George B. Shaw: Vorwort zu „Kommunismus“

wkIn „Aus der Waffenkammer des Sozialismus“ (Eine Sammlung alter und neuer Propagandaschriften, herausgegeben von der Volksstimme, Frankfurt a.M.) erschien 1905 der Text des Vortrags „Kommunismus“.
(Der Abdruck wurde damals übernommen aus „Documente des Socialismus: Hefte für Geschichte, Urkunden und Bibliographie des Socialismus“, herausgegeben von Eduard Bernstein. Deshalb ist anzunehmen, dass die Vorbemerkung aus der Feder Bernsteins stammt.)

Vorbemerkung
    Wir bringen hiermit den Entwurf eines Vortrags zum Abdruck, den William Morris im Jahre 1893 im sozialistischen Verein von Hammersmith (West-London) gehalten hat. Obwohl der Entwurf bloss das Gerippe des Vortrags, nicht diesen in seiner Vollendung gibt, enthält doch auch er genug des Interessanten. Wie aus der Vornotiz der von der englischen Fabier-Gesellschaft besorgten Druck-Ausgabe des Entwurfs ersichtlich, entfällt seine Niederschrift in eine Zeit, wo sich der berühmte Dichter und Sozialist mit ziemlich ernsthaften Zweifeln in Bezug auf die sozialistische Bewegung trug, wo auch ihn die Frage über das Verhältnis von Endziel und Bewegung im Sozialismus quälte. Morris war mehr Dichter und Künstler wie Politiker, aber er hatte doch so viel Sinn für die Realitäten des Lebens, dass er mit all seiner reichen Phantasie weit weniger Phantast war, als mancher der trockenen Politiker, die in ihm nur den Utopisten sahen. Ein Utopist war er zweifellos, insofern ihm seine Phantasie eine Zukunft vormalte, in der die Menschen ihr soziales Leben nach völlig anderen Grundsätzen einrichten würden wie heute, und diese Zukunft ihn mehr interessierte als das, was zwischen ihr und der Gegenwart lag. Aber er fasste die Utopie nicht dogmatisch auf, sondern unter dem Gesichtspunkt eines erzieherisch wirkenden Ideals, das die Menschen anregt, sich mit mehr als den ihnen allernächst liegenden Dingen zu beschäftigen. Im übrigen war er durchaus bereit, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, und kritisch genug veranlagt, auch andere Standpunkte wie den seinen zu begreifen. Obwohl zwischen seiner Grundauffassung und der der Führer des Fabier-Vereins ein weiterer Abstand lag, als z.B. zwischen der Auffassung der sich als Marxisten bezeichnenden englischen Sozialdemokraten und der der Fabier, war er doch mehr als jene geneigt, den berechtigten Kern im Fabianismus anzuerkennen.
    Um die Zeit, wo der Vortrag ausgearbeitet wurde, hatten die Fabier auf Grund eines Zusammengehens mit vorgeschrittenen Radikalen und Gewerkschaftsführern geholfen, im Londoner Grafschaftsrat jene Kommunalpolitik einzuleiten, die als Munizipalsozialismus seitdem weithin Nachahmung gefunden hat. Wie hoch oder niedrig man sie einschätzen mag, sie verwirklichte ein Stück sozialistischer Forderungen, und dies zu einer Zeit, wo die spezifisch-sozialistischen Organisationen Englands entkräftet oder zersprengt am Boden lagen. Einige Sozialisten waren darob nichts weniger als erbaut; sie beschwerten sich über Entwendung und Fälschung ihrer Ideen.
    Morris gehörte nicht zu ihnen. Ihn stimmte die Sache nachdenklich. War dieser, quasi geschäftsmässige Weg wirklich der richtigere? Wohin werde er führen? Werde er den Idealismus der Bewegung ertöten?
    Diesen und ähnlichen Fragen verdankt der Vortrag seine Entstehung. Und es ist gewiss interessant zu sehen, wie der reich begabte Dichterkünstler sie zu beantworten suchte. Wir sagen »suchte«, denn selbst hinter der Antwort, die er gibt, steht immer noch ein erkennbares Fragezeichen. Es war eben für den englischen Sozialismus eine Periode erneuten Zweifels eingetreten.
    Unsere Übersetzung gibt die Skizze möglichst formgetreu wieder. D.h. es ist nicht versucht worden, die etwas abrupte Form der Sätze des Originals auszuglätten. Der Leser soll sich dessen bewusst bleiben, dass er einen Entwurf vor sich hat. Anders vorgehen und den Eindruck eines abgeschlossenen Aufsatzes erwecken, wäre ein Unrecht gegen den Dichter gewesen, der seinen Arbeiten in ihrer letzten Form stets einen so reichen, lebensvollen Inhalt zu geben wusste. Von dem Vorwort, das der englische Herausgeber, der mit Morris stets befreundete G. Bern. Shaw, dem Entwurf vorausschickt, haben wir diejenigen Stellen fortgelassen, welche lediglich philologischen, auf den englischen Satzbau, Orthographie etc. des Manuskripts sich beziehenden Fragen gelten.

Vorwort (von George Bernhard Shaw)
    Die Fabian Society ist den Verwaltern des William Morris’schen Nachlasses zu Dank verpflichtet für die Erlaubnis, den hier folgenden Aufsatz ihren Flugschriften einreihen zu dürfen. Er ist im Jahre 1893 abgefasst worden, um vor den Mitgliedern der Hammersmith Socialist Society mündlich vorgetragen zu werden. Zu jener Zeit hatte Morris gründliche Erfahrungen mit dem, in seinen Anfängen bis in den Beginn der achtziger Jahre zurückreichenden Versuch gemacht, den Sozialismus in diesem Land zu organisieren. Er selbst hatte jenen Teil des Experiments auf sich genommen und geleitet, an den kein Anderer sich wagen wollte, alle diejenigen ohne Unterschied der Klasse aufzufinden und zusammenzubringen, die fähig waren, die Gleichheit und den Kommunismus so zu verstehen, wie er sie verstand, und sie zu einer wirksamen Kraft für den Umsturz der bestehenden Ordnung des Eigentums und des Vorrechts zu organisieren. Bei dieser Arbeit war er mit allen anderen Zweigen der Bewegung in Berührung und oftmals in Konflikt gekommen. Er kannte alle ihre Mitglieder und deren Methoden. Er wußte, dass die Agitation erschöpft und die Zeit gekommen war, sich mit der neuen Taktik abzufinden, die die Agitation ins Leben gerufen hatte. Demgemäß sehen wir ihn in diesem Vortrag Alles tun, was er konnte, um die Kräfte der Bewegung dadurch zu schonen, dass er zwischen ihren miteinander in den Haaren liegenden Fraktionen Frieden zu stiften und sie von ihren Streitereien über Taktik und Programm auf des Wesen ihrer Bestrebungen zurückzurufen suchte.
    Die sozialistische Agitation hatte sich zu Morris‘ Zeit in drei deutlich abgegrenzte Fraktionen gespalten. Seine als Socialist League organisierte Gruppe brach zusammen, weil es nur einen William Morris gab. Diejenigen, die ein wirkliches Verständnis für sein Streben oder seine Ansicht von unserer kommerziellen Zivilisation mit einem hohen persönlichen Charakter und praktischem Geschick verbanden, waren zu dünn gesät, um eine politische Revolution zustande zu bringen. Die anderen beiden Fraktionen blieben am Leben. Eine von ihnen, die Social Democratic Federation, kümmerte sich sehr wenig um die Grundauffassung, die Morris in Bezug auf Gleichheit, Kommunismus und die Wiedergeburt der Kunst als Arbeitsfreude unter dem Kommunismus hegte. Sie machte sich offen daran, das Proletariat als eine besondere Klasse für den Zweck zu organisieren, die materiellen Quellen der Produktion den Händen der besitzenden Klasse zu entreissen, oder, wie es in den abgebrauchten Phrasen der älteren Sozialdemokraten heißt, die Arbeiter „klassenbewusst“ zu machen und den „Klassenkrieg“ zu organisieren. Die dritte Fraktion war die Fabian Society, die einfach danach strebte, den Sozialismus zu einer verfassungsmäßigen Politik zu vereinfachen, die, wie die Freihändlerei oder die Bewegung für den Reichsverband oder irgendeine andere anerkannte parlamentarische Strömung von jedem gewöhnlichen, anständigen Staatsbürger entweder als ein Ganzes oder in Teilen angenommen werden konnte, ohne dass er sich dadurch auf irgendeine revolutionäre Verbindung einzuschwören oder in irgendwelcher Weise von dem normalen Lauf des englischen Lebens loszulösen brauchte.
    Der Plan der Gesellschaft der Fabier war natürlich für die ängstlich konservative Nation außerordentlich annehmbarer als die Pläne ihrer zwei Rivalen. Er erforderte auch ein Gutteil Verwaltungskenntnisse und parlamentarische Klugheit, und so wählte sich die Gesellschaft ganz automatisch für ihre Mitgliedschaft die politisch geschulten und in Verwaltungsfragen erfahrenen Sozialisten aus. Es kann deshalb nicht überraschen, dass nur die Fabianer vorwärts kamen; dass die Socialist League nach einem geduldigen und mühevollen Versuch von Morris als verfehlt aufgegeben wurde, dass die Independent Labor Party, eine spätere Bildung, parlamentarische Methoden annahm, und dass die Social Democratic Federation, nachdem sie sich jahrelang für die Verkündigung des Klassenkriegs abgequält, schliesslich zu wählen hatte, ob sie ihre Methoden denen der Independant Labor Party anpassen oder ganz vom Felde der Arbeiterbewegung verdrängt werden wollte.
    Es ist unnötig zu bemerken, dass Morris ursprünglich vom Fabianismus als einer wesentlich oberflächlichen Bewegung nichts wissen wollte. Aber er war im Grunde der praktischste aller Sozialisten. Wenn er mit Tatsachen in Konflikt geriet, so machte er sich alsbald daran, sie zu ändern. Er war es schon gewöhnt, seine Ansichten sowohl vom populären wie vom akademischen Standpunkt aus von oben herab verlacht und aus der Welt wegerklärt zu hören. In allen Künsten und Handwerken, an die er selber Hand angelegt, war dem Lachen und den überlegenen Kritteleien schleunigst sehr bald dadurch ein Ende gemacht, dass man dahinter kam, dass Morris eine Revolution zu Wege gebracht hatte, während seine Kritiker müßig schwatzten. Aber die gleichen Eigenschaften, die ihn befähigten, unangenehme Tatsachen zu ändern, sofern dies in seiner Macht stand, befähigten ihn auch, sich mit ihnen abzufinden, wenn das nicht der Fall war. Als er nach Aufgebot all seiner Kräfte dahinter gekommen war, dass das englische Volk sich der Socialist League nicht anschließen, noch der Social Democratic Federation erlauben wollte, es zu überzeugen, dass es einer Klasse von Nicht-Gentlemen angehöre, fügte er sich in die Lage und dachte darüber nach, was unter diesen Umständen am besten zu machen sei. Als ein Genie nahm er natürlich ganz unvermeidlich unter erklärten Sozialisten nicht weniger wie anderswo eine isolierte Stellung ein. Aber diese Isolierung nötigte alle Fraktionen, auf ihn zu hören, wenn sie einander nicht hören wollten. Und die Hammersmith Socialist Society, eine die Socialist League überlebende Leibgarde von Getreuen, bot ihm im Bereich seines eigenen Hauses eine Rednertribüne an, von welcher herab sprechen zu dürfen jeder Sozialist stolz war.
    Was er selbst von dieser Tribüne herab den Gruppen sagte, ist in den folgenden Blättern zu finden. Er gibt die Gründe an, weshalb er den anderen Sozialisten riet, nicht mit den Fabianern zu zanken. Und es enthält die den Fabianern erteilte Mahnung, dass es ein Ding ist, eine konstitutionelle Politik auf dem Papier zu formulieren, und ein anderes Ding, Leute zu veranlassen, sie zur Ausführung zu bringen, wenn die Gleichheit und der Kommunismus, zu denen sie führt, von ihnen verabscheut, statt gewünscht werden …

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