G. D. H. Cole: William Morris als Sozialist

g.d.h. coleVor mehr als 50 Jahren wurde ich zum Sozialisten, als ich als Schuljunge News from Nowhere las und sehr schnell erfasste, dass William Morris mir die Vision einer Gesellschaft zeigte, in der zu leben eine schöne und glückliche Erfahrung wäre. Unnötig zu sagen, ich lebte nicht in einer solchen Gesellschaft oder einer wenigstens entfernt ähnlichen, aber ich rechne mich deshalb nicht weniger glücklich, dass mir diese Vision gezeigt wurde und wahrheitsgemäß kann ich sagen, dass von dem Tag an, als ich News from Nowhere zur Hand nahm, meine sozialistische Überzeugung fest geblieben ist. Ich machte weiter mit dem Lesen von A Dream of John Ball und vieler anderer Texte von Morris und genoss viele seiner Werke der Kunst und des Handwerks, von Wandteppichen, Stickereien und Tapeten zu den edlen Buchdrucken und in allem fand ich die Eigenschaft, die mich so stark ansprach und mir eine tiefere Zuneigung zu Morris als Person gab als ich für irgend eine andere fühle, die ich nicht von Angesicht zu Angesicht kennengelernt habe. Diese Eigenschaft ist, glaube ich, am besten zusammengefasst in den Worten, die Morris dem Laienprediger John Ball in den Mund legte, als dieser sagte ‚Fellowship is heaven and lack of fellowship is hell‘ – ein tiefer, erfüllender Sinn, dass alle Menschen wie Geschwister zusammen leben sollen ohne Streit um schmutzige kleine Vorteile, dass sie stattdessen ihre Stärken vereinen zum Besten der Welt als ihrem gemeinsamen Lebensort, dessen Schönheit sie bewahren und mehren, seine Früchte teilen, sich nicht mit Politik belasten und von Leuten antreiben lassen müssen, die als Herrscher über sie gestellt sind.

Mir war natürlich klar und das schon zu Anfang, dass News from Nowhere als persönliche Vision von einer guten Gesellschaft genommen werden muss und nicht als Prophezeiung, die noch in meinen eigenen Tagen eintritt oder irgendwann als vollständige Errungenschaft der Menschheit. Es stellt ein Ideal dar, für das oder woraufhin man arbeitet, und ein Ideal war es, was ich wollte und weiterhin will. Morris selbst, in seiner Besprechung von Edward Bellamy’s Looking Backward, betonte genau diesen Punkt – dass jede Utopie die es wert ist, erstrebt zu werden, der Ausdruck einer persönlichen Präferenz und einer Bewertung, was man für die Menschen für gut hält, sein muss und keine Vorwegnahme der Zukunft, die man auf der Basis einer nüchternen objektiven Studie der Kräfte anstellt, die im Moment am Werke sind. Zweifellos glaubte Morris, dass eine Art von Sozialismus, nicht ganz uneins mit seinen Idealen, in der Welt als Produkt von gewissen historischen Kräften am Keimen war, die vor allen anderen von Karl Marx beschrieben worden waren. Er sagt so in dem Buch, das er in Zusammenarbeit mit Ernest Belfort Bax schrieb: Socialism: its Growth and Outcome. Aber er arbeitete für den Sozialismus nicht, weil sein Kommen historisch determiniert gewesen wäre, sondern weil er ihn für gut und des Arbeitens dafür wert hielt. Er war ein Idealist, der die Abneigung von Marx gegenüber subjektiven Einschätzungen nicht teilte und nichts Verkehrtes dabei fand, die Gestalt der neuen Gesellschaft auszumalen, deren Geburt er herbeizubringen suchte.

Wie Marx sah Morris jedoch, dass diese neue Gesellschaft keine Weiterführung der Tendenzen war, die in den kapitalistischen Gesellschaften seiner eigenen Zeit am Werk waren, sondern die Nachfolge eines scharfen Bruches mit diesen Gesellschaften und den Werten war, die unter ihrem Einfluss vorherrschend sind. Während die Webbs wie Bernstein in Deutschland dachten, der Sozialismus würde sich aus dem Kapitalismus im Laufe einer sozialen und ökonomischen Evolution über graduelle Stufen heraus entwickeln und Reform nach Reform würden in einer progressiven Serie Schritt für Schritt den einen in das andere umwandeln, so erwartete Morris wie auch Marx eher eine plötzliche, katastrophische Revolution, die den Kapitalismus einmal und für immer von der Macht verdrängen würde und damit die Arbeiter frei machen würde, die kollektiven Institutionen der Gesellschaft auf radikal neuer Grundlage neu zu bauen. Noch mehr als Marx – sogar sehr viel mehr – hatte er keinerlei Vertrauen in jede Form des Reformismus und der Bruch, den er zu erleben wünschte war noch schärfer als die von Marx vorhergesehene Revolution und war nicht begleitet von irgendeinem Übergangsstadium einer proletarischen Diktatur, in der die Arbeiter als Klasse organisiert die Oberherrschaft ausüben würden, um stufenweise eine voll entwickelte sozialistische Gesellschaft einzuführen. Da er autoritäre Regierung und Leitung, von wem auch immer ausgeübt, hasste, stellte sich Morris die Revolution, beschrieben in den ersten Kapiteln von News from Nowhere, so vor, dass sie befreit von regierendem Zwang geradewegs zur Einführung einer klassenlosen Gesellschaft weiterginge und fähig ist, ihren Weg ohne Umweg in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen und dem freien Geist der Menschheit zu gestalten. Morris konnte das so sehen, weil er die meisten Menschen für selbstverständlich bereit hielt, sich auf freundschaftliche, kooperative Weise zu verhalten und schlussfolgerte, dass ihre wahre Natur durch die üblen Institutionen verkehrt wird, denen sie im Kapitalismus unterworfen sind: weshalb fast alles, was zu tun ist, um sie zu ihren eigenen Herren zu machen und dazu zu bewegen, ihre Selbständigkeit gut zu nutzen, ihre Freisetzung aus dem kapitalistischen Alptraum ist, während Marx – ohne viel über die voraussichtlichen Eigenschaften der kommenden Gesellschaft zu sagen, außer dass die Menschen in ihr ‚ihre eigene Geschichte machen‘ – eine Übergangsperiode annahm, in der die dem Kapitalismus entstammenden Produktionsmittel unter proletarischer Leitung eine rapide Entwicklung durchlaufen würden. Tatsächlich legten auch die orthodoxen sozialdemokratischen Nachfolger von Marx wie Kautsky große Betonung auf die Entwicklung von immer stärker konzentrierter Großproduktion unter sozialistischer Leitung und sahen im Grad der immer größeren kapitalistischen Zusammenschlüsse die Wegbereitung für einen Sozialismus, der sie übernehmen und ihre Produktivkräfte zur raschen Verbesserung des materiellen Lebensstandards einsetzen würde. Die Marxisten zeigten eine große Missachtung für die Kleinproduzenten – Handwerker, Kunsthandwerker oder Bauern – als einen veralteten Typus, den der Sozialismus im Interesse einer höheren Produktionsleistung auf Basis fortgeschrittenster und hochkonzentriertester Maschinentechnik zu liquidieren hätte. Morris auf der anderen Seite, obwohl er sagte, dass es zunächst mehr Maschinen geben muss, bevor es wieder mit weniger Maschinen geht, nahm das als Zeichen, dass die Dinge erst schlimmer werden müssen, bevor sie wieder besser werden können und sah es als Mission des Sozialismus, nicht die Produktionsmenge durch Übernahme von Methoden der Massenproduktion zu maximieren, sondern jene maschinellen Prozesse zu beenden, die die Ersetzung nützlicher Arbeit durch nutzlose Plackerei bedeuten und so dem Arbeiter um einen wesentlichen Teil seines Geburtsrechts berauben – der Freude an der Arbeit seiner Hände.

Diese Auffassung von Freude in der Arbeit – der Produktion als Quelle von Freude und Vergnügen für den Hersteller wie den Verbraucher – war in der Tat ein fundamentaler Teil der sozialistischen Überzeugung von Morris. Er konnte sich die Menschen nicht vorstellen, wie sie ein glückliches Leben genießen, solange sie nicht ihre Arbeit ebenso genießen können wie ihre Freizeit. Er bedachte, dass so wie die Dinge liegen, ein großer Teil der Arbeit zur Herstellung nutzloser Dinge verausgabt wird – Dingen, die weder Vergnügen bei ihrer Herstellung noch bei ihrem Gebrauch bieten können. Sein Herz setzte nicht auf die Vermehrung der Menge der produzierten Güter, trotz ihres Vermögens, auch reale Befriedigung zu geben, sondern auf die Verbesserung ihrer Qualität – vor allem der künstlerischen Qualität – der Gegenstände des Alltags, von Häusern bis zu den gebräuchlichsten Dingen, die man in ihnen hat und bis zu den kleinsten Objekten im persönlichen Besitztum. Er sah keine Schwierigkeit darin, mehr als genug von diesen Dingen für jeden Menschen zu produzieren, um soviel davon zu haben, wie er haben möchte, sobald die Plage einer ausbeutenden Klasse von der Bevölkerung genommen ist und sie die Freiheit hat, die Produktivkräfte zu ihrem gemeinsamen Vorteil einzurichten. Denn er glaubte, dass sobald das Klassensystem beseitigt wäre, die meisten Menschen aufhören würden, Besitz oder Luxus zu ihrem privaten Vergnügen auftürmen zu wollen und sie sich einer einfachen Lebensweise zuwenden würden, die eine große Menge der künstlichen Lebensbedürfnisse verüberflüssigen würde, die die unnatürlichen Zwänge des kapitalistischen Lebensstils hervorbringen. Er war sich fest sicher, dass die Menschen dann sehr schnell ihre Vorlieben ändern und fordern würden, dass was sie auch immer brauchen, in sich selbst gut sein sollte und ebenso als Arbeiter, dass was immer sie produzieren, ihnen dabei Freude bringen solle. Wenn eine Gesellschaft so denkt, dann könne es leicht genug für alle geben, ohne Zwang für den Produzenten, in harter Arbeit Dinge unter unangenehmen und unnatürlichen Bedingungen herzustellen. In News from Nowhere beschreibt er sogar, wie seine Bürger sich beschweren, dass Arbeit zu knapp geworden ist und sich deshalb freiwillig nach Arbeitsgelegenheiten umsehen, ohne Erwartung, dafür belohnt zu werden. Sie werden sich erinnern, dass es in Nowhere nicht länger ein Kaufen oder Verkaufen gibt oder irgendeine Bezahlung für irgendwelche Tätigkeiten. Die Arbeit, die verrichtet wird, geschieht um des Vergnügens willen, sie zu tun und aus keinem anderen Grund. Und es gibt unter diesen Bedingungen keine Schwierigkeiten, soviel zu produzieren wie die Bürger fordern und ohne dass eine Bezahlung gefordert würde.

In unseren Tagen erleben wir auf der Welt viel mehr als Morris das Überhandnehmen der Bedingungen einer primären Armut, die sicher nicht einfach nur dadurch beseitigt werden kann, dass die kapitalistische Ausbeutung beendet wird – sogar beim höchsten praktischen Gebrauch aller Techniken der Massenproduktion, die der moderne Mensch kennt. Es ist für uns, die wir in einem weltumfassenden Maßstab denken müssen und angesichts des riesigen Drucks der Bevölkerungszunahme vor allem in den weniger entwickelten Ländern, unmöglich, die Frage des genug Produzierens als gelöst zu betrachten, selbst dann, wenn die Menschen damit zufrieden wären, noch einfacher zu leben als die Bewohner von Nowhere zu leben scheinen. Wir müssen es wohl so sehen, dass die Lösung von Morris für die Frage der Produktion unzulässig vereinfachend war und anerkennen, dass es viel mehr als die Abschaffung des Kapitalismus braucht, um der ganzen Menschheit einen tolerierbaren Lebensstandard zu ermöglichen, wie ihn Morris postulierte. Ich glaube, es wird nicht gesagt, wie viele Menschen es in Nowhere nach der großen Veränderung gibt – das ganz offensichtlich als England oder vielleicht Großbritannien gemeint war. Aber die Leser werden kaum den Eindruck abwehren können, das es sehr viel weniger als jetzt sein müssen – oder wie hätten sie es geschafft, ausreichend Lebensmittel zu produzieren? Es ist auch nicht einfach, die Sicht zu teilen, dass die meisten Menschen, befreit von der Klassenausbeutung, sich von dem Verlangen abwenden, ihren materiellen Besitz zu vermehren oder ihre Lust auf Krimskram zu verlieren, der nur im Rückgriff auf die Methoden der Massenproduktion, die Morris innerlich so ablehnte, in ausreichender Menge zu bekommen ist. Morris beklagte sich oft, dass er als Hersteller von Gütern hoher Qualität und künstlerischen Werts gezwungen war, nur den Reichen oder zumindest den Gutgestellten zu dienen. Er schien zu glauben, dass unter der Voraussetzung des Sozialismus die meisten Menschen die Art von Dingen wertschätzen und wollen würden, von denen er wusste, wie man sie ganz ohne Einbeziehung von Massenproduktion herstellen kann. Aber würden sich schon allein durch den Sozialismus die meisten Leute in gute Beurteiler echter Handwerksarbeit und künstlerischer Vorzüglichkeit verwandeln und wenn es so wäre, wieviel schwere Arbeit wäre weiterhin notwendig, um ihren Bedarf zu decken? Ich fürchte, dass wir, wenn auch widerwillig, dieses Element in Morris‘ sozialistischer Utopie aufgeben müssen als etwas, das in nächster Zukunft oder für immer nicht zu erhoffen ist und uns mit der Sicht anfreunden müssen, dass in großen Bereichen für eine längere Zeit Massenproduktion fortgesetzt werden muss, wenn die Menschheit dem Fluch der primären Armut entrinnen will. Tatsächlich, selbst wenn wir den Großteil der Welt außer Acht liessen – was wir im Moment nicht können – und nur die Bedürfnisse und Forderungen der britischen Bevölkerung betrachteten, wäre es so, dass diesen nur mit ganzer Hilfe einer äußerst entwickelten Großproduktion beizukommen ist, während wir sie zudem soweit wie möglich auf die Befriedigung realer Bedürfnisse auf Basis weitgehend beseitigter Ungleichheit zwischen Mensch und Mensch beschränken.

Das ist meiner Meinung nach offensichtlich, aber hüten wir uns davor, dass uns dieses Argument zu weit trägt. Selbst wenn wir das einräumen und es, soweit wir eben sehen können, in der Welt der Konsumgüter eine Verknappung geben wird, folgt daraus nicht, dass der richtige Kurs es wäre, alles andere diesem Streben nach höheren Produktionsergebnissen unterzuordnen und die Bedingungen dieses Ausstoßes nicht zu sehen. Morris legte Betonung auf einen durchaus wesentlichen Punkt, wenn er darauf beharrte, dass Menschen nicht glücklich sein können, solange sie für den größten Teil ihres Lebens zu Arten einer belastenden Plackerei verurteilt sind, so dass sie nur unter dem Zwang, den Lebensunterhalt zu verdienen, Dinge herstellen und die Arbeit zu einem Übel wird, wertvoll allein als Dienst in der Erfüllung von Verbrauchsnotwendigkeiten. Er hatte Recht darin, die ‚Nutzlosigkeit‘ solcher Arbeit der ‚Nützlichkeit‘ der durch sie produzierten Güter entgegenzustellen und gemessen an diesem doppelten Standard ist es eine nackte Tatsache, dass ein wesentlicher Teil der laufenden Industrieproduktion nicht die Mühe wert ist. Er hatte recht wenn er erklärte, dass Menschen nicht in Arbeitsbedingungen, die sie unglücklich machen, gepresst werden dürfen, außer sie ziehen eine damit verbundene größere Versorgung mit Gütern einer schlechteren Versorgung bei angenehmerer Arbeit vor, und damit, dass es im Kapitalismus diese Wahl für die große Mehrheit nicht gibt. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Menschen, wenn sie frei wählen könnten, die Massenproduktion aufgeben würden um die Freude an wirklich befriedigenden Formen der Arbeit wiederzugewinnen ohne auf die Einbußen zu sehen, die durch eine verkleinerte Gütermenge entstünde. Es folgt daraus, dass alles Mögliche getan werden muss, um die Belastung durch Routinearbeit zu verringern, sowohl durch Verbesserung von Bedingungen und Umwelt der Arbeit und durch Verzicht auf die Güter, die wenig nachgefragt werden oder in der Herstellung besonders freudlos sind. Das wiederum lässt den Weg offen für größere Mechanisierung durch Anwendung der Techniken, die die Last mühevoller Produktion ganz oder teilweise übernehmen können wie zum Ersatz jener Handwerksprodukte mit einem großen Anteil an sich wiederholenden Routinearbeiten durch solche aus Massenproduktion. Mit der Folge, dass sowohl das, was man jetzt ‚Automatisierung‘ nennt wie die Handwerksarbeit ihren Platz bei der Verringerung der Last durch stumpfe Plackerei einnehmen können.

Es kann auch nicht als selbstverständlich angenommen werden, dass die Arbeit in der Massenproduktion immer ohne Freude und eine Plackerei ist. Es entsteht zweifellos echte Freude aus dem Entwerfen und Ingangbringen großer Maschinen, obwohl ich nicht glaube aus ihrem Routine-Betrieb, wenn dann eher selten. Was in der Massenproduktion bis in die heutige Zeit am meisten unangenehm war, ist auf der einen Seite ihre Tendenz, den Abstand zu vertiefen zwischen Technikern und anderen Experten, die über ihrem Betrieb thronen und der Masse der Routinearbeit leistenden Arbeiter, über die diese eine weitgehend unangefochtene Herrschaft ausüben und auf der anderen Seite die schlichte Tatsache, dass die letzteren ein Objekt der kapitalistischen Ausbeutung sind und als bloße Anhängsel der Maschine behandelt werden statt dass sie als Männer und Frauen angesehen zu werden, die den vollkommen gleichen Anspruch wie irgend jemand sonst auf ein Entscheidungsrecht haben über die Bedingungen, unter denen sie arbeiten. Das falsche menschliche Verhältnis, das diese Struktur der Industrie erzeugt, wird heute oft die ‚Managerial Revolution‘ genannt; der andere Aspekt, die Ausbeutung für Profit ist charakteristisch für das kapitalistische System als Ganzes. Der Sozialismus würde das zweite beenden aber nicht notwendigerweise das erstere, denn öffentlicher Besitz und Leitung der Industrie sind nicht in sich unvereinbar mit einer scharfen Teilung zwischen Herrschenden und Beherrschten.

In den Augen von Morris war es genauso absolut wichtig, dass der einfache Mensch nicht der Kontrolle einer unüberschaubaren administrativen oder Management-Maschine unterworfen wird, wie dass er nicht für privaten Profit ausgebeutet wird. Er wußte, dass es ihm unmöglich wäre, innerhalb einer solchen Maschine gute Arbeit zu leisten oder nicht tief unglücklich zu sein und es lag in seinem Instinkt, anderen Menschen ähnliche Gefühle zuzuschreiben wie seine eigenen. Er wollte eine kleinteilige Produktion nicht weil er Individualist war, sondern weil er an Zusammenarbeit glaubte und sich eine wirkliche Zusammenarbeit nur auf der Grundlage kleiner Gruppen, in denen man sich kennt, vorstellen konnte. Da er die Architektur als die höchste der angewandten Künste ansah, konnte er damit nicht gemeint haben, dass die Menschen in großen Unternehmungen, die viele Hände brauchen, nicht glücklich zusammen arbeiten könnten. Aber er bestand darauf, dass sie das nur dann fruchtbar und mit Freude tun können, wenn jeder einzelne davon, ob selbständig oder in kleiner Gemeinschaft eine klar bestimmte Aufgabe hat, die man gut oder schlechter erfüllen kann und die als Zeugnis einer definitiven, schöpferischen Leistung dasteht. Nach Morris‘ Sicht war es die große Sünde der modernen Architektur, dass sie den Routine-Ausführer vom Künstler-Designer abspaltete und so für den Arbeiter die Möglichkeit zerstörte, seine kreativen Impulse anzuwenden; das, was kreative vergnügliche Anstrengung sein sollte, verwandelte sich in rein mechanische Plackerei und beraubte in diesem Prozess die Detail-Arbeit aller wirklichen Bedeutung. In dem, was er über dieses Thema sagte und schrieb, war Morris natürlich weitgehend das Echo Ruskins, dessen Kapitel aus Stones from Venice über gotische Architektur er in seiner Kelmscott Press nachdruckte. Seine Doktrin der Handwerkskunst war aber nicht deshalb schlechter, weil bei ihrer Formulierung Ruskin sein Meister war; was Ruskin in besonderem Bezug auf dier Architektur sagte, erweiterte Morris auf ein viel weiteres Feld. Da er an menschliche Kameradschaft glaubte, der Anerkennung der grundlegenden Gleichheit von Mensch zu Mensch, bedauerte er die generelle Tendenz der modernen Gesellschaft, die Ausführenden vom Planer und Entwerfer zu trennen als verheerend für die Kunst wie für die Würde der gewöhnlichen Arbeit und hoffte auf eine Gesellschaft, in der es solche Status-Verteilung nicht geben sollte und in der jeder Arbeiter im Unternehmen als kreativer Partner angesehen und behandelt werden wird. Er wollte damit natürlich nicht die Existenz von funktionalen Unterschieden zwischen Architekt und Handwerker oder zwischen Manager oder Techniker und den Produktionsarbeitern abstreiten, aber er verlangte, dass die ersteren die Ausführung der Arbeitsschritte, die sie anwiesen, verstehen sollten und dass die letzteren unter den generellen Anweisungen des Gesamtplans die größte praktische Freiheit in der Ausführung ihrer Arbeit haben sollten.

Das erschien mir immer als ein vital wichtiges Element in Morris‘ Gedanken nicht nur über die Künste sondern auch über die Arbeit der Welt als Ganzes. Sicher läuft sie sehr starken Tendenzen in der modernen Welt zuwider, in der Handwerk und Industrie von komplexen wissenschaftlichen Techniken verändert werden. Es sollte aber beachtet werden: während in den Tagen von Marx die vorherrschende Tendenz die Ersetzung von Facharbeitertätigkeiten durch ungelernte, gleichförmige Maschinenarbeit war, scheint heute das Anwachsen der Automatisierung zu einer zunehmenden Abschaffung solcher sich wiederholender Arbeit zu führen und zu einem Bedarf an mehr ausgebildeter und verantwortungsvollerer Zusammenarbeit in der Arbeit zur Überwachung des Betriebs von automatisierten Anlagen. Noch ist es zu früh, um über die Entwicklung der Automatisierung Aussagen zu treffen – über das Tempo und die Effekte auf die Anforderungen an die Arbeit in Bezug auf Qualität und Quantität. Aber höchstwahrscheinlich wird diese Tendenz in Richtung Reduzierung von repetierender Arbeit und Erhöhung des Bedarfs an qualifizierteren Arbeitern gehen. Das kann auch binnen kurzem eine weitere starke Verkürzung der Länge des Arbeitstags mit sich bringen und die Tendenz zu einem fallenden Anteil der Beschäftigten in der direkten Produktion verstärken. Es gibt ganz offensichtlich ernste Gefahren von Freisetzungen, die zu einer Schwächung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften führen können, wenn der Automatisierungsprozess schneller vorangeht als Abmachungen über die Aufnahme von Entlassenen in andere Beschäftigungen getroffen werden.

Morris konnte diese Entwicklungen natürlich nicht voraussehen. Für ihn zeigte es sich so, dass der Weg zur Erringung der Freiheit des Arbeiters über seine Emanzipation von der kapitalistischen Profitmacherei führt und über die Wiederherstellung von Bedingungen, die den Bedarf nach Handwerksgütern wiederbeleben und dass im Urteil der Verbraucher über Nützlichkeit und Wert der Güter Qualität über Quantität gestellt wird. Nicht dass er Fabrikarbeit insgesamt abschaffen wollte. Da ist eine Schrift von ihm – A Factory as it Might Be – in der er den elenden Charakter einer typischen Fabrik und ihrer Umgebung seiner Zeit der Vision einer Fabrik gegenüberstellt, die großzügig angelegt ist in schöner Umgebung und nicht in ein enges Innenstadtgrundstück gezwängt – eine Fabrik, in der man unter gesunden und erfreulichen Bedingungen weiter an die Arbeit gehen könnte und wo die dort beschäftigten Arbeiter in hübschen Siedlungen nahe unbeschädigter Natur wohnen könnten. Seit er das schrieb sind tatsächlich ziemlich viele Fabriken, wenn nicht in Übereinstimmung mit seiner Beschreibung, doch zumindest so gebaut worden, um das Gröbste von den üblen Arbeitsbedingungen und dem Schmutz der Behausungen für die Arbeiter zu nehmen. Aber zu viele von der alten Art sind geblieben und sogar von den neueren Fabriken sind viele so gründlich abgeschlossen, dass sie den Kontakt zur Landschaft verlieren und sich zum Umfang der großen Städte hinzuaddieren, in die sie eingehüllt sind. Wir haben nicht die von Morris erwünschte Dezentralisierung von Städten und Fabriken bekommen, sondern eine Suburbanisierung, die, obwohl besser als das Vorherige, neue eigene schwerwiegende soziale Probleme schafft.

William Morris as a socialistIch muss jetzt jedoch von diesem Aspekt des Morris’schen Sozialismus zu einer weiter gefassten Betrachtung seiner Grundhaltung zu Politik und Wirtschaft übergehen, nachdem er dahin gelangt war, den Sozialismus als einzige Hoffnung zum Geraderücken der Angelegenheiten der Welt zu sehen. Sehr viele von denen, die über Morris geschrieben haben, waren vor allem an seiner künstlerischen Arbeit interessiert und neigten dazu, zu beklagen, dass anstatt seine ganze geistige Kraft auf sie zu richten, er es sich erlaubte, auch gegen seine persönlichen Neigungen, sich in die Mühen der sozialistischen Propaganda ziehen zu lassen, für die er nicht besonders geeignet war und sich dem unkameradschaftlichen Gezänk eines Rudels missmutiger und undankbarer Sozialisten-Freunde auszuliefern, deren Gesellschaft ihn gründlich unglücklich machte und damit endete, dass er fast zur Verzweiflung getrieben wurde. Ich stimme zu, dass Morris nicht so gut war als Agitator an der Straßenecke und dass selbst in geschlossenen sozialistischen Versammlungen sein Publikum oft nicht verstehen oder schätzen konnte, was er zu sagen versuchte. Ich stimme zu, dass er keine glückliche Hand hatte mit vielen seiner Mitstreiter sowohl in der Social Democratic Federation wie in der Socialist League, in der er, als sie von den Anarchisten übernommen wurde, schäbig und ärgerlich schlecht behandelt wurde. Ich stimme zu, dass Morris seinen Sinn für die Verpflichtungen aus seiner Konversion zum Sozialismus in Don Quichote’sche Ausmaße dehnte und dass ihn seine Weigerung, irgendwelche spezielle Privilegien für sich als Künstler, der seine Arbeit zu tun hat, zu beanspruchen, dazu brachte, angesichts des Mangels an einsatzfähigen Arbeitern für die Sache des Sozialismus exzessive Lasten zu schultern und sich von den ‚Genossen‘ weit über das berechtigte Maß hinaus instrumentalisieren zu lassen. Aber ich stimme in keiner Weise zu, dass Morris als Künstler von Weltrang davon freigestellt sein sollte, seinen Sozialismus sehr ernst zu nehmen und hart für die Sache zu arbeiten, die er zu seiner eigenen gemacht hat. Ich ehre ihn für dieses Verhalten, selbst wenn es bedeutet hat, Verpflichtungen zu übernehmen, die außerhalb seiner Kompetenz und seiner physischen Kraft lagen. Die Socialist League spielte zugeben keine große Rolle als Kraft für den Sozialismus, aber das persönliche Werk von Morris steuerte der Sache des Sozialismus etwas bei, dessen Einfluss weit über die Socialist League hinausgeht und dessen Beispiel viele andere inspirierte – unter ihnen so verschiedene Männer wie Robert Blatchford und Bernard Shaw, die beide großzügig seiner Person und ihrer Bedeutung für sie Tribut zollten.

Welches waren in den Augen von Morris die wesentlichen Eigenschaften der sozialistischen Botschaft? In einem Aspekt war der Sozialismus von Morris grundlegend marxistisch. Die ökonomische Theorie von Marx sprach ihn allerdings wenig an: er war kein Ökonom und sein Denken bediente sich nicht der Begriffe der ökonomischen Theorie – weder der von Marx oder von jemand anderem. Aber die historischen Abschnitte von Das Kapital beeindruckten ihn stark und er akzeptierte uneingeschränkt die Sichtweise von Marx von der Geschichte als Folge von Klassenkämpfen, die mit dem Sieg und der Emanzipation der Arbeiterklasse als letzter ausgebeuteter Klasse enden würde. Er glaubte an das Näherkommen einer sozialen Revolution, in der die Arbeiter der Klassenausbeutung ein Ende setzen und eine klassenlose Gesellschaft einführen, mit der die Menschen die Freiheit gewinnen, ihre gemeinsamen Einrichtungen auf der Basis von freundschaftlicher, demokratischer Kooperation im Streben nach Glück zu gestalten. Morris dachte an diese kommende Gesellschaft keineswegs in Vorstellungen wie der einer mächtigen zentralisierten Diktatur der Arbeiter als Klasse, sondern von dezentralisierten Strukturen mit freier Kooperation von Mensch zu Mensch und einem Minimum an Leitung durch eine Regierungsautorität, deren Notwendigkeit er mit dem Überwinden der alten Welt als immer mehr verschwindend erwartete und so wie die Menschen lernten zusammenzuarbeiten, bräuchte es wenig oder keine Anwendung von Zwang, um ihre gemeinsamen Ziele zu erreichen. Zu seiner Zeit war die mit dem Marxismus aufkommende Idee einer zentralisierten proletarischen Diktatur oder dergleichen, auch nur als Übergangsinstrument, in keiner Weise weit verbreitet. Diese Ausprägung erhielt eine Richtung des Marxismus erst mit Lenin, obwohl sie schon früher mit Blanqui und seiner Gefolgschaft ihre Schatten vorauswarf und obwohl es in Marx‘ eigenen Schriften einige Passagen gibt, die als dahingehende Unterstützung interpretiert werden können. Morris, so denke ich, war niemals gefordert, sich zu diesem Standpunkt zu äußern, weil er niemals erhoben wurde. Aber wenn, dann kann ich nicht daran zweifeln, dass er äußerst stark gegen die Konzeption eines ‚demokratischen Zentralismus‘ reagiert hätte, die zu einer Kerndoktrin des modernen Kommunismus wurde. Wenn Morris in seinem gut bekannten Vortrag für die Fabian Society über Communism das Wort Kommunismus verwendete, dann meinte er damit etwas, was dem anarchistischen Kommunismus von Kropotkin viel näher stand mit seinem Beharren auf der Autonomie der kleinen Nachbarschaftsgruppe als der autoritären Ein-Parteien-Struktur, die insbesondere durch Stalin nach Lenins Tod in der Sowjetunion aufgebaut wurde, doch schon Lenin legte dafür den Grund mit seinem Beharren auf der dominierenden Rolle der Kommunistischen Partei.

Wenn Morris von Kommunismus sprach, dann verwendete er das Wort in seinem älteren Sinne, um eine Gesellschaft zu benennen, in der es kein Kaufen und Verkaufen gibt, weder von menschlicher Arbeit oder den gebräuchlichen Konsumgütern, sondern in der jedes Mitglied seine Leistung beisteuert entsprechend seinen Fähigkeiten und in der es Güter und Dienstleistungen nach seinen Bedürfnissen frei erhält. Mit der Annahme des Kommunismus in diesem Sinne als sein Ideal drückte er seinen Hass gegen das gesamte kommerzielle System aus und sein Verlangen nach einer von pekuniären Überlegungen ungestörten Gesellschaft, in der die Menschen ihre Arbeitsleistung freigiebig ihren Mitmenschen zur Verfügung stellen und sich mit ihren Ansprüchen auf die Arbeit anderer moderat verhalten. Das war das von den Theoretikern des anarchistischen Kommunismus wie vielen utopischen Sozialisten angenommene Ideal. Aber Morris war kein Anarchist. Er kam in Konflikt mit Anarchisten, die in der Socialist League eine Gruppe bildeten und die sie in der Phase ihres Rückgangs dominieren konnten. Nicht weil er ihr Ideal für falsch hielt, sondern weil er ihre Methoden und Taktiken zu einer Zeit ablehnte, als das, was man ‚Anarchismus der Tat‘ nannte – eine Zuflucht zum Bombenwerfen und anderen Formen von Gewalt beim Protest gegen die Ungerechtigkeit der Gesellschaft –  stark in Mode kam und tiefe Meinungsunterschiede unter den Anarchisten selbst hervorrief, von denen viel dadurch zutiefst schockiert waren. Morris hatte nicht die geringste Sympathie für diese Art des Anarchismus, die er als kriminelle Verrücktheit ansah; aber er sympathisierte stark mit den Anarchisten in ihrer Ablehnung des Staates als unterdrückende Klassenagentur und in ihrem Bestehen darauf, dass freiwillige gesellschaftliche Institutionen nur auf der Grundlage autonomer und lokaler Gruppen von Menschen, die sich kennen, erbaut werden können. Er teilte auch ihr tiefes Misstrauen gegen parlamentarische Institutionen und ihre Feindschaft gegenüber reformistischer Parlamentsarbeit. Das Wesen der angeblichen Demokratie des repräsentativen Parlamentssystems sah er als Täuschung, die dazu diente, diejenigen, die zu ihrem Teil werden, zu verdrehen und das Denken der Bevölkerung von der sozialen Revolution wegzulenken, die er für notwendig hielt. Die wenigen aus der Arbeiterbewegung, die als Liberale im Parlament saßen, verschwendeten nach seiner Meinung ihre Zeit und ließen aus sich Gefangene der bestehenden Ordnung werden. Er war überzeugt, dass ein Kandidat, der sich selbst als Sozialist durch und durch präsentierte, keine Chance hätte, gewählt zu werden, bis durch Propaganda und Bildungsarbeit außerhalb des Parlaments die Sozialisten die Mehrheit der Arbeiter für ihre Ansichten gewonnen haben. Was vorerst allein zählte, war die Arbeit der Propaganda und Bildung, unbehindert durch die aus dem Werben um Stimmen in einem vorherrschend antisozialistischen Wählervolk entstehenden Konfusionen. Er wollte, dass die Propagandisten und Bildungsarbeiter auf das sozialistische Ganze gingen und er dachte, dass wer immer die sozialistische Botschaft verwässert, um Stimmen zu bekommen, mehr Schaden als Gutes anrichtet. Deshalb stellte er sich gegen parlamentarische Arbeit zumindest in seiner Zeit und ich denke, er glaubte, dass wenn die Mehrheit der Arbeiter für den Sozialismus gewonnen war, sie viel bessere Mittel als den Parlamentarismus finden würden, um die sozialistische Art zu leben zu entwickeln. Sobald er sie akzeptiert hatte, war für ihn die Botschaft des Sozialismus – wie auch für mich – einfach so überzeugend, dass er nicht anders als glauben konnte, als dass sie nur oft und klar genug dargelegt werden müsste um die Überzeugung der Mehrheit der Bevölkerung zu schaffen – aller, die nicht durch Eigeninteresse blind sind. Jahre kontinuierlicher Propaganda für den Sozialismus und die Erfahrung der persönlichen Schwächen vieler, mit denen er arbeiten musste, dämpften diese Sicherheit in den letzten Jahren seines Lebens, aber brachten sie niemals zum Erlöschen. Er blieb sich gewiss darin, dass der einzige Weg zur Erreichung des Sozialismus die Überzeugung von mehr und mehr Menschen – vor allem der Arbeiter – war, und blieb dabei, die ‚große Veränderung‘ auf dem Weg zu sehen nicht durch graduelle Akkumulation friedlicher Reformen sondern durch eine schlagartige Erhebung, die die Menschen dazu bringen würde, der schlechten Vergangenheit ihren Rücken zu kehren und tatkräftig eine radikal neue Gesellschaft aufzubauen.

In der Tat war Morris ein revolutionärer Sozialist, der an die Macht der Ideen und Ideale glaubte, die Welt zu verändern. Er sprach anderen Menschen die edle Eigenschaft der selbstlosen Energie zu, die in ihm steckte, so wie er ihnen das Potential zusprach, von einem Gefühl wie seinem eigenen für die Schönheit erfasst zu werden. Er erkannte, dass die Umstände des Kapitalismus sowohl die Sinne wie die Moral ihrer Opfer niederdrücken, dass sie deshalb das Billige und Hässliche dem Schönen vorziehen und ihren moralischen Standard unter der Zwangslage des Geldraffens in einer von kapitalistischer Ausbeutung beherrschten Welt heruntersetzen. Aber er erachtete diese beiden Degradationen als Produkte des Kapitalismus, dem Wesen der menschlichen Natur entgegengesetzt, weshalb sie rasch verschwinden könnten, wenn der kapitalistische Alpdruck von ihnen genommen ist. Liebe zur Schönheit und anständiges Verhalten sah er als natürlich für die Menschen an und dass sie ihre Macht über die Menschen sobald wiedergewännen, wie diese frei wären, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Diesen Glauben vertrat er und es ist ein alter Glaube, der ein Jahrhundert vorher zum Entstehen der Großen Französischen Revolution führte und ein wichtiges Element im sozialistisch-utopischen Denken war, seit den Tagen von Robert Owen oder sogar schon von Babeuf.

Zweifellos gibt es viele, die dieses utopische Element in Morris‘ Sozialismus als Schwäche betrachten. Eingefleischte Marxisten werden es als Beispiel für ‚kleinbürgerliche Vorurteile‘ behandeln und es der marxistischen Sicht des Sozialismus als Produkt historischer Notwendigkeit gegenüberstellen. Ich für meinen Teil stimme mit Morris darin überein, keine Unvereinbarkeit zwischen beiden Sichtweisen zu sehen. Der Sozialismus mag unterwegs sein als wissenschaftlich vorhersehbares Staddium im Prozess der historischen Entwicklung; aber selbst dann: warum sollte sich irgendjemand dafür einsetzen, wenn er nicht glaubte, dass er gut ist und dass seine Arbeit ein kleiner Beitrag dazu sein kann, ihn herbeizuführen? Die Tatsache – wenn es eine Tatsache ist – dass der Sozialismus kommen muss, macht ihn noch nicht gut, außer wir glauben, dass alles gut ist, was zu kommen bestimmt ist. Der einzig berechtigte Grund, für eine Sache zu arbeiten ist der Wunsch, dass das eintreten kann, wofür sie steht, als etwas, was gut und den Einsatz wert ist. Ich selbst glaube weder, dass nur gute Dinge geschehen oder dass das Kommen des Sozialismus mit wissenschaftlicher Sicherheit bewiesen werden kann: aber wäre ich der letzteren Ansicht, würde ich mich immer noch, bevor ich einen Finger für die Sache rühre, vergewissern, dass der Sozialismus es wert ist und so würde natürlich jeder andere Mensch handeln, welche gegenteiligen Vorwände sein Misstrauen gegen ‚Moralisieren‘ ihn auch erheben liesse.

Mit großer Freude habe ich die neue umfassende Biographie meines Freundes Edward Thompson über William Morris gelesen, die in vieler Hinsicht ein herausragendes Stück Arbeit ist – vor allem wegen der großen Aufmerksamkeit, die Morris als Sozialist und der Rolle, die er in der sozialistischen Bewegung spielte, gewidmet wird. Thompson’s Buch hat jedoch eine gravierende Schwäche, außer dass es an gewissen Stellen mit zuviel Material überladen ist. Sein Autor war legitim bemüht, Morris von dem oft vorgebrachten Vorwurf  zu entlasten – oft allerdings mit Belegen – nur ein sentimentaler Sozialist zu sein – ein Künstler, der gefühlsmäßig zu einer unangemessenen Übertragung seiner im wesentlichen ästhetischen Ideen verleitet wurde. Thompson beabsichtigte zu zeigen, dass Morris sich mit ganzem Herzen in die sozialistische Bewegung seiner Zeit warf und genau wusste, was er tat. So weit stimme ich zu, aber Thompson erlaubte sich darin fehl zu gehen, aus Morris nicht nur einen Marxisten – der er bis zu einem gewissen Punkt war – sondern ihn auch zu jemand zu machen, der, würde er jetzt leben, voller Sympathie für die kommunistische Interpretation des Marxismus wäre – Ein-Parteien-Diktatur, sogenannter ‚demokratischer Zentralismus‘ und all dem. Das, ich bin mir sicher, beruht auf einem falschen Verständnis der Grundhaltung von Morris. Es wäre vollständig konträr zu Morris‘ Denken und Empfinden, irgendeine Politik zu fördern, die es einschließt, die Menschen in der Masse als bloße Einheiten in einer sozialen Klasse zu betrachten oder die Konzentrierung riesiger Macht in Händen Weniger, die beanspruchen, geniale Repräsentanten einer Klasse und ihre Vorhut zu sein und als solche berechtigt, rücksichtslos die individuellen Menschen als Mittel zum Zweck einzusetzen oder die Gültigkeit der Menschenrechte für Menschen abzustreiten, die als ‚Klassenfeinde‘ eingestuft werden. Was immer seine Schwächen als Denker waren, Morris hatte tiefen Respekt vor dem Recht des einfachen Menschen, als er selbst wichtig genommen zu werden und die Freiheit zu erhalten, seine eigenen Lebensbedingungen zusammen mit seinen Kollegen und Freunden innerhalb eines nicht zu großen Maßstabes zu gestalten, der ihm eine wirkliche Chance bietet, seine Sachen selber zu regeln. Er sah außerordentlich klar, dass die meisten Menschen dieses Chance nicht bekommen können, solange sie im größeren Teil ihres Lebens dazu verurteilt sind, nach Befehlen Routinearbeiten zu verrichten, in denen sie weder kreative Erfüllung noch die Wahrnehmung als Menschen bekommen und nicht nur als Bestandteile einer unmenschlichen Produktionsmaschine, auf die sie keinen Einfluß nehmen können. Er sah, dass das Bestehen solcher Bedingungen im täglichen Leben der meisten Menschen auf ihre Freizeit und ihren Lebensstil zurückwirken muss und sie unfähig macht, gute verantwortungsbewusste Bürger zu sein und glücklich und erfüllt in ihrem privaten Leben. Als Gegenmittel gegen diese Verweigerung der Humanität schlug er zwei Dinge vor – die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung und die Wiederherstellung der Freude an kreativer Arbeit für den einfachen Menschen, die ihm durch die Massenproduktion genommen wurde und für die er überzeugende Beweise in der Qualität der Alltagsgegenstände primitiverer Völker und in den höchsten Leistungen der mittelalterlichen Architektur und dekorativen Kunst fand. Er mag falsch gelegen haben – ich denke er war es – in seinem Vorschlag, dass es sich die Menschheit leisten könne, auf die moderne Technik zu verzichten und zur Handarbeit zurückzukehren als ausreichendes Mittel um die täglichen Bedürfnisse einer rasch wachsenden Konsumbevölkerung zu erfüllen. Er lag aber nicht falsch sondern vollkommen richtig, dass eine Gesellschaft nicht gesund sein kann solange die meisten ihrer Mitglieder in elender Mühsal leben, die nur durch pekuniäre Belohnungen erträglich wird. Wenn wir den Appell von Morris für die Rückkehr zur Handarbeit als Mittel zur Wiedererlangung der kreativen Eigenschaften des Alltags ablehnen wollen, dann müssen wir Alternativen haben, um die Arbeit zur Quelle von Vergnügen zu machen anstatt eines auszuhaltenden Übels, das uns mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Für eine Person wie mich, die immer eine Arbeit tun konnte, die mir Freude machte und die zu entbehren mich trübselig gemacht hätte, ist die Frage der Freude an der Arbeit fundamental für gutes Leben. Mehr noch, ich lehne es wie Morris ab anzunehmen, dass andere Menschen so verschieden von mir seien, um nicht tief unter einem Leben zu leiden, in dem sie keine Freude finden und ich lehne es ab, auch nur in Erwägung zu ziehen, für irgendeine Art von Gesellschaft zu arbeiten, die in ihren Zielen nicht die Wiederherstellung der Möglichkeit, sich in freundschaftlicher Kooperation mit anderen in befriedigenden Formen kreativer Arbeit zu engagieren – auf einem viel höheren Niveau als dem primitiver Völker. Hier ist nicht der Platz um in die Erörterung der Wege einzusteigen, mit denen ich glaube, dass moderne Gesellschaften diese Aufgabe angehen können ohne die wesentlichen Vorteile der Produktion in großem Maßstab zu opfern. Aber es ist mir gerade deshalb wichtig festzuhalten, dass, so das sozialistische Ziel definierend, die zwei Sozialisten, denen ich am meisten schulde diese beiden sind: zuerst William Morris und nach ihm Fourier, der das Vergnügen des Menschen an der Arbeit zum Eckstein seines Systems machte.


Diesen Vortrag hielt G.D.H. Cole vor der William Morris Society am 16. Januar 1957 in den Räumen der Art Worker’s Guild, London. Die Erstveröffentlichung entstand 1960 als Privatdruck am Leicester College of Art: 

William Morris as a Socialist Dem Druck des Vortrags war eine kurze Lebensbeschreibung und Erinnerung an Professor G.D.H. Cole angefügt:

Der Tod von G.D.H. Cole am 14. Januar 1959 hinterlässt eine schwere Lücke in den Reihen der sozialistischen Intellektuellen. In diesem Vortrag nennt er selbst William Morris als Quelle seiner sozialistischen Inspiration, doch auch Cobbett und Owen beeinflussten ihn stark. Er inspirierte wiederum viele andere, eine sozialistische Überzeugung anzunehmen – durch seine Lehrtätigkeit, sein umfangreiches schriftstellerisches Werk, durch seinen persönlichen Mut, seine Integrität und entschiedenen Idealismus.
Karikatur Morris ColeZwischen Cole und Morris gibt es viele Ähnlichkeiten – sie teilten einen grimmigen Hass gegen soziale Ungerechtigkeit und gegen die Hässlichkeit und den Materialismus der kapitalistischen Gesellschaft. Sie mochten keine Kompromisse und hatten wenig Geduld mit parlamentarischer Politik. Bürokratie war ihnen verabscheuenswert, sie waren wesentlich individualistische Sozialisten, die lieber mit kleinen Gruppen Gleichgesinnter arbeiteten als die politische Macht zu suchen. Im Philosophischen waren sie Neo-Anarchisten, nach einer Form der Gesellschaft suchend, in der das Individuum Meister seines Schicksals sein und konstruktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann in freiwilliger Kooperation mit seinen Genossen. Sie fanden ihre Erfüllung in schöpferischer Arbeit und suchten nach Wegen, um diesen Segen auf den Rest der Menschheit auszuweiten. Obwohl Cole selbst kein Handwerker war, liebte er schöne Dinge und wollte, dass alle Menschen die Möglichkeit bekommen, sich an ihnen zu erfreuen.
Coles Hauptwirken in der Praxis begann während und nach dem 1. Weltkrieg als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Amalgamated Society of Engineers, als Sekretär des Labour Research Departement und als führender Gildensozialist. Er hatte beträchtlichen Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegung und 1921 aktiven Anteil am Entwurf der neuen Constitution des T.U.C.; auch der Arbeiterbildung war er tief verbunden.
1925 kehrte er nach Oxford zurück und wurde hier der Mittelpunkt des sozialistischen Denkens und eine Inspiration für Studenten aus allen Ecken der Welt. In den 1930ern war er Mitbegründer der neuen Socialist League und des New Fabian Research Bureau, später Vorsitzender und Präsident der Fabian Society. Aber den wichtigsten Beitrag leistete er durch sein Schreiben – durch seine ungezählten Artikel im New Statesman und anderen Zeitschriften und seine vielen Bücher, von World of Labour (1913) bis zu seiner monumentalen History of Socialist Thought, deren letzter Band 1960 posthum erschien. Er versuchte die Ideen von Morris und Owen mit einer großindustriellen Gesellschaft zu versöhnen und er blieb instinktiv bis zum Schluss ein Gildensozialist.
Wie Morris war Cole vor allem ein Rebell gegen jede Art von ‚Establishment‘. Er wusste was er sagte und gab seinen Ansichten klar und furchtlos Ausdruck. Sein Charme und seine Ernsthaftigkeit gewannen ihm zahllose Freunde und Bewunderer.
Menschen dieses Kalibers sind für den sozialen Fortschritt unerlässlich. Hoffen wir, dass die Gussform, aus der sie kommen, nicht zerbrochen ist.
H.D. Hughes, Ruskin College, Oxford

Eigene Übersetzung, 2014
Hier noch ein früherer Essay aus dem Jahr 1934 zum 100. Geburtstag: Morris and the Modern World (noch nicht übersetzt).

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