Im Jahre 1894 hatte Morris sein Glaubensbekenntnis zu dem, was er Kommunismus nennt, abgelegt: Why I am a Communist. Er ist Kommunist, da er überzeugt ist, dass der Mensch nicht außerhalb der Gesellschaft sein kann und dass es kein anderes ökonomisches Fundament gibt, auf dem man eine wahre Gesellschaft errichten kann. In jedem anderen System wird es immer einen Teil unnützen Leides und Verderbens geben; denn für die Menschen sind immer nur zwei Zustände denkbar, in denen sie leben: Freiheit oder Sklaverei. Morris erklärt sich für den Kommunismus, ohne dem eigentlichen Sozialismus feind zu sein. Er fasst dessen Verwirklichung aber nur als einen zufälligen und vorübergehenden Zustand ins Auge, von dem man ohne gewaltsame Veränderung zum reinen Kommunismus weiter fortschreiten werde.
Morris ist gegen einen verfrühten katastrophalen Kommunismus, er verwirft die unpassenden und brutalen Mittel der politischen Anarchisten, die wie Offiziere ohne Soldaten in den Kampf ziehen. Im Grunde aber ist er dem Prinzip des Anarchismus geneigt, dem Grundsatz vom freien Einzelwesen in der freien Vereinigung. Im Hinblick auf die Gründung der kommunistischen Gesellschaft sagt er, die zentralisierte Nation werde einer Vereinigung der Gütergemeinschaft Platz machen.
So ist Morris‘ Kommunismus die Synthese von Individualismus und Sozialismus. Das Individuum lebt im Austausch für die Sozialisierung seiner Güter in vollkommener moralischer und intellektueller Freiheit. Das Mittel, sein Ziel zu erreichen, sah er in der Bildung einer großen sozialistischen Partei, die den herrschenden Klassen die Instrumente der Herrschaft zu ihrem Nutzen entreißen kann und damit die soziale Reform einführt.
Morris, der kommunistische Erzieher, hat zunächst gegen die komplizierten Formen des repräsentativen Regierungssystems protestiert. Begünstigung der Sammlung der Arbeiter im Hinblick auf die allgemeine Revolution war noch das Programm der Hammersmith Socialist Society mit der Devise Educate, Agitate, Organise! (Erziehen, Agitieren, Organisieren!) In seinen letzten Jahren aber hat er sich resigniert, provisorisch das Parlament zu dulden, da er hier das Mittel zu haben glaubte, seinen Traum zu verwirklichen, ohne zur brutalen Gewalt greifen zu müssen. Er war der ständigen Anwendung von Gewaltmitteln feind geworden und riet zur Teilnahme an den Wahlen. Er selbst hielt sich auch dann noch vom parlamentarischen Leben fern.
Stets blieb Morris durch und durch überzeugt von der Macht der Kunst in der zukünftigen Gesellschaft. Ein unwiderstehlicher Schaffensdrang offenbart sich in seinen Werken und seinem Wirken. Er will seine Ideen und Gestalten verwirklichen. Um die künstlerische Dekoration allen zugänglich zu machen, leitet er seine Fabriken weiter und lässt so indirekt alle irgendwie dem Kult des Schönen geweihten Engländer am präraphaelitischen Werke teilnehmen. Er hat zugleich den idealen Typus des Handarbeiters entstehen lassen, den man am Besten mit dem mittelalterlichen Kunsthandwerker vergleicht. Er, der die Erzeugnisse der Industrie verachtete, bemühte sich, in seiner Manufaktur in Merton Abbey die Harmonie der Wirkung von Muskelarbeit und Geistesarbeit zu verwirklichen, wie er sie bei den Meistern des Mittelalters bewunderte, und in der er sein Ideal der Zivilisation sieht.
Alles in seinen Werkstätten war mit der Hand gemacht. Seine Arbeiter sind Künstler, und Merton Abbey ist das Muster einer Fabrik, eine Art großes Bauernhaus mit einem einzigen Stock, mitten im Land gelegen, umgeben von lachenden Wiesen, Gewässern und hohen Bäumen. Selbst die Nähe von Dampffabriken wäre ihm hassenswert gewesen. Marx hatte die gegenwärtige Gesellschaft charakterisiert als bestrebt, Waren, das sind Sachen, die sich verkaufen, zu erzeugen. Morris zeigt, dass die Bedürfnisse der Ware den Käufer schädigen und den Geschmack des Publikums verderben.
Sein Geist war der eines Künstlers, nicht der eines Philosophen oder eines Politikers. Die ganze doktrinäre Seite des Sozialismus blieb ihm fremdartig. Er hasste den Kapitalismus mit seinem Konkurrenzkampf, wie er die Restauratoren der Gotik hasste, weil sie jedes von ihm berührte Ding degradierten und vulgarisierten, nichts aus einer besonderen Staatsanschauung oder wirtschaftlichen Theorie heraus.
Er war durch und durch Kommunist, weil ein so reiner Geist unfähig war, etwas zu wünschen, was er nicht brauchen konnte, um es allein für sich zu besitzen. So kommt er zu dem Verlangen, der Mensch müsse sich des sozialen Grundcharakters seines Wesens bewusst sein und darum sich angewöhnen, keinen Unterschied zwischen Gemein- und Privatvermögen zu machen. Solange Menschen wie Morris Nahrung, Unterkunft und freien Zugang zu allen materiellen Dingen haben, an denen sie ihre überströmende schöpferische Kraft ausüben können, erheben sie sich über alle Argumente, die für den Besitz sprechen.
Morris‘ Auffassung vom Sozialismus war die einer freien Gesellschaft, gegründet auf den gleichen Rechten aller, die Erde und jedes Ding darin zu nützen, und auf der konsequenten Abschaffung der Konkurrenz für die Mittel zum Leben. Diese Ideen waren ebenso ein Zersetzungsmittel für die entstehenden Vereinigungen seiner sozialen Genossen, wie diese selbst für die Welt um sie herum. Morris brachte der sozialen Bewegung den vollen Strom von Ideen, mit denen sie zuerst wenig Berührung hatte. Durch ihn kam der Sozialismus in Berührung mit der Welt der Kunst.
Eine andere Kraft, gleichfalls dem Kapitalismus feindlich, aber aus anderen Gründen heraus, war nun dem Sozialismus einverleibt. Die durch die Maschine reich gewordenen Mittelklassen fanden heraus, dass in schönheitlicher Hinsicht die Maschinenarbeit der Handarbeit unterlegen war. Damit verband sich ein Gefühl der Abscheu gegen die Aufopferung der Naturschönheit, die täglich mit dem Fortschreiten des Kapitalismus verknüpft war. Der allen gemeinsame Wert der Schönheit in Kunst und Natur wurde entdeckt.
Morris, der Sozialist der Kunst, war ebenso verschieden von Marx und Bellamy wie diese vom Kommerzialismus. Die übertriebene Auflehnung gegen die Maschine war nützlich für die Zeit. Morris bewahrte durch sein Wirken den Sozialismus vor zwei Gefahren, nämlich einerseits eine durchaus philisterhaft mechanisch-politische Auffassung zu werden, und andererseits endgültig bei der gleichen Linie des zukünftigen modernen Fortschritts wie in den letzten anderthalb Jahrhunderten zu beharren. So wurde Morris ein Pfadfinder der sozialen Bewegung.
Das erzieherische Propagandawerk des originellsten der englischen Sozialisten hatte Erfolg. Zwar auf die Masse hat er selbst keinen bleibenden Einfluss ausgeübt, doch die angestrengte Werbearbeit einiger weniger Jahre bereitete den Boden für den Sozialismus, für die praktische Bewegung von heute, und, noch wertvoller, der große Idealist hat eine reiche Schar Nachfolger, besonders Künstler und Literaten gefunden. Viele haben an seiner reinen Gesinnung, seinem idealen Streben das Feuer ihrer Begeisterung entzündet und sich die Kraft zu tätiger Mitarbeit geholt. Außer seinem Freunde, dem Dichter Swinburne, sind besonders zu nennen der Maler Walter Crane, der zur ersten Maifeier 1890 seine berühmte Kartonserie „Der Triumph der Arbeit“ herausbrachte; Belfort Bax, der vieles gemeinsam mit Morris schrieb; der Verleger Andreas Scheu, der Kunstbuchbinder Cobden Sanderson.
Endlich inaugurierte Morris im Oktober 1895 mit Unterstützung des Professors York Powell, des Nachfolgers von Freeman und Fronde, eine soziale Abteilung an der Universität Oxford. Dem britischen Arbeiter sind viele seiner sozialen Gesänge und Dichtungen zum bleibenden Gut geworden. Morris schuf dem Sozialismus die günstige Disposition, die sich nachher in England bildete, indem er einer scheel angesehenen und wenig gekannten und überlegten Lehre die Autorität seines Talents und seines Rufes zuführte. Carlyle und Ruskin haben die gebildeten und ehrenhaften Menschen an die Pforte des Sozialismus geführt, Morris hat sie ihnen geöffnet. Morris‘ bleibender Einfluss ist eine Bereicherung der sozialen Bewegung durch Einführung einer ästhetischen und zugleich ethischen und ökonomischen Überprüfung der gegenwärtigen Zustände. Der künstlerische Einfluss hat die sozialistische Lebensauffassung erweitert und der sozialen Bewegung ermöglicht, einer sehr wahrscheinlichen zukünftigen industriellen Entwicklung entgegenzutreten, wie sie durch die bloß wirtschaftlichen Sozialisten vorausgesehen wurde. Durch Morris gewann der englische Sozialismus Anpassungsfähigkeit, wurde weniger doktrinär und mehr menschlich und lernte, sich mit einer möglichen, wenn auch noch unvorhergesehenen Änderung im Laufe des Fortschrittes zu befassen, nicht bloß mit der industriellen Entwicklung nach dem marxistischen Programm. (…)
Über den Verfasser Rudolf Blüher ist uns nichts weiteres bekannt. Er schrieb dieses Buch über Moderne Utopien während des Ersten Weltkriegs und konnte es danach als Privatdozent an der Münchner Universität veröffentlichen. Herr Blüher schildert sehr treffend den besonderen Beitrag von William Morris zum Sozialismus (auch wenn man an einigen Stellen einhaken könnte). Das Faksimile aus dem Buch enthält zusätzlich eine Lebensbeschreibung und eine Zusammenfassung und Bewertung von News from Nowhere.