Edmund Goldzamt: Das Erbe von William Morris und das Bauhaus

Den Namen William Morris (1834-1896) als den wichtigsten Vorläufer des Bauhauses nennen alle Bauhaus Monographien, die in der letzten Zeit erschienen sind. Nicht alle jedoch erkennen, dass Morris’ geistiges Erbe eine sozialpolitische Konzeption der materiellen Kultur und der Umweltgestaltung ist. Der Streit um Morris’ Erbe ist ein Streit um die sozialistische Tradition der progressiven modernen Architektur, auch der linken Strömungen des Bauhauses. Morris’ Erbe kann eines der Kriterien bilden bei der Einschätzung der unterschiedlichen Tendenzen in der modernen Architekturentwicklung, die sich in den inneren Auseinandersetzungen des Bauhauses widerspiegelten.
Der endgültige Schluss von Morris’ schöpferischer Tätigkeit war die Erkenntnis, dass ein Zusammenhang zwischen der Erneuerung der materiellen Kultur der Menschheit und dem sozialen Fortschritt, dem Sozialismus, besteht.
Zu diesem Schluss kam Morris nicht sofort. Für die Geschichte der Entstehung einer modernen Formgestaltung sind die Erfahrungen seiner Versuche, das Handwerk wieder aufzubauen, das Schicksal seiner dazu 1859 gegründeten Firma, von wesentlicher Bedeutung.
Die anfangs wenig bekannte Firma hatte bald großen Erfolg. Die unikalen Erzeugnisse Morris’ – die bedeutend teurer waren als der fabrikmäßig hergestellte Kitsch (den Morris verdrängen wollte) – fanden in den snobistischen Oberschichten große Nachfrage.
Die handwerkliche Produktion seiner Firma konnte im Preis nicht mit der maschinellen Produktion konkurrieren. Seine Erzeugnisse waren nur wohlhabenden Verbrauchern zugänglich, die Morris um so lieber ihre Aufträge erteilten, als es das breite Publikum ihnen darin nicht nachtun konnte. Auf diese Weise verwandelte sich Morris’ Vorhaben, das als Gegenmittel gegen den Geschmacksverfall der bürgerlichen Gesellschaft und zur Hebung der Kultur der Massen dienen sollte, – nach seinem eigenen Eingeständnis – in einen Dienst für den „schweinischen Luxus der Reichen“. So gestand Morris vollkommen seine ideologische Niederlage ein, ungeachtet seines glänzenden finanziellen Erfolges. Egon Stein, der sich mit der Erforschung von Morris’ Erbe in der DDR befasst, schreibt dazu: „Morris erfuhr an sich selbst die dem Kapitalismus eigentümliche Entfremdung des Produzenten von seinem Produkt, von seiner Arbeit und von der Gesellschaft, erlebte es am Schicksal seiner eigenen künstlerischen Produkte … “ [2]
Das war die erste Niederlage eines Versuches, „die humanistische Sicht auf die technische Zivilisation freizulegen“, so schrieb später T. Maldonado [3], der eine ganze Kette ähnlicher Versuche in der Geschichte des Bauhauses erläuterte, die unter den kapitalistischen Bedingungen ebenso zur Niederlage verurteilt waren. Aber die Bestrebungen der progressiven Künstler und ihre Erfahrungen sind nicht verloren gegangen.
Der Verlust des Glaubens an die Wirksamkeit der bisher unternommenen Anstrengungen war augenscheinlich der Grund für die Depression, die Morris Anfang der siebziger Jahre durchmachte. Diese Umbruchsperiode im Leben Morris‘ fällt mit bedeutenden Veränderungen in der Geschichte Englands zusammen. Seit den siebziger Jahren verlor Großbritannien allmählich sein Weltindustriemonopol. Im Jahre 1875 brach eine Agrarkrise aus, die in den folgenden Jahren in die „Große Depression“ überging. In Verbindung mit der Krise und der wachsenden Massenverelendung kam es Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre zu einem Aufschwung der Arbeiterbewegung. Diese Entwicklung zeigte Morris neue Auswege und Perspektiven. In der Skizze „Wie ich Sozialist wurde“ legte er selbst seine derzeitigen Gedankengänge dar: „Die früheren Hoffnungen sind vergangen … So dachte ich überaus pessimistisch an das Ende des Lebens, als ich irgendwie zu verstehen begann, dass inmitten all dieser Abscheulichkeit der Zivilisation die Samen großer Veränderungen zu keimen beginnen, dessen, was wir die soziale Revolution nennen. Alles ringsum begann sich mir bei dieser Entdeckung in einem anderen Licht zu zeigen, und alles, was ich damals zu tun hatte, um Sozialist zu werden, war, mich in die praktische Arbeit einzuschalten – worum ich mich auch bemühte, soweit meine Kräfte reichten.“ [4]
Im Jahre 1883 schloss sich der achtundvierzigjährige Morris, schon ein berühmter Künstler, Architekt und Dichter, ein Mensch, welcher den Höhepunkt der gesellschaftlichen Anerkennung erreicht hatte, der sozialistischen Bewegung an. Er nahm an all ihren Kämpfen teil, erlebte ihre Erfolge und Niederlagen. Er gab die Zeitschrift „The Commonweal“ – „Allgemeinwohl“) – das Organ der Sozialistischen Liga – heraus und vertrieb sie selbst auf den Straßen. Er schrieb Artikel über Kunst und Sozialismus und nahm 1887 an der Straßenschlacht auf dem Trafalgar Square teil.
In der Periode seiner sozialistischen Tätigkeit (1877 bis 1896), in den Jahren des „großen Umschwungs“ in seinem Leben, waren seine vierzig sozialästhetischen Schriften entstanden, in denen Morris eine Konzeption der Architektur und Kunst entwickelte, die weit in die Zukunft vorauseilte. Der Sozialismus wurde für ihn zur einzigen Alternative.
Eine solche Darlegung der biographischen Fakten Morris’ aus den Jahren 1870-1880 ist notwendig, um einen Prozess allerwichtigster Bedeutung, die Geburt der neuen sozial-ästhetischen Architekturtheorie, die auf die Perspektive des Sozialismus orientiert ist, des Reißens der Nabelschnur, die sie mit der retrospektiven Utopie verband, festzustellen. Die siebziger und achtziger Jahre stellten den romantisch-mittelalterlichen Protest Ruskin’scher Art vor die Notwendigkeit einer Wahl. Morris überschritt den Rubikon der Begrenztheit seines Milieus, er wählte den Sozialismus und schuf auf diese Weise Grundlagen der fortschrittlichen Architektur- und Kunstphilosophie des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig aber muss man die entstehungsgeschichtliche Beziehung sehen, die zwischen diesem System von Anschauungen und der Ideologie des Historismus, des Kults der Volkskunst und des Handwerks aus früheren Phasen seine Schaffens besteht. Morris stand bis zu einem Leben ende unter dem Einfluss dieser Ideale. Er sah einen Lebensweg und seine zunehmenden Erfahrungen als ein einheitliche Ganzes an und grenzte sich nicht von den zurückgelegten Etappen ab. Die neuen, fortgeschritteneren Formen seiner Ideologie schlossen zuweilen alle Widersprüche und alle miteinander im Widerspruch stehenden Etappen seines Denken in sich ein. Man kann behaupten, dass die Entwicklung der materiellen Kultur und der Architektur vieler europäischer Länder im Verlauf der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in gewissem Maße die Morris’sche Evolution vom Kult der Volkskunst und des Handwerks bis zur Entdeckung der sozialen Problematik der Masse wiederholte. Je später sich diese Entwicklung vollzog, desto weniger retrospektive Elemente enthielt sie, desto größer ist der Triumph der industriellen Technik und sozialer Forderungen, die insbesondere nach der sozialistischen Oktoberrevolution unbesiegbar sind. Und das ist eben der Fall des Bauhauses.
Wie kann man kurzgefasst Morris’ Denksystem darstellen? Vor allem sollten wir die falsche Vorstellung über Morris als Prophet der Vergangenheit und Feind der maschinellen Produktion dementieren. Er behauptete, dass „das, was heute die Schönheit des Lebens so verdirbt, die Tatsache ist, dass die Maschinen zu unseren Herren geworden sind, anstatt uns zu dienen“. [5] Er forderte Wiederherstellung der Einheit zwischen Kunst und produktiver Arbeit. Nach Morris ist Kunst alles, was entstand oder umgestaltet worden ist durch die Tätigkeit des Menschen. In der Lehre Morris’ ist die Vereinigung zweier verschiedener Auffassungen der Kunst und materiellen Kultur charakteristisch: als Gegenstand der Kunstbetrachtung und als Resultat eines schöpferischen Prozesses. Morris fordert, dass die ganze materielle Umgebung des Menschen schön sei. Aber das sie als Ganzes ein Produkt der Produktionstätigkeit oder der umgestaltenden, verändernden Tätigkeit des Menschen darstellt, ist es notwendig, dass die gesamte gesellschaftliche Produktion gleichzeitig zu einer Kunst wird. Doch die Wirklichkeit stimmt durchaus nicht mit diesen Wünschen überein, und Morris sucht das Kriterium, wodurch die Arbeit der einen die Fähigkeit besitzt, Kunstgegenstände zu schaffen, während der Arbeit anderer diese Fähigkeit fehlt. Zum Gegenstand seiner empirischen Beobachtungen wird die eigene Arbeit und ihre Gegenüberstellung mit verschiedenen Arten der menschlichen Arbeit in seiner Umgebung. Auf Grund dessen kommt er zu der Überzeugung, dass die Verwandlung der zu produzierenden Gegenstände in Kunstwerke durch den schöpferischen Charakter der Arbeit bedingt ist, der Befriedigung gewährt und Freude schafft. Nun sucht er die Bedingungen, die schöpferische Befriedigung durch die Arbeit schaffen – und entdeckt einen Abgrund von Armut, Unterdrückung und Ausbeutung von Millionen Arbeitern.
Morris erkennt, dass nur die Liquidierung des kapitalistischen Raubbaus an der menschlichen Arbeitskraft zum Glück, zur täglichen Freude an der schöpferischen Arbeit für Millionen Werktätige führt und verkündet daher die Losung der sozialen Revolution – im Namen der sozialen Gerechtigkeit und im Namen der Kunst.
So rundet sich in diesem Sinne das System der Anschauungen Morris’, in dem die drei Grundbestandteile Kunst – Arbeit – Sozialismus unzertrennbar werden. [6]
Auch in weltanschaulicher Hinsicht bedeutete die Morris’sche Kunstphilosophie eine radikale Umwälzung in Richtung der materialistischen Geschichtskonzeption. Guilio Carlo Argan zeigt in seinem Werke über Gropius die Ursprünge der Arbeitsvorgänge des Handwerks im Unterricht des frühen Bauhauses in dem kulturphilosophischen Erbe von Morris. „Schon Ruskin und Morris“ schreibt er – „hatten im Gegensatz zur klassischen Auffassung von der Natur die Materie als den gegebenen Ursprung der Erfahrung betrachtet. Die klassische Auffassung beruhte auf der Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt und sah die kontemplative Haltung als die charakteristische Haltung des Geistes an, das heißt einer Menschheit, die die ihr eigene Stofflichkeit überwunden und überstiegen zu haben behauptet. Statt dessen stellt die Materie die vor-naturalistische Wirklichkeit dar, die nicht durch Kontemplation erschlossen wird, deren Erfahrung man nur erwirbt, indem man sie mit dem unentbehrlichen Hilfsmittel, dem Werkzeug, bearbeitet.“ [7]
Den materialistischen und sozialistischen Charakter der Morris’schen Kulturphilosophie haben die Führer der Arbeiterbewegung der nächsten Generation hoch geschätzt. Einer der Begründer der polnischen Arbeiterbewegung, der hervorragende Kämpfer der polnischen, deutschen und russischen revolutionären Bewegung, Julian Marchlewski, der ebenfalls mit den Entwicklungsproblemen der materiellen und geistigen Kultur Europas eng vertraut war, sah in dem Morris’schen Erbe den Anfang der kommenden sozialistischen Kunst. In dem Aufsatz „Moderne Kunstströmungen und Sozialismus“ (erschienen in der „Neuen Zeit“, 1901) schreibt Marchlewski, Morris „glaubte an eine Zukunft, in der die Menschen aus Sklaven des Kapitals und der Großindustrie eben zu Menschen und damit zu kunstgenießenden, zu kunstliebenden Geschöpfen werden würden; diese Zukunft muss die Verwirklichung des Sozialismus bringen … Dieser Schwärmer, dieser Dichter und Künstler war nebenbei ein zäher, willensstarker Mann, und das befähigte ihn, zu dem zu werden, was ihm für alle Zeiten einen Namen in der Geschichte sichert: er wurde zum Begründer einer neuen Kunst, der Kunst der Zukunft .., die es dem Menschen ermöglicht, seine ganze alltägliche Umgebung zu einem Kunstwerk zu machen. Das war der Anfang der neuen Kunst, der sozialistische Gedanke war ihr Vater.“ [8]
In der Entwicklung der Architektur Deutschlands um die Jahrhundertwende und zu Beginn dieses Jahrhunderts finden wir soziale Beweggründe und Motivierungen, die die unmittelbare Fortsetzung der sozialistischen Ideen Morris‘ waren. Sie werden verkörpert durch Henry van de Velde, der seit 1895 mit der Architektur dieses Landes verbunden ist. Van de Velde war stark beeinflusst vom Erbe und der sozial-ästhetischen Lehre Morris’.
„Sein wesentlich von sozialistischen Ideen angeregtes strenges Schönheitsideal“, schreibt Kurt Junghanns, „richtete sich gegen die ästhetischen Vorstellungen des Bürgertums, gegen dessen Repräsentation und Prunk mit Hilfe entliehener historischer Formen.“ [9]
Das Streben nach Erneuerung der Kunst hängt bei ihm mit der Vorausahnung einer neuen Gesellschaftsordnung zusammen. „Aber die Orientierung auf die sozialistische Zukunftsperspektive der Menschheit“ – schreibt KarlHeinz Hüter – „… bleibt für van de Veldes Denken bestimmend. Er sieht sogar eine gewisse Parallelität zwischen den neuen Bestrebungen in der Kunst und der Entwicklung zum Sozialismus: ‚“ die Kunst steht vor einer Neugestaltung, weil die Gesellschaft einer solchen entgegensteht.“ [10]
Julian Marchlewski schätzte sehr hoch diese Elemente in den Anschauungen von van de Velde. Von der marxistischen Prognose der vielseitigen Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft ausgehend, unterstützte er auch seine Forderung der individuellen Ausdrucksweise in der Formgestaltung. In demselben Aufsatz schrieb Marchlewski : “ ‚ der Keim, den ein Morris und ein Crane geweckt haben, den die van de Velde und andere liebevoll pflegen, wird sich erst mit voller Kraft entwickeln in einer Gesellschaft, die frei ist von kapitalistischer Ausbeutung und von kapitalistischer Verhunzung des Produktes in Bezug auf äußere Form. Erst in der sozialistischen Gesellschaft kann verwirklicht werden, was uns van de Velde ideal schildert, wenn er schreibt: ,Die Kunst, die kommt, wird persönlicher sein, als jede, die vorher war …‘ “ [11]
Der Begründer des Bauhauses und sein Direktor bis zum Jahre 1928, Walter Gropius, betrachtete sich als Fortführer der Sache Morris’, van de Veldes und des Werkbundes, die – nach seinen eigenen Worten – „bewusst erste Wege zur Wiedervereinigung der Werkwelt mit den schöpferischen Künstlern suchten und fanden“. [12]
Die Kontinuität des Morris’schen Erbes ist auch in persönlicher Hinsicht augenscheinlich. Van de Velde, der glühende Enthusiast der ästhetischen und sozialistischen Ideen Morris‘, 1902 als künstlerischer Berater nach Weimar berufen, schuf dort die Kunstschule und die Kunstgewerbeschule. 1915 war er, seiner Herkunft nach Belgier, in der durch den Ausbruch des Weltkrieges hervorgerufenen Atmosphäre des Chauvinismus gezwungen, Deutschland zu verlassen. Vor seiner Abreise schlug van de Velde vor, dass Walter Gropius die Leitung dieser Schule übernehmen sollte. Auf Grund dessen bereitete Gropius ein neues Programm vor und schlug nach dem Krieg eine Konzeption zur Reorganisation der Weimarer Schule vor. Diese Aufgabe wurde Anfang des Jahre 1919 durch die Gründung des „Staatlichen Bauhauses“ in Weimar unter der Leitung von Walter Gropius als Direktor vollendet.
In dem von Gropius veröffentlichten Manifest zur Eröffnung des Staatlichen Bauhauses in Weimar finden wir Gedanken, die eine Fortsetzung der Ideologie von Morris bedeuten: „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! … Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers.“ [13]
Bald erfährt dieses Programm in der Praxis eine gründliche Veränderung. Gropius stellt eine neue Losung auf: „Kunst und Technik – eine neue Einheit!“ Im Jahre 1924 erklärt er, dass das Handwerk am Bauhaus niemals als Eigenbrötelei aufgefasst wurde, sondern als Mittel zum Zweck. Tatsächlich räumte der Lehrplan des Bauhauses den handwerklichen Beschäftigungen viel Platz ein, um das Verständnis für Materialeigenschaften, Funktion, Konstruktion und künstlerische Anforderungen auszubilden. „Unser Leitgedanke bestand darin, dass eine formschöpferische Tätigkeit weder eine einseitig intellektuelle noch einseitig materielle Angelegenheit ist“, sagte Gropius.
Möglicherweise war hier auch ein größeres Ziel gemeint, zusammenhängend mit dem tiefen Gedanken Gropius‘ über die gesellschaftlich-kulturelle Rolle und die Stellung der Arbeit an sich, den Gropius in diesen Jahren geäußert hatte: solange Wirtschaft und Maschine Selbstzweck sind, anstatt ein Mittel, um die schöpferischen Kräfte von der Last mechanischer Arbeit zu befreien, bleibt jeder unfrei, und die Gesellschaft kann sich nicht ordnen. Die Lösung dieser Aufgabe hängt von der Umgestaltung der inneren Stellung des Menschen zum Produktionsprozess ab. Die Verwandtschaft dieser Behauptung mit den Anschauungen Morris‘ liegt auf der Hand. Der Nachfolger von Bauhausdirektor Walter Gropius, Hannes Meyer, hat den Übergang von den Positionen der bürgerlichen Aufklärung zu den revolutionären vollendet.
Wie nahe der Morris’schen Ideologie steht seine Forderung „Volksbedarf statt Luxusbedarf“! In dem Manifest „bauhaus und gesellschaft“ (1929), in reimloser Versform geschrieben, spricht er von diesen Bedürfnissen des Volkes im Deutschland seiner Zeit, über die Forderung, Tausende von Volksschulen, Volkshäusern, Hunderttausende von Volkswohnungen usw. zu schaffen. Die künstlerische Form der architektonischen und formgestalterischen Produkte kann durch keine vorgefasste ästhetische Doktrin bestimmt werden, sie muss sich aus dem Leben selbst ergeben.
Claude Schnaidt charakterisierte Hannes Meyer als denjenigen, der forderte, den technisch-ästhetischen Bestrebungen des Bauhauses einen sozialen Inhalt zu geben. [14] Das Schicksal des „Bauhauserbes“ bestätigt die Morris’schen Kriterien der Erneuerung der Architektur und ihre Perspektiven, die sich aus dem sozialen Fortschritt ergeben.
Die Errungenschaften der fortschrittlichen Bestrebungen des Bauhauses verloren – in den Dienst der Architektur der Großbourgeoisie gestellt und für Reklame und Luxus benutzt – ihre Entwicklungsmöglichkeiten, wurden zum Thema für Epigonen.
Doch die beharrliche schöpferische Arbeit und die inneren Auseinandersetzungen des Bauhauses, die im Verlauf einer Reihe von Jahren die kühnsten Architekten um die Problematik einer neuen Funktionalität, einer neuen Umweltgestaltung, neuer Projektierungsmethoden und der industriellen Herstellung von Häusern und Gebrauchsgegenständen vereinigten, eröffneten neue Perspektiven, brachten kulturelle Errungenschaften mit sich, die besonders fruchtbringend für eine neue, gerechte Organisation der Gesellschaft sein mussten. Sie waren ein bedeutender Beitrag zur materiellen Kultur der Menschheit.

Anmerkungen:
[1] Ein Vortrag auf der Grundlage des Buches: E. Goldzamt: William Morris a geneza spoteczna architektury nowozesnej. Warszawa 1967. Deutsche Ausgabe: E. Goldzamt: William Morris und die sozialen Ursprünge der modernen Architektur – erscheint im Verlag der Kunst, Dresden 1976
[2] Stein, E.: Die Gestalt des William Morris in der Einheit von Geschichtsbewusstsein und Gegenwartsbewusstsein. In: Wiss. Zeitschrift der TU Dresden, 19 (1970) Heft 3, S. 714
[3] Maldonado, T.: Ist das Bauhaus aktuell? In: „Ulm“ Nr. 8/9, 1963, S. 7
[4] Morris, W.: How I Became a Sozialist. In: „Justice“, 16. Juli 1894
[5] Morris, W.: How we Live and how we Might Live, 1885
[6] Morris, W.: The Prospects of Architecture in Civilization, 1881
[7] Argan, G. c.: Gropius und das Bauhaus. Reinbek, 1962, S. 19
[8] Marchlewski, J. : Moderne Kunstströmungen und Sozialismus (1901). In: J. Marchlewski: Sezession und Jugendstil. Dresden 1974, S. 8
[9] Junghanns, K.: Die Maschine in der deutschen Architekturtheorie des 19. und 20. Jahrhunderts. In: „Studien zur Architektur und Kunstwissenschaft“ Bd. 2, Berlin 1964
[10] Hüter, K.-H.: Henry van de Velde. Sein Werk bis zum Ende seiner Tätigkeit in Deutschland. Berlin 1967
[11] Marchlewski, J.: Ebenda
[12] Gropius, W.: Staatliches Bauhaus in Weimar 1919-1923. Weimar, 1924
[13] Gropius, W.: Manifest zur Eröffnung des Staatlichen Bauhauses in Weimar, April 1919
[14] Schnaidt, c.: Hannes Meyer. Bauten, Projekte und Schriften. Teufen, 1965

Beitrag auf dem Wissenschaftlichen Kolloquium vom 27. bis 29. Oktober 1976 in Weimar an der Hochschule für Architektur und Bauwesen zum Thema: 50 Jahre Bauhaus Dessau. Veröffentlicht in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar.

Edmund Goldzamt (1921 – 1990) war ein bedeutender polnischer Architekt und Architekturprofessor in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Das Journal der William Morris Society (London) druckte den folgenden Nachruf:
Goldzamt

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