen sprechen. Die Visionäre unter Euch können ja selbst ihre Vergleiche ziehen und die Analytiker können ihre Kritik üben, solange sie dazu von mir keine Hilfe erwarten. Kurzum, ich werde Euch ein Kapitel meiner Bekenntnisse vorlegen. Ich will Euch erzählen, was ich mir von der Gesellschaft der Zukunft erhoffe, gerade so, als würde ich darin wiedergeboren werden. Es kann gut sein, dass Euch einige meiner Vorstellungen recht seltsam vorkommen werden.
Ein Grund, warum einige von Euch sie seltsam finden werden, ist eher traurig und beschämend. Ich habe immer zu der wohlhabenden Klasse gehört und wurde in den Luxus hineingeboren. Darum verlange ich notwendigerweise viel mehr von der Zukunft als viele von Euch. Die erste meiner Visionen, die alle anderen prägt, hat den Tag zum Inhalt, an dem solche Verstehensschranken nicht länger bestehen werden, an dem die Worte »arm« und »reich«, auch wenn sie noch in den Wörterbüchern zu finden sein werden, ihre alte Bedeutung verloren haben. Wenn die Analytiker sie dann erklären wollten, müssten ihre größten Geister lange Zeit und viele Worte darauf verwenden, um am Ende doch nicht mehr zu erreichen, als dass die Leute allenfalls vorgeben, sie zu verstehen.
Nun aber, um einen Anfang zu machen: Ich stehe zu der Annahme, dass die Verwirklichung des Sozialismus dazu beitragen wird, die Menschen glücklich zu machen. Was macht eigentlich die Menschen glücklich? Ein freies und erfülltes Leben und das Bewusstsein zu leben. Oder, wenn Ihr so wollt, der vergnügliche Gebrauch unserer Kräfte und der Genuss der Rast, den dieser Gebrauch oder diese Verausgabung der Kräfte für uns notwendig machen. Ich meine, das bedeutet für jeden Menschen Glück, und diese allgemeine Definition deckt die ganze Bandbreite an Fähigkeiten und Temperamenten ab, vom Lebhaftesten bis hin zum Trägsten.
Was auch immer diese Freiheit und Fülle des Lebens beeinträchtigt, ist ein Übel, unter welchem trügerischen Deckmantel es auch erscheinen mag. Es ist etwas, das man so schnell wie möglich loswerden muss. Ein vernünftiger Mensch, der sich natürlich wünscht, glücklich zu sein, sollte dergleichen nicht ertragen.
Hier habt Ihr gleich ein Eingeständnis von meiner Seite, das wohl meine unwissenschaftliche Denkweise kennzeichnet. Es betrifft die freie Willensausübung des Menschen, die die neuere Wissenschaft ablehnt. Aber keine Angst, ich werde mich nicht über das Problem des freien Willens und der Determination auslassen. Ich behaupte lediglich, dass wenn der Einzelne – wie auch ich glaube – das Produkt seiner Umgebung ist, es eben die Aufgabe des Menschen als sozialem Wesen, oder der Gesellschaft sein muss, die Umgebung zu formen, die den Einzelnen zu dem macht, was er ist. Der Mensch kann nicht umhin, seine eigenen Lebensbedingungen zu gestalten, was immer er auch tut; er soll sich also dessen bewusst sein und sie klug gestalten.
Hat er dies bisher getan? Versucht hat er es, denke ich, aber bisweilen mit nur mäßigem Erfolg; dennoch ist er stolz auf diese Erfolge und hat ihnen den Namen Zivilisation gegeben. Nun gab es zwischen Leuten verschiedener Weltanschauung reichlich Diskussionen, ob Zivilisation nun gut oder schlecht sei. Unser Freund Bax ist in seinem vorzüglichen Aufsatz der Sache, glaube ich, wirklich auf den Grund gegangen, in dem er darlegt, dass die Zivilisation als Schritt in die richtige Richtung gut war, als Errungenschaft aber schlecht. In diesem Sinne erkläre ich auch mich selbst zu einem Feind der Zivilisation. Da dies nun einmal ein Kapitel von Bekenntnissen sein soll, sage ich gleich, dass mein Hass auf die moderne Zivilisation der Hauptgrund ist, warum ich Sozialist bin. Meine Idealvorstellung von einer neuen Gesellschaft wäre nicht vollkommen, wenn diese Gesellschaft nicht die Zivilisation zerstören würde.
Denn, wenn Glück den vergnüglichen Gebrauch unserer Kräfte und den Genuss notwendiger Rast bedeutet, dann scheint mir, dass die Zivilisation, von einem, wie Bax es ausdrückt, statischen Blickpunkt aus betrachtet, uns in der Regel beide Wohltaten verweigert. Und damit reduziert sie auch den Menschen mehr und mehr zur willenlosen Maschine. Sie beraubt ihn allmählich aller Funktionen eines lebendigen Wesens und des Vergnügens, diese zu benutzen, wenn man von den elementarsten absieht. Das wissenschaftliche Idealbild des Menschen der Zukunft zeigt uns einen geistigen Fettwanst, genährt von Umständen, die sich seiner Kontrolle entziehen, und ohne die Möglichkeit, die Früchte seines Geistes seinen Bruderwänsten mitzuteilen.
Darum steht in meiner Idealvorstellung von der Gesellschaft der Zukunft die Freiheit und Förderung des individuellen Willens zuoberst, dessen Existenz die Zivilisation ignoriert oder sogar leugnet; sie brachte zwar das Abschütteln sklavischer Abhängigkeit, aber wenn auch nicht auf andere Menschen, so doch auf künstliche Systeme, die darauf ausgerichtet sind, dem Menschen mannhaften Kampf und Verantwortung abzunehmen. Und damit dieser Wille in uns stark sein kann, fordere ich zuallererst ein freies und unbeschränktes animalisches Leben für den Menschen: ich fordere die völlige Beseitigung jeglicher Askese. Wenn wir Verliebtheit, Lustigkeit, Hunger oder Müdigkeit auch nur im geringsten als Erniedrigung empfinden, dann sind wir in eben diesem Maße als Lebewesen gestört und folglich unglückliche Menschen. Und Ihr wisst, dass die Zivilisation in der Tat gebietet, uns all dieser Stimmungen und Taten zu schämen, dass sie uns, soweit sie es vermag, dazu auffordert, sie zu verschleiern und wenn möglich andere Leute sie für uns ausüben zu lassen. Tatsächlich scheint mir, man könnte Zivilisation als ein System definieren, das darauf angelegt ist, für eine Minderheit von Privilegierten sicherzustellen, dass andere stellvertretend für sie ihre menschlichen Energien einsetzen.
Die Forderung nach Beseitigung von Asketentum bringt nun eine weitere Forderung mit sich: die Beseitigung von Luxus. Kommt Euch das paradox vor? Das sollte es nicht. Was steht denn hinter dem Luxus, wenn nicht die krankhafte Unzufriedenheit mit den einfachen Freuden unserer schönen Welt? Was ist es anderes als eine Verdrehung der natürlichen Schönheit der Dinge in eine perverse Hässlichkeit, die den übersättigten Appetit eines Menschen befriedigen soll, der bereits aufgehört hat, Mensch zu sein – eines Menschen, der weder arbeiten will noch rasten kann. Soll ich Euch sagen, was der Luxus im heutigen Europa für Euch getan hat? Er hat die heitere, grüne Flur mit elenden Sklavenhütten überzogen, die Blumen und Bäume mit giftigen Gasen verpestet und die Flüsse in Kloaken verwandelt. In vielen Teilen Englands haben die einfachen Leute schon vergessen, wie ein Feld oder eine Blume aussieht, und ihr höchstes Schönheitsideal ist ein verräucherter Gin-Palast oder der billige Flitter pompöser Theater. Und die Zivilisation hält das für richtig und macht sich weiter nichts draus. Der Reiche dagegen denkt zweckmäßig: »Alles in Ordnung, die einfachen Leute sind jetzt daran gewöhnt, und solange sie sich ihre Bäuche mit Abfällen voll schlagen können, wie sie auch Schweine fressen, reicht es.« Und wozu das Ganze? Damit feine Bilder gemalt, schöne Bauwerke errichtet, gute Gedichte geschrieben werden? Oh nein, das sind Taten aus der Zeit vor dem Luxus, vor der Zivilisation. Luxus baut allenfalls Clubs in Pall Mall und polstert sie, als wären sie für zartbesaitete, kränkliche Damen gedacht. In Wirklichkeit sind sie für große backenbärtige Männer, damit diese dort in absurder Verweichlichung faulenzen können. Sogar die Lakaien in ihren Plüschhosen, die diese Faulenzer bedienen, sind bessere Männer als sie. Ich muss nicht mehr dazu sagen als das: Ein vornehmer Club ist der Inbegriff von Luxus schlechthin.
Ihr seht, ich verweile beim Luxus, der in Wirklichkeit der eingeschworene Feind wahren Vergnügens ist, weil ich nicht will, dass die Arbeiter darauf verfallen, einen feinen Club als etwas Erstrebenswertes zu betrachten. Ich weiß, wie schwierig es für sie ist, aus ihrer Armut und ihrem Schmutz auf ein Leben wirklichen und menschenwürdigen Vergnügens zu blicken. Ich möchte, dass klar wird, dass das gute Leben der Zukunft so wenig wie möglich dem der jetzigen Reichen ähneln wird: Dieses Leben der Reichen ist nur die Kehrseite ihres eigenen Elends, und sicherlich kann schon deshalb nichts daran beneidenswert oder erstrebenswert sein, da es doch der Grund für ihr Elend ist. Wenn unsere Gegner manchmal fragen: »Wie könnten wir denn in einer sozialistischen Gesellschaft die Luxusgüter beschaffen, die das Leben versüßen?«, dann antworte ich frei heraus: »Das könnten wir sicher nicht, aber das kümmert uns auch nicht, weil wir sie weder haben wollen noch dulden werden. Und ich bin sicher, dass wir sie nicht brauchen werden, wenn wir erst einmal alle zusammen freie Menschen sind.« Ich bin sicher, dass freie Menschen ein einfaches Leben führen und einfache Freuden haben müssen. Wenn wir jetzt vor dieser Notwendigkeit noch zurückschrecken, dann nur, weil wir keine freien Menschen sind und infolgedessen sich unser Leben so in einem Gestrüpp von Abhängigkeiten verfangen hat, dass wir schwach und hilflos geworden sind.
Aber was ist denn Einfachheit? Glaubt Ihr vielleicht, ich meine damit eine Reihe gelber Ziegelhäuser mit blauem Schieferdach? Oder ein Phalansterium à la Fourier, eine gehobene Art von Mietskasernen, wie sie uns der soziale Wohnungsbau Peabodys hinstellte? Wo die Essensglocke einen herbei läutet an eine Reihe weißer Suppenschüsseln mit Brot, das jeder in ordentliche kleine Vierecke schneidet, dazu Tee aus dem Boiler und schlecht gekochten Reispudding als Abschluss? Nein, das ist das Ideal eines Philanthropen, nicht meines. Ich erwähne es hier nur, um es zurückzuweisen und zu sagen: Wieder kein eigentliches Leben, ein Leben ohne Freude. Nein, findet selbst heraus, was euch Freude macht und tut es. Ihr werdet in euren Wünschen und Sehnsüchten nicht allein sein. Viele werden euch helfen sie zu erfüllen und Ihr werdet ein gesellschaftliches Leben entwickeln, indem Ihr eure eigenen Neigungen entwickelt. Mein Ideal ist also zuerst ein Leben ohne Zwang, und dann ein einfaches und natürliches Leben. Zuerst müsst ihr frei sein, dann müsst ihr lernen, euch an allen Kleinigkeiten des Lebens zu freuen. Das wird in der Tat notwendig werden, denn wenn auch die anderen frei sind, müsst ihr eure Arbeit selbst tun. In direktem Gegensatz dazu sagt die Zivilisation: »Vermeidet Mühe!«, und das wiederum könnt ihr nur, wenn ihr andere Leute dazu bringt, ihr Leben für euch zu leben. Ich bin der Meinung, Sozialisten sollten sagen: »Nehmt Mühen auf euch und macht aus ihnen ein Vergnügen.« Ich werde immer daran festhalten, dass das der Schlüssel zu einem glücklichen Leben ist.
Nun wollen wir versuchen, mit diesem Schlüssel einige der verschlossenen Türen zur Zukunft aufzusperren. Seid euch aber bewusst, dass ich, wenn ich von der Gesellschaft der Zukunft spreche, mir natürlich die Freiheit nehme, die Übergangsphase – was immer das auch sein mag – zu überspringen, die die Gegenwart vom Ideal trennt. Gerade dieses Ideal müssen wir alle ja mehr oder weniger genau in Gedanken ausformen, wenn wir erst einmal fest an die Erneuerung der Welt glauben. Als erstes zur Stellung der Menschen in der neuen Gesellschaft – sozusagen zu ihrer politischen Stellung: eine politische Gesellschaftsordnung, wie wir sie kennen, wird es nicht mehr geben. Das Verhältnis von Mensch zu Mensch wird nicht mehr vom Rang oder Eigentum bestimmt sein. Was zählt, wird nicht mehr die Stellung in der Hierarchie oder das Amt sein, wie das im Mittelalter war, noch sein Eigentum, wie heute, sondern seine Person. Vom Staat aufgezwungene Verträge werden genauso in die Rumpelkammer des Vergessens wandern wie die heilige Würde des Blutadels. So werden wir mit einem Schlag jene künstlichen Institutionen loswerden, für die wir alle unser eigenes Leben opfern sollten, bloß weil sie angeblich notwendig sind, um für Schwierigkeiten, die die Menschen eventuell einmal haben könnten, vorzusorgen; Schwierigkeiten, die vielleicht nie auftauchen. Jeder einzelne Fall, wo Rechte oder Wünsche aufeinanderprallen, wird für sich behandelt werden – das heißt den Tatsachen, und nicht einem Gesetz entsprechend. Es wird selbstverständlich kein Recht auf Privateigentum geben. Alle für ein normales Leben notwendigen Güter werden in solchem Überfluss vorhanden sein, dass zwischen Privatpersonen kein ersichtlicher und unmittelbarer Tauschhandel notwendig sein wird. Es wird sich ohnehin niemand in Besitzstände einmischen wollen, die diesem oder jenem Individuum sozusagen zugewachsen, also Teil seiner Lebensform geworden sind.
Was nun das Berufswesen anbelangt, so wird es natürlich nicht möglich sein, die jetzige Arbeitsteilung aufrechtzuerhalten: Für-einen-anderen-Diener-Sein, Kanalreinigen, Schlachten, Briefeaustragen, Stiefelputzen, Haarschneiden usw. wird es als besondere Berufe nicht mehr geben. Wir werden entweder selbst zu all diesen Beschäftigungen aufgelegt sein müssen oder sie einigen schmackhaft machen, die sie dann freiwillig übernehmen – oder aber wir müssen sie allesamt wegfallen lassen. Eine ganze Menge enervierender Beschäftigungen wird es nicht mehr geben. Wir werden keine Muster mehr auf Stoff und keinerlei Verzierungen mehr an einem Henkelkrug anbringen, um sie besser und schneller zu verkaufen, sondern nur noch, um sie zu verschönern und dabei uns selbst und andere zu erfreuen. Was immer wir an groben oder einfachen Gütern herstellen, wird in Hinblick auf seine jeweiligen Gebrauchsfunktionen grob und einfach gemacht und nicht für den Verkauf. Da es keine Sklaven mehr geben wird, wird kein Bedarf mehr für Waren bestehen, die nur Sklaven brauchen würden. Maschinen werden wahrscheinlich weitgehend ihren Zweck erfüllt haben, sobald sie den Arbeitern dazu verholfen haben, Privilegien zu beseitigen, und sie werden dann wohl stark reduziert werden. Möglicherweise werden die wenigen wichtigen Maschinen sehr verbessert werden, und die Masse der unwichtigen wird außer Gebrauch kommen. Es wird jedoch den Leuten freistehen, den Rest zu benutzen oder auch nicht, je nachdem, wonach ihnen der Sinn steht. Wenn wir zum Beispiel eine Reise unternehmen wollen, sollen wir nicht wie jetzt im Interesse des Kapitals gezwungen sein, mit der Eisenbahn zu fahren, sondern könnten unseren persönlichen Neigungen folgen und in einem Planwagen reisen oder auf dem Rücken eines Esels.
Auch die Bevölkerungszusammenballung wird abnehmen, nachdem sie ihren einzig guten Zweck erfüllt hat, nämlich Menschen die Gelegenheit zum Kontakt und zur Kommunikation zu geben und Arbeiter ihre Solidarität spüren zu lassen. Die riesigen Industriereviere werden aufgelöst werden, und die Natur wird allmählich die schrecklichen Wunden heilen, die die kopflose Gier und die hirnlose Gewalt des Menschen ihr zugefügt haben. Es wird nicht länger eine Sache dringender Notwendigkeit sein, Baumwolle heuer um den Bruchteil eines Pfennigs billiger herzustellen als im Vorjahr. Es wird uns selbst völlig freistehen, für ein sauberes Heim und grüne Felder jeden Tag eine halbe Stunde länger zu arbeiten oder nicht, und eine kleine Laune des Marktes bei Waren, die es überhaupt nicht wert sind, hergestellt zu werden, wird nicht mehr Hunger und Elend von Tausenden nach sich ziehen. Selbstverständlich (ich hätte das eigentlich vorher sagen sollen) kann jeder privat in seiner Freizeit Gebrauchsgegenstände verzieren, was ja leicht möglich ist, denn die Schaffung eines echten Kunstwerks erfordert weniger Genie als die Konstruktion einer Maschine zur Herstellung von Surrogaten. Und natürlich können wir reine Zentren des Betrugs und der Kriecherei, wie den abscheulichen Dunghaufen, in dem wir wohnen (nämlich London), noch leichter loswerden. Ein paar freundliche Dörfer am Ufer der Themse würden die Stelle markieren, an der jenes groteske Stück Irrsinn, einst London genannt, stand.
Nehmen wir nun den Schlüssel, um die Tür zur Erziehung der Zukunft aufzusperren! Unsere gegenwärtige Erziehung ist streng wirtschaftlich und politisch ausgerichtet: keiner von uns wird zu einem Menschen erzogen, sondern einige zu Herren und andere zu Dienern des Kapitals. Ich fordere auch hier die entsprechenden Ergebnisse einer Revolution auf der Basis nicht-asketischer Einfachheit der Lebensführung. Ich denke, wir müssen auch hier dieses fatale System der Arbeitsteilung loswerden. Alle Leute sollten Schwimmen und Reiten und Bootfahren auf dem Meer oder auf dem Fluss lernen. Das sind keine Künste, das sind rein körperliche Übungen und sollten zur Gewohnheit werden; das gleiche gilt für ein oder zwei grundlegende Künste des Lebens wie das Zimmern oder Schmieden. Die meisten sollten wissen, wie man ein Pferd beschlägt und ein Schaf schert, wie man ein Feld aberntet und pflügt, und ich glaube, wir würden die Maschinen in der Landwirtschaft bald aufgeben, wenn wir frei wären. Dann gibt es wiederum Dinge wie Kochen, Backen, Nähen usw., die jedem vernünftigen Menschen in ein paar Stunden beigebracht werden können und die jeder beherrschen sollte. All diese grundlegenden Künste würden wieder zur Gewohnheit, genauso wie die Kunst zu lesen und zu schreiben. Ich glaube, dazu käme dann auch die Kunst des Denkens, die derzeit an keiner mir bekannten Schule oder Universität gelehrt wird.
Ausgerüstet mit all diesen Alltagsfertigkeiten und Künsten würde das Leben vor dem Mitglied der Gesellschaft liegen, damit es sich daran erfreue. Denn in welche Richtung es auch immer seine Kräfte einsetzen will, es fände die Gemeinschaft bereit, mit Anleitung, Umsetzungsmöglichkeiten und dem nötigen Material zur Seite zu stehen. Ich für meinen Teil würde ihm auch nicht vorschreiben, was es tun soll, denn ich bin überzeugt, dass ihn seine zur Gewohnheit gewordenen Fertigkeiten, die sein Menschsein ausmachen, auch selbst zu deren Gebrauch anregen würden. Niemand würde das Leben auf Kosten seiner Mitmenschen genießen, sondern zu ihrem Vorteil. Zur Zeit ist, wie Ihr wisst, die Belohnung bescheiden, die als Anreiz für ihre Anstrengungen all jenen in Aussicht gestellt ist, die nicht ohnehin durch die Peitsche des drohenden Hungertods angespornt werden. Für einen erfolgreichen und dynamischen Menschen besteht diese Belohnung heutzutage hauptsächlich in der Hoffnung auf eine Stellung, in der er seine Kräfte dann nicht mehr gebrauchen muss. Langeweile voll Überdruss ist damit die Krönung für ein tatkräftiges Engagement in der Zivilisation. Unter wirklich sozialen Bedingungen jedoch wären die Vorteile, die uns als Lohn für die Ausübung unserer Kräfte erwarten würden, in der Tat vielfältig und weit gestreut. Und ich kann mir nicht im Geringsten vorstellen, dass die Aussicht auf ganz persönlichen Nutzen die Motivation der Menschen schmälern würde oder könnte. Die Menschen werden letztendlich erkennen, dass das Leben selbst ihre Aufgabe ist, und bald herausfinden, dass Leben ohne Streben stumpfsinnig ist. Welche Richtung dieses Streben einschlagen wird, kann ich Euch natürlich nicht sagen. Ich kann nur sagen, dass es befreit sein wird von der schmutzigen Notwendigkeit, an etwas zu arbeiten, das uns nicht gefällt – und das eben ist die Heimsuchung und der Fluch der Zivilisation.
Was ich sonst noch als meine ganz persönliche Hoffnung anbieten kann: dass die Menschheit vielleicht ihre Sehkraft wiedergewinnen wird, die sie momentan weitgehend verloren hat. Ich will hier nicht auf die Tatsache anspielen, dass die Zahl der Menschen mit medizinisch schwachen Augen im Ansteigen ist, sondern auf etwas, das meiner Meinung nach mit dieser Tatsache verbunden ist, nämlich, dass die Menschen fast völlig aufgehört haben, geistige Eindrücke durch ihre Augen aufzunehmen. In vergangenen Zeiten hingegen waren die Augen die großen Nährer von Phantasie und Vorstellungskraft. Freilich benützen auch heute die Leute ihre Augen, um nicht die Treppe hinunterzufallen oder die Gabel in die Nase statt in den Mund zu führen, aber damit hat es sich schon in der Regel. Ich habe die Angewohnheit, bei Besuchern von Ausstellungen oder Gemäldegalerien deren Verhalten zu beobachten, und regelmäßig bemerke ich dabei, wie gelangweilt sie sind und wie ihre Augen leer über die verschiedenen Ausstellungsstücke wandern. Und, so komisch das klingt, ein besonders ausgefallenes Stück zieht sie nie an, zweifellos, weil es hauptsächlich über die Augen auf den Geist wirkt. Wenn sie hingegen auf etwas stoßen, wo sie ein bedrucktes Schild darauf hinweist, dass es etwas Bekanntes ist, interessiert es sie plötzlich, und einer macht den anderen darauf aufmerksam. Wenn zum Beispiel gewöhnliche Leute in unsere Nationalgalerie gehen, wollen sie den Raphael aus Blenheim sehen, der, wenn auch gut gemacht, doch ein recht langweiliges Bild ist, zumindest für jeden, der nicht selbst Künstler ist. Und sie tun das nur, weil sie gehört haben, dass der äh, hm … der … nun, der Dieb, der es in seinem Besitz hatte, es schaffte, eine geradezu astronomische Summe dafür aus der Nation herauszupressen. Wenn ihnen dagegen Holbein die dänische Prinzessin aus dem sechzehnten Jahrhundert lebendig auf seiner Leinwand zeigt, ein zurückhaltendes Halblächeln noch in ihren Augen; wenn ihnen van Eyck ein Fenster auf das Brügge des vierzehnten Jahrhunderts öffnet; wenn ihnen Botticelli den Himmel so zeigt, wie er in den Herzen der Menschen lebte, bevor die Theologie gestorben war, dann hinterlässt all dies keinen Eindruck auf sie, nicht einmal genug, um ihre Neugierde zu wecken und sie fragen zu lassen, was das alles eigentlich soll. Denn diese Werke wurden geschaffen, damit man sie betrachten und damit das Auge dem Geist Geschichten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzählt.
Ein weiteres Beispiel: Früher, als die (vermutlich scherzhaft) so genannte Erziehungsabteilung im Victoria & Albert Museum von South Kensington mit der Abteilung für Kunst noch mehr oder weniger verquickt war, bin ich einmal einer Gruppe auf ihrem Weg durch die Wunder der Kunstrichtungen vergangener Tage gefolgt. Dabei habe ich bemerkt, dass ihre Augen nicht ein einziges Mal auf irgendeinem dieser Kunstwerke ruhten, aber sofort aufleuchteten, als sie auf eine Glasvitrine stießen, in der die chemisch analysierten Bestandteile eines Rindersteaks sorgfältig zusammengestellt und beschriftet lagen. Ihre Augen verschlangen kleine Häppchen von an sich nichts Besonderem, mit einem blinden Vertrauen in den Chemiker, das ich nicht teilen konnte. Mir schien, dass er von geradezu übermenschlicher Ehrlichkeit hätte sein müssen, um sich nicht auch ein bisschen Straßenstaub oder Asche zu besorgen und sie für jene abstrusen Substanzen auszugeben, die er mit seinen Bemühungen aus diesem vertrauten Objekt ans Tageslicht gebracht hat. In der Literatur werdet Ihr genau das gleiche finden: Die Autoren, die an unsere Augen appellieren, geistige Eindrücke aufzunehmen, werden von unseren höchst »intellektuellen« Kritikern als allenfalls zweitrangig abgewertet. Wenn man einmal von Homer, Beowulf und Chaucer absieht, gilt allgemein, dass der »wahrhaft intellektuelle« Mensch die rein rhetorischen Phrasendrescher und Höhlenforscher der Innerlichkeit über solche Meister des Lebens wie Scott und Dickens hebt, die ihre Geschichten unseren Sinnen mitteilen und es ihnen allein überlassen, sie moralisch zu deuten.
Ich habe mich mit der Frage der Sehkraft deshalb etwas länger befasst, weil das meiner Meinung nach das deutlichste Zeichen für den Weg ist, den die Zivilisation eingeschlagen hat in Richtung auf eine Existenz geistiger Fettwänste, wie ich sie schon vorher angeprangert habe. Ein weiterer Grund ist, weil dadurch deutlich wird, dass man an die Kunst und Literatur der Zukunft keine speziellen Ansprüche stellen muss. Gesunde körperliche Voraussetzungen und eine solide und umfassende Entwicklung der Sinne wird, verknüpft mit einer entsprechenden Sozialethik, die uns die Vernichtung der Sklaverei bringen wird, sicherlich die entsprechende Kunst und Literatur entstehen lassen, was auch immer dieses »entsprechend« sein mag. Nur werden, wenn ich ein wenig den Propheten spielen darf, sowohl Kunst als auch Literatur, vor allem aber die Kunst, die Sinne direkt ansprechen, gerade so, wie das die Kunst vergangener Zeiten getan hat. Ihr seht, Ihr werdet also keine neuen Romane mehr bekommen können, die die Schwierigkeiten eines bürgerlich-mittelständischen Paares in seinem Ringen nach sozialer Nutzlosigkeit aufgreifen, weil das Material für derartige literarische Schätze zur Neige gegangen sein wird. Andererseits werden wir über die unverfälschten Erzählungen aus der Geschichte immer noch verfügen, und sie werden, so darf man hoffen, auf fröhlich-gelassenere Weise erzählt werden, als das heute möglich ist. Ich für meinen Teil kann nicht daran zweifeln, dass die Kunst die gesundeten Sinne der Menschen ansprechen wird; d.h. die Architektur und verwandte Künste werden bei uns wieder aufblühen wie in den Tagen vor der Zivilisation. Die Zivilisation macht diese Künste unmöglich, denn ihre Politik und Ethik zwingen uns, in einer schmutzigen, unaufgeräumten und unbequemen Welt zu leben, einer Welt, die unsere Sinne auf Schritt und Tritt beleidigt. Dieser Druck wiederum wirkt auf unsere Sinne und zwingt uns unbewusst, ihre Schärfe in Notwehr abzustumpfen. Ein Mensch, der für die äußere Form der Dinge sensibel ist, muss heutzutage in South Lancashire oder in London viel erleiden, er muss in einem Zustand ständigen Zorns und Aufbegehrens leben. Er muss in der Tat versuchen, seine Empfindsamkeit abzustumpfen, sonst wird er verrückt oder bringt gar irgendeinen Widerling um und wird dafür dann auch noch gehenkt. Folge all dessen ist letztendlich, dass die Menschen mit der Zeit ohne diese unbequeme Sensibilität der Sinne geboren werden. Entfernt man andererseits diesen unvernünftigen Zwang, so werden sich die Sinne wieder zu ihrer entsprechenden und normalen Fülle regenerieren und nach einem Ausdruck für das Vergnügen drängen, das uns ihr Gebrauch vermittelt. Kurz gesagt, Kunst und Literatur werden gleichzeitig wieder sinnlich und menschlich werden.
Ich will nun versuchen, diese weitschweifigen Bemerkungen zusammenzufassen und Euch eine genauere und vollständige Vorstellung von der Gesellschaft geben, in die ich gerne wiedergeboren würde.
Es ist eine Gesellschaft, die die Bedeutung der Worte »arm« und »reich« nicht kennt, kein Recht auf Eigentum, kein Gesetz, kein Rechtswesen und keine Nationalität: eine Gesellschaft, die ihre Regierung nicht zu spüren bekommt, in der Chancengleichheit eine Selbstverständlichkeit ist und in der keiner, weil er der Gemeinschaft gedient hat, mit der Macht belohnt wird, ihr zu schaden.
Es ist eine Gesellschaft, die bewusst ein einfaches Leben führen will, die auf einen Teil der Macht verzichtet, die sie in vergangenen Zeiten über die Natur gewonnen hat – um menschlicher und weniger mechanisch zu leben und bereit ist, für dieses Ziel auch etwas zu opfern. Sie wird sich in kleine Gemeinschaften gliedern, die sich innerhalb bestimmter, von einer entsprechenden Sozialethik gesetzten Grenzen durchaus voneinander unterscheiden, ohne aber miteinander feindlich zu rivalisieren, blicken sie doch mit Abscheu auf die Idee einer heiligen Rasse.
Da sie zur Freiheit entschlossen und daher mit einem Leben zufrieden sind, das nicht nur einfacher, sondern auch rauer ist als das Leben von Sklavenhaltern, würde die Arbeitsteilung ihrer Lebensform entsprechend eingeschränkt sein: Männer (und natürlich auch Frauen) würden ihrer eigenen Arbeit und ihrem eigenen Vergnügen nachgehen, nicht die einen stellvertretend für die anderen. Sie werden das soziale Band ständig und instinktiv spüren, ohne dass man es immer wieder durch Rituale bestätigen müsste: Die bürgerliche Familie wird in der Gemeinschaft und schließlich der Menschheit aufgehen. Die Freuden in einer solchen Gesellschaft werden auf dem freien Ausleben der Sinne und Gefühle eines gesunden menschlichen Wesens basieren, soweit dieses Ausleben nicht die anderen Individuen in der Gemeinschaft verletzt und so gegen die soziale Einheit verstößt. Niemand wird sich seines Menschseins schämen oder mehr fordern, als sich seinem Wesen entsprechend entwickeln zu können.
Und dieser gesunden Freiheit werden die Freuden einer geistigen Entwicklung entspringen, die die zivilisierten Menschen von heute auf so törichte Weise vom Sinnesleben zu trennen versuchen und die sie auf dessen Kosten verherrlichen. Die Menschen werden Wissen und Schönheit um ihrer selbst willen erstreben, und nicht, um ihre Mitmenschen zu versklaven. Ihre Belohnung wird darin bestehen, dass selbst die notwendigsten Arbeiten unter ihren Händen interessant und schön werden, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Ein Mann, der am allerliebsten in einer Sommernacht am Berghang in seiner Schilfhütte inmitten von Schafen liegt, wird deswegen genauso in der Lage sein, sich an einer großen Gemeinschaftshalle mit all ihrer Pracht an Säulen, Bögen, Gewölben und Maßwerk zu erfreuen. Und ebenso wenig wird der, der am Ruder seines Fischerboots sitzt und den das Pfeifen des Windes und das Brechen der Wellen ans Herz rührt, für die Schönheit kunstvoll gesetzter Musik taub sein. Es ist der Arbeiter allein und nicht der Pedant, der wirklich kraftvolle Kunst hervorbringen kann.
Und mit dieser beglückenden Arbeit und der dazugehörigen Rast werden alle Spuren vergangener Sklaverei vom Angesicht der Erde verschwinden. Wenn wir nicht länger von Angst und Furcht zu Tode gehetzt werden, sollten wir genug Zeit finden darauf zu achten, dass Schmutz und Elend nicht die Erde entwürdigen, und beiläufig entstandene Hässlichkeit wird zusammen mit den Ausgeburten einer phantastischen Perversität verschwinden. Den schlimmsten Ausdruck dafür – den Carlyle gebrauchte – dass die Welt ein Cockney-Albtraum sei, wird man nicht mehr kennen.
Aber vielleicht glaubt Ihr, dass, wenn die Gesellschaft so glücklich und zufrieden ist, gerade ihr Erfolg sie wiederum korrumpieren würde? Ja, das könnte sein, wenn die Menschen nicht wachsam und mutig sind. Aber wir haben am Anfang gesagt, dass sie frei sein werden, und freie Menschen müssen Verantwortung tragen, und das wiederum heißt, dass sie wachsam und mutig sein werden. Die Welt wird nach wie vor dieselbe sein, das leugne ich nicht. Aber diese Menschen, an die ich denke, werden sicher eher ihren Schwierigkeiten gewachsen sein als diejenigen, die in unserem derzeitigen Durcheinander von Autorität und unbewusster Revolte leben.
Oder einige könnten sagen, dass solche Verhältnisse sicherlich zum Glück führen würden, aber auch zum Stillstand, zur Stagnation. Nun, das wäre wohl ein Widerspruch in sich selbst, wenn wir uns einig sind, dass Glück auf dem lustvollen Gebrauch unserer Fähigkeiten beruht. Und doch, nehmen wir einmal das Schlimmste an, nämlich, dass die Welt nach so vielen Schwierigkeiten sich ausruhen würde – was wäre denn daran so schlimm? Ich kann mich noch daran erinnern, wie angenehm es war, einmal nach einer Krankheit auf meinem Bett zu liegen, ohne Schmerzen und Fieber, und nichts zu tun, als die Sonnenstrahlen zu betrachten und auf die Geräusche des Lebens draußen zu horchen. Und darf nicht die große Menschenwelt, wenn sie sich einmal von dem besinnungslosen Kampf ums Dasein, um ein Leben in Unaufrichtigkeit, befreit hat, ein klein wenig ruhen nach dem langen Fieber, ohne deswegen gleich schlechter dazustehen?
Ich jedenfalls bin sicher, dass es besser ist, dieses Fieber zu überwinden, ganz gleich, was danach kommt. Sicher würde die Einfachheit des Lebens, von der ich gesprochen habe und die manche als Stillstand bezeichnen würden, der großen Masse der Menschheit ein wirkliches Leben ermöglichen und zumindest für sie ein Quell des Glücks sein. Es würde sie mit einem Mal auf eine höhere Stufe des Lebens heben, auf der die Welt nicht mehr mit schablonierten Leuten bevölkert wäre, sondern mit aufrichtigem Volk, dem jenes deutliche Bewusstsein der eigenen Überlegenheit fremd ist, wie es die »Intellektuellen« von heute auszeichnet. Sie werden sich und die Persönlichkeit anderer respektieren, weil sie sich selbst nützlich und glücklich, und das heißt lebendig, fühlen.
Wenn den besseren Leuten eine solche Welt nicht gut genug ist, tut es mir leid; aber ich muss sie dann fragen, wie sie es denn in der jetzigen aushalten können, die bestimmt schlimmer ist. Ich fürchte, sie müssten antworten: »Uns ist sie lieber, gerade weil sie schlechter ist, und wir folglich besser dastehen.« Ja, meine Freunde, das sind die Narren, die jetzt unsere Meister sind. Die Meister von Narren, sagt Ihr? Ja genau: hören wir also auf Narren zu sein, und sie werden nicht länger unsere Meister sein! Glaubt mir, das wird den Versuch wert sein, was auch immer danach kommen mag. Nehmt dies als letztes Wort meines Traumes von der Zukunft: Der Beweis, dass wir keine Narren mehr sind, wird sein, dass wir keine Meister mehr haben.
Morris hielt diesen Vortrag vor der Hammersmith Branch der Socialist League am 13. November 1887. Später mehrmals wiederholt und in Commonweal abgedruckt. aus: „William Morris – Rot und Grün, Reden zur Revolution von Kunst und Gesellschaft, Passau, 1987 Überarbeitung der Übersetzung, 2013