William Morris, der Künstler, Sozialreformer, Dichter und Handwerker zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des viktorianischen Zeitalters. Sein Lebenswerk ist einmalig in seiner Zeit und muss darum im Zusammenhang mit den sich abzeichnenden gesellschaftlichen Umschichtungen und künstlerischen Problemen jener Zeit betrachtet werden.
Als drittes von neun Kindern wurde William Morris am 24. März 1834 zu Walthamstow, einer beschaulichen Ortschaft im Norden Londons, geboren. Er verbrachte eine frohe Jugendzeit. Seines Vaters Liebe und Bewunderung zu den alten Bauwerken ging auf den lernbegierigen Sohn über und beeinflusste den Jüngling ebenso stark in seinen künstlerischen Neigungen wie der unversiegbare Quell der Dichtkunst, an dem er sich in frühester Jugend schon labte. Mit achtzehn Jahren bestand Morris am Exeter College in Oxford die Aufnahmeprüfung für das Theologiestudium. Dort fand er in Edward Burne-Jones einen gleichgesinnten Menschen, mit dem ihn zeitlebens eine innige Freundschaft verband. Stärkste Eindrücke machten auf die jugendlichen Träumer die kunstreformatorischen und sozialpolitischen Gedanken von John Ruskin und dem einst meistgehassten und als böser Genius des Jahrhunderts verschrieenen Thomas Carlyle. Zwei Reisen zu den bezaubernden Kathedralen Frankreichs und Belgiens bewirkten, dass sich die Freunde unter diesem großen künstlerischen Eindruck auf der Heimreise entschlossen, dem Theologiestudium zu entsagen und sich ihren künstlerischen Neigungen zu widmen: William Morris der Architektur, Burne-Jones der Malerei. Im Jahre 1856 brachte Morris sein Studium zum Abschluss und arbeitete darauf über ein Jahr bei dem berühmten Oxforder Architekten George Edmund Street [1824-1881], um sich in der Baukunst an praktischen Aufgaben zu schulen. Mehr und mehr sah er in der Gotik die vollendetste Kunstform überhaupt; jedoch nicht, wie das Zeitalter Bodonis als dunkle Geschichtsepoche, sondern als «eine Periode, in der die Kunst noch allen Menschen gemeinsam war» und sie glücklich machte. Durch seinen Freund lernte er dessen Lehrer Dante Gabriel Rossetti kennen und ließ sich von ihm ebenfalls in die Malerei einführen. Daneben beschäftigte er sich eifrig mit Versuchen im Illuminieren, Modellieren und Holzschnitzen. Die unermesslichen Schätze der Bodleiana in Oxford und des Britischen Museums, bei denen er zusammen mit seinem Freund viele glückliche Stunden verbrachte, regten ihn zu ersten Schreibübungen an. Die schönsten illuminierten Handschriften kannte er so gut, als wären sie sein Eigentum, und lachend pflegte er zu sagen, sie gehörten ihm ja auch, weil er sie so sehr in sein Herz geschlossen habe. Seine Tochter May erzählte, niemand sei so vertraut mit den Schätzen der beiden Bibliotheken gewesen und hätte so ausgiebigen Gebrauch von den Gelegenheiten gemacht, die den Studierenden geboten seien.
In dieser Zeit übte sich Morris als Dichter, und seine zum Teil umfangreichen Dichtungen lassen in ihrer klangvollen Sprache seine poetische Begabung erkennen. Das erste Bändchen Gedichte erschien 1858 auf Kosten des Verfassers. Außer wenigen Freunden beachtete das Publikum jedoch das Aufsteigen des neuen Dichtergestirns nicht. Morris meinte einmal. er hätte die Phantasie eines Dichters, nicht aber die eines Malers. In der Malerei stellte er denn auch gar bald seine Grenzen fest und erkannte, dass seine eigentliche Begabung auf dem Gebiet der Dekoration lag. Bei der Einrichtung eines eigenen Hauses wurde Morris auf den damaligen Tiefstand des englischen Kunsthandwerks aufmerksam und erkannte die Notwendigkeit, dem durch die großen Erfindungen des neunzehnten Jahrhunderts und die rapid fortschreitende Technisierung erfolgten kulturellen Niedergang durch das Regulativ der Kunst Einhalt zu gebieten. Der durch die Maschine bewirkten Verflachung und Verödung wollte er entgegentreten und durch gründliches, handwerksgerechtes Schaffen allen Gegenständen des täglichen Lebens ein Aussehen geben, das seinem ausgeprägten Sinn für Schönheit entsprach.
Siebenundzwanzigjährig gründete Morris zusammen mit drei Freunden eine von mittelalterlichem Werkgeist durchdrungene Werkstatt, der das heutige Kunsthandwerk auf allen Gebieten seine Wiedererweckung zu verdanken hat. In zäher, zielbewusster Arbeit entstanden hier jene berühmten Glasfenster – über 500 an der Zahl –, die bemalten Kacheln, die Tapeten; es entstanden schöne Möbel mit feinen Intarsien-Arbeiten und Schnitzereien, die feinen Stickereien, Stoffdrucke und Webarbeiten sowie als Höhepunkte seiner kunstgewerblichen Erneuerungsbestrebungen die prachtvollen großen handgewebten Bildteppiche in edelster künstlerischer Vollendung. Darüber hinaus unternahm die Werkstatt die Ausführung von Wandmalereien und die Ausschmückung ganzer Wohnräume. Alle Werke zeigen Morris‘ kraftvollen ornamentalen Impuls, seine Vorliebe für die Formen der reinen Gotik. Für ihn bedeutete das Erlebnis des Mittelalters Neuschöpfung, nicht Nachahmung. Neben seiner immensen Arbeit im Dienste der Werkstatt – er nannte sie einmal Brot-und-Käsearbeit – widmete er sich seinen geliebten dichterischen Unternehmungen und nach und nach auch politischen Idealen und Zielen. In den Jahren 1870-1875 erfasste ihn von neuem die Liebe zum handgeschriebenen Buch, sowohl als Sammler schöner illuminierter Handschriften und Wiegendrucke wie als Schreiber. Durch ein systematisches Studium der frühen Manuskripte drang er in die Geheimnisse der geschriebenen Schrift ein und brachte es zu solcher Fertigkeit, dass seine handgeschriebenen, illuminierten Bücher noch heute Bewunderung erheischen. Dabei muss daran erinnert werden, dass dies in einer Zeit geschah, da die Schriftkunst ihren tiefsten Stand und einen Grad der Ausdruckslosigkeit erreicht hatte wie nie zuvor. Morris darf auch als der eigentliche Erneuerer der Kalligraphie bezeichnet werden. Durch den Schriftkünstler Edward Johnston wurden seine Erkenntnisse methodisch ausgewertet und durch die begabte Schreiberin Anna Simons nach Deutschland und zu uns getragen.
Morris kam allmählich zur Überzeugung, dass die Kunst als gestaltende Kraft des Lebens das einzige wirksame Mittel zur Wiederherstellung der durch die massive Industrialisierung ins Wanken gekommenen sozialen Ordnung sei. Seine sozialen Ideen drängten ihn zum Sozialismus. Mit dem ganzen Ungestüm seiner Natur und seiner Persönlichkeit widmete er sich bei der beginnenden innenpolitischen Auseinandersetzung politischen Problemen und stürzte sich in die sozialistische Propaganda. Als Redner verstand er es, durch hinreißende Beredsamkeit und Leidenschaftlichkeit die Zuhörer für die Sache der sozialistischen Liga zu gewinnen. Sein utopischer Roman «News from Nowhere», eine der wenigen literarischen Arbeiten von Bedeutung, die er in jenen Jahren der aktiven politischen Betätigung hervorbrachte, spiegelt wohl am deutlichsten das Wunschbild, nach dem Morris‘ Streben zielte. Erst nach jahrelangen Mühen und nach bitteren Erfahrungen, als anarchistische Elemente die Oberhand in der Liga gewannen, kehrte er entmutigt und ernüchtert von der sozialistischen Agitation zu seiner Arbeit, zu seinen kunsthandwerklichen Aufgaben zurück und fand in ihnen den nötigen Trost.
Keimzelle für die von Morris so sehr angestrebte Erneuerung der Kunst war die von ihm, Emery Walker und Walter Crane im Jahre 1888 gegründete Arts and Crafts Exhibition Society. Emery Walkers vor diesem Gremium am 15. November 1888 gehaltener Vortrag über die Buchdruckerkunst gab William Morris den eigentlichen Anstoß, sich selber in der Kunst der Typographie zu versuchen. Emery Walker stellte in Lichtbildern gute und schlechte Beispiele einander gegenüber. Auf dem Heimweg von diesem denkwürdigen Anlaß griff William Morris seinen schon früher gehegten Plan, eine eigene Druckerei zu gründen, auf mit den Worten « Let’s make a new fount of type! », und schon wenige Tage darauf war er entschlossen, seine Absichten zu verwirklichen. Seine früheren Veröffentlichungen waren fast alle von der Chiswick Press gedruckt worden, und zwar nicht mit einer Unzahl von Schrifttypen, wie dies in jener Zeit üblich war, sondern in fein abgestimmten Größenverhältnissen eines einzigen Schriftcharakters, so den künftigen Buchstil anzeigend. Es besteht kein Zweifel, dass Morris durch seinen Freund Walker auf die Feinheiten der typographischen Gestaltung hingewiesen wurde. Zeitweilig schon etwas kränklich, hat Morris im Alter von 56 Jahren, wenn andere schon müde die Arbeit aus der Hand legen, die jugendfrischste Tat seines Lebens getan: er fing an, Bücher zu drucken. Das Buch als Kunstwerk wurde das letzte Lebensziel William Morris‘. 1889 widmete er sich mit Leib und Seele dem neuen Plan und begann sogleich mit der Einrichtung einer eigenen Druckerei, der Kelmscott Press, und der Entwicklung einer neuen Schrift.
Was ihm vorschwebte, waren Buchstaben in reiner Form, ohne unnötige Verzierungen, ohne das starke An- und Abschwellen der Linien. Seine erste Schrift war eine Antiqua nach dem Vorbild Jensons aus dem Jahre 1470, der schönsten Antiqua des fünfzehnten Jahrhunderts. Nach fünffachen photographischen Vergrößerungen entwarf er seine neue, etwas dunkle Schrifttype. Ende Dezember 1890 lieferte Prince, sein Stempelschneider, der Fann Street Foundry die Schriftstempel zum Guß ab, und Ende Januar 1891 lag bereits der erste Probedruck dieser für den Druck der «Golden Legend» vorgesehenen GoldenType vor. Nun konnte die Arbeit beginnen. Schon im Juni des gleichen Jahres äußerte sich Morris zu seinem Sekretär Cockerell, er denke daran, für den von ihm geplanten Druck der Werke Chaucers eine gotische Type zu zeichnen. Fünf Monate später konnte er einen Probedruck der neuen, nach Drucken von Mentelin, Zainer und Koberger frei gezeichneten Schrift, der Troy Type, in Händen halten. Als er erkannte, dass die neue, rundgotische Schrift für die Ausgabe von Chaucers Werken zu groß sei und deshalb zu viel Umfang ergäbe, bestellte er bei seinem Schriftschneider Prince einen Nachschnitt in einem um einen Drittel kleineren Grad, und im Juni 1892 war auch diese Chaucer Type genannte Schrift bereits im Gebrauch. Im Laufe von zweieinhalb Jahren wurde all diese immense Arbeit getan. Eine vierte Schrift nach Sweynheym und Pannartz blieb, weil unbefriedigend, unvollendet.
Beim Druck der über 50 Bücher, wovon 44 zu Lebzeiten Morris die Handpresse verließen, waren die so prächtigen Handschriften und Inkunabeln beste Vorbilder für sein Schaffen, eine nie versiegende Quelle für die ornamentale Ausschmückung und typographische Anordnung. Kein Teil des Buches war ihm nebensächlich: aus dem wohlabgestimmten Zusammenklang von Schrift, Papier, Illustration, Druck und Einband ergab sich jene vollendete Schönheit, welche die Kelmscott Bücher neben die bedeutendsten Druckerzeugnisse der Vergangenheit stellen. Nur handgeschöpftes Büttenpapier oder Pergament kamen als Druckträger in Betracht; die schwarze Druckfarbe ließ er sich aus Hannover kommen, weil ihm keine andere gut genug war; die Illustrationen seines Freundes Burne-Jones und die unzähligen von ihm entworfenen Initialen und Zierleisten sowie die Titelseiten ließ er sich in Holz schneiden. Dem Schriftsatz widmete er seine ganz besondere Aufmerksamkeit: er führte wieder den engen Wortzwischenraum ein, im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der damaligen Drucker, und hielt sich auch in der Anordnung der Schriftfläche auf der Buchseite an die Gesetze der Schreiber und frühen Drucker.
Sechs Jahre setzte er seine Arbeitskraft ein für den Bücherdruck; es ist der reifste Teil seiner Entwicklung. Sein berühmtestes Werk schuf er in der unübertroffenen Folio-Ausgabe des Chaucer, den William Morris sein Leben lang verehrt hat. Ein gütiges Geschick ließ ihn die Vollendung dieses monumentalen Werkes nach 21 Monaten Druckzeit als vierzigsten Druck der Presse am 8. Mai 1896 noch erleben. Die Ausgabe seiner umfangreichen Dichtung «The Earthly Paradise» aber hat er nicht mehr erlebt. Viel zu früh hat ihn der Tod im 62. Lebensjahr am 3. Oktober 1896 aus seinem Schaffen und Träumen gerissen. Sein damals revolutionär wirkendes Werk aber war eine Saat auf fruchtbaren Boden: waren es zuerst die Privatpressen, die von ihm inspiriert wurden, so folgte die Allgemeinheit der Buchdrucker, die die neuen Prinzipien übernahmen, nach, und um 1900 begann eine Blütezeit buchgraphischen Schaffens, deren Ausstrahlung durch das Wirken der ihm verpflichteten großen Drucker der Neuzeit sowohl in Europa als auch in Amerika bis in unsere Tage zu spüren ist. Rudolf Koch fühlte sich ihm ganz besonders verpflichtet, spiegelt sich doch die Persönlichkeit des großen Vorbildes in seinem kunsthandwerklichen Schaffen aufs Beste. Morris‘ beide Schrifttypen haben zu etlichen Nachbildungen und auch Neuschöpfungen in Europa und Amerika angeregt; vor allem war es die von Morris mit sicherem Gefühl getroffene Wahl der trefflichen Antiqua Jensons, die in der Folge eine Reihe von Neuschöpfungen ausgelöst hat, deren schönste Bruce Rogers Centaur bildet.
Morris‘ Typographie ist wohl in einem gewissen Sinne zeitgebunden, doch ist durch ihn, den die Fachpresse der Jahrhundertwende einmal den «Caxton of our day» nannte, nach dem vorausgehenden Niedergang die eigentliche Wiedergeburt der Buchkunst eingeleitet worden. Aus den frühen Handschriften und Drucken der alten Meister hat er die allzeit gültigen Gesetze entwickelt und wieder aufgerichtet, durch die jene Synthese von Inhalt und Form erst möglich wurde, welche das schöne Buch verlangt und ihm seinen Adel verleiht: dem Buch als Kunstwerk. Seine Grundsätze – die strenge Zurückhaltung in der Wahl der Schriftarten und Grade – zeigen uns, wie wir arbeiten müssen: nicht «um das moderne Buch zu schaffen dies ist ein leeres Wort – sondern um Bücher zu schaffen, die jetzt und dauernd Kunstwerke sind».
Der Text wurde einer Broschüre entnommen, die 1959 von der Monotype Corporation in Bern veröffentlicht wurde: William Morris – der Erneuerer der Buchkunst.
„Dieser Privatdruck wurde zur Erinnerung an die Eröffnung der in der Schweizerischen Landesbibliothek im Herbst 1958 in Verbindung mit dem Schweizerischen Gutenbergmuseum und dem British Council von der William Morris Society veranstalteten eindrucksvollen Ausstellung «Das typographische Abenteuer von William Morris» herausgegeben. Von Hand gesetzt aus Monotype Centaur, gedruckt im Frühjahr 1959.“
Max Caflisch (* 25. Oktober 1916 in Winterthur; † 3. März 2004) war ein Schweizer Typograph, Buchgestalter und anerkannter Schrift-Kenner.
Max Caflisch galt als einer der weltweit führenden Typografen und Experten für die in westlichen Kulturen verwendete lateinische Schrift. Mit seiner kompromisslosen Bevorzugung von qualitativ hochwertigen und zweckmäßigen Schriftarten (vornehmlich Buch- und Zeitungsschriften), einem feinen Gespür für gute Zeichenform, großem Sachwissen und über 50 Jahren Erfahrung verdiente er sich Anerkennung als Kenner und Berater unter Berufskollegen.
Besonders geschätzt ist seine Artikelreihe Schriftanalysen in den Typografischen Monatsblättern, die auch gesammelt in zwei Bänden erhältlich ist. Sie stellt neben der Besprechung vorzüglicher Schriften auch gleich einen Streifzug durch die gesamte Schriftgeschichte seit der Renaissance dar.
Max Caflisch war als Lehrer, Berater für Unternehmen, Autor, Buchgestalter und Schriftgestalter tätig. (Wikipedia)