Unter Sozialismus versteht die Hammersmith Socialist Society die Verwirklichung des Zustands einer wahren Gesellschaft, alle einschließend und allen genügend.*
Sie ist der Auffassung, dass diese grosse Veränderung durch die bewusste Anstrengung derer erreicht werden muss, die sich dieses Verständnis von Sozialismus angeeignet haben.
Diese Veränderung muss nach unserer Überzeugung eine grundlegende Veränderung der Grundlagen der Gesellschaft sein: die gegenwärtige Grundlage ist das Vorrecht für wenige und daraus folgend die Dienerschaft für die vielen – die zukünftige Basis wird die Gleichheit der Bedingungen für alle sein, worin nach unserer festen Überzeugung das Wesen einer wahren Gesellschaft besteht.
Sobald eine Gemeinschaft anfängt, Unterschiede in den Lebensbedingungen ihrer Mitglieder zu machen nach einem ausgedachten Vergleichsstandard ihrer Eigenschaften, wird sie sich genötigt sehen, ein rein willkürliches System für die Verteilung von Verantwortlichkeiten und Belohnungen zu benützen, das notwendigerweise den einen Schaden zufügt zugunsten der Höherstellung anderer. Aber wenn eine Gesellschaft gewohnheitsmäßig irgendwelche Gruppen ihrer Mitglieder Schaden zufügt, ist sie zur Herrschaft geworden, sie hat aufgehört eine wahre Gesellschaft zu sein und hat ihre Existenzberechtigung verloren.
Als Sozialisten sagen wir, dass die Gesellschaft zwei Aufgaben verkörpern soll: die Vergrößerung des Wohlstands durch Verbindung und Kooperation der verschiedenartigen Kräfte und Fähigkeiten der Menschen und die gerechte Verteilung des so produzierten Reichtums. Und da die Fähigkeiten aller Menschen zum Wohle der Gesamtheit beitragen können, und da die Bedürfnisse der Menschen zumindest ähnlich sind, fordern wir das Recht für jede in die Gesellschaft geborene Person auf einen vollen Anteil an der Summe der geschaffenen Leistungen: wem immer dieser Anteil vorenthalten wird, durch Gewalt oder Betrug, der ist kein Mitglied dieser Gesellschaft, sondern von ihr ausgestoßen und schuldet ihr keine Treuepflicht.
Aber die Gesellschaft unserer Tage, die der kapitalistischen Lohnempfänger, von reich und arm, erkennt diesen Anspruch keineswegs an – im Gegenteil. Ihr Wesen ist die Leugnung dieses Rechts und die Behauptung einer willkürlichen Ungleichheit. Es ist eine exklusive Gesellschaft – eine Vereinigung privilegierter Personen zum Zwecke des Ausschlusses der Mehrheit der Bevölkerung von der Teilnahme an dem Reichtum, den sie (die Arbeiter) schaffen. Das System, wodurch dieses Privileg aufrechterhalten wird, ist das ausschließliche Eigentum der privilegierten Klassen an den Produktionsmitteln, d.h. an Boden, Arbeitsgeräten und Anlagen, die für kombinierte Arbeit notwendig sind; insbesondere den Fabriken, Maschinen, Eisenbahnen und anderen Verkehrsmitteln. Den arbeitenden Klassen ist nicht erlaubt, diese Produktionsmittel zu benützen außer für den Preis, alles an die besitzenden Klassen abzugeben bis auf das reine Lebensminimum. Die sogenannten höheren Klassen haben dadurch die Möglichkeit, von der Anstrengung der Arbeiter zu leben, denen damit alle Vorteile vorenthalten werden, die durch den fortgeschrittenen Stand der Zivilisation erreicht wurden: die Produktivität der Arbeit hat in den letzten 400 Jahren enorm zugenommen, doch die arbeitenden Klassen hatten nichts davon; alles was sie damit bewirkten, war die Schaffung einer großen und wohlhabenden Mittelklasse, die zum Teil aus ihren direkten Arbeitgebern, d.h. ihren Herren, besteht und zum anderen Teil aus denen, die deren Vergnügen und Luxus dienen.
Die Arbeiter sind deshalb, wir wiederholen es, kein Teil der kapitalistischen Gesellschaft, denn sie haben keinen Anteil am geschaffenen Wohlstand – sie sind nichts anderes als ihre Maschinerie, und werden von ihr weder gestützt noch gestärkt – für sie ist es keine Gesellschaft mehr, sondern eine Beherrschung geworden; und die Objekte dieser Tyrannei gehören nicht etwa einer niederen Rasse von schwachen und unfähigen Personen an – es ist der nützliche Teil der Bevölkerung.
Eine (sogenannte) Gesellschaft, die so die Bevölkerung dominiert und ihren nützlichen Teil ausgrenzt, kann nicht stabil sein; sie enthält in sich die Elemente ihrer Auflösung und kann nur weiter existieren durch Gewalt und Betrug an jedem ernsthaften und ehrlichen Gedanken und an aller Hoffnung auf Verbesserung. Es ist denkbar, aber wie wir glauben unwahrscheinlich, dass sie die arbeitenden Klassen noch weiter degradieren wird, bis ihnen jeder Widerstand ausgetrieben ist, und sie zu Sklaven macht, hoffnungsloser und unglücklicher als die Welt je gesehen hat. Aber die gesamte Evolution der Gesellschaft und alle Zeichen der Zeit lassen für unsere Epoche ein besseres Schicksal erwarten. Mit jedem Tag wird klarer, dass die Gedanken und Hoffnungen der arbeitenden Klassen (die allmählich ihre unwürdige Situation verstehen) und die in ihnen latent liegende Kraft für eine neue Ordnung der Dinge nicht unterdrückt werden kann; dass die Tyrannei des Privilegs schwächer wird und wir in Sichtweite ihres Sturzes sind.
Ohne Zweifel: wenn sich die Arbeiter vereinen um ihr Erbe als gebührende Mitglieder der Gesellschaft einzufordern, dann wird die Tyrannei des Privilegs vor ihnen zusammenbrechen und die wahre Gesellschaft wird aus ihren Ruinen erstehen.
Hier sagen wir: wir kämpfen nicht für die Auflösung der Gesellschaft, sondern für ihre Neuformierung. Die von manchen (die die heutige Gesellschaft angreifen) vorgebrachte Idee der vollkommenen Unabhängigkeit jedes einzelnen Individuums – d.h. sie sind für Freiheit ohne Gesellschaft – ist nicht nur unmöglich durchführbar, sondern genau genommen auch undenkbar.
Als Sozialisten sehnen wir uns nach einer wahren Gesellschaft. Es sind die Arbeiter, die das authentische Element dieser wahren Gesellschaft verkörpern, obwohl sie die Ausgestossenen der falschen Gesellschaft unserer Tage sind, und es ist ihre Aufgabe, genau das den Privilegierten zu zeigen, indem sie sich schon jetzt, unter der bestehenden Tyrannei, als Gesellschaft der Arbeit konstituieren, die der Gesellschaft des Privilegs konträr gegenübersteht. Ein solcher Zusammenschluss wäre in der Lage, durch Zugeständnisse, die den Herren abgezwungen werden, das Los der Arbeiter zu verbessern, während er die Festung des Privilegs untergräbt (das individuelle Eigentum an den Produktionsmitteln) und unter seinen Mitgliedern die Fähigkeit zur Administration entwickelt; so dass sie sich nach dem Sturz des heutigen Systems vorbereitet finden, die Angelegenheiten der Allgemeinheit ohne Verschwendung und Unheil weiterzuführen.
Diese kämpferische Gesellschaft der Arbeit voranzubringen ist die Aufgabe aller Sozialisten; wir möchten aber noch ein paar Worte über den Teil dieser Aufgabe sagen, den wir als den besonderen Beitrag der Hammersmith Socialist Society sehen (und anderer, die weder Staatssozialisten noch Anarchisten sind).
Wir glauben also, dass es unsere Aufgabe ist, Sozialisten zu machen, indem wir der Bevölkerung und insbesondere den arbeitenden Klassen die elementaren Wahrheiten des Sozialismus vor Augen legen. Erstens weil wir uns sicher sind, dass trotz des Aufbegehrens es in den Reihen der Arbeiter relativ wenige gibt, die verstehen, was Sozialismus bedeutet oder die die Gelegenheit hatten, mit jenen darüber zu debattieren, die zumindest begonnen haben, ihn zu verstehen. Und zweitens sind wir uns nicht weniger sicher, dass bevor eine definitive sozialistische Aktion versucht werden kann, muss sie von kluger Überzeugung in großer Gestalt unterstützt werden – der Einsicht einer grossen Menge von Menschen, die schon Sozialisten sind; von Leuten, die wissen was sie wollen und die darauf vorbereitet sind, die Verantwortlichkeiten einer Selbstregierung (die Teil ihrer Forderungen sein muss) anzunehmen.
Es kann sein – nein, es ist wahrscheinlich – dass verschiedene unausgereifte Experimente in Richtung des Staatssozialismus versucht werden. Wir sagen: wenn dem so sein wird, lasst die dafür eintreten, die darin eine Lösung der sozialen Frage sehen und jene, die das nicht glauben, sollten deren Unternehmungen lediglich als Hilfsmittel auf der politischen Ebene benützen, um ihre Stellung als Exponenten des Sozialismus zu stärken.
Auf der anderen Seite lehnen wir krampfhafte und verzweifelte Akte der Gewalt ab, die nur das Elend der Armen und die Schwierigkeiten der Sozialisten durch Alarmierung der Zaghaften vergrößern und die der kapitalistischen Exekutive Möglichkeiten zu Repression geben. Notwendigerweise werden sie von Menschen ausgeführt, die nichts über ihre Lage wissen, außer dass sie leiden und die in der Konsequenz denen helfen, die eine zeitweilige Linderung ihrer Leiden anbieten. Gleichzeitig wissen wir, dass wir die Strafen aushalten müssen, die mit passivem Widerstand verbunden sind – der wirklichen Waffe der Schwachen und Unbewaffneten, der die Tyrannei in größere Verlegenheiten bringt als hoffnungsleere Gewaltakte es vermögen – indem er die scheinbaren Siege der Starken und Ungerechten in reale Niederlagen verwandelt.
Weiter: als Sozialisten möchten wir unsere Brüder insgesamt daran erinnern, dass wir nicht anders können als mit allen Kämpfen der Arbeiter gegen ihre Herren zu sympathisieren, wie partiell diese auch sind oder es an vollständiger und effektiver Vereinigung mangeln mag; aber wir dürfen nicht übersehen, dass diese Teilkämpfe aus sich heraus nirgendwo hinführen, und das wird solange so bleiben, wie die Arbeiter die Lohnsklaven ihrer Herren sind.
Wir wollen deshalb die Arbeiter ernsthaft dazu drängen, keine Zeit zu verlieren für den Aufbau einer allgemeinen Vereinigung der Arbeitenden, deren Ziel die Abschaffung des Privilegs durch Erreichung vollkommener Kontrolle der Arbeiter über die Produktionsmittel ist, als erstem Schritt der Verwirklichung des Sozialismus. Mit diesem Ziel ständig im Blick wird eine solche Vereinigung immer weitere Vorteile für die Arbeiter erreichen: wovon jeder – daran sei erinnert – nur auf Kosten der Kapitalisten erreicht werden kann. Sie wird diese von einer Verteidigungsstellung zur nächsten treiben bis sie sich zuletzt mit einer Verantwortung beladen sehen, die ihnen kein Privileg mehr einbringt; weshalb sie dann die Arbeiter auffordern werden, diese Verantwortung selbst zu übernehmen und die Arbeit der Welt selbst zu leiten.
Es ist die Aufgabe aller Sozialisten, ihr Bestes beizutragen, das zu erreichen; dass jenen Tages die Herren an Menschen herantreten werden, die bereit und fähig sind diese Verantwortung zu übernehmen, in dem Wissen, dass sie, die vorher Ausgestoßenen, jetzt selbst die Gesellschaft werden.
Mit dieser Hoffnung appellieren wir an alle Arbeiter, ihre wirkliche Lage zu erkennen; zu verstehen, dass sie keine andere Aussicht auf Verbesserung ihrer Situation haben als die allgemeine Vereinigung; dass sie durch diese allgemeine Vereinigung unbesiegbar werden und ihre Forderungen dann erfüllt werden müssen. Aber solange sie nicht wissen, was zu fordern ist, werden sie nicht wirklich stark sein – nein, ohne dieses Wissen wird die allgemeine Vereinigung unmöglich bleiben.
Ihr, die ihr keine Sozialisten seid, lernt von uns und lehrt uns dabei, denn durch dieses Wissen sind wir in der Lage zu handeln und die neue Ordnung der Dinge kann verwirklicht werden – wovon wir die Anfänge bereits sehen können, obwohl wir uns noch nicht das Glück ausmalen können, das sie mit sich bringen wird.
Statement of Principles of the Hammersmith Socialist Society, Dezember 1890
Eigene Übersetzung 2013
* (… all embracing and all sufficing)