Raymond Unwin: Bauen und natürliche Schönheit

NPG x150289; Sir Raymond Unwin by BassanoIn der Nähe des Hauses auf dem Land, in dem ich lebe, gibt es eine große Krähenkolonie, die sich über viele Bäume verteilt, die ein kleines Wäldchen in der hügeligen Landschaft bilden. Vergangenes Jahr begann ein Krähenpaar, ein Nest in der beim Haus stehenden Buche zu bauen. Es wählte eine großen Ast, der über die Straße ragt, um einiges entfernt von der Kolonie und in einer sehr herausstechenden Lage. Dies war offensichtlich der Grund großen Ärgers für die Gemeinschaft der Schwarzröcke, die immer wieder das halbfertige Nest zerstörte. Das unternehmerische Pärchen blieb jedoch bei seinem Plan und brachte nach einigen Wochen Streiterei das Nest fertig, indem sie sich die Bewachung des Nestes und das Herbeibringen der Zweige aufteilten. Ohne weitere Belästigung zogen sie ihre Kinderschar auf, soweit ich das beobachten konnte. Aber die erste Tat der Krähen in diesem Frühjahr war es, die letzten Reste des Nests zu beseitigen, die die Winterstürme überstanden hatten.
Diese interessante kleine Episode aus dem Leben der Krähen ließ mich darüber nachdenken, aus welchem Grund die Krähengemeinschaft wohl dieses Nest ablehnte. Ich kann nur vermuten, weil seine isolierte und prominente Lage ihre Auffassung darüber, wie die Dinge sein sollten, verletzte und sie sich gegen die ersten Anfänge eines „Vorortvillen-Manie“ schützen wollten. Wenn dem so wäre, dann sollten wir, denke ich, sowohl ihr gutes Gespür wie ihren guten Geschmack loben. Denn es gibt nichts, das mit den natürlichen Gegebenheiten hoffnungsloser zu harmonisieren scheint als die Vororte der modernen Stadt. Wir finden viele Städte, Kleinstädte, Dörfer, Burgen, Villen und Einzelgebäude, die eine Freude in der Landschaft sind, aber wenn eine moderne Stadt beginnt, ihren Schmutz oder ihre vornehmen Vororte auf die Felder zu verteilen – welche Schändung folgt daraus! Die meisten Menschen spüren das, ohne den Grund dafür ganz zu erfassen. Wenn wir genauer hinsehen werden wir finden, dass moderne Vororte besonders dadurch schaden, dass sie zwischen der Stadt und dem Land zu liegen kommen, womit sie, wenn auch die Stadt selbst die Landschaft verschönern kann, wir sie dann von den Feldern aus nicht sehen; noch können wir einen erfrischenden Blick auf grüne Hügel von unseren geschäftigen Straßen heraus mehr erhaschen. Denn es liegen Meilen von in Reihe aufgestellten Schachtelhäusern dazwischen oder hektarweise schlecht zusammenpassende Villen, jede jeweils in den Streifen eines sogenannten Landschaftsgartens hineingestellt.
Bei den alten Städten, die wir bewundern, sehen wir das Land rein und frisch an den Punkt heranreichen, an dem die eigentliche Stadt beginnt und da beginnt sie wirklich: eine ehrliche Stadt, selbstbewusst und sie versucht nicht, halb-ländlich zu wirken. In den ältesten Städten finden wir manchmal noch eine Mauer zu den Toren führend, was diesen Effekt verstärkt. In den alten Zeiten lebten alle Städter in der Stadt und versuchten sie als Stadt ansehnlich zu machen und wurde dies getan, lag sie im allgemeinen erfreulich innerhalb der Landschaft. Es war möglich, reizvolle Spähblicke von seinen Straßen auf das Land hinaus zu werfen – eingerahmt vielleicht von einer alten Tordurchfahrt oder von ordentlichen Stadtgebäuden. Von unseren modernen Stadtbürgern leben alle, die es sich leisten können außerhalb der Stadt, entfernt von denen, die arbeiten, um sie wohlhabend zu machen. Schließlich verlieren sie das Interesse an der Stadt als Lebensraum und wir bekommen ein großes zentrales Geschäftszentrum, umgeben von Wohnvororten, die nur aus ärmlichen Gebäuden wie in einer Stadt oder undefinierbaren, halb-ländlichen Behausungen bestehen. Es ist nicht nur so, dass wir mit diesen Vororten die Gegend verschandeln, diese einzeln oder in Gruppen stehenden Häuser sind oft geradezu widerwärtig für die Liebhaber der Landschaft. Ich halte es für interessant und nützlich, einmal etwas näher zu betrachten, warum die Bauten unserer Vorväter eine Landschaft schmücken, während unsere heutigen Bauten sie so häufig verunzieren.
The art of building a home. A collection of lectures and illustrViel vom Charme alter Gebäude ist zweifellos der freundlichen Hand der Zeit geschuldet, die nicht nur die Wunden heilt, die die Menschen der Erde zufügen, sondern auch die rohen Oberflächen abmildert und die harten Linien und Farben von allem, was sie bauen mögen, weicher macht. Dem Gevatter Zeit können wir aber nicht alles zurechnen. Es wäre mehr als er tun kann  nötig, um unsere modernen Vororte so schön, so angepasst an die Umgebung werden zu lassen, wie es viele alte Städte oder Landstädte sind. Neben der Frage der Schönheit des Baustils, der sicher ein offensichtlich bedeutender Faktor ist, gibt es einige leichter verständliche Gründe für den Unterschied zwischen Alt und Neu. Wenn wir z.B. ihre Position einnehmen: scheinen nicht alte Häuser und Dörfer allgemein wie in einem Tal zu nisten, unter einem Hügel, am Rand eines Waldes oder Gehölzes und durch ihre Platzierung und ihren Stil den Gedanken an Schutz und Zuflucht zu vermitteln? Manchmal geht diese Eigenschaft so weit, dass wir Häuser finden, die kaum oder gar nicht in die Sicht kommen. Aber sie wurden ja für fleißige Leute gebaut, die die meiste Zeit draussen arbeiteten und am Abend in ihren Schutz zurückkehrten, so wie die Raben in ihre Kolonie. Jetzt platzieren wir allzu oft ein Gebäude derart, als sollte ein Ton des Trotzes gegen die umgebende Natur angeschlagen werden. Das Ding steht hart und prominent in der Landschaft heraus, schreit dir zu über das Tal hinweg und dadurch, dass es nicht mit der Gegend kooperiert, scheitert es daran, irgendetwas vom Nisten in einer geeigneten Ecke oder an einem geeigneten Geländevorsprung zu vermitteln – diesem Schutzsuchen unter den Flügeln der Natur, das ein Gebäude wirklich wie ein Zuhause aussehen lässt.
Dann, scheint das alte Gebäude nicht fast wie aus dem Boden herauszuwachsen, auf dem es steht? Aus dem örtlich vorhandenen Stein errichtet; gedeckt mit dem in dieser Gegend üblichen Material – Stroh, Steinschindeln, grauem Schiefer vielleicht; in der Farbe mit der Erde und den Felsen harmonisierend ist es so angelehnt an die Erde, auf der es ruht, wie das aus Zweigen geflochtene Nest der Krähen im Baumwipfel, mit dem dieses so leicht und doch sicher schwankt.
Muenchen_RiemWenn wir von Land zu Land gehen und uns an den erhaltenen Stücken alter Städte und Dörfer erfreuen, dann müssen wir bemerken, wie viel von der ruhigen stillen Schönheit aus der allgemeinen Harmonie folgt. Wir sehen das graue, steinbedeckte Dorf in Yorkshire und Derbyshire, so ruhig dem Land der Felsen und Steinwälle angepasst; den grünen Schiefer Cumberlands und Westmorelands, dem Land der hellen Farbigkeit; das Stroh von Shropshire oder Somerset, das immer heimelig und behaglich wirkt, ob auf einem Fachwerkhaus oder dem weißgetünchten Cottage; oder dann die violetten Schieferplatten von Nord-Wales, unauffällig in den dunkelblauen Schatten seiner türmenden Gipfel und passend das Cottage deckend, dessen Wände aus rohen Platten desselben Schiefers gemacht sind. Der rote Backstein, durch das Eisen eingefärbt, das auch die Erde färbt, weiter verbreitet und in größerer Unterschiedlichkeit als die Dacheindeckungen; er muss nur, obwohl kein reines Naturprodukt, nur von den goldgrünen Flechten bedeckt sein um so anheimelnd zu wirken wie alles andere: wir kennen das sehr gut aus Staffordshire und an ein Whitby zu denken ohne seine roten Dächer heisst, sofort zu begreifen, welche Schönheit es einer Landschaft hinzufügen kann. Jeder dieser Dachwerkstoffe hat seine eigene besondere Schönheit; einige sehen fast überall gut aus. Aber wir erkennen nicht immer, wie viel Dächer wir in einer Gegend sehen oder in welchem Maße der erholsame Charme alter Plätze ihrer Harmonie mit der Umgebung entspringt und dem allgemeinen Vorherrschen eines Materials in einem bestimmten Gegend.
Unsere Väter waren nicht den Versuchungen ausgesetzt, wie wir heute es sind. Sie mussten die lokalen Materialien verwenden und mit ihnen auskommen. In ihrer Zeit gab es keine Eisenbahnen, die blauen Schiefer nach Whitby oder rote Ziegel nach Nord Wales verfrachtet hätten. Jetzt werden uns all diese Materialien vor die Tür gebracht und die Bauherren wählen daraus jeder nach seiner Laune und so bekommen wir alle Sorten von Baustoffen und Farben durcheinander gemixt ohne Gedanken an eine allgemeine Harmonie.
Gartenstadt-WelwynDie vorgefertigten Baustoffe sind auch weniger schön. Unsere von perfekten Maschinen gemachten Ziegel sind so gleichmäßig und glatt, dass ein modernes Schindeldach aussieht, als sei es mit einem Poliereisen so wie eine Hemdbrust gebügelt worden. Dachziegel wie Ziegelsteine werden immer härter und ihre Oberfläche immer abweisender, so dass keine freundliche Flechte sie kleiden will, noch Wind und Regen sie weicher machen und ihren Farbton wandeln können. Es gibt uns so etwas wie einen Schock zu sehen, wie die zierliche Clematis und der sich anklammernde Efeu mit einer Wand kämpfen, die nach zwanzig oder dreissig Jahren noch so hart und neu aussieht, wie an dem Tage, als sie erbaut wurde. Die alten Dachziegel wurden beim Brennen etwas wellig und ihre Oberfläche war rau genug, um die Ansiedlung von Moos und Flechten zu ermöglichen. Und so waren die Linien weniger hart und das Neue der Oberflächen und Farben nahm sehr bald alle Arten hübscher Schattierungen an.
Manches alte Gebäude ohne großen Anspruch darauf, große Architektur zu sein, schmückt noch immer eine natürlich schöne Landschaft durch ihre einfach passende Gestalt, wogegen ein modernes Gebäude sie wahrscheinlich verschandeln würde. Diese Gestaltung war das Ergebnis eines natürlichen Bemühens, die größte Nützlichkeit und Annehmlichkeit mit den gründlich bekannten Baustoffen hinzubekommen. So findet sich eine allgemeine Angemessenheit von Gestaltung und Materialien und eine sichtbare Verbindung von originellen Eigenschaften und den Bedürfnissen, die ihre Entstehung veranlassten. Betrachtet das einfachste strohgedeckte vierseitige Cottage und fast immer wird da etwas Interessantes in der Art und Weise sein, wie das Stroh über einem Fenster gelegt ist oder wie ein First gearbeitet ist, um den Kamin trocken zu halten, was einer Schmucklosigkeit des Daches entgegenwirkt. Die gleich geschickte Verwendung von Dachziegeln findet sich in allen Gegenden, wo diese vorherrschend sind und so finden wir viele malerische Dächer, die wir in einem Gebiet mit Schiefer und Steinziegeln vermissen werden.
Da ist überall aus jeglicher Sicht der Beweis der Bereitschaft zu sehen, Arbeit ohne Knauserei zu verausgaben, eine Aufgabe gut und etwas mehr als gut zu machen und zu schauen, ob ein bisschen mehr Arbeit hier und dort nicht das Ergebnis verbessern würde. Tatsächlich lesen wir in diesen alten Bauwerken wie in einem offenen Buch: von einem einfachen Arbeiter, der so etwas wie ein Künstler war, einer der Vergnügen bei der Arbeit finden konnte, Freude in der Perfektion dessen was er schuf und Lust an dessen Entstehen.
Wann immer wir wieder eine solche Armee von Bauleuten erwachsen lassen können, die in ihren Gewerben wie Künstler arbeiten, dann werden alle Bauten wieder so schön werden, wie sie es einmal waren. Dann wird es für solche Arbeiter möglich sein, in Zusammenarbeit mit echten Architekten und Baumeistern edle Architektur zu errichten, wie etwa unsere alten Kathedralen und Abteien. Keine Anstrengung büroausgebildeter Architekten mit Arbeitern, deren Hauptinteresse ihrerseits bei der Arbeit die Ruhepausen sind, kann jemals den Platz einnehmen, den die Zusammenarbeit von guten Handwerkern unter der Anleitung der Besten unter ihnen einnimmt – denn davon hängt es ab, ob wir Bauwerke haben werden, von denen wir sicher sein können, dass sie für das Land eine Zierde sind.

Dies ist ein Kapitel aus dem Buch „The Art of Building a Home. A Collection of Lectures and Illustrations“, das Raymond Unwin zusammen mit Barry Parker 1901 herausgab. Sie hatten zusammen ein Architekturbüro gegründet und wurden wenig später die Planer und Architekten der Gartenstadt Letchworth in Hertfordshire, nördlich von London. Diese völlig neu angelegte Stadt entstand als Projekt von Ebenezer Howard und war nach schon vielen Gartensiedlungen (auch in Deutschland) die erste Gartenstadt.

letchworth

Raymond Unwin (1863-1940) begann seine Laufbahn als Ingenieur und wechselte bald zur Architektur. Als junger Mann wurde er aktives Mitglied der Socialist League, machte die Bekanntschaft von William Morris und verfasste mehrere Artikel für den Commonweal. Einige Zeit war er Sekretär der Branch der Socialist League in Manchester. Unwins berufliche Arbeit ist von vielen Überzeugungen geprägt, die er mit Morris teilte und er nahm immer wieder auf ihn Bezug. Nachdem er auch die Gartensiedlung Hampstead im Norden Londons plante, verfasste er u.a. das Lehrbuch „Grundlagen des Städtebaus“, das auch in Deutschland publiziert wurde. Später übernahm er eine Professur, den Vorsitz der Städtebau-Inspektion von London und andere Ämter.

Dieser Text zeigt, was wir verloren haben. Mit dem Siegeszug der Industrialisierung kam das industrialisierte Bauen, das ungeformte und undurchdachte Ausbreiten der Städte (auch wenn es viele Stadtplaner gab), ein rastloses, aggressives und oft nicht beherrschtes Verwenden der neuen Materialien Stahl, Beton, Glas, die Baustile vom Reißbrett und Computer, die Stararchitekten – der Respekt gegenüber der Landschaft ging zumeist verloren, wurde gar von Technokraten und Profitmachern verhöhnt, das Land wurde zum Rohstoff hemmungsloser Vernutzung. (Ähnlich erging es dem Bauhandwerker, der einst auch bei größeren Bauvorhaben großen eigenverantwortlichen Anteil hatte.)

freiham

Wenn heute z.B. die Stadt München (die nicht einmal ihre bestehenden Gartensiedlungen schützt), in einer Image-Broschüre zum geplanten neuen Stadtviertel Freiham die Andeutung einfügt, dieses Neubauviertel auf freier Ackerfläche solle etwas mit der Gartenstadtbewegung nach Ebenezer Howard zu tun haben – Zitat: „Gartenstadt des 21. Jahrhunderts“ – was könnte das bedeuten? Leider kaum mehr, als dass vielleicht einige Leute diesen Verlust spüren, aber doch im Würgegriff von Bauindustrie, Investoren und Betonschachtel-Architekten nicht über einige hingestreute Wörter hinaus gelangen. Die Öffentlichkeit kann da nur zur Hilfe kommen, wenn der Naturschutz nicht weiter auf Restflächen beschränkt wird, sondern der Blick sich auf das ganze geschundene Land richtet und sie sich klar wird, wie sehr unsere Verbindung mit der Natur gerade durch die Stadt- und Verkehrsentwicklung der letzten Jahrzehnte zerrissen wurde und nach einem Aufhalten dieses Feldzugs gegen die Natur eine vollkommene Umkehr erfolgen muss. Dabei könnten dann die Vorkämpfer des großen Gedankens der Gartenstadt und der Harmonie mit der Landschaft eine mächtige Stütze sein – wenn denn als erstes ihre Schriften wieder aufgelegt würden … anstatt Worte zu streuen, die von ganz anderem Handeln ablenken.

Schönheit im Städtebau – damals und heute

In der Einleitung zu seinem Standardwerk Townplanning in Practice (1909, in Deutschland erschienen 1910 und 1922 unter dem Titel Grundlagen des Städtbaus) schreibt er:

„Schönheit ist ein spröder Begriff, nicht leicht zu definieren, nicht immer durch positive Anstrengung erreichbar; und doch ist sie bei jeder guten Arbeit ein notwendiger Bestandteil, die krönende und vollendende Eigenschaft. Sie ist keine Eigenschaft, die von außen eindringen kann, sondern entspringt dem Geiste, den der Künstler seinem Werk einhaucht. Wir haben uns zu sehr daran gewohnt, Kunst als etwas außen Hinzugefügtes, als eine Art kostspieligen Flitters zu betrachten. Ein großer Teil der unruhigen, vorlauten Gewöhnlichkeit, die wir zu sehen bekommen, beruht auf dieser falschen Anschauung. Solange die Kunst als Garnitur, als eine Art Häkelarbeit betrachtet wird, die in immer größeren Mengen den Kleidern des Lebens anzunähen sei, wird man sich umsonst der Hoffnung hingeben, dass ihr wahrer Wert erkannt werden möge. Zu oft glaubt man, die Stadtbaukunst bestünde darin, unsere Straßen mit Marmorbrunnen vollzustellen, unsere Plätze mit Figurengruppen zu bestreuen, mit ringelnden Akanthusblättern und Delphinschwämmen unsere Laternenpfosten zu umwinden und unsere Gebäude mit sinnlosen Obst- und Blumengehängen, die mit unmöglichen steinernen Bändern zusammengebunden sind, zu dekorieren. William Morris sagt: ‚Schönheit, die eigentlich Kunst bedeutet, wenn das Wort in seiner umfassendsten Bedeutung gebraucht wird, ist, behaupte ich, kein bloßer Zufall im menschlichen Leben, welchen man nehmen oder lassen kann, wie es einem gefällt, sondern sie ist ein ausgesprochenes Lebensbedürfnis, wenn wir so leben wollen, wie es die Natur beabsichtigte – d.h. wenn wir uns nicht damit zufrieden geben wollen, weniger als Menschen zu sein.‘ Die Kunst, die er meinte, wirkt von innen nach aussen; die Schönheit, die er als zum Leben notwendig erachtete, ist nicht ein Etwas, das außen angekleistert werden kann. Sie entsteht vielmehr, wenn das Leben und die Freude am Leben, nach außen wirkend, sich in der Schönheit und Vollkommenheit all der Formen ausdrücken, die zu der Befriedigung ihrer Bedürfnisse erschaffen worden sind. Solche Überfülle des Lebens wird dereinst in der Verzierung ihrer Schöpfungen  mit passendem Schmuck Ausdruck finden und dieser Schmuck kann deren höchste Schönheit werden; doch ist die Zeit dafür noch nicht gekommen.
Solange die Massen der Menschheit in Baracken und schmutzigen Winkeln hausen und unsere Kinder fern von dem Anblick und Genuss grüner Wiesen und Blumen aufwachsen, solange unser Land allein aufgeteilt wird, um den Interessen einzelner Besitzer zu dienen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Allgemeinheit, ist es nicht an der Zeit, an die erhabenste Schönheit des Ornaments zu denken. Uns tut not, am anderen Ende den Anfang zu machen. Unsere gegenwärtige Aufgabe besteht darin, ein festes Fundament zu bauen.“

Raymond Unwin folgend könnte man den Siedlungsbau bis ins späte 20. Jahrhundert – nach dem äußerlich überladenen (und auf die Wohlhabenden beschränkten) bürgerlichen Wohnungsbau des 19. Jahrhunderts – als eine notwendige Zurückstellung der Schönheitsforderung als Tribut an die Überwindung der Wohnungsnot sehen. Doch der Übergang in eine Phase der Schaffung neuer Formen der Schönheit im Städtebau, der Heilung der Wunden der Natur, der „Überfülle des Lebens“ steht mit dramatischsten Folgen noch immer aus.

The Art of Building a Home: https://archive.org/details/artofbuildinghom00park
Town Planning in Practise: https://archive.org/details/townplanninginp00unwigoog

Ebenezer Howard: Gartenstädte von morgen
Mit Vorwort von Julius Posener, Ullstein Bauwelt Fundamente. 29.95 Euro

21th Century Garden-Cities of Tomorrow. A Manifesto
Eben neu erschienene Weiterschreibung des Gartenstadt-Plans; einer der Autoren ist ein ehemaliger Bürgermeister der ersten Gartenstadt Letchworth. 13,30 Euro

Social Experiments, ein Artikel von Unwin in Commonweal, 1887

Eigene Übersetzung, 2015.

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