„… Der Schreiner, die Laborantin, der Dirigent – sie alle sind ‚Handwerker‘, weil sie ihrer Arbeit mit Hingabe nachgehen und sie um ihrer selbst willen gut machen wollen. Sie üben eine praktische Tätigkeit aus, doch ihre Arbeit ist nicht nur Mittel zu einem anderen Zweck. Der Handwerker steht für die besondere menschliche Möglichkeit engagierten Tuns.“
Richard Sennett (Handwerk, 2008)
Ich fürchte, was ich zu sagen habe, wird bei Euch ankommen wie eine weitere der schon oft erzählten Geschichten. Doch ich meine, dass beim Start eines Projektes zur Popularisierung und Förderung der Künste des Lebens der Gegenstand meines Vortrags unbedingt mit zu bedenken ist. Ich möchte mit einer Einführung beginnen, um die Grundtendenz meines Vortrags verständlich zu machen, womit ich hoffentlich sowohl Eure wie meine Zeit schone.
Während der Anreiz zur Arbeit üblicherweise darin gesehen wird, den Lebensunterhalt zu verdienen und da das in der modernen Gesellschaft tatsächlich der einzige Anreiz für diejenigen aus der Arbeiterklasse ist, die jene Waren produzieren, denen ein gewisser Kunstanteil nachgesagt wird, ist es unmöglich, dass Menschen die auf diese Weise arbeiten, wirkliche Werke der Kunst herstellen können. Deshalb ist zu wünschen, dass jede Behauptung von Kunst in so hergestellten Waren aufgegeben wird und das Wort Kunst auf Dinge beschränkt werden sollte, die keine andere Funktion zu erfüllen haben als Kunstwerk zu sein, also Bilder, Skulpturen und ähnliches – oder es muss das Vergnügen und Interesse an der Arbeit selbst als Anreiz zu dem der Notwendigkeit hinzugefügt werden.
Das wird mein Vortrag sein und ich bin ziemlich sicher, dass Ihr es wichtig finden werdet, diesen Punkt sehr sorgfältig zu überlegen, wenn ihr mehr tun wollt als nur über Kunst zu reden: für den letzteren Zweck werden Kunstwerke nicht gebraucht, denn in der modernen Zeit wurden genügend elegante Phrasen erfunden, die auf alle aufkommenden Fragen eine Antwort geben.
Anders gesagt, die Frage, die ich vorlege ist dreifach: Zuerst, sollen wir weiter so tun, Architektur oder architektonische Kunst zu schaffen, ohne sie in Wirklichkeit zu bekommen? Zweitens, sollen wir verzweifelt aufgeben oder es einfach ignorieren, dass wir sie nicht wirklich haben? Oder drittens, sollen wir uns dafür einsetzen, sie wirklich zu bekommen?
Dem ersten Vorschlag folgend würden wir zeigen, dass wir zu achtlos und zu sehr vom Leben gehetzt sind, um uns darüber Gedanken zu machen, ob wir nun Dummköpfe sind (und zwar tragische Dummköpfe) oder nicht. Mit der Annahme des zweiten würden wir uns als recht ehrenwerte Leute präsentieren, die von soviel Verantwortlichkeiten wie nur möglich frei sein wollen, sogar um den Preis eines törichten und leeren Lebens. Wenn wir den dritten Vorschlag ernsthaft aufgreifen, werden wir unserem Leben Mühe und Verantwortung hinzufügen, zumindest für einige Zeit, aber wir werden auch unser Glück vermehren. Deshalb bin ich dafür, den dritten Weg einzuschlagen.
Aber da, wenn es uns ernst ist, eine Rekonstruktion der Gesellschaft damit einhergehen muss, lasst uns erst sehen, worin diese Künste der Architektur wirklich bestehen und ob sie all der Mühe wert sind. Denn wenn nicht, sollten wir besser so weitermachen wie bisher und unsere Augen vor der Tatsache verschließen, dass wir verurteilt sind, Dummköpfe zu sein, die so tun als wollten sie, aber nichts tun.
Die Künste der Architektur, wenn sie irgendetwas Reales bedeuten sollen, bestehen darin, allen Gebrauchsgütern eine gewisse Portion von Schönheit und Interesse hinzuzufügen, so wie es ihre Benützer haben wollen und so, wie die Hersteller es machen wollen. Bis vor nicht allzu langer Zeit war es keine Frage, dass diese Schönheit und dieses Interesse einen Bestandteil der Güter bilden sollten; sie taten es ohne besondere Anweisung von Seiten des Benützers und ohne dass die Herstellenden notwendigerweise sich dessen bewusst waren. Die vorgeschwindelte Kunst, von der ich gesprochen habe, ist einfach nur der übriggebliebene Rest dieser Tradition in der heutigen Realität. Das ist ein Grund dafür, warum man sich nicht auf simple und konsequente Weise davon freimachen kann nach der zweiten Möglichkeit, die ich gerade nannte.
Aber die Integrität und Ernsthaftigkeit dieser Kunst der Architektur, die der Erbauer mit in seine Produkte einarbeitet, nicht weil er muss (denn er ist sich in dieser Frage keines Zwanges bewusst) sondern weil er es will, wobei er sich oft seines Vergnügens nicht bewusst ist – diese wirkliche Kunst der Architektur hängt mit den Bauwerken zusammen, deren Teil sie bildet: geschaffen von guten Fachleuten für den Gebrauch von Leuten, die gute Arbeit anerkennen. Die Benützer, die Konsumenten müssen entscheiden, ob ihre Sache so oder so werden soll und die Hersteller müssen mit ihrer Wahl übereinstimmen. Der Stil darf weder dem Benützer noch dem Hersteller aufgezwungen werden, das Denken beider muss übereinstimmen und sie müssen fähig sein, unter Umständen, die leicht vorstellbar sind, ihre Rollen zu tauschen. Der Schreiner macht den einen Tag eine Truhe für den Goldschmied und dieser an einem anderen Tag einen Becher für den Schreiner und ihre Arbeit ist begleitet von Sympathie – d.h. der Schreiner macht für seinen Freund, den Goldschmied gerade so eine Truhe, wie er sie selbst haben würde, wenn er eine bräuchte; der Becher des Goldschmieds ist genau das, was er auch für sich selbst machen würde. Jeder stellt bewusst eine Sache her, die von einem Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen benützt werden wird. Bitte merkt Euch diese Feststellung gut, denn ich werde gleich einen Kontrast zu diesen Entstehungsbedingungen eines Werks präsentieren. Beachtet dabei, dass die Frage der ornamentalen oder architektonischen Künste nicht bedeutet (wie vielleicht die meisten Leute denken werden), ob eine bestimmte Menge von Ornamenten oder Eleganz auf einen wehrlosen, leblosen, täglichen Gebrauchsartikel aufgepappt werden soll oder nicht – auf ein Haus, eine Tasse, einen Löffel oder was immer. Die Truhe und der Becher, das Haus mögen so einfach oder roh sein wie auch immer und es kann das, was wir Ornamente nennen, völlig fehlen; aber wenn sie in dem von mir genannten Geist gemacht sind, werden es unweigerlich Kunstwerke sein. In so getaner Arbeit gibt es den wechselseitigen Austausch des Interesses an den Beschäftigungen des Lebens, des Wissens über menschliche Bedürfnisse und die Gewissheit des beteiligten guten Willens ist in solcher Arbeit enthalten und die Welt ist durch sie in sich verbunden. Der Friede der Künste entspringt aus diesen Wurzeln und blüht sogar inmitten von Krieg, Unfrieden und Durcheinander.
Das ist also die architektonische Kunst, deren volle Realisierung es euch wert sein sollte, für sie zu kämpfen. Ich bin fest überzeugt, dass sich der Kampf lohnt, wie viele Mühen er auch bringen mag. Es gibt ein paar Dinge, die jeden Preis wert sind, aber über sie alle stelle ich ein bewusstes, aufrechtes Leben und die Künste stellen zumindest einen Teil davon dar.
Das ist die Theorie der Bedingungen, unter denen echte architektonische Kunst entstehen kann. Sie gründet sich auf eine Betrachtung der historischen Entwicklung industrieller Arbeit und ist nicht nur in die Luft gebaut. Ich muss deshalb einen kurzen Bericht meiner Auffassung zur Geschichte geben, obwohl sie vielen, wenn nicht den meisten, bekannt sein dürfte.
Vom Beginn der Geschichte bis zum Ende des Mittelalters war es keine Frage, dass eine angemessene Form von Kunst alle Güter begleiten sollte, die eine bestimmte Zeit lang halten sollen: diese jeweiligen Eigenschaften erhöhten nicht von selbst den Preis oder die Menge an bewusster Arbeit daran, es war Teil ihrer Natur so zu sein, sie wuchsen so wie eine Pflanze wächst; während all dieser Zeiten wurden die Güter vollständig durch das Handwerk hergestellt. Es ist richtig, dass in der antiken Welt der größere Teil der Güterproduktion die Arbeit von Sklaven war und obwohl die Bedingungen für die künstlerisch tätigen Sklaven sehr verschieden von denen der Feldarbeiter waren, hat ihre Sklaverei doch ein deutlich Zeichen in den niederen Künsten ihrer Periode hinterlassen – in ihrer strengen oder buchstäblich knechtischen Unterordnung unter die erhabenen Werke von Künstlern. Als die Sklaverei mit der klassischen Welt aus Europa verschwand und die Zeit des Mittelalters gerade aus dem darauffolgenden Durcheinander im Kessel des Mittelmeers geboren war: sobald die Entstehung der Gilden den Handwerkern einen Sammelpunkt schuf, wurden diese Arbeiter, Freie und Leibeigene, die Hersteller der Güter frei in ihrer Arbeit, unabhängig davon, wie ihre politische Lage war und die Künste der Architektur blühten in einem vorher unbekannten Maße auf und zumindest wurde der Welt schon ein Vorgeschmack darauf gegeben, welch ein Vergnügen das Leben in einer Gesellschaft von Gleichen sein könnte.
In dieser Zeit erreichte die Handwerkskunst ihren höchsten Punkt. Das angestrebte Ziel der Handwerksgilden, wie man es dem unleugbaren Zeugnis ihrer Regularien entnehmen kann, war es, jede verfügbare Arbeit unter einer Gemeinschaft von reinen Handwerkern gleich zu verteilen, um den Anfängen des Kapitalismus und der Konkurrenz in den Gilden entgegenzutreten und um gleichzeitig Waren herzustellen, deren Tauglichkeitsprobe der wirkliche Gebrauch war und die Erfüllung der realen Bedürfnisse einer Gesellschaft von Nachbarn, deren Arbeit derselbe Geist leitete. Diese Art der Arbeit, für den Gebrauch und nicht für Profit zu produzieren, trug ihre entsprechenden Früchte. Natürlich sind die von den Mitgliedern der Gilden im 14. und 15. Jahrhundert geschaffenen Werke überwiegend verschwunden, selbst ihre langlebigsten; die Gebäude dieser Entstehenszeit wurden entweder abgetragen oder durch Unwissenheit oder Intoleranz, durch Frivolität und Pedanterie der folgenden Zeiten zerstört. Aber was uns geblieben ist, meist durch reinen Zufall, ist genug um uns zu lehren, dass keine Kultivierung, keine Sparte der Wissenschaft, die in unseren Tagen die Natur bezwungen hat, die Stelle der Freiheit von Hand und Kopf während der Arbeitsstunden und des Interesses am Gelingen der Arbeit selbst ersetzen kann, solange sie dem Arbeitsleben äußerlich bleibt. Und weiter, dass das kollektive Genie von Menschen, die in freier, aber harmonischer Kooperation zusammenarbeiten, sehr viel kräftiger ist in der Schaffung architektonischer Kunst, als die krampfhaften Anstrengungen der größten individuellen Genies. Denn bei ersterem ist der Ausdruck von Leben und Freude zwanglose Gewohnheit und direkt mit den Traditionen der Vergangenheit verbunden und demzufolge ebenso unfehlbar wie die Arbeit der Natur selbst.
Aber dieser Gesellschaft von Arbeitsleuten, dieser Krone der Arbeit im Mittelalter, war nur ein kurzes Leben vergönnt. Ihre Tendenz zur Gleichheit wurde so vollkommen ausgelöscht von der Weiterentwicklung des politischen Systems seiner Zeit, dass ihre Existenz selten erahnt wurde, bis zum Aufkommen der Schule der kritischen Historiker in unseren Tagen. Die es gewohnt sind, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was alles hätte sein können (vielleicht ohne es zu wissen), möchten bitte an die kleinen Ursachen denken, die wahrscheinlich zu dieser Veränderung geführt haben und darüber spekulieren, was geschehen wäre, wenn nicht der Schwarze Tod Nord- und Westeuropa halb entvölkert hätte; wenn Philip van Artefelde und seine tapferen Männer aus Gent die französische Ritterschaft bei Rosebeque besiegt hätten, wie es ihre Väter in Courtray getan hatten; wenn die wackeren freien Bauern von Kent und Essex, versammelt vor den Toren Londons, bloß so klug gewesen wären, dem jungen Schurken von einem König nicht zu trauen, der gerade ihren Anführer ermordet hatte, und ihren Aufstand zum gebührenden Ende geführt hätten.
Man kann diese Frage mit Vergnügen weiterspinnen, aber es bringt wenig. Die von den Gilden geführten Gewerbe mussten jedenfalls an ihr Ende stoßen, als das Verlangen nach neuem Wissen und größerer Herrschaft über die Natur und die Beschleunigung des Lebens stark genug waren, die nächste Entwicklung der Produktivität der Arbeit durchzusetzen. Die Gilden konnten die nun verlangte Expansion nicht leisten und mussten verschwinden, nachdem sie größten Anteil am Tod der feudalen Hierarchie hatten und die Mittelklassen hervorbrachten, die ihren Platz als dominierende Kraft in Europa übernahmen. Der Kapitalismus begann innerhalb der Gilden aufzuwachsen; der Geselle, der sogenannte freie Arbeiter, tauchte in ihnen auf und außerhalb der Städte (besonders in unserem Land) wurde damit begonnen, die Landschaft für den Profit des kapitalistischen Grundbesitzers zu bewirtschaften und damit war das System der Produktion geschaffen, das für die Herausbildung der modernen Gesellschaft notwendig ist – der Gesellschaft des Vertrags statt einer Gesellschaft des Status.
Wesentlich für dieses System war es, dass der freie Arbeiter in seiner Arbeit nicht mehr frei war, er musste mit einem Herrn samt vollkommener Kontrolle über seine Arbeit ausgestattet werden, als Folge davon, dass dieser die Rohmaterialien und Arbeitsgeräte besaß und ein universeller Markt zum Verkauf der Waren entstand, mit dem der Arbeiter direkt nichts mehr zu tun hatte. Damit hörte er schrittweise auf, selbst Handwerker-Künstler* zu sein, also ein Mensch, der um seine Arbeit machen zu können, sich für sie interessieren muss, da er verantwortlich für das Gelingen oder Verderben der Waren ist, an deren Herstellung er beteiligt ist und dessen Markt hauptsächlich aus Nachbarn besteht, aus Menschen, deren Bedürfnisse er verstehen kann. Statt eines Handwerker-Künstlers* war er nun Handlanger, der für nichts verantwortlich ist, außer die Anweisungen seines Herren oder Vorgesetzten auszuführen. In seiner Freizeit (vielleicht) ein intelligenter Bürger, in der Lage zu verstehen, was vorgeht oder mit einer Neigung zur Wissenschaft oder was noch – aber in seinen Arbeitsstunden nicht einmal eine Maschine, sondern eine Durchschnittsportion von der großen und fast wundertätigen Maschine – der Fabrik. Ein Mensch, dessen Lebensinteresse vom Gegenstand seiner Arbeit getrennt ist, dessen Arbeit zur Beschäftigung wurde, d.h. nur zu einer Gelegenheit, den Lebensunterhalts zu verdienen nach dem Willen eines anderen. Welches Interesse auch immer der Produktion von Waren in diesem System noch beiliegt, den gewöhnlichen Arbeiter hat es verlassen und es besteht nur bei den Organisatoren seiner Arbeit. Und dieses Interesse hat wenig mit der Produktion von Gütern als Dingen zu tun, die man anschaut und mit denen man umgeht – kurz: benützt, sondern nur als Ziffer im großen Spiel des Weltmarkts. Ich stelle mir vor, dass es hier in diesem großen „Manufakturdistrikt“ nicht wenige „Manufakturisten“ gibt, für die der Gedanke, die Waren, die sie „manufakturieren“ auch selber zu benützen, der reinste Horror wäre. Und wenn sie Zeugen der Begeisterung der Kunden von den Kunden ihrer Abnehmer sein könnten, wenn sie den endgültigen Ort der Verwendung erreicht haben, dann würden sie wahrscheinlich irgendwie zynisch lächeln.
In diesem kurzen Überblick habe ich absichtlich die Zwischenschritte ausgelassen, über die wir den Gegensatz zwischen dem Handwerker-Künstler* des Mittelalters und dem Lohnarbeiter von heute erreicht haben: zwischen der Produktion von Waren für direkten Gebrauch und andererseits ihrer Produktion als Tauschgüter für den Weltmarkt. Ich möchte Euch diesen Kontrast so deutlich wie nur möglich machen, aber da es vielleicht Einwände geben wird, sollte ich noch sagen, dass mir sehr wohl bewusst ist, dass dieser Transformationsprozess graduell war, dass der neue freie Lohnarbeiter seine Arbeitsweise zuerst nicht stark verändern musste, dass er das System der Arbeitsteilung erst ab dem 17. Jahrhundert ertragen musste und es im 18. Jahrhundert perfektioniert wurde. Und je näher dieses System der Perfektion kam, veränderte die Erfindung automatischer Maschinen das Verhältnis des Arbeiters zu seiner Arbeit wieder und verwandelte ihn, in den großen Grundstoffindustrien, von einer Maschine in den Maschinenführer (was wie ich glaube für ihn ein Vorteil war). Aber auf der anderen Seite brachte es fast alle bisherigen Handwerke, die dem bisher entgangen waren, unter den Einfluss des Systems der Arbeitsteilung und so wurde in dieser Zeit die Handwerkskunst unter den lohnarbeitenden Klassen zerstört. Die Handwerkskunst ist nun fast ausgelöscht, außer bei den wenigen handwerklichen Fachleuten, die die Position eines Gentleman beanspruchen.
Wenn wir ernsthaft die architektonischen oder dekorativen Künste Realität werden lassen wollen, dann müssen wir diesen Tatsachen folgen und den arbeitenden Menschen an die erste Stelle setzen. Um aber die Position der Arbeiter, der wirklichen Produzenten der Güter, klar zu sehen, müssen wir auch ihre Konsumenten betrachten. Denn vielleicht wird gesagt werden: wenn man die Herstellung dieser Güter wünscht, braucht man nur eine Nachfrage für sie anzuregen, dann würde sie auf natürliche Weise entstehen und den Arbeiter wieder in einen Handwerker-Künstler* verwandeln. Nun, vorausgesetzt dass diese Nachfrage echt ist und auch breit genug, dann könnte das wahr sein, aber dann kommt die Frage, ob diese Nachfrage geschaffen werden kann und wie?
Nun, während das gegenwärtige System der Produktion den Handarbeiter** in eine willenlose Maschine verwandelt hat, so hat sie gleichzeitig den Zwischenhändler aus der Nachbarschaft mit guten Vertriebsfähigkeiten zu einem Sklaven des Weltmarkts gemacht … zu einer Geldbörse. Das Motto des modernen Händlers lautet nicht: der Markt ist für den Menschen, sondern: der Mensch ist für den Markt da. Der Markt ist der Herr, der Mensch der Sklave, was meiner Meinung nach die vernünftige Ordnung der Dinge umkehrt. Lasst uns sehen, ob das zutrifft.
Das große Problem, dem wir heute gegenüberstehen, ist der angemessene Einsatz der menschlichen Arbeitskraft: wenn wir darin scheitern, sie auf irgendeine Weise überhaupt einzusetzen, wird es uns auffressen, was immer auch danach kommt. Wenn wir scheitern, sie richtig einzusetzen, müssen wir zumindest damit rechnen, eine korrupte und entwürdigte Gesellschaft zu sein. Ich für meinen Teil wäre dafür, wir würden unsere Gedanken darauf verwenden, sie richtig einzusetzen anstatt irgendwie. Ich habe gerade gesagt und wiederhole es mit allem Nachdruck, dass die Arbeitgeber (oder sagen wir Kunden) der arbeitenden Menschen arbeitende Menschen sein sollten: und hätten sie nur solche Kunden, hätte ich vollstes Vertrauen, dass sie auf lange Sicht nichts außer nützlichen Dingen herstellen würden (unter die ich natürlich Werke der Kunst verschiedenster Art einschließen würde) – aber da sie andere Kunden haben, fehlt mir dieses Vertrauen, denn was ich sehe wird jeder andere auch sehen: dass sie beschäftigt werden, um eine große Menge von Dingen herzustellen, die zwar nutzlos, aber markttauglich sind. Sie selbst sind sich nicht die guten Kunden, wie sie es sein sollten, denn sie sind nicht reich genug. Alle Waren, die sie selbst konsumieren, müssen (abgesehen von der Menge) von minderer Qualität sein. Deshalb wird ihr Verbrauch durch den der wohlhabenden und reichen Klassen ersetzt. Diese können ihr Bedürfnis nach wirklich wünschenswerten Dingen erfüllen, wie man annehmen darf und sie tun es auch. Anderes würde ein vernunftbegabter Mensch unter ihnen nicht wollen – wenn sie sich selbst helfen könnten. Aber nach dem was ich rund um mich herum sehe, sage ich, dass sie sich nicht selbst helfen können. Es scheint, dass der Markt, auf dem um Profite gespielt wird, ihnen zuviel abverlangt, oder dass der Zwang, die Arbeitskräfte zu beschäftigen, so stark ist, dass es ihnen nicht möglich ist, nur das zu kaufen und zu konsumieren, was sie brauchen. Gewohnheiten von Pomp und Luxus bilden sich heraus, so dass der Markt, der bei dem Elend der Armen in die Krise stürzen würde, in Trab gehalten wird durch Beschäftigung für den Luxus der Reichen.
Auch wenn alle hergestellten Waren konsumiert werden müssen, so ist dieser Konsum noch lange nicht Beweis ihrer Nützlichkeit: sie werden vielleicht benützt, vielleicht weggeworfen – und wenn sie nicht gebraucht werden, kann man sie nicht benützen und sie müssen weggeworfen werden. Hier also, wenn wir das Vorhandensein einer weit verbreiteten und echten Nachfrage nach architektonischer Kunst einbeziehen, treffen wir schon zu Beginn auf diese Schwierigkeit, dass die Arbeiter, die die Hersteller von Kunst sein sollten, ich möchte sagen hauptsächlich damit beschäftigt sind, ihre Arbeit auf zwei Arten zu verschwenden: auf der einen Seite, indem sie minderwertige Güter herstellen, die sie selbst wegen ihrer niedrigen Stellung nachfragen müssen und wofür es keine Nachfrage geben sollte. Auf der anderen Seite indem sie Güter herstellen, nicht für Gebrauch sondern zur Verschwendung durch die reichen Klassen, wonach auch keine Nachfrage bestehen sollte. Und diese beiden unglückseligen Nachfragen sind beiden Klassen aufgezwungen, weil sie in diese Position hinein gezwungen sind und danach müssen sie sich verhalten. Der Weltmarkt, der unser Diener sein sollte, ist unser Herr und gibt den Segen, dass es so zu sein hat. Der große und echte Bedarf nach architektonischer Kunst, der wie wir gesehen haben, nur durch den Handwerker-Künstler* befriedigt werden kann, kann unter dem gegenwärtigen Produktionssystem nicht entstehen, das in der Tat nicht existieren könnte, wenn der größere Teil der Güter das Ergebnis von handwerklicher Arbeit wäre.
Wir kommen also zu diesem Schluss: – dass für die Herstellung eines Kunstwerkes, wie bescheiden auch immer, Vergnügen und Interesse an der Arbeit vorausgesetzt sind; dass dieses Vergnügen und Interesse nur dann vorhanden ist, wenn der Arbeiter in seiner Arbeit frei ist, d.h. sich bewusst ist, dass er ein Gut herstellt, das seinen eigenen Bedürfnissen als gesunder Mensch entspricht; – dass das gegenwärtige System der industriellen Produktion die Existenz solcher freien Arbeiter, die bewusst für sich und ihre Nachbarn Güter herstellen, nicht erlaubt und der Öffentlichkeit verbietet, Güter nachzufragen, die von freien Arbeitern hergestellt werden; – dass deshalb, weil weder die Produzenten noch die Konsumenten in diesem Sinne frei sind, Güter nach ihrem Willen zu machen oder nachzufragen, wir im gegenwärtigen System der Produktion die Verwirklichung der architektonischen Künste nicht bekommen können, für die ich euch zu kämpfen aufforderte, sondern uns damit begnügen müssen, so zu tun als hätten wir sie, was für mich eine ziemlich traurige Vorgehensweise darstellt.
Was also können wir tun um diese Schande abzuschütteln, damit wir frei sind zu sagen, dass wir die Verschönerung des Lebens wollen und Ersatzprodukte uns nicht zufrieden stellen, dass wir sie nicht wollen?
Werden diese Prämissen akzeptiert, dann ist die praktische Position klar: wir müssen versuchen, das System der Warenproduktion zu ändern. Um noch einmal auf mögliche Einwände zu erwidern: ich meine nicht, dass wir anstreben sollten, alle Maschinen abzuschaffen: ich würde einige Dinge mit Maschinen erledigen, die jetzt mit der Hand gemacht werden und andere Dinge, die jetzt mit Maschinen gemacht werden, durch Handarbeit. Kurz: wir sollten die Herren unserer Maschinen sein und nicht wie jetzt ihre Sklaven. Es ist nicht diese oder jene greifbare Maschine aus Stahl und Blech, die wir loswerden wollen, sondern die gewaltige, nicht fassbare Maschine der kommerziellen Tyrannei, die unser aller Leben niederdrückt. Nun, diese Rebellion gegen den Kommerz halte ich für durch und durch wertvoll: erinnert Euch an meine Einführung, als ich sagte, dass zur reinen Notwendigkeit der Anreiz von Vergnügen und Interesse an der Arbeit hinzugefügt werden muss. Ich plädiere nicht für die Produktion von ein bisschen mehr Schönheit für die Welt, so sehr ich sie liebe und so viel ich ihretwillen opfern würde – es geht um die Verteidigung des Lebens von menschlichen Wesen, oder wenn ihr so wollt, nach dem römischen Dichterwort: um die Quellen des Lebens. In dieser Versammlung befinden sich vielleicht nur wenige, die sich die Bedeutung täglicher Quälerei vorstellen können, ohne Hoffnung auf ein anderes Ergebnis außer der Fortsetzung eines quälenden Lebens; das ist das Los aller mit Ausnahme einiger weniger in unserer Zivilisation. Um sich das zu vergegenwärtigen braucht es Erfahrung oder starke Vorstellungskraft; aber tut euer Bestes um es euch vorzustellen und um dann die Ergebnisse zu sehen, wenn die Stunden der hoffnungslosen tagtäglichen Plackerei in Tage von vergnüglicher Arbeit verwandelt sind, der fröhlichen Ausübung der menschlichen Energien, erhellt von der Gewissheit der Nützlichkeit und dem zu erwartenden Applaus der Freunde und Nachbarn, für die man arbeitet. Wenn ihr darüber noch einmal gründlich nachgedacht habt, werdet ihr sicher zugeben, dass das Erreichen einer solchen Veränderung fast jedes Opfer wert ist. Ich sage nochmals, wenn die Welt nicht hoffen kann, bei ihrer Arbeit fröhlich zu sein, dann kann sie die Hoffnung auf Freude generell aufgeben.
Noch einmal: das Ziel derer, die die Künste des Volkes ernst nehmen, ist es, dass wir die Herren unserer Arbeit sein sollen mit der Möglichkeit zu sagen, was wir haben wollen und wie wir es machen wollen. Und der Preis, den wir für die Erreichung dieses Zieles zahlen müssen, ist, um offen zu sprechen, die Neugestaltung der Gesellschaft. Denn das mechanistische und tyrannische System der Produktion, das ich verurteilt habe, ist so in die Gesellschaft eingewoben, von der wir alle ein Teil sind, dass es sich manchmal als Ursache und manchmal als Wirkung zeigt – jedenfalls aber eine Voraussetzung dafür ist. Man kann die Slums unserer großen Städte nicht einreißen, man kann keine fröhlichen Dorfbewohner in hübschen Häusern unter Bäumen haben, die in ihren eigenen Häusern oder in angenehmen Dorfwerkstätten zwischen Saat- und Erntezeit schön anzusehende Arbeiten herstellen, solange man nicht die Ursachen beseitigt, die den rabiaten Slumbewohner und den hungernden Landarbeiter hervorgebracht haben. Alle wesentlichen, in vielen Generationen gewachsenen Bedingungen der Gesellschaft haben Konsequenzen geschaffen, denen mit bloßen Linderungsmaßnahmen nicht beizukommen ist. Sklaven waren ein wesentliches Element der antiken Gesellschaft, Feudalabhängige das der mittelalterlichen Gesellschaft – in der modernen Gesellschaft sind es die Lohnarbeiter ohne eigene Verantwortung unter einem Chef; der Handwerker-Künstler* ist verantwortlich für seine Arbeit, ein Abhängiger aber kann für nichts anderes verantwortlich sein, als die ihm von seinem Chef gestellte Aufgabe auszuführen.
Aber bevor ihr denkt, dass ich euch keinen anderen Weg als den des Kampfes zeige, wie ich ihn für die bewusste Rekonstruktion der Gesellschaft auf der Basis der Gleichheit vorschlage, möchte ich ein paar Worte zu einer Aufgabe sagen, die griffbereit vor euch liegt, mehr für euch als Künstler denn als Bürger. Es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die in ihrer Arbeit unabhängig sind und die mit dem Begriff bezeichnet werden, den ich gerade verwendet habe – als Künstler: als separate Gruppe sind sie eine Folgeerscheinung des kommerziellen Systems, das keine unabhängigen Arbeiter brauchen kann und ihre Trennung von der gewöhnlichen Warenproduktion ist der offensichtliche äußere Grund des üblen Zustands der Architektur. Jedenfalls, sie existieren als unabhängige Arbeiter. Der Haken bei ihrer Position ist, dass sie nicht für die ganze Öffentlichkeit arbeiten, sondern nur für einen kleinen Teil davon, der sie für diese Exklusivität mit der Verleihung der Stellung von Gentlemen belohnt. Nun schiene mir die einzig machbare Sache, wenn wir nicht bei der Rekonstruktion der Gesellschaft helfen wollen, uns mit dieser Gruppe von „Gentlemen-Arbeitern“ zu befassen. Die anderen, die nicht-„Gentlemen-Arbeiter“ wären außerhalb unserer Reichweite, solange wir die Sache nicht unter einem breiteren Gesichtspunkt sehen. Aber wir könnten versuchen, das Interesse dieser Künstler für jene Künste des Lebens zu wecken, deren Produktion gegenwärtig ganz in Händen der verantwortungslosen Maschinen des kommerziellen Systems ist und sie, die Künstler, wie groß sie sein mögen, zur Beteiligung an dieser Produktion zu bringen, und die Arbeiter, die jetzt Maschinen sind, sollten Künstler sein, wie unbeholfen auch immer. Auf der anderen Seite könnten wir versuchen, das an Verantwortung und Unabhängigkeit auszugraben, was von ihr halb vermodert unter der festen Lehmschicht des Fabriksystems liegt; wir könnten untersuchen, ob es in der Ebene der kommerziellen Organisatoren nicht einige Menschen gibt, die Künstler sind, und ihnen wenn möglich Gelegenheiten geben, direkter für die Öffentlichkeit zu arbeiten und ihnen den Beifall und die Sympathie ihrer Künstler-Geschwister zu gewinnen, was jeder gute Arbeiter natürlicherweise ersehnt. Die Idee, dass das möglich ist und getan werden kann, stammt keineswegs nur von mir. Wenn ich sie vortrage, repräsentiere ich nicht nur eine vage Hoffnung sondern ein wirkliches Unternehmen in gutem Zustand. Ich habe die Ehre einer kleinen und unprätentiösen Gesellschaft anzugehören, deren Präsident Mr. Crane ist und die unter dem Namen Arts and Crafts Society gerade eine erfolgreiche Ausstellung der Angewandten Künste – wie man das so nennt – in London organisiert hat, die genau dem von mir gerade genannten Zweck dient. Manchen mag diese Aufgabe recht geringfügig und unheroisch erscheinen, besonders wenn sie sich erst vor kurzem der rücksichtslosen Hässlichkeit und dem Schmutz eines großen Manufakturdistrikts ins Gesicht sahen oder wenn sie schon so lange in der schäbigen Hölle des großen Handelszentrums der Welt leben, dass es in ihr Leben eingedrungen ist und sie „es gewohnt sind“, d.h. auf sein niedriges Niveau heruntergezogen wurden – aber es ist wenigstens etwas, was getan werden kann. Es hieße, den Lebensfunken in den architektonischen Künsten für bessere Zeiten zu bewahren, deren Künste sonst durch die kommerzielle Produktion völlig ausgelöscht sein werden; ein Unglück, das noch vor wenigen Jahren ganz wahrscheinlich schien. Aber ich denke, dass diese geringere Arbeit uns keinesfalls behindern und uns eher zum Engagement in der breiteren und tieferen Sache hinziehen wird: unser Bestes zu tun zur Verwirklichung der Gesellschaft von Gleichen, die allein die Bedingungen schaffen kann, unter denen wahrer Handwerksgeist* zur Regel der Produktion werden kann; als die Art zu arbeiten, die die vergnügliche Ausübung unserer Energien mit der Sympathie für die Fähigkeiten und Erwartungen unserer Nachbarn verbindet, d.h. der gesamten Menschheit.
„Art and its Producers“, Vortrag am 5. Dezember 1888 auf der ersten Jahreskonferenz der National Association for the Advancement of Art in Liverpool.
Erstmals gedruckt in: Art and Its Producers and The Arts and Crafts of To-day: Two Addresses Delivered Before the National Association for the Advancement of Art, Longmans & Co., London, 1901. Art and its Producers
Eigene Übersetzung, 2014
* „craftsman“ bzw.„craftmanship“ übersetzen wir meist mit „Handwerker-Künstler“ bzw. „Handwerkskunst“ wegen der Unterscheidung zu
** „handicraftsman“. Der craftsman ist wie der heutige Handwerker nicht unbedingt Handarbeiter. Der Begriff „craftsman“ steht bei Morris für den historischen Handwerker und für den Typus des arbeitenden Menschen, der in der Arbeit Können, Kunstsinn, Interesse und soziale Verantwortung verbinden kann.
Morris verband diesen Vortragstermin mit einer Propagandatour vom 2. bis 6. Dezember durch South Lancashire. Darüber berichtet er in „In and about Cottonopolis“. Über seine Eindrücke auf dieser Kunstkonferenz wurde er sehr deutlich in „Talk and Art“.