Die angewandte Kunst

‚Die angewandte Kunst‘ wurde als Titel des Vortrags über den Teil der Künste vorgegeben, zu dem ich heute sprechen soll. Was verstehen wir darunter? Ich könnte antworten, dass mit angewandter Kunst die ornamentalen Eigenschaften gemeint sind, die Menschen den nützlichen Gegenständen hinzufügen. Theoretisch könnte auf Ornamente verzichtet werden und die Kunst würde damit aufhören, „angewandt“ zu werden – um als eine Art Abstraktion zu existieren, wie ich vermute. Aber obwohl man Ornamente auf Gebrauchsgegenständen weglassen könnte, haben das die Menschen bis herauf zur Gegenwart nicht getan. Auf jeden Fall sieht es im Moment nicht danach aus, wobei wir aber gerade beobachten, dass sie in Bezug auf das Anwenden von Kunst in ein Durcheinander der Ansichten geraten sind. Es ist es wert, mal dem nachzugehen, warum der Mensch niemals daran gedacht hat, die zusätzliche Arbeit zu lassen, die sein Verlangen nach geistiger Beanspruchung erfüllt, obwohl sie sich zur notwendigen Arbeit addiert, die ihn mit Essen und Obdach versorgt. Diese Überlegung wird uns helfen, die wichtige Frage zu behandeln, die ich einmal mehr zu beantworten versuche: „Wie stehen wir zur angewandten Kunst der Gegenwart und was haben wir für sie und von ihr in der Zukunft zu erwarten?“

Arts and Crafts of todayMeine Antwort ist: die Absicht, Kunst auf nützliche Gegenstände anzuwenden, beinhaltet zweierlei: erstens soll dem Arbeitsergebnis, das andernfalls hässlich bliebe, Schönheit hinzugefügt werden und zweitens Vergnügen zu der Arbeit selbst, da sie andernfalls quälend und unangenehm wäre. Wenn das zutrifft, können wir aufhören uns zu fragen, warum der Mensch die Produkte der Arbeit seiner Hände, die er dann täglich und stündlich um sich herum hat, immer schmücken wollte oder warum der Mensch immer dananch trachtete, wann immer möglich die Arbeit aus Qual in ein Vergnügen zu verwandeln.

Nun, zur ersten Absicht: Ich sagte, dass die Produkte der menschlichen Arbeit hässlich sein müssen, wenn nicht Kunst auf sie verwandt wird und ich verwende das Wort hässlich als das stärkste direkte Wort der englischen Sprache. Denn ein Produkt menschlicher Arbeit kann nicht nur eine reine Negation der Schönheit zeigen; was davon nicht schön ist, ist in aktiver Weise hässlich und entwertet somit unsere menschlichen Eigenschaften, zumindest insoweit, als wir diese Abwertung nicht bemerken und uns damit auf den nächsten Schritt nach unten vorbereiten. Den aktiven Schaden durch nicht-künstlerische menschliche Arbeit möchte ich ganz besonders in Euren Köpfe verankern, deshalb wiederhole ich es: wenn Ihr auf angewandte Kunst bei Gebrauchsgegenständen verzichtet, dann bekommt ihr nicht etwa unbeachtliche Gebrauchsgüter, sondern solche, die in sich dieselbe Sorte von Unheil bergen, wie Decken, die mit Pocken oder Scharlach infiziert sind und jeder Schritt in Eurem materiellen Leben und seinem „Fortschritt“ wird zum geistigen Tod der Menschheit hin tendieren.

Ihr werdet folgendes sicher begreifen: wenn ich von den verschiedenen Werken der Menschen spreche, vergesse ich nicht, dass es da unter seinen wichtigsten Arbeitstätigkeiten einige gibt, auf die Kunst nicht in dem Sinne, wie wir sie verstehen, angewendet werden kann. Das bedeutet aber nur, dass die Natur uns das Verschönern aus der Hand genommen hat und in den meisten dieser Fälle sind die Prozesse in sich schön, wenn unsere Dummheit nicht Kummer und Angst dazugeben würde. Ich meine das Fahren der Fischerboote durch die Wellen, das Furchenziehen des Pflugs für die Ernte des nächsten Jahres, das Roden von Land, das Fallen des Spans vom Hobel des Zimmermanns – diese Dinge sind in sich schön, und ihre Ausführung könnte reizvoll sein, wenn die Menschheit, selbst in diesen letzten Tagen der Zivilisation nicht so dumm wäre, solche Formen der Arbeit (ohne die wir innerhalb von Tagen sterben würden) zur Arbeit für Knechte und Hungerleider zu erklären, während das Werk von Zerstörung, Unfrieden und Konfusion die Arbeit der Elite der Menschheit – also der Gentlemen – sei.

Wenn die angewandten Künste, so wie ich meine, notwendig sind, damit die Menschen mehr sind als nur ein hässlicher hingekleckster Fleck auf der Oberfläche der Erde (die ohne sie sicher schön wäre), so ist ihre andere Absicht, Vergnügen bei der Arbeit zu haben, mindestens ebenso notwendig und wenn beides getrennt werden könnte, dann wäre sie noch wohltätiger und unverzichtbarer. Denn wenn es die Funktion der Kunst ist, Arbeit angenehm zu machen – was wäre dann die Situation, in der wir uns ohne sie fänden? Eins von zwei Unglücken müsste uns treffen: entweder müsste die lebensnotwendige Arbeit von einer verelendeten Gruppe von Heloten zum Nutzen einiger erhabener Intellektuellen getan werden. Oder, was richtig wäre, wir beschließen, die Last des Fluchs auf der Arbeit auf die Allgemeinheit zu verteilen. Die Last bliebe und würde jedem von uns das heilige Geschenk des Lebens zum großen Teil verderben. Wären wir klug, würden wir die Arbeit horten und das Beste aus ihr machen, indem wir sie zur angenehmen Ausübung unserer Energien verwenden, der einzigen wahren Quelle von Glück.

Darf ich Euch auf eine Analogie hinweisen, die zwischen der Funktion der Angewandten Kunst und einem Geschenk der Natur besteht, ohne das die Welt gewiss viel unglücklicher wäre, das uns aber so gewohnt ist, dass wir kein geeignetes einzelnes Wort dafür haben und einen Satz bilden müssen: ich meine das Vergnügen, unseren Hunger zu stillen. Der einzige Ausdruck dafür in einem Wort wäre Appetit, aber es ist unklar und unbestimmt: verwenden wir ihn ruhig, da wir darin übereinstimmen, was wir damit meinen.
Nebenbei, muss ich mich dafür entschuldigen, eine so triviale Sache wie Essen und Trinken anzusprechen? Einige von Euch werden das denken und schon auf den Tag warten, da auch diese Funktion zivilisiert sein wird durch die Einnahme einiger hochkonzentrierter Pillen – einmal pro Jahr oder sogar nur einmal fürs ganze Leben; womit wir frei wären, im Rest der Zeit unseren Intellekt zu trainieren – wenn wir in jenen Tagen noch einen haben sollten. Ich erlaube mir respektvoll, mich von dieser hohen Warte kultivierten Anspruchs zu unterscheiden, in allem Ernst und nicht im geringsten als Spaß: ich behaupte, dass das tägliche, freundliche und erholsame Zusammenkommen der Bewohner eines Hauses zu dieser Funktion des Essens, dieser Wiederherstellung von verausgabtem Leben, als eine Art Sakrament angesehen und von der Kunst mit allen Kräften gepriesen werden sollte: das Wissen, dass es so viele Menschen gibt, deren Leben zu mühselig, elend und verängstigt ist, dass sie dieses Sakrament angemessen zelebrieren können, sollte von denen, die das können als eine Last empfunden werden, die man durch Abhelfen des Übels und nicht durch Ignorieren abwirft. Nun, so wie das Essen ohne Appetit und ohne Vergnügen eine öde Sache ist, so ist die Herstellung von Gebrauchsgütern ohne Kunst und ohne die Freude des Machens eine öde Arbeit. Die Natur selbst lässt uns dieses Vergnügen wünschen, diese Versüßung unserer täglichen Plackerei. Ich neige dazu, dass auf lange Sicht die Menschen sie unverzichtbar finden werden, aber wenn sich das als falsche Prophezeihung herausstellen sollte, könnte ich nur sagen, dass die Menschheit dann anderes neues Vergnügen an dessen Stelle setzen müsste oder das Leben wäre nicht auszuhalten und eine Gesellschaft unmöglich. In der Zwischenzeit ist es gut und richtig, dass die Menschen sich dafür einsetzen, die nützlichen Güter, die sie herstellen, ebenso schön zu machen, wie die Natur es tut. Und so wie die Natur die Ausübung der Lebensfunktionen empfindungsfähiger Lebewesen angenehm macht, sollten wir uns dafür einsetzen, das Herstellen von Gütern angenehm zu machen. Kurz: Kunst auf nützliche Gegenstände anzuwenden ist keine Frivolität, sondern Teil des ernsten Geschäfts des Lebens.

Schauen wir genauer hin, worum es bei angewandter Kunst geht. Ich nehme an, es ist nur eine Sache der Konvention, dass wir Malerei und Bildhauerei von der angewandten Kunst trennen. Denn praktisch ist Architektur das Synonym für angewandte Kunst und ich sollte sagen, dass die Malerei von geringem Nutzen und die Bildhauerei von noch weniger ist, wären ihre Werke nicht Teil der Architektur. Wenn ein Mensch architektonischen Sinn hat, sieht er ein Gemälde oder eine Skulptur immer aus diesem Blickwinkel. Selbst beim abstraktesten Gemälde wird er sicher denken: Wie soll es gerahmt sein und wo soll es platziert werden? Was die Skulptur betrifft, sie wird ein reines Spielzeug, wenn sie nicht definitiver Teil eines Gebäudes ist, in einer bestimmten Höhe zum Auge und in einem bestimmten Licht anzuschauen. Und wenn das der Fall ist bei Kunstwerken, die in einem gewissen Grad von ihrer Umgebung abstrahiert werden können, gilt es natürlich auch für weniger hervorgehobene Dinge. Kurz, das komplette Werk der angewandten Künste als wahre Einheit der Kunst ist ein Gebäude mit all seiner Ausschmückung und Möblierung. Und aus Erfahrung muss ich sagen, dass es unmöglich ist, ein hässliches oder minderwertiges Gebäude richtig zu schmücken. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass die glorreiche Kunst des guten Bauens in sich selbst so erfüllend ist, dass ich viele Häuser gesehen habe, die wenig Schmuck nötig hatten. Alles was nötig schien für ihren vollen Genuss waren einige Zeichen von Sympathie und der glücklicher Benutzung durch menschliche Wesen:  so wird ein fester Tisch, ein paar altmodische Stühle, eine Vase mit Blumen die Wohnstube eines alten englischen Bauernhauses besser schmücken als eine Wagenladung Rubens eine Galerie in Blenheim Park.
Bedenkt, dass diese Zurückhaltung, dieses Sparen an verschönernden Dingen in keinerlei Weise kunstlos sein muss: wenn man an ein altes Haus kommt, das so zufriedenstellend aussieht, obwohl kein bewusster moderner Künstler hier am Werk war, dann ist dieses Ergebnis verursacht durch unbewusste, ungebrochene Tradition. Wo diese fehlt, wird die pestartige Häßlichkeit einmarschieren, von der ich vorher sprach und mit ihrem widerlichen Schein und scheußlichen Vulgarität die Schönheit eines gotischen Hauses in Somersetshire verunstalten oder die Romantik eines Wehrturms am Rand eines schottischen Lochs. Um irgendetwas von der Schönheit und Romantik zurück zu bekommen (alles ist niemals rückholbar), braucht es einen bewussten Künstler von heute, dessen Hauptarbeit jedoch darin besteht, aufdringlichen Müll auszuräumen und freizügig die Abwaschbürste zu verwenden.

Die Abteilung der Kunst, mit der ich zu tun habe, das sind die Wohnungen einer bestimmten Gruppe von Leuten; gut gebaut, schön, ihren Zweck erfüllend, reich geschmückt und möbliert, um so die Lebensart der Bewohner auszudrücken. Oder es kann ein nobles und herrliches Gebäude sein, für lange kommende Zeiten gebaut und auch dieses ist reich geschmückt, um das Leben und die Ambitionen der Bürger auszudrücken: in sich selbst ein großes Stück der Geschichte der Anstrengung von Bürgern, ein Haus zu errichten, das ihrem noblen Leben entspricht und seine Dekoration allein ist ein Epos, das der Freude und Bildung wegen geschrieben wurde, nicht nur der jetzigen Generation, sondern vieler nächster Generationen. Das ist ein wahres Werk der Kunst – ich wollte fast sagen, wahrer Zivilisation, aber das Wort wird so falsch verwendet, dass ich es doch nicht nehmen will – ein wahres Meisterwerk von bedachtvollen und mannhaften Menschen, die sich des Bandes einer wahren Gesellschaft bewusst sind, in der alles, was ein Mensch tut, von Bedeutung für jeden anderen ist.

Das ist die Grundeinheit der Kunst: dieses eine Haus, diese Kirche, dieses Stadthaus – gebaut und geschmückt durch die zusammenwirkenden Leistungen einer freier Bevölkerung: kein Mensch allein könnte es je erschaffen, wie begabt er auch sein mag: selbst wenn der Direktor oder Architekt ein großer Maler oder Bildhauer wäre, ein unermüdlicher Designer von Metallarbeiten, von Mosaiken, gewebten Stoffen und allem anderen – wenn er all diese Dinge entwerfen könnte, er kann sie nicht alle ausführen und etwas von seinem Genie muss in den anderen Mitgliedern der großen Gruppe sein, die das komplette Werk errichtet: Millionen und Abermillionen Schläge von Hammer und Meißel, dem Hohleisen, der Bürste, des Weberschiffchens sind in diesem Werk der Kunst verkörpert und in jedem von ihnen liegt entweder Intelligenz, die den Meister unterstützt oder Dummheit, die das Werk hoffnungslos vereitelt. Die Maurer, die Tag für Tag mit Bruch- und Quaderstein eine Fabel erzählen, helfen ihm die Seelen der Betrachter mit Befriedigung zu erfüllen oder sie machen seinen Papierentwurf zu einem Witz oder zu Nichts. Sie und alle am Werk beteiligten Arbeiter werden trotz des Genies ihres Meisters solch ein Disaster schaffen, wenn sie nicht instinktiv mit intelligenter Tradition* verbunden sind – fehlt ihnen diese Tradition, wird die Kunst wertlos sein, welchen Schein sie auch trägt. Aber wenn sie sich auf intelligente Tradition stützen, ist ihre Arbeit der Ausdruck von gelungener Kooperation und der Freude, die sie an ihr hatten: keine Klugheit, nicht die geringste, wurde dabei erdrückt, sondern eingefügt und verwendet, so dass vom Meister-Designer bis nach unten niemand sagen könnte: das ist mein Werk. Aber jeder von ihnen könnte wahrheitsgemäß sagen: das ist unser Werk. Versuchen sie zu begreifen, welche Menge an Vergnügen ein solches Werk der Kunst allen daran Beteiligten geben würde, vielleicht Jahr um Jahr (denn solche Arbeit verträgt keine Eile). Und wenn es fertig ist, wäre es eine dauerhafte Freude für die Bürger, es zu betrachten, zu benützen, dafür zu sorgen, Tag für Tag, Jahr für Jahr.

Ist das nur der Traum eines Idealisten?  Nein, überhaupt nicht; solche Werke wurden einst geschaffen, als diese Inseln nur eine verstreute Besiedelung hatten, deren Menschen ein raues und viele (obwohl nicht in meinen Augen) ein kümmerliches Leben führten, mit einem riesigen Mangel an vielen – nein, den meisten – der sogenannten Bequemlichkeiten der Zivilisation; unter diesen Umständen wurden die berühmten Bauwerke der Welt errichtet; aber der volle Ausdruck dieses Geistes von gemeinsamer und übereinstimmender Arbeit wird erst in der vergleichsweise kurzen Periode des entwickelten Mittelalters erreicht, zu der Zeit, als die Vereinigung der Arbeiter in den Handwerksgilden abgeschlossen war.
Wenn Ihr mir erlaubt, werde ich eine oder zwei Fragen stellen und selbst beantworten.
1. Wollen wir solche Werke der Kunst?  Für die hier Versammelten kann ich das sicher bejahen, für die breite Öffentlichkeit kann ich die Antwort nicht geben.
2. Warum verlangen wir nach ihnen (wenn Ihr mir so weit gefolgt seid)? Ihre Schaffung würde den Benutzern und den Herstellern Freude bringen: wenn solche Werke entstehen, wären alle Produkte schön und zweckentsprechend und als Folge davon würde die Arbeit aufhören, eine Last zu sein.
3. Können wir sie jetzt haben, so wie die Dinge liegen?  Kann das heutige Britische Weltreich, mit all seiner Macht und Bildung das leisten, was die verstreute, abergläubische, unwissende Bevölkerung dieser Inseln vor einigen Jahrhunderten offenbar ohne große Bemühung geschafft hat? Nein, so wie die Dinge liegen, können wir sie nicht haben. So wie es ist, könnte keine denkbare Verbindung von Talent und Begeisterung das schaffen.

Warum? Nun, Ihr wisst, erstens haben wir uns seit mindestens einem Jahrhundert darin angestrengt, die Erde mit riesigen Mengen „nützlicher“ Bauten zu beladen, die wir auf die Schnelle nicht loswerden können; wir müssen wohnen und da sind Häuser für uns und ich sagte bereits, hässliche Häuser kann man nicht schmücken. Daraus spricht für uns ein schlechtes Urteil.
Aber angenommen, wir reissen diese utilitaristischen Häuser ab, würden wir sie viel besser wieder aufbauen?  Ich fürchte nein, trotz der beachtlichen Verbesserung des Geschmacks, die in den letzten Jahren stattgefunden hat, wofür dieser Kongress ein Anzeichen unter mehreren ist.
Wenn die besagten hässlichen utilitaristischen Gebäude abgerissen werden, und wir andere an ihre Stelle setzen, dann wären die neuen sicherlich von zweierlei Art: eine Art wäre tatsächlich wieder utilitaristisch, obwohl sie verschiedene Grade und Arten von ausschmückendem Stil aufweisen würden und sie wären mindestens so schlecht wie jene, die sie ersetzt haben und in mancher Hinsicht wären sie schlimmer als eine gute Menge von den alten. Sie wären fadenscheiniger in der Bauart, kitschiger und vulgärer als die des früheren utilitaristischen Stils. Die andere Art wäre entworfen von kunstfertigen Architekten, begabt mit einem Sinn für Schönheit und gebildet in der Geschichte vergangener Kunst und sie wären zweifellos von viel besserer Form als die utilitaristischen Missgeburten, von denen wir gesprochen haben, aber ihnen würde der Geist der alten Bauwerke fehlen. Lassen wir das hier kurz so stehen, ich will gleich darauf zurückkommen.

Eine Sache, da bin ich mir sicher, würde uns sofort auffallen an unserer am Ende des 19. Jahrhunderts neu erbauten Stadt. Die große Masse der Gebäude wäre von der gehabten utilitaristischen Art und nur hier und da stünde ein Beispiel der verbesserten und sorgfältigen Arbeit erfahrener Architekten – der eklektische Stil, wenn Ihr mir erlaubt, das so zu nennen. Das wäre alles, wie weit unser Wiederaufbau kommen würde; wir wären genau da, wo wir jetzt sind, abgesehen davon, dass wir einige solide und aufrichtig hässliche Bauten verloren hätten, dafür einige elegant exzentrische „von der Bevölkerung unverstandene“ hinzugewonnen.

Wie kommt das?  Nun, die Antwort auf diese Frage wird das „Warum“ einige Sätze zurück erklären.
Die Masse unserer Häuser wäre utilitaristisch und hässlich, selbst wenn wir das Werk des Hausbaus neu beginnen würden, weil uns die Tradition zuletzt in die Notsituation gebracht hat, Erbauer schlechter und herabwürdigender Gebäude zu sein und wenn wir anders bauen wollten, müssten wir versuchen, die Arbeit von Menschen zu imitieren, deren Tradition sie dazu anleitete, schön zu bauen; und das ist, wie ich Euch sagen muss, ein nicht sehr hoffnungsvolles Unterfangen.
Ich sagte gerade, dass jene wenigen verbesserten Häuser, die errichtet würden, wenn wir alles neu bauten, oder die, um eine Hypothese zu setzen, schon jetzt ziemlich oft schön gebaut werden, sie würden oder haben nicht den Geist der mittelalterlichen Häuser in sich, von denen ich sprach. Das ist ganz offensichtlich: so weit entfernt davon, das Werk harmonischer Zusammenarbeit und unangestrengt zu sein, wie es künstlerische Arbeit nur sein kann, sind sie, auch wenn sehr erfolgreich, das Ergebnis eines kontrastierenden Widerspruchs zur Tradition der Zeit. In der Regel ist die einzige Person, die mit einem architektonischen Objekt verbunden ist und eine Vorstellung hat, was damit gewollt wird, der Architekt selbst. Sobald er sich umdreht, muss er die Gewohnheiten der Mauer korrigieren, die der Schreiner, Tischler und Bildhauer usw. und muss versuchen, sie dazu zu bringen, mühsam die Methoden der Arbeiter des 14. Jahrhunderts zu imitieren und ihre vorhandenen Gewohnheiten abzulegen, die nicht nur von ihrer eigenen täglichen Praxis , sondern von der ererbten Denk- und Machart ihres Berufes seit mindestens zwei Jahrhunderten geformt wurden.

Unter diesen Schwierigkeiten wäre es schon ein Wunder, wenn diese verbesserten Häuser dem Betrachter nicht von ihrem Eklektizismus künden würden. In der Tat, es ist so, die Unwissenden starren auf sie und wundern sich, Dummköpfe von der Sorte Podnap* lachen darüber, strenge Kritiker geben unfreundlichen Urteile ab. Lasst uns nicht hierzu gehören: wenn alles gesagt wurde, geben sie denen, die sie entworfen und angesichts solcher Schwierigkeiten fertig gebracht haben, enormen Kredit. Oft sind sie schön in ihrer eklektischen Art und sind immer auch so gemeint: sollen wir etwas an den Entwerfern bemängeln, dafür dass sie etwas anders machen wollten als die Masse der viktorianischen Architektur? Wenn es irgendeinen Versuch gab, sie schön zu machen, dann war dieser Kontrast, diese Exzentrität notwendig. Loben wir ihre Exzentrität und machen uns nicht lustig darüber, da es unsere allgemeine Tendenz ist, solche Häuser zu bauen, die ein Schandfleck auf der schönen Erde sind, eine Verletzung des Common Sense der kultivierten Menschheit des 19. Jahrhunderts. Erlaubt mir hier einen Nebensatz. Wenn ich auf eine Gruppe von sauberen, gutgenährten Mittelklasse-Männern dieser wunderlichen Mischrasse, die wir uns mit Habitus Angelsachsen nennen (auf beiden Seiten des Atlantiks), wenn ich diese noblen Schöpfungen sehe, groß, breitschultrig und gut trainiert, mit hellen Augen und wohlgeformter Gestalt, diese Männer voller Mut, Fähigkeiten und Energie: ich war immer erstaunt, welche Häuser sie gut genug für sich finden und welche belanglose Beschäftigungen sie wählen, um ihre Energien freizusetzen. Einen Mann mit dieser Länge, der z.B. sich plagt mit der exakten Breite eines Streifens aus bedrucktem Stoff, aus Sorge, dieser könne die Anforderungen auf einem weit entfernten Markt verfehlen, tyrannisiert von den Launen eines trägen Kreolen oder eines fantastischen Schwarzen – das hat mir ein Gefühl der Scham gegeben für meinen Mittelklasse-Kollegen, der nicht auf die Qualität der Waren achtet, die er verkauft, der aber extrem besorgt ist um den Profit, den er daraus zieht.

Diese Abschweifung, auf deren Hauptperson ich gleich wieder zurückkomme, bringt mich zu der Anmerkung, dass ich hauptsächlich über Architektur gesprochen habe, weil ich sie zuerst als das Fundament aller Künste und dann als allumfassende Kunst ansehe. Alle Möbel und Ornamente, die mit ihr eine komplette Einheit der Kunst bilden, also ein gut geschmücktes Haus, sind mehr oder weniger in der Schwierigkeit befangen, die heutzutage die zufriedenstellende Ergänzung eines guten und schönen Gebäudes erschwert. Der Dekorationsmaler, der Mosaikleger, der Fensterbauer, der Möbeltischler, der Tapezierer, der Töpfer, der Weber – sie alle haben mit der Tendenz in der Tradition der Epoche zu kämpfen, in ihrem Versuch, Schönheit anstatt vermarktbarem Putz herzustellen, ihre Produkte künstlerisch statt handelstauglich zu verfeinern. Ich möchte sagen, ohne den Vorwurf des Egoismus zu bekommen, dass mein Leben der letzten vierzig Jahre mir reichlich Gelegenheit gegeben hat, die Mühsal und Bitternis dieses Kampfes zu erfahren.

Denn, um zu meiner Nebenbemerkung zurückzukommen, wie der Kapitän der Industrie (wie es Mode ist, einen Geschäftsmann zu nennen) nicht an die Waren denkt, mit denen er den Weltmarkt versorgt, sondern an den Profit daraus, so denkt das Instrument, das er als Zusatz zu seinen Maschinen beschäftigt – der Künstler – nicht an die Güter, die er (und die Maschine) produziert, sondern nur an seinen Lebensunterhalt. Der Brauch seines Berufes hat ihn so weit gebracht, dass er nicht seine persönliche Konzeption von den zu machenden Gegenständen entwickelt; er muss die Ansichten seines Chefs befriedigen und dieser schaut nur auf die markttauglichen Eigenschaften. Das ist eine Notwendigkeit aus die Weise heraus, wie der angestellte arbeitende Mensch funktionieren muss und es bedeutet für ihn Lebensunterhalt; anders zu arbeiten hieße hungern. Ich bitte Euch zu merken, dass die Realität der Waren einem kommerziellen Schwindelprodukt geopfert wird, wenn das kein zu starkes Wort ist. Der Hersteller (wie wir ihn nennen) kann im Bereich der Gebrauchsgüter nicht einfach nichts produzieren und zum Kauf anbieten, deshalb produziert er einen Ersatz für den Artikel, den die Konsumenten haben wollen und mit dem „billigen Preis-Schwert“ (wie man es nennt) kann er den Konsumenten nicht nur diesen Ersatz aufzwingen, sondern sie auch daran hindern, die richtige Sache zu bekommen. Das richtige Produkt wird schließlich nicht mehr hergestellt und verschwindet vom Markt.
Befassen wir uns jetzt nicht mit den andere Ersatzdingen, wie schädlich sie dem Vergnügen des Lebens auch sind; sollen die sich entschuldigen, die davon profitieren. Aber wenn sie Glukosebier statt Malzbier trinken wollen und ölige Margarine Butter vorziehen – wenn diese Dinge Sie zufrieden stellen, dann fragen Sie sich wenigstens, was Sie mit einer Ersatzkunst anfangen wollten!

Richtig, ich begann damit, dass es natürlich und logisch für die Menschheit war, die Gebrauchsgegenstände zu schmücken und sich nicht mit reinem Utilitarismus zufrieden zu geben, aber ich unterstellte auch, dass das Ornament echt war, seinen Charakter behielt und Ornament blieb. Denn anders wäre es genau das gewesen, was zur Ersatzkunst wird und die ist in der Tat eine Verschwendung von Arbeit.
Könnt Ihr verstehen was ich meine: Du willst einen Wasserkrug und ein Becken dazu und gehst in einen entsprechenden Laden. Du willst wahrscheinlich nicht einen kaufen, der nur weiß ist und Du wirst auch kaum welche finden, die nur weiß sind. Du schaust Dir einige an und einer gefällt Dir so wie der andere, nämlich gar nicht. Am Ende sagst Du aus Erschöpfung „Gut, der soll es sein“ und Du hast dann Dein Geschirr mit einem Gekrakel von Farnblättern darauf, was dessen „Ornament“ ist. Das besagte Ornament gibt Dir keine Freude und noch weniger eine Idee, es erinnert Dich nur an ein Schlafzimmer. Der Henkel des Krugs hat eine seltsame Form, die auch auf Schlafzimmer hinweist und die das Ding respektabler machen soll: schließlich wirst Du dieses Ornament ertragen, außer wenn du gereizt oder krank bist. Du denkst, wenn Du Dir darüber überhaupt Gedanken machst, dass dieses Ornament völlig daneben gegangen ist. Und doch ist es nicht so: das Ornament, die spezielle Form, die das Farn-Gekrakel und der missgebildete Henkel angenommen haben, verkauften einige Dutzend mehr von diesem Wasch-Set als die anderen und deshalb wurde es so fabriziert: nicht um Dich zu amüsieren, der Du weißt, dass es keine Kunst ist. Aber Du weißt nicht, dass es Handelswarenveredelung ist, außerordentlich nützlich – außer für den Benutzer und den, der es letztlich herstellen musste.
Aber dient es keinem anderen Zweck, nur dem Hersteller, Transporteur, Zwischenhändler, Ladenbesitzer, usw.? So hässlich, ungeeignet, dumm wie es ist, kann ich das doch nicht ganz so sagen. Wenn, wie das Sprichwort lautet, Heuchelei die Huldigung des Lasters an die Tugend ist, so ist dieses minderwertige Stück Handelsware die Huldigung des Kommerzes an die Kunst. Es ist ein Symbol dafür, dass Kunst einmal angewandt wurde zum Schmuck der Gebrauchsgüter, zur Freude ihrer Hersteller und ihrer Benutzer.

Wir haben nun gesehen, dass die angewandte Kunst es wert ist, gepflegt und gefördert zu werden und genau deshalb sind wir heute hier. Aber es ist klar, dass unter den besprochenen Bedingungen ihre Pflege zumindest schwierig ist. Denn die jetzigen Bedingungen implizieren, dass ein sehr ernster Wandel stattgefunden hat, seit die Werke der gemeinsamen Kunst im Mittelalter geschaffen wurden, was, wie ich denke, nur wenige Menschen gebührend erfassen.
Offen gesagt, dieser Wandel summiert sich dazu, dass die Tradition sich von Kunst in Geschäft verändert hat – das Geschäft, das nun das alte Kriegshandwerk umschlungen hat wie die Produktion der Waren. Das vom Kommerz gesetzte Ziel ist die Schaffung eines Nachfragemarkts und dessen Befriedigung zum Nutzen der individuellen Profitschöpfung: während das Ziel, das die angewandte Kunst setzt (d.h. die Produktion in den Tagen vor dem Kommerz), die Befriedigung der wahren unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung ist und zugleich das Verdienen des individuellen Lebensunterhalts für den Produzenten. Bitte überlegt Euch diese beiden Antriebe zur Produktion und ihr werdet sehen, wie weit beide voneinander entfernt sind. Dem kommerziellen Produzenten bedeuten die Waren nichts, ihr Auftritt auf dem Markt ist alles. Für den Künstler-Handwerker sind die Güter alles; um seinen Markt muss er sich nicht sorgen, denn andere Künstler werden nach dem fragen, was er macht, wozu seine Fähigkeiten ihn führten.

Die Ethik des kommerziellen Menschen (die sich natürlich auf dessen eigene Erfordernisse beschränkt) fordert, so wenig wie möglich an die Allgemeinheit abzugeben und von ihr so viel wie möglich zu nehmen – des Künstlers Ethik drängt ihn, so viel von sich selbst wie nur möglich in jedes Stück aus seiner Hand hineinzulegen. Der Mensch als Wirtschaftsperson ist deshalb in der Position, dass er es mit einer Allgemeinheit von Feinden zu tun hat – der Künstler im Gegensatz dazu mit einer Allgemeinheit von Freunden und Nachbarn.
Klar ist, dass der kommerzielle Mensch seine Energien hauptsächlich auf den Krieg, den er führt, konzentrieren muss; seine Waren müssen von Instrumenten hergestellt werden – soweit möglich von Instrumenten ohne Wünsche und Leidenschaften, also von automatischen Maschinen, wie wir sie nennen. Wenn das nicht möglich ist, und er gut ausgebildete menschliche Wesen statt Maschinen benutzen muss, dann ist es für seinen Erfolg wesentlich, dass sie während der Arbeit die leidenschaftslose Eigenschaft von Maschinen annehmen. Jedes menschliche Gefühl, das sich als nicht unterdrückbar zeigt, wird von der kommerziellen Person so beurteilt wie Sand oder Reibung in seinen nicht-menschlichen Maschinen: als eine abzustellende Störung. Muss ich noch sagen, dass es für diese menschlichen Maschinen aussichtslos ist, sich um Kunst zu bemühen? Welche Gefühle für Kunst sie auch haben, sie müssen sie für ihre Freizeit aufheben – das heißt für die wenigen Stunden in der Woche, in denen sie von der Arbeit ausruhen und nicht schlafen; oder für die glücklosen Tage, wenn sie arbeitslos und in verzweifelter Angst um ihren Lebensunterhalt sind.
Von diesen Menschen kann nicht erwartet werden, dass sie Kunst auf Gebrauchsgegenstände anwenden, sie können nur eine Vortäuschung von Kunst zu kommerziellen Zwecken auf sie anwenden und aus Erfahrung kann ich abschätzen, welch ungeheure Menge an Talent so vergeudet wird. Im Übrigen könnt Ihr oder einer dieser Arbeiter meine Feststellung ziemlich brutal finden – ich kann Euch und ihm nur antworten, dass es eine Wahrheit ist, der man ins Auge sehen muss. Es ist die eine Seite der Behinderung der Arbeiterklasse und ich bitte sie, sich das ernsthaft zu überlegen.

Deshalb (und wie ich letztes Jahr schon in Liverpool sagte) muss ich von der großen Masse der Menschen, die Gebrauchswerte herstellen und die davon ausgeschlossen sind, Kunst auf sie anzuwenden, mich einer viel kleineren Gruppe zuwenden, einer wirklich kleinen Gruppe. Einer Gruppe von Leuten, die nicht unter Chefs arbeiten, die sie für den Weltmarkt produzieren lassen, sondern die frei darin sind, ihre Arbeit nach eigenen Vorstellungen auszurichten und die für einen Markt arbeiten, den sie sehen und verstehen können, unter welchen Begrenzungen ihre Arbeit auch stehen möge: das sind – die Künstler.
Sie sind ein kleiner und schwacher Haufen, von der Oberfläche der Dinge aus gesehen in Opposition zur allgemeinen Tendenz der Zeit, dadurch wie ich schon sagte in der wahren gemeinschaftlichen Arbeit behindert und in der Konsequenz dieser Isolierung im Wettbewerb um Erfolg eingeschränkt. Denn die Tradition gemeinschaftlicher Arbeit versetzt einen Künstler am Anfang seiner Karriere in die Lage, der Mühe enthoben zu sein, eine große Menge von kleinen Dingen lernen zu müssen, die anders zu lernen schwierig bis unmöglich ist: das Feld, das er zu beackern hat, ist nicht ein Stück unberührter Prairie, sondern der fruchtbar gemachte und durch die Arbeit ungezählter Generationen vorbereitete Boden. Kurz, es ist die Lehrzeit von Epochen und Generationen, durch die ein Künstler in die Werkstatt der Welt hineingeboren wird.
Wir Künstler von heute haben nicht das Glück, an dieser Lehrzeit voll teilzuhaben. Wir müssen den besten Teil unseres Lebens damit zubringen, uns einen bestimmten eigenen „Stil“ zuzulegen, und nur zu oft versagen wir dabei. Oder wir werden, nachdem wir unseren „Stil“ erworben haben, d.h. die Methode eigenen Ausdrucks, öfter vielleicht noch dermaßen verliebt in unsere Mittel, dass wir den Zweck vergessen und schließlich bemerken, dass wir nichts auszudrücken haben außer Selbstzufriedenheit über den Besitz unseres höchst unvollkommenen Instrumentariums. So findet man heute kluge und begabte Menschen, die bereit sind, eine Theorie zu unterstützen, dass die Kunst keine andere Aufgabe habe, als die Qualität geschickter Ausführung zur Schau zu stellen und derzufolge dann ein Gegenstand dieser Art so gut sei wie ein anderer. Kein Wunder, dass diese Theorie sie zu einer Praxis führt, Bilder zu malen, die wir clever nennen würden, wenn wir nur erahnen könnten, was sie darstellen sollen; ihre Bedeutung könnten wir nur erraten. Aber wahrscheinlich zielen sie darauf ab, in einer sehr kurzsichtigen Person die Impression verschiedener unschöner Geschehnisse hervorzurufen, gesehen durch das Medium des Londoner Nebels. Das ist zugegebenermaßen eine Abschweifung, da mein Thema die angewandte Kunst ist, wogegen solche Kunst auf nichts angewendet werden könnte und ich befürchte, dass sie in der Tat als reiner Marktartikel zu sehen ist.

So sind wir heutigen Künstler von einer verbindenden Traditionslinie abgeschnitten, aber ich darf nicht sagen von jeder Tradition. Und obwohl es nicht zu leugnen ist, dass wir ohne Sympathie zum Hauptstrom unserer Zeit stehen, seinem Kommerzialismus, sind wir doch in Übereinstimmung mit jener Auffassung von Geschichte, die in ihr ein echtes Wachsen durch die Zeiten erkennt. Für einige von uns ist sie auch eine Kompensation für die Vulgarität und Brutalität, die unser Leben heimsuchen. Durch diese Wahrnehmung der Geschichte kommt es, dass wir mit der Tradition vergangener Zeiten vereint sind.

Vergangene Zeiten – sind wir denn Reaktionäre, die sich an das tote Vergangene klammern? Ich möchte wirklich hoffen: nein. Aber ich kann auch gar nicht so ohne weiteres sagen, was von der Vergangenheit wirklich tot ist. Um mich herum sehe ich heute Zeugnisse längst verdrängt gewesener Ideen wieder auftauchen.
Die Welt jagt irgendwelchen Dingen nach, die sie begehrt, scheut keine Anstrengung, sie zu erlangen, gewinnt sie und wirft sie offensichtlich wieder beiseite. So wie eine Katze mit dem Ball spielt, wie man sagt. Nein, nicht ganz. Wenn das Begehrte erlangt ist, dann muss wieder irgend etwas anderes verfolgt werden, etwas das schon einmal erreicht schien und eine gewisse Zeit wieder unbeachtet blieb.
Dennoch ist die Welt nicht rückwärts gegangen, der einstige Gegenstand des Begehrens wurde in der Vergangenheit nur so weit angeeignet, als es die Verhältnisse der damaligen Zeit zuliessen. Als Folge davon war das Erreichte unvollkommen. Heute haben sich die Zeiten geändert und erlauben uns, den einstigen Gewinn etwas näher an seine Vervollkommnung zu bringen. Die Welt ist tatsächlich nicht in ihren Fußstapfen zurückgegangen, obwohl es für manche den Anschein hatte.
Bewegte sie sich zum Beispiel zurück, als die Überreste der alten Zivilisation vom Barbarentum überrannt wurden und damit die Grundsteine für das moderne Europa gelegt wurden? Wir können alle sehen, dass es nicht so war. War es ein Rückschritt, als im 16. Jahrhundert das festgefügte mittelalterliche Rangordnungssystem dem Durcheinander des beginnenden Kommerzialismus weichen musste? Und weiter: so hässlich und unheilvoll dieser Wandel an der Oberfläche erscheint, denke ich nicht, dass er eine Regression zur vorgeschichtlichen Anarchie war, sondern das Erreichen einer höheren Stufe auf der Spirale, die, wie mein Freund Bax erklärt, den wirklichen Gang der Entwicklung kennzeichnet und nicht die gerade Linie.
Wenn wir also in nächster Zukunft auf Ideen zurückkommen, die heute noch der Vergangenheit anzugehören scheinen, dann wird das kein Zurückwenden unserer Schritte sein, sondern vielmehr das Weiterschreiten der Entwicklung von einem Punkt an, wo wir sie vor einer Weile abbrechen liessen.

Was dabei die Seite der Kunst betrifft, so sind wir nicht vorangekommen. Die Hoffnungen jener Periode unmittelbar vor ihrer Preisgabe haben sich nicht erfüllt. Sind diese Hoffnungen nun wirklich untergegangen oder haben sie sich im Stillen erhalten, der Zeit harrend, bis wir, unsere Söhne oder unsere Enkel sie wieder zum Leben erwecken werden?
Mein Schluss kann nur sein, dass das Letztere der Fall ist: die Hoffnung auf eine Lebensführung, veredelt durch freudebringende Betätigung unserer Kräfte ist nicht tot, obwohl sie für eine Weile vergessen wurde. Ich werfe der Epoche, in der wir leben, nicht Nutzlosigkeit vor: ohne Zweifel war es notwendig, dass die Menschen der Zivilisation sich der Meisterung der Natur zuwenden mussten, um materielle Errungenschaften zu erlangen, von denen in früherer Zeit nicht zu träumen war. Aber es liegen Zeichen in der Luft, dass die Menschen dieser Seite des Lebenskampfes nicht so ausschliesslich hingegeben sind, wie sie es schon waren. Die Leute beginnen zu murmeln und sagen: „Den Kampf mit der Natur haben wir gewonnen; wo ist die Belohnung für den Sieg?  Wir haben gekämpft und gekämpft, wann kommen wir in den verdienten Genuss?  Der Mensch, der schwach gewesen war ist nun stark und mächtig. Aber sein Gewinn an Glück – wo ist er?  Wer kann ihn uns zeigen, wer kann ihn messen?  Haben wir nicht mehr getan als eine Form des Unglücks gegen eine andere zu tauschen, eine Form von Unfrieden gegen eine andere?  Schauen wir auf das Instrumentarium, das die Zivilisation erschaffen hat, was will sie damit anfangen?  Mehr und mehr und immer noch mehr?  Wozu?  Wenn sie es nur benutzen würde, dann wäre schon etwas getan. Doch was macht die Zivilisation derweilen?  Tag für Tag wird die Welt hässlicher und wann im vorübergehenden Tag erscheint der kompensierende Gewinn?  Die halbbezwungene Natur zwang uns, uns zu plagen, doch für größere Belohnung als nur die Fortführung eines Lebens in Plage. Jetzt ist die Natur bezwungen aber noch immer zwingen wir uns selbst zur Plage für kargen, reizlosen Lohn: Reichtum haben wir im Überfluss aber Wohlstand ist so entfernt wie je oder sogar noch weiter. Also kommt, wenn wir so mächtig sind, können wir nicht die einzig des Tuns werte Sache tun: die Welt, von der wir ein Teil sind, irgendwie glücklicher zu machen?“

Das ist der Geist in vielem, was ich gesagt höre: nicht nur von armen und unterdrückten Menschen sondern auch von solchen, die ein gutes Maß an den Errungenschaften der Zivilisation besitzen. Ich weiß nicht, ob es dieselbe Art Gefühl schon in den frühen Tagen der Welt gab, aber ich weiß, dass es wirkliche Unzufriedenheit ausdrückt, eine teils unbewusste Hoffnung auf bessere Tage: und ich will es mutig aussprechen, dass der Geist des letzteren Teils unseres Jahrhunderts der einer fruchtbaren Unzufriedenheit ist – oder einer Rebellion; denn das heißt nichts anderes als Hoffnung. Und von dieser Rebellion sind wir Künstler ein Teil und obwohl wir wenige sind und reine Amateure verglichen mit der Kompetenz der Künstler vergangener Zeiten, sind wir von einigem Nutzen in der Bewegung zur Erreichung des Wohlstands, in anderen Worten: der Nutzbarmachung unseres Instrumentariums.
Wir jedenfalls erinnern uns daran, was die meisten Menschen inmitten der elenden, unfruchtbaren Plackerei unseres Zeitalters des Ersatzes vergessen haben: dass es möglich ist, glücklich zu sein, dass die Arbeit Freude und Genuss sein kann, nein mehr noch, dass alle Freude aus der Arbeit hervorgeht, wenn diese richtig gelenkt ist. Das aber heißt, dass sie auf die Erledigung solcher Aufgaben gerichtet sein muss, die kluge und gesunde Menschen angegangen sehen wollen: mit anderen Worten, wenn die gegenseitige Hilfe zum leitenden Prinzip wird.
Wohlan, unsere Sache als Künstler ist es, der Welt zu zeigen, dass die freudebringende Ausübung unserer Kräfte und Anlagen der Sinn des Lebens ist und der Grund fürs Glücklichsein. Wir haben der Unzufriedenheit mit dem modernen Leben den Weg zu weisen, der zu einer fruchtbaren Heimstätte führt und sollten deshalb, so meine ich, unsere Verantwortung leidenschaftlich empfinden.

Wahr ist, dass wir aus der Teilhaberschaft an der Armut unserer Zeitepoche der Ersatzprodukte nicht herauskommen und noch lange werden wir, wie ich fürchte, kaum besser als Amateure sein. Aber zumindest werden wir, jeder durch sich selbst, gegen den Ersatz in der Kunst ankämpfen. Wenn z.B. das Zeichnen unser Schwachpunkt ist, lasst uns diese Seite verstärken anstatt zu behaupten, Zeichnen wäre nichts und Farbe dagegen alles. Oder, wenn wir schlechte Colorierer sind, gehen wir ans Werk und lernen, immerhin ganz brauchbar zu colorieren (ich versichere, es ist zu lernen), anstatt über die zu spotten, die uns mit leichter Hand schöne Einfärbungen machen. Oder wenn wir nichts von Geschichte wissen und keinen Sinn für Romantik haben: kehren wir diese Defizite nicht in Vorteile um, indem wir die Göttlichkeit des Hässlichen und Dummen behaupten. Überlassen wir solche wertlosen Schäbigkeiten den Philistern und Pessimisten, die natürlich alle anderen auf ihr Niveau herunter ziehen möchten.
Kurz gesagt, wir Künstler haben die Position inne, die Repräsentanten des handwerklichen Könnens zu sein, das aus der Herstellung der Waren auf dem Markt verdrängt wurde. Lasst uns deshalb unser Bestes tun um so gute Handwerker wie möglich zu werden und wenn wir nicht gute Handwerker in einer geraden Reihe werden können, dann lasst uns eine Stufe runtergehen, unsere Ebene in der Kunst finden und gut darin sein – wenn wir denn Künstler sind, dann werden wir herausfinden, worin wir gut sind; sogar dann, wenn es uns nicht leicht fällt. Bilden wir uns jedenfalls zu guten Arbeitern aus, das wird uns alles besser verstehen lassen, was in der Kunst erstrebenswert ist; machen wir uns frei vom Blick auf eine hohe Elite der kreativen Schöpferkraft, von den Werken aller Zeitalter und bereiten wir uns auf das vor, das sicher kommen wird: die neue gemeinsame Kunst des Lebens. In der das Bewusstsein jedes Einzelnen, dass er einer harmonisch zusammenarbeitenden Gruppe Gleichgesinnter und Freunde angehört (obwohl die Leistungen nicht gleichrangig sein werden), die – einer für alle, alle für einen – wirkliche und glückbringende Gleichheit schaffen wird.

* Romanfigur von Charles Dickens

„The Arts and Crafts of Today“, Vortrag gehalten am 30. Oktober 1889 in Edinburgh vor der National Association for the Advancement of Art.
Eigene Übersetzung, 2015
Gedruckt 1901 von Longmans & Co., London in der Ausgabe zweier Reden vor der National Association for the Advancement of Art. Arts and Crafts of Today
Der andere Vortrag von 1888 in Liverpool hat den Titel „Art and its Producers“ und ist hier übersetzt: Die Kunst und ihre Erschaffer

Der Titel wurde für diese Webseite getauscht: „Arts and Crafts of Today / Kunst und Handwerk heute“  zu  „Die angewandte Kunst / Applied Arts“. Weil wir finden, dass Kunst und Handwerk im Deutschen zu nahe am Begriff des Kunsthandwerks liegt, das ein Nischendasein fristet, während für Morris Kunst und Handwerk zur Leitlinie der allgemeinen Güterproduktion werden sollten.

Die National Association for the Advancement of Art führte drei Kongresse durch: 1888, 1889 und 1890, um sich dann aufzulösen. Auf diesen Kongressen sprachen neben Morris viele Künstler mit bekannten Namen. Zum Publikum kann von uns nichts gesagt werden, aber William Morris hatte offensichtlich keine gute Meinung, die er zwei Wochen später in der Rubrik Notizen des Commonweal offen aussprach:

The Commonweal

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