Wenn ich die Ziele der Kunst betrachte, das heißt, warum die Menschen unter Mühsalen aller Art die Kunst pflegen und ausüben, so sehe ich mich genötigt, von dem einzigen Vertreter der Menschheit, von dem ich etwas weiß, nämlich von mir selber ausgehend zu verallgemeinern. Wenn ich mir nun überlege, was das ist, wonach ich verlange, so kann ich dem keinen anderen Namen geben als Glück.
Ich wünsche glücklich zu sein, solange ich lebe; in Bezug auf den Tod finde ich, dass ich mir aus Mangel an Erfahrung nicht vorstellen kann, was er bedeutet und infolgedessen nicht einmal meine Gedanken auf ihn richten kann. Ich weiß, was es zu leben heißt; nicht einmal ahnen kann ich, was es heißt, tot zu sein. Ich wünsche also glücklich zu sein, ja zuweilen sogar fröhlich und finde es schwer zu glauben, dass dies nicht das allgemeine Verlangen sein sollte; was daher diesem Zwecke dient, das pflege ich nach meinem besten Können.
Wenn ich nun weiter mein Leben betrachte, so finde ich, dass es unter dem Einfluss von zwei beherrschenden Stimmungen steht, die ich in Ermangelung einer besseren Bezeichnung den Drang zu Tätigkeit und den Drang zu Muße nenne; von diesen beiden Stimmungen verlangt bald die eine, bald die andere in mir gebieterisch, dass ich ihr nachgebe. Hat der Tätigkeitsdrang in mir die Oberhand, so muss ich etwas tun, oder ich werde verdrießlich und unglücklich; herrscht der Hang zur Muße vor, so empfinde ich es als Härte, wenn ich nicht ruhen und meine Gedanken über die verschiedenen Bilder, angenehme oder furchtbare, schweifen lassen kann, die meine eigene Erfahrung oder mein Kontakt mit den Gedanken anderer Menschen, gestorbener oder lebender, meinem Geist eingeprägt haben. Und wenn es mir die Umstände nicht erlauben wollen, mich diesem Hang zur Muße hinzugeben, so finde ich, dass ich im besten Falle eine Zeit des Unbehagens durchmachen muss, bis ich mich aufraffe, meinen Tätigkeitsdrang wieder anzuspornen, dass er an des ersteren Stelle trete und mich abermals glücklich mache. Und wenn mir kein Mittel zur Verfügung steht, womit ich den Tätigkeitsdrang zur Erfüllung seiner Pflicht, mich glücklich zu machen, anregen könnte, und ich schwer zu arbeiten habe, während ich den Hang zur Muße in mir spüre, so bin ich in der Tat unglücklich und wünsche mir beinahe den Tod, obgleich ich nicht weiß, was er ist.
Außerdem finde ich, dass während mich in der Zeit des Nichtstuns die Erinnerung erfreut, mich in der Zeit der Tätigkeit die Hoffnung aufrichtet; diese Hoffnung bewegt sich bald in Großem und Ernstem, bald in Trivialem, doch ohne sie gibt es keine beglückende Tätigkeit. Ebenso finde ich, dass, während ich diesen Drang mitunter durch bloße Verrichtung einer Arbeit, die keinen weiteren Zweck hat, als Zeit zu verbringen – kurz, durch Spiel befriedigen kann, er doch dessen bald müde wird und erschlafft, da die Hoffnung hierbei sich auf zu Unbedeutendes und zuweilen kaum Wirkliches richtet und dass, um meinen Gebieter, den Tätigkeitsdrang, zu befriedigen, ich im ganzen entweder etwas schaffen oder mir vormachen muss, dass ich etwas schaffe.
Ich glaube nun, dass sich das Leben aller Menschen in unterschiedlichem Verhältnis aus diesen beiden Stimmungen zusammensetzt, und das erklärt, warum sie von jeher, unter mehr oder weniger Mühsal, die Kunst gepflegt und ausgeübt haben.
Warum hätten sie sich sonst damit abgegeben und ihre Arbeit vermehrt, die sie doch zum Erwerb des Lebensunterhalts hätten verwenden können? Sie müssen es zu ihrem Vergnügen getan haben, da es nur in einem sehr hohen Kulturzustand vorgekommen ist, dass jemand andere dazu bewegte, ihm den Lebensunterhalt zu leisten, nur damit er Kunstwerke schaffe; während alle Menschen, die eine Spur ihres Daseins hinterließen, die Kunst ausübten.
Ich glaube in der Tat und niemand wird es leugnen wollen, dass der Endzweck eines Kunstwerkes stets der ist, demjenigen zu gefallen, dessen Sinne imstande sind, es zu erfassen. Es wird für jemand geschaffen, der dadurch glücklicher werden soll; er soll in seinem Hang zu Muße oder Ruhe erfreut werden, wodurch die Leere (das mit diesem Hang verbundene Übel) dem genießenden Betrachten – Träumen oder wie Sie es sonst nennen wollen – weicht, und damit wird er nicht so bald in eine tätigkeitssuchende Stimmung übergehen: er will mehr und besseres Vergnügen haben.
Das Abbremsen der rastlosen Tätigkeit ist daher sicher ein wesentliches Ziel der Kunst, und wenige Dinge können das Vergnügen des Lebens mehr erhöhen. Soviel ich weiß, gibt es jetzt viele befähigte Menschen, die kein anderes Laster haben als diese Ruhelosigkeit und auf deren Leben anscheinend kein anderer Fluch lastet, der sie unglücklich machen könnte. Dazu reicht dieser aber aus; er ist „die kleine Spalte in der Laute“. Die Ruhelosigkeit macht sie zu unglücklichen Menschen und schlechten Mitbürgern.
Wenn wir aber zustimmen – was, wie ich glaube, sie alle tun werden – dass dies eine höchst wichtige Aufgabe der Kunst ist, so erhebt sich die nächste Frage: um welchen Preis erwerben wir sie? Ich habe zugestanden, dass die Ausübung der Kunst die Arbeit des Menschengeschlechts vermehrt, obgleich ich glaube, dass dies im Ganzen gesehen nicht zutrifft; hat sie aber durch Vermehrung seiner Arbeit auch sein Leid vermehrt? Es hat stets Leute gegeben, die diese Frage sofort bejahen werden; es hat zwei Arten von Leuten gegeben und gibt es noch, die die Kunst als eine peinliche Torheit verwerfen und verachten. Neben den frommen Asketen, die sie als einen Fallstrick der Welt betrachten, der die Menschen davon abhält, ihren Geist auf den Gedanken an ihr individuelles Glück oder Unglück in der künftigen Welt zu richten; die, mit einem Worte, die Kunst hassen, weil sie glauben, sie trage zu des Menschen irdischem Glück bei – neben diesen gibt es noch Leute, die den Kampf ums Dasein von dem vernünftigsten Standpunkte aus betrachten, den sie kennen, und deswegen die Künste verachten, weil sie glauben, sie steigere die Sklaverei des Menschen durch Vermehrung der Summe seiner mühevollen Arbeit. Wäre dies der Fall, so ist meines Erachtens immer noch zu fragen, ob es sich nicht lohnte, die gesteigerte Mühe der Arbeit auf sich zu nehmen, um dann in der Zeit der Ruhe gesteigerten Genuss zu haben, die Gleichheit der Bedingungen unter den Menschen vorausgesetzt. Es scheint mir jedoch nicht so zu sein, dass die Ausübung der Kunst die mühevolle Arbeit vermehrt; ich glaube sogar, dass, würde die Kunst dies tun, sie überhaupt nie unter den Menschen aufgekommen und sicher nicht bei Völkern zu bemerken wäre, bei denen nur die ersten Keime der Kultur vorhanden sind. Mit anderen Worten, ich glaube, dass die Kunst nicht das Ergebnis äußeren Zwanges sein kann. Die Arbeit, die sich ihr zuwendet, ist freiwillig und zum Teil der Arbeit selbst willen unternommen, zum Teil um der Hoffnung willen, etwas hervorzubringen, das, wenn es fertig ist, dem Benutzer Freude bereitet. Oder man kann auch sagen, diese Mehrarbeit, wenn es eine Mehrarbeit ist, wird zu dem Zwecke unternommen, den Tätigkeitsdrang zu befriedigen, indem man ihn auf etwas lenkt, dessen Herstellung die darauf verwandte Mühe lohnt und so den Arbeitenden während der Arbeitszeit mit lebendiger Hoffnung erfüllt, sowie dadurch, dass er dem Tätigkeitsdrang eine Aufgabe zuweist, in der unbedingter, unmittelbarer Genuss liegt. Vielleicht ist es schwer, einem Nichtkünstler zu erklären, dass dieser bestimmte sinnliche Genuss stets die Arbeit eines tüchtigen Arbeiters begleitet, wenn sie gelingt, und dass er proportional mit der Freiheit und Individualität des Werkes wächst. Auch müssen Sie wissen, dass dieses Erschaffen von Kunst und der damit verbundene Genuss an der Arbeit sich nicht auf die Herstellung von Dingen beschränken, die ausschließlich Kunstwerke sind wie Gemälde, Statuen usw., sondern Bestandteil jeder Arbeit der einen oder anderen Art gewesen sind und sein sollten: nur so werden die Forderungen des Tätigkeitstriebs Erfüllung finden.
Daher besteht das Ziel der Kunst darin, das Glück der Menschen zu steigern, indem sie ihre Muße mithilfe von Schönheit und dem Interesse an Einzelheiten schmückt – indem sie verhütet, dass sogar die Ruhe sie ermüde – und ihnen Hoffnung und sinnlichen Genuss bei der Arbeit verschafft oder in einem Satz: Das Ziel der Kunst besteht darin, die Arbeit des Menschen genussreich und seine Ruhe fruchtbringend zu gestalten. Infolgedessen ist echte Kunst in jeder Hinsicht ein Segen für die Menschheit.
Da jedoch der Begriff „Echtheit“ einen weiten Umfang hat, so muss ich um die Erlaubnis bitten, einige praktische Folgerungen aus dieser Behauptung über die Ziele der Kunst ziehen zu dürfen, die uns, wie ich vermute oder sogar hoffe, die strittigen Punkte auf diesem Gebiet erkennen lassen. Es ist in der Tat vergeblich zu erwarten, jemand könne anders als in oberflächlichster Weise über Kunst sprechen, ohne jene sozialen Probleme einzubeziehen, über die alle ernsthaften Menschen nachdenken; denn die Kunst ist und muss Ausdruck der Gesellschaft sein, in der sie entsteht, sei es in ihrer Fülle oder Armut, in ihrer Wahrheit oder Hohlheit.
Zuerst scheint mir klar, dass gegenwärtig diejenigen, die den größten Überblick und den tiefsten Einblick in das Wesen der Dinge besitzen, vollständig unzufrieden sind mit dem jetzigen Stand der Künste wie mit den jetzigen sozialen Verhältnissen. Das sage ich im Widerspruch zu jenen, die von einer Wiederbelebung der Kunst in den letzten Jahren soviel Aufheben machen; in der Tat zeigt gerade dieses neu erwachte Interesse für die Kunst bei einem Teil der Gebildeten von heutzutage nur, welch breite Basis das oben erwähnte Unbehagen hat. Vor vierzig Jahren sprach man viel weniger von Kunst, übte sie auch viel weniger aus als heute; dies trifft besonders auf die architektonischen Künste zu, von denen ich jetzt hauptsächlich sprechen will. Man hat seit jener Zeit bewusste Anstrengungen gemacht, das Abgestorbene in der Kunst zu neuem Leben zu erwecken, und durchaus mit einigem oberflächlichen Erfolg. Nichtsdestoweniger muss ich Ihnen trotz dieser bewussten Bemühungen erklären, dass England damals für jemand, der Schönheit empfinden und verstehen kann, ein weniger unangenehmer Aufenthaltsort war als heute; und wir, die wir fühlen, was die Kunst bedeutet, wissen wohl, obgleich wir es oft nicht auszusprechen wagen, dass es in weiteren vierzig Jahren ein noch viel unangenehmerer Ort sein wird, wenn wir auf der eingeschlagenen Bahn fortfahren.
Vor weniger als vierzig Jahren – ungefähr vor dreißig – sah ich zum ersten Mal die Stadt Rouen, die damals nach ihrem äußeren Anblick noch ein Stück Mittelalter war. Keine Worte können Ihnen sagen, wie mich diese Gesamtheit von Schönheit, Geschichte und Romantik erfasste; ich kann nur sagen, dass ich im Rückblick auf mein vergangenes Leben finde, dass dies der größte Genuss war, den ich je hatte; jetzt ist es ein Genuss, den niemand je wieder haben kann: er ist auf immer für die Welt verloren. Zu jener Zeit studierte ich die letzten Semester in Oxford. Obgleich nicht so erstaunlich, so romantisch oder auf den ersten Blick so mittelalterlich wie die normannische Stadt, bewahrte Oxford zu jener Zeit noch einen großen Teil seiner früheren Anmut, und die Erinnerung an seine grauen Straßen, wie sie damals waren, hat mein Leben fortdauernd beeinflusst und erhellt; die Wirkung wäre noch größer, könnte ich vergessen, was sie jetzt sind. Da nun die Hüter dieser Schönheit und Romantik, die für die Bildung so fruchtbar sein könnte, trotz ihrer Profession in der „Höheren Bildung“ (ein Spitzname dieses sinnlosen Systems von Kompromissen), sich nicht im geringsten um sie kümmerten, haben sie ihre Erhaltung unter dem Druck geschäftlicher Interessen hintan gestellt und sind anscheinend entschlossen, sie gänzlich zu zerstören. Hier ist ein anderer Genuss der Welt verloren gegangen; auch hier wurden Schönheit und Romantik sinnlos, grundlos, auf dümmste Weise weggeworfen.
Ich habe diese zwei Fälle angeführt, einfach weil sie meinem Geist eingeprägt sind; es sind nur Beispiele dafür, was im ganzen Umkreis der Zivilisation vor sich geht: die Welt wird überall hässlicher und gleichförmiger trotz der bewussten und sehr eifrigen Bemühungen zur Wiederbelebung der Kunst von einer kleinen Anzahl von Leuten, die so offenkundig außerhalb der sonstigen Bestrebungen der Zeit stehen. Während Ungebildete noch nicht einmal davon gehört haben, betrachtet sie die Masse der Gebildeten als Spaßsache und fängt bereits an, davon genug zu haben.
Wenn nun wahr ist, was ich behauptet habe, dass echte Kunst ungeteilter Segen für die Welt ist, dann ist das eine ernste Sache; denn auf den ersten Blick sieht es danach aus, dass es bald gar keine Kunst mehr auf der Welt geben wird. Diesen großen Segen zu verlieren, wird schlimme Folgen haben.
Denn sollte die Kunst sterben müssen, so wird sie aus eigener Erschöpfung verschwinden. Ihr Ziel wird vergessen sein – das darin bestand, die Arbeit glücklich und die Ruhe fruchtbringend zu gestalten. Soll dann alle Arbeit unglücklich, alle Ruhe unfruchtbar sein? In der Tat wird dies der Fall sein wenn die Kunst untergehen sollte, wenn nicht etwas anderes an ihre Stelle tritt – etwas, wovon man jetzt keinen Namen und keine Vorstellung haben kann.
Ich glaube nicht, dass irgend etwas an die Stelle der Kunst treten wird. Nicht, dass ich an der Erfindungsgabe des Menschen zweifelte, die, wenn es gilt, ihn unglücklich zu machen, schrankenlos scheint, sondern weil ich glaube, dass die Quellen der Kunst im menschlichen Geiste unversiegbar sind, und ebenso, weil es mir leicht erscheint, die Ursachen des gegenwärtigen Niedergangs der Kunst zu erkennen.
Denn wir Menschen der Zivilisation haben sie nicht bewusst oder freiwillig aufgegeben; wir sind gezwungen worden, sie aufzugeben. Vielleicht kann ich dies am Detail der Anwendung einer Maschine zur Herstellung von Dingen erläutern, bei denen eine künstlerische Form irgendwelcher Art möglich ist. Weshalb benutzt ein verständiger Mann eine Maschine? Zweifellos um Arbeit einzusparen. Es gibt Dinge, die eine Maschine ebenso gut herstellen kann wie die Hand des Menschen samt einem Werkzeug. Er braucht z.B. sein Getreide nicht auf einer Handmühle zu mahlen; ein kleiner Wasserlauf, ein Rad und ein paar einfache Vorrichtungen werden alles vollkommen gut besorgen und ihm freie Zeit lassen, seine Pfeife zu rauchen und nachzudenken oder den Griff seines Messers mit Schnitzerei zu verzieren. Insoweit liegt im Gebrauch einer Maschine ein unzweifelhafter Segen – wohlbeachtet immer unter Voraussetzung der Gleichheit der Lebensbedingungen unter den Menschen. Keine Kunst ging verloren, freie Zeit oder Zeit für angenehmere Arbeit wurde gewonnen. Vielleicht würde ein vollkommen vernünftiger und freier Mensch hier mit der Verwendung der Maschine innehalten; da jedoch solche Vernunft und Freiheit kaum zu erwarten sind, so wollen wir unserem Maschinenerfinder einen Schritt weiter folgen. Er hat glattes Tuch zu weben und findet einerseits, dass diese Beschäftigung langweilig ist, und anderseits, dass ein mechanischer Webstuhl das Tuch beinahe so gut webt wie ein Handwebstuhl. Daher benutzt er, um mehr Muße oder Zeit für angenehmere Arbeit zu gewinnen, einen mechanischen Webstuhl und gibt den kleinen Vorteil von etwas Extra-Kunst an dem Tuch auf. Wenn er aber so handelt, hat er, was die Kunst betrifft, keinen reinen Gewinn gehabt; er hat einen Kompromiss zwischen Kunst und Arbeit geschlossen und lässt sein Produkt unvollkommen bleiben. Ich sage nicht, dass er falsch handelt, sondern dass er ebensoviel verloren wie gewonnen hat. Bis an diesen Punkt wäre ein Mensch, der die Kunst schätzt und seine Vernunft walten lässt, in der Benutzung der Maschinen gegangen, solange er frei war, d.h. nicht gezwungen war, für den Gewinn eines anderen zu arbeiten; solange er in einer Gesellschaft lebte, in der die Gleichheit der Bedingungen noch gilt. Führt er die Maschinenbenutzung für die Kunst auch nur einen Schritt weiter, so wird er, wenn er die Kunst schätzt und frei ist, unvernünftig.
Um ein Missverständnis zu vermeiden, muss ich hinzufügen, dass ich an die moderne Maschine denke, die gleichsam lebendig ist und bei welcher der Mensch nur Hilfsdienste verrichtet, und nicht an die alte Maschine, dem verbesserten Werkzeug, die dem Menschen als Hilfsmittel dient und nur solange arbeitet, wie er selbst bei ihrer Handhabung denkt; doch will ich bemerken, dass selbst jene einfachste Form der Maschine wegfallen muss, wenn wir zu den höheren und diffizileren Kunstformen gelangen. Nun, wenn die fleißig für Kunstarbeiten verwendete Maschine oberhalb der Schwelle der Herstellung einfacher Dinge, die auch etwas Schönheit an sich haben, eingesetzt werden soll, so wird ein verständiger Mensch mit Kunstempfinden sie nur benutzen, wenn er dazu gezwungen wird. Wenn er z.B. Ornamente liebt und weiß, dass die Maschine sie nicht tadellos herzustellen vermag und sich auch nicht die Zeit nimmt, dies seinerseits zu tun – wozu sollte er sich überhaupt damit befassen? Er wird seine freie Zeit nicht verkürzen, um etwas herzustellen, was ihm nicht wichtig ist, außer irgend ein Einzelner oder eine Gruppe würde ihn dazu zwingen. Er würde deshalb entweder auf die Ornamente verzichten oder etwas von seiner freien Zeit opfern, um sie gut zu machen. Das wäre Zeichen dafür, dass er sie unbedingt haben möchte, und dass sie ihm den Aufwand wert sind; in diesem Falle ist auch seine darauf verwandte Arbeit nicht bloße Mühe, sondern wird ihm durch die Befriedigung seines Tätigkeitstriebs Interesse und Freude bringen.
So würde ein denkender Mensch handeln, wenn er frei vom Zwang anderer wäre; ist er nicht frei, verhält er sich ganz anders. Er hat lange das Stadium durchschritten, in dem die Maschinen nur zur Verrichtung der einen durchschnittlichen Menschen abstoßenden Arbeiten oder zu solchen benutzt wurden, die ebenso gut von der Maschine als von dem Menschen verrichtet werden können, und er wartet instinktiv auf die Erfindung einer Maschine, sobald ein Industrieerzeugnis anfängt, begehrt zu werden. Er ist Sklave der Maschine; die neue Maschine muss erfunden werden und ist sie erfunden, so muss er – ich will nicht sagen, sie benutzen, sondern von ihr benutzt werden, er mag wollen oder nicht.
Warum ist er der Sklave der Maschine? Weil er der Sklave des Systems ist, für dessen Bestehen die Erfindung von Maschinen notwendig ist.
Und jetzt muss ich die bis jetzt unterstellte Gleichheit der Lebensbedingungen weg lassen und Sie daran erinnern, dass obwohl wir in gewissem Sinne alle Sklaven der Maschine sind, bestimmte Menschen dies ganz direkt und ohne Umschreibung sind und gerade diejenigen, an denen die Masse der Künste hängt – die Arbeiter. Das System, das sie in ihrer Lage als niedere Klasse festhält, braucht sie entweder selbst als Maschinen oder als Diener von Maschinen, ohne jedes Interesse an den Produkten ihrer Arbeit. Für ihre Arbeitgeber sind sie, als Arbeitskraft ein Bestandteil der Maschinen der Werkstatt oder Fabrik; für sich selbst sind sie Proletarier, menschliche Wesen, die arbeiten, um zu leben, damit sie leben können, um zu arbeiten: ihre Rolle als Handwerker, als Schöpfer von Dingen nach ihrem freien Willen ist ausgespielt.
Auf die Gefahr hin, der Sentimentalität bezichtigt zu werden, will ich sagen: wenn es so ist, dass Arbeit, die Gegenstände herstellt, die der Kunst obliegen sollten, nur Last und Sklaverei ist, bleibt mir wenigstens der kleine Triumph, dass sie keine Kunst hervorbringen kann; dass alles, was sie kann, zwischen grobem Utilitarismus und einfältiger Täuschung liegt.
Ist das tatsächlich nichts weiter als sentimental? Ich glaube vielmehr: wir, die wir den Zusammenhang zwischen industrieller Sklaverei und Degradation der Künste erkannt haben, haben auch gelernt, auf eine Zukunft für diese Künste zu hoffen. Der Tag wird sicherlich kommen, an dem die Menschen dieses Joch abschütteln und sich weigern werden, den künstlichen Zwang des Glückspielmarkts zu akzeptieren und ihr Leben mit end- und hoffnungsloser Plackerei zu verbringen. Wenn er kommt, wird ihr mit ihnen zugleich in Freiheit gesetztes Schönheitsgefühl und ihre Phantasie diejenige Kunst hervorbringen, die ihnen entspricht; und wer kann wissen, ob sie dann die Kunst vergangener Zeiten nicht so weit übertreffen wird, wie es die kümmerlichen Reste tun, die uns durch das Zeitalter des Kommerzes übrig gelassen wurden?
Noch ein paar Worte über einen Einwand, den man mir oft gemacht hat, wenn ich über diesen Gegenstand sprach. Man könnte sagen und es ist oft geschehen: „Sie sehnen sich nach der mittelalterlichen Kunst (wie ich es in der Tat tue), aber diejenigen, die sie hervorbrachten, waren nicht frei; sie waren Leibeigene oder die von den ehernen Wänden der Handelsbeschränkungen umgebenen Handwerker der Zünfte – sie hatten keine politischen Rechte und wurden von ihren Beherrschern, der Adelskaste, auf das Härteste ausgebeutet.“ Nun, ich gebe gern zu, dass die Unterdrückung und Gewalttätigkeit des Mittelalters auch die Kunst jener Tage beeinflusste; ihre Schwächen sind auf sie zurückzuführen; unzweifelhaft schadeten sie der Kunst in vielerlei Beziehung und deswegen sage ich: wenn wir die gegenwärtige Bedrückung abgeschüttelt haben so wie die alte, können wir erwarten, dass die Kunst in Zeiten wahrer Freiheit die jener alten gewalttätigen Zeiten übertreffen wird. Und ich behaupte auch, dass damals eine soziale, organische, hoffnungsreiche, progressive Kunst möglich war, obwohl so armselige Reste, wie sie uns als Ergebnis des aufopfernden Kampfes Einzelner erhalten geblieben sind, retrospektiv und pessimistisch sind. Und diese hoffnungsreiche Kunst war deshalb inmitten all der Unterdrückung jener Tage möglich, weil die Instrumente dieser Unterdrückung plump zutage traten und außerhalb der Arbeit des Handwerkers lagen. Es waren Gesetze und Gebräuche, die ganz offen darauf berechnet waren, ihn zu berauben und direkte Gewalttat von der Art der Straßenräuberei. Kurz: nicht industrielle Produktion war das Mittel zur Beraubung der „unteren Klassen“; jetzt ist sie das Hauptwerkzeug in diesem ehrenwerten Beruf. Der mittelalterliche Handwerker war frei in seiner Arbeit, deswegen machte er sie sich so angenehm wie möglich: es war ein Genuss für ihn und nicht eine Qual, all die schönen Gegenstände zu verfertigen, und mit verschwenderischer Hand Schätze an Hoffnungsfreude und Gedankentiefe über alles Geschaffene zu streuen – von der Kathedrale bis hinunter zum Suppentopf. Vergegenwärtigen wir uns, dass die Arbeitsweise, die der modernen „Arbeitskraft“ ganz geläufig ist, dem mittelalterlichen Handwerker geradezu verächtlich hätte vorkommen müssen: die Arbeitskraft des armen Teufels des vierzehnten Jahrhunderts war von so geringem Wert, dass man ihm gestattete, sie stundenlang zu seiner und der Freude anderer zu vergeuden, aber die Minuten unseres auf das höchste angespannten Fabrikarbeiters sind viel zu kostbar mit Profit beladen, als dass man ihm erlauben würde, eine davon auf die Kunst zu verwenden; das gegenwärtige System erlaubt es ihm nicht – kann es ihm nicht erlauben – Kunstwerke zu schaffen.
So tauchte das seltsame Phänomen auf, dass es jetzt eine Schicht von Damen und Herren gibt, die sehr gebildet sind (wenn auch nicht so gebildet, wie man gewöhnlich annimmt), und in diesen gebildeten Kreisen gibt es viele, die wirklich die Schönheit und was mit ihr zusammenhängt – z.B. die Kunst – lieben und Opfer bringen würden, um in ihren Besitz zu gelangen; sie werden geführt von Künstlern, die über großes handwerkliches Geschick und hohe Einsicht verfügen und bilden zusammen eine große Gemeinde der Nachfrage nach solchen Artikeln. Und doch will das Angebot nicht entstehen. Ja noch mehr, diese große Schar begeisterter Liebhaber besteht nicht aus armen, hilflosen Leuten, unwissenden Bauern und Fischern, halb verrückten Mönchen, hirnverbrannten Sansculotten – kurz aus keinen von denen, die früher mit dem Ausdruck ihres Begehrens so oft die Welt erschüttert haben und noch weiter erschüttern werden. Nein, sie gehören zu den herrschenden Klassen, den Herren über Menschen, die ohne Arbeit leben können und reichlich Muße haben, um sich die Erfüllung ihrer Sehnsüchte gründlich zurecht zu legen. Und doch sage ich: sie können die Kunst nicht besitzen, nach der sie so sehr verlangen, obgleich sie die ganze Welt nach ihr mit brennendem Eifer durchjagen und jetzt die elende Lebensweise der unglücklichen Bauern Italiens und die hungernden Proletarier seiner Städte sentimentalisieren, wo all das Malerische bei den armen Teufeln unserer Landschaft und unserer Slums verschwunden ist. In der Tat ist ihnen überall wenig Wirklichkeit geblieben, und dieses wenige schwindet rasch vor den Zwecken des Fabrikanten mit seinem zerlumpten Arbeiterheer wie vor der Begeisterung der archäologischen Wiedererwecker der toten Vergangenheit. Bald wird nichts davon übrig sein als die lügnerischen Träume der Geschichte, das elende Gerümpel unserer Museen und Gemäldegalerien und das sorgfältig bewachte Innere unserer ästhetischen Salons, unwirklich und dümmlich, treue Zeugnisse des korrumpierten Lebens, das sich hier abspielt, so verkniffen, dürftig und feig, wo die natürlichen Bedürfnisse mehr kaschiert und ignoriert als zurückgehalten werden; was nicht den gierigsten Luxus verhindert, wenn er nur hinter einem Anstandsmäntelchen versteckt werden kann.
Die Kunst ist also dahin und kann in ihren alten Linien nicht „restauriert“ werden wie ein mittelalterliches Bauwerk. Die Reichen und Gebildeten können sie nicht haben, selbst wenn sie wollten und obwohl wir glauben, dass viele von ihnen es wollen. Und warum? Weil diejenigen, die sie den Reichen verschaffen könnten, von den Reichen selbst daran gehindert werden. Mit einem Worte, die Sklaverei trennt uns von der Kunst.
Ich sagte, der Zweck der Kunst bestehe darin, den Fluch von der Arbeit zu nehmen, sie zur genussreichen Befriedigung unseres Tätigkeitstriebes zu machen und dieser Tätigkeit die Hoffnung zu geben, etwas hervorzubringen, was die Anstrengung wert ist. Deswegen sage ich nun, dass wir keine Kunst haben können, wenn wir ihrer rein äußeren Erscheinung nachjagen, da wir in diesem Falle nur ihr Trugbild erhalten. So bleibt uns nur noch übrig, zu sehen was dann wäre, wenn wir den Schatten sein ließen und die Substanz selbst zu erfassen suchten. Ich für meinen Teil glaube, wenn wir die Ziele der Kunst zu verwirklichen suchen, ohne uns viel damit aufzuhalten, welche Aspekte die Kunst selbst haben wird, dann werden wir zuletzt das finden, was wir gewünscht haben: mag es Kunst zu nennen sein oder nicht – es wird wenigstens Leben sein, und dies ist nach allem das was uns fehlte. Es kann uns zu neuer Herrlichkeit und Schönheit sichtbarer Kunst hinleiten, zu einer Architektur mit abwechslungsreicher Pracht, die frei ist von der seltsamen Unvollständigkeit und den Missgriffen in Bauwerken früherer Zeiten – zu einer Malerei, welche die von der mittelalterlichen Kunst erreichte Schönheit mit dem von der modernen Kunst erstrebten Realismus verbindet – zu einer Plastik, welche die Schönheit der griechischen Kunst und die Ausdrucksfähigkeit der Renaissance mit einer dritten noch unentdeckten Eigenschaft vereint, um uns die Bilder von Männern und Frauen in wunderbarer Lebenswahrheit vorzuführen, ohne dass sie unfähig werden, als architektonisches Ornament zu dienen, wie es die Aufgabe aller wahren Skulptur ist. Alles dies kann es bewirken; anderseits kann es uns aber auch in die Wüste führen und es könnte so aussehen, als sei die Kunst unter uns ausgestorben oder kämpfe schwach und mit unsicherem Erfolge in einer Welt, die ihre alte Herrlichkeit gänzlich vergessen hat.
Ich zumindest kann mich, so wie es um die Kunst derzeit steht, nicht zu dem Gedanken bringen, dass es viel ausmache, welches dieser beiden Schicksale ihr bevorsteht, solange jedes einige Hoffnung auf Kommendes mit sich führt, da hier wie in anderer Beziehung Hoffnung einzig von einer Revolution zu erwarten ist. Die alte Kunst trägt keine Früchte mehr, sie erweckt in uns nur noch edle poetische Nachtrauer; da sie unfruchtbar ist, muss sie sterben, und nur darum handelt es sich augenblicklich, wie sie sterben soll, mit oder ohne Hoffnung.
Was war es z.B., was das Rouen und das Oxford meiner edlen poetischen Nachtrauer zerstört hat? Sind diese Städte zum Vorteil des Volkes untergegangen, sei es, dass sie nach und nach wachsendem geistigen Wandel und einem neuen Ideal von Glück zum Opfer gefallen sind, oder sind sie gleichsam unter dem Donnerkrachen einer Tragödie zusammengestürzt, die meistens das Werden des Neuen begleitet? Keins von beiden. Weder Phalanstèren noch Dynamit haben ihre Schönheit hinweggefegt. Ihre Zerstörer sind weder der Philanthrop noch der Sozialist, weder der Befürworter freien Handels noch der Anarchist gewesen. Sie sind verkauft worden, freilich zu einem Spottpreis; weggeschaufelt von der Unersättlichkeit inkompetenter Narren, die nicht wissen, was Leben und Freude ist, die sie weder selbst genießen noch anderen diesen Genuss gestatten wollen. Aus diesem Grund verletzt uns der Untergang jener Schönheit so: keinem Menschen von Einsicht oder Gefühl würde es einfallen, solche Verluste zu betrauern, wenn sie der Preis für neues Leben und Glück im Volk wären. Aber hier ist das Volk noch in derselben Lage wie zuvor, steht seinerseits dem Ungeheuer gegenüber, das all diese Schönheit vernichtet hat und das den Namen „wirtschaftlicher Profit“ führt.
Ich wiederhole es: auch der letzte Rest echter Kunst wird unter den gleichen Händen verschwinden, wenn die Dinge sich so weiterentwickeln. Mag auch eine falsche Kunst an ihre Stelle treten, die sehr wohl von dilettierenden feinen Herren und Damen ohne jede Unterstützung von unten ausgeübt werden kann; um deutlich zu sprechen: ich fürchte, dass diese kauderwelschende Phantomerscheinung einer große Anzahl von denen gefallen wird, die sich selbst für Kunstliebhaber halten: und doch ist nicht schwer eine lange Abstiegsbahn vorauszusehen, bis sie zuletzt zur Lachnummer wird. Dies wäre die Folge, gingen die Dinge so weiter – ich meine, wenn die Kunst auf ewig zur Unterhaltung derer, die wir jetzt Damen und Herren nennen, bestimmt wäre.
Ich für mein Teil glaube jedoch nicht, dass es genügend lange Zeit so fortgehen wird, bis die Kunst einen solchen Tiefstand erreicht; ich würde aber heucheln, wenn ich sagte zu glauben, dass die Veränderung der Grundlagen der Gesellschaft, welche die Arbeit befreien und die Lebensbedingungen der Menschen tatsächlich gleich machen wird, auf kurzem Wege zu der glänzenden Wiedergeburt der Kunst führen würde, von der ich gesprochen habe; obgleich ich fest überzeugt bin, dass sie das, was wir jetzt Kunst nennen, nicht unberührt lassen wird, da die Ziele dieser Revolution die Ziele der Kunst einschließen – nämlich die Beseitigung des Fluches, der auf der Arbeit lastet.
Ich nehme an, dass wahrscheinlich Folgendes geschehen wird: die Maschinenproduktion mit ihrem ausgesprochenen Zweck, menschliche Arbeit zu ersparen, wird sich weiterentwickeln, bis die Masse der Menschen tatsächlich genügend Freizeit erlangt, um das Vergnügen zu leben geniessen zu können; bis sie in der Tat soweit Herrschaft über die Natur erlangt haben, dass sie nicht länger den Hunger als Strafe dafür fürchten, nicht mehr als genug wäre zu arbeiten.
Sind sie an diesem Punkt angelangt, so werden sie zweifellos umkehren und beginnen herauszufinden, was es ist, was sie in Wirklichkeit tun sollten. Sie werden bald darauf stoßen, dass je weniger Arbeit sie verrichten (ich meine je weniger nicht von Kunst begleitete Arbeit), die Erde ein desto wünschenswerterer Aufenthaltsort sein würde; demgemäß werden sie immer weniger arbeiten, bis der Tätigkeitsdrang, von dem ich sprach, sie von Neuem dazu anspornt; gleichzeitig wird auch die Natur, erleichtert durch das Nachlassen der Arbeit der Menschen, ihre alte Schönheit wiedergewinnen und die Menschen in der alten Geschichte der Kunst unterweisen. Und wenn die künstliche Hungersnot, die dadurch kommt, dass Menschen für den Gewinn eines Chefs arbeiten (den wir gegenwärtig als selbstverständlich hinnehmen), längst verschwunden ist, wird es ihnen freistehen, zu tun, was sie für richtig halten, und sie werden ihre Maschinen überall da weglassen, wo ihnen die Arbeit angenehm oder für Handtätigkeit geeignet erscheint; bis man in allen Tätigkeiten, bei denen Schönheit notwendiges Beiwerk ist, die unmittelbarste Verbindung zwischen Hand und Kopf herzustellen sucht. Ebenso gäbe es viele Beschäftigungen wie die landwirtschaftlichen Arbeiten, bei denen die freiwillige Ausübung ihrer Kräfte ihnen so reizvoll gelten wird, dass es den Leuten nicht im Traum einfiele, die Freude daran dem Rachen einer Maschine auszuliefern.
Kurz, sie werden herausfinden, dass die Menschen unserer Tage unrecht hatten, als sie zuerst ihre Bedürfnisse vervielfachten und dann versuchten, sich der Beteiligung an der Herstellung der zur Befriedigung dieser Bedürfnisse nötigen Dinge zu entziehen; dass diese Art der Teilung der Arbeit in Wirklichkeit nur eine neue willkürliche Form der arroganten und trägen Unwissenheit ist, viel schädlicher für das Glück und die Zufriedenheit des Lebens als die Unwissenheit in Bezug auf die Vorgänge der Natur, mit der die Menschen früherer Tage ahnungslos dahinlebten.
Sie werden entdecken oder vielmehr wiederentdecken, dass das wahre Geheimnis des Glücks darin liegt, an allen Einzelheiten des täglichen Lebens aufrichtiges Interesse zu zeigen; dass man sie durch die Kunst erhebt, anstatt ihre Ausübung verachteten Arbeitssklaven zu überlassen und diese zu ignorieren. In den Fällen, wo es unmöglich ist, sie entweder zu heben und interessant zu machen oder sie durch Anwendung von Maschinen zu erleichtern, damit die Arbeit weniger anstrengt, sollte dies als Zeichen gelten, dass die errungenen vermeintlichen Vorteile nicht der darauf verwandten Mühe wert sind und man besser darauf verzichtet. All dies würde meines Erachtens dann eintreten, wenn die Menschen die Last der künstlichen Hungersnot abwerfen: vorausgesetzt (wie ich nicht anders annehmen kann) dass die Impulse noch in ihnen wirksam sind, welche die Menschen von dem ersten Dämmern der Geschichte an zur Kunstausübung trieben.
So und nur so kann die Wiedergeburt der Kunst kommen. Sie werden sagen, das könne lange Zeit dauern und so ist es auch – aber ich kann mir eine längere Zeitspanne denken. Ich habe Ihnen die sozialistische oder optimistische Ansicht in der Sache mitgeteilt. Nun zur pessimistischen Ansicht.
Ich halte es für vorstellbar, dass die Revolte gegen die künstliche Hungersnot oder den Kapitalismus, die jetzt im Gange ist, niedergeschlagen wird. Die Folge wird sein, dass die Lage der arbeitenden Klasse – der Sklaven der Gesellschaft – immer schlechter und schlechter wird, dass sie nicht gegen die Übermacht ankämpfen werden, sondern, stimuliert durch jenes Hängen am Leben, welches die Natur, immer um die Erhaltung der Art besorgt, uns eingepflanzt hat, alles ertragen lernen – Elend, Überarbeitung, Schmutz, Unwissenheit, Gewalt. All dies werden sie ertragen, wie sie es ach! nur zu gut jetzt schon ertragen; all dies eher, als dass sie das süße Leben und die bittere Realität ihres Lebens riskieren, und jeder Funke von Hoffnungsfreude und Mannhaftigkeit in ihnen wird erlöschen.
Auch ihre Herren werden nicht viel besser dran sein: das Antlitz der Erde wird überall hässlich sein, ausgenommen in der unbewohnbaren Wüste; die Kunst wird gänzlich zugrunde gehen, sowohl in den bildenden Künsten als in der Literatur, die eine bloße Aneinanderreihung trockener und berechnender Mattheiten und leidenschaftsloser Einfälle werden wird, wie sie es in der Tat bald sein dürfte; die Wissenschaft wird mehr und mehr einseitig, lückenhaft, weitschweifig und unnütz werden, bis sie sich zuletzt zu einem solchen Haufen an Aberglauben auftürmt, dass im Vergleich zu ihr die Theologie früherer Zeiten wie eitel Vernunft und Aufklärung erscheint. Alles wird tiefer und tiefer sinken, bis die heroischen Kämpfe der Vergangenheit für die Verwirklichung der Hoffnungen, von Jahr zu Jahr, von Jahrhundert zu Jahrhundert, gänzlich in Vergessenheit geraten und der Mensch ein unbeschreibbares Wesen sein wird – hoffnungslos, wunschlos, leblos.
Wird es eine Rettung aus diesem Zustand geben? Möglich: der Mensch kann sich nach einer furchtbaren Katastrophe in einen gesunden Animalismus zurückziehen, aus einem hoch entwickelten Tier kann ein Wilder, aus einem Wilden ein Barbar werden usw., und einige tausend Jahre später kann er noch einmal mit jenen Künsten beginnen, die wir jetzt verloren haben und verschlungene Figuren schnitzen wie die Neuseeländer oder Tierformen in gesäuberte flache Knochen einritzen wie die vorgeschichtlichen Waldbewohner.
Doch auf jeden Fall werden wir nach der pessimistischen Ansicht, dass ein Aufstand gegen die künstliche Hungersnot niemals siegreich sein könne, den Kreis mühsam von Neuem durchlaufen, bis irgendein Ereignis, ein unvorhergesehenes Zusammentreffen von Umständen, uns allen ein Ende bereitet.
An diesen Pessimismus glaube ich nicht, nehme aber anderseits auch nicht an, dass es nur von unserem freien Entschluß abhängt, ob wir dem menschlichen Fortschritt oder der menschlichen Rückentwicklung entgegen gehen. Da jedoch hier Leute versammelt sind, die der sozialistischen oder optimistischen Auffassung zuneigen, so muss ich daraus schließen, dass Hoffnung auf ihren Sieg vorhanden ist, dass die angestrengten Bemühungen vieler Einzelner eine Kraft in sich schließen, die sie vorwärts treibt. Daher glaube ich, dass die Ziele der Kunst Wirklichkeit werden, obwohl ich weiß, dass dies nicht der Fall sein kann, solange wir unter der Tyrannei der künstlichen Hungersnot leiden.
Nochmals möchte ich Sie, die Sie vor allem die Kunst lieben, vor dem Glauben warnen, Gutes zu tun, wenn sie etwa die Kunst wiederbeleben wollten, indem Sie sich mit ihrer toten Äußerlichkeit befassen. Ich sage, es sind mehr die Ziele der Kunst, nach denen Sie suchen müssen, als die Kunst selbst; bei diesem Suchen werden wir uns vielleicht in einer kahlen und öden Welt wiederfinden – immerhin werden wir dann als Folge unserer Achtung der Kunst keine Scheinkunst mehr ertragen müssen.
Wie auch immer – bitte bedenken Sie mit mir: das Schlimmste, was uns begegnen könnte, bestünde darin, die erkannten Übel geduldigen Sinnes zu ertragen; kein Problem, keine Plage wäre schlimmer; die notwendige Zerstörung, die der Wiederaufbau mit sich bringt, muss geduldig ertragen werden; wir müssen überall – in Staat, Kirche, zu Hause – entschlossen sein, keine Tyrannei zu dulden, keine Lüge durchgehen zu lassen, keine Furcht zu empfinden, mögen sie auch unter der Maske von Frömmigkeit, Pflicht, Zuneigung, von Opportunismus und Gutherzigkeit, von Klugheit oder Freundlichkeit auftreten. Härte, Falschheit und die Ungerechtigkeiten der Welt werden ihre entsprechenden Wirkungen zeitigen und wir und unser Leben werden die Konsequenzen zu tragen haben; da wir jedoch auch die Wirkungen vergangenen Widerstands gegen diesen Fluch ererbt haben, so wollen wir, jeder zu seinem Teil, danach streben, den uns gebührenden Anteil auch dieser Erbschaft zu übernehmen; die uns, selbst wenn das alles daraus Kommende wäre, wenigstens Mut und Hoffnung einflößen wird: das bedeutet ein angeregtes Leben solange wir leben und das vor allen Dingen ist das Ziel der Kunst.
„The Aims of Art“, der Vortrag wurde im Frühjahr 1886 mehrmals gehalten. Übersetzung von Paul Seliger, in „Zeichen der Zeit“, Leipzig, Hermann Seemann Nachfolger, 1902.
Nach der Originalausgabe von William Morris: Signs of Change, Seven Lectures Delivered on Various Occasions, London, Reeves and Turner, 1888. Überarbeitung der Übersetzung 2016
Bild: Teppich „Peacock and Bird“ von Morris & Co. (410 x 410 cm), jetzt im Besitz der William Morris Gallery