Vorbemerkung: Der Titel klingt vielleicht nicht allzu spannend (für jemand, der direkt damit wenig zu tun hat), dennoch ist der Artikel gerade auch für die heutige Wahrnehmung von Morris in unserer entfremdeten und industrialisierten Umgebung sehr aufschlussreich. In ihm klärt Morris seine Haltung zu Handwerk, zum Für und Wider der Maschinenproduktion, und wie die Verbindung von Kunst und Handwerk parallel läuft zur Emanzipation und Veränderung der Gesellschaft hin zur Gleichheit. Er grenzt sich vom Ästhetizismus ab, von der Kunst um der Kunst willen und sieht nur eingeschränkte Reformaussichten durch das Kunstschaffen selbst. Dabei hat er sicher auch an seine Freunde gedacht, die die Art Workers Guild gegründet hatten und zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels (1888) die erste Arts and Crafts Exhibition ausrichteten. Morris war nicht, wie es oft heißt, der Gründer der Arts and Craft-Bewegung, obwohl er natürlich einerseits eine Leitfigur war und sich auch an den Aktivitäten beteiligte und später für einige Jahre auch den Vorsitz übernahm.
Seit gewisser Zeit ist ein beträchtliches Interesse für das zu erkennen, was in unserem modernen Slang „handwerkliches Können“ (Workmanship) heißt und seit kurzem gibt es ein wachsendes Gefühl, dass dieses Kunsthandwerk, um irgendeinen Wert zu haben, etwas von der Individualität des Herstellers in sich einschließen muss, neben der künstlerischen Qualität, welcher Art auch immer, durch das Design des planenden Entwerfers (der aber nicht die Arbeit ausführt). Dieses Gefühl geht so weit, dass sich eine Mode verbreitet, die nach handgefertigten Güter verlangt, selbst wenn diese in keiner Weise verziert sind, wie z.B. handgesponnene und handgewebte Woll- oder Leinenstoffe, handgestrickte Strumpfwaren und dergleichen. Es ist nicht einmal ungewöhnlich, Bedauern über das Verschwinden der Handarbeit auf den Feldern zu hören, was jetzt sogar in abgelegeneren Gegenden schnell geschieht. Über Sense, Sichel und sogar Dreschflegel wird lamentiert und viele sehen mit triefender Seele die Zeit heraufziehen, da Handpflug und Drehmühle vollkommen verschwunden sein werden und landauf, landab das Rasseln der Dampfmaschine das Pfeifen des Pflügers mit lockigem Haar verdrängt haben wird. Leute, die entweder interessiert sind oder vorgeben, ein Interesse an den Einzelheiten der Kunst des Lebens zu haben, verspüren das Verlangen, in der Produktion ganz generell zu den Methoden der Handarbeit zurückzukehren und deshalb ist es sicher sinnvoll zu überlegen, ob das nur ein unverwirklichbares reaktionäres Gefühl ist oder ob sich eine tatsächlich kommende Veränderung unserer Lebensgewohnheiten ankündigt, die ebenso unwiderstehlich sein wird wie die vorhergegangene Veränderung, die das System der Maschinenproduktion schuf, gegen das jetzt eine Auflehnung im Gange ist.
In diesem Artikel werde ich die Beschreibung der Auswirkungen des Gegensatzes von Maschinen versus Handarbeit soweit ich kann auf die Künste beschränken, wobei ich das letztere Wort so umfassend wie möglich verwende, also alle Produkte der Arbeit einschließe, die irgendeinen Anspruch darauf haben, als schön zu gelten. Ich sage so umfassend wie möglich: denn so wie alle Wege nach Rom führen, so fußen das Leben, die Gewohnheiten und Bestrebungen aller Gruppen und Klassen auf den wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen die Masse der Menschen lebt und es ist nicht möglich, die sozialpolitischen Fragen aus ästhetischen Überlegungen auszusparen. Und obwohl ich mich auch als Teilnehmer an dem oben erwähnten reaktionären Bedauern bekennen muss, so muss ich aufs Schärfste die rein ästhetische Sichtweise ablehnen, die auf den Pflügenden mit Ochsen und Pflug schaut, auf den Erntenden, seine Arbeit, seine Frau und sein Mittagessen, also auf häufige Elemente auf einem hübschen Wandvorhang, gemacht um das Studierzimmer einer nachdenklichen, kultivierten Person zu verschönern, die aber die Darstellung und Differenzierung nur insoweit würdigt, als es die Schönheit des Bildes anbelangt. Was ich dagegen wünsche: dass der Schnitter und seine Frau selber ihren gebührenden Anteil an der ganzen Fülle des Lebens haben sollten. Ich kann ohne große Mühe aus dem Bild lesen, wie berechtigt ihr Anruf an mich ist, einen Teil ihrer Last zu tragen; dass wir alle zusammen aufgerufen sind, ihnen beizustehen, damit keine schwer zu tragende Last zwischen uns stehe.
Um auf unsere Ästhetik zurückzukommen: obwohl ein gewisser Teil der kultivierten Klassen von heute das Verschwinden der Handarbeit aus der Produktion bedauert, bleiben sie ganz vage darin, wie und warum sie verschwindet und wie und warum sie wiederkehren solle oder könne. Um mit diesem Punkt zu beginnen: der großen Öffentlichkeit sind die meisten Methoden und Prozesse in der Güterproduktion weitgehend unbekannt. Das ist sicherlich eine Folge des Maschinensystems, das wir hier betrachten. Fast alle Güter werden getrennt vom Leben derer hergestellt, die sie verbrauchen; wir sind für sie nicht verantwortlich, unser Wille hat keinen Einfluss auf ihre Herstellung – nur insoweit als wir einen Teil des Marktes bilden, dem sie aufgezwungen werden für den Profit eines Kapitalisten, dessen Geld an der Herstellung beteiligt ist. Der Markt stellt fest, dass bestimmte Güter nachgefragt werden und er beschafft diese Waren auch, aber ihre Art und Qualität ist nur in sehr grober Weise an die Bedürfnisse der Kunden angepasst, denn die Bedürfnisse des Publikums sind den Interessen der kapitalistischen Beherrscher des Marktes untergeordnet und diese können die Kundschaft dazu bringen, sich mit einem weniger wünschenswertem Artikel zufrieden zu geben. Die Folge ist, dass in dieser Hinsicht unsere prahlerische Individualität eine Farce ist. Diejenigen die nach etwas verlangen, das auch nur ein bisschen vom ausgetretenen Pfad abweicht, müssen ihr Leben in einem meist vergeblichen Wettstreit mit einer mächtigen Organisation verschleißen, die ihre Wünsche missachtet oder sie müssen um eines ruhigen Lebens willen zusehen, wie diese Wünsche zerschreddert werden. (…)
Es ist eine natürliche Konsequenz dieser Unwissenheit über die Methoden der Warenproduktion, dass selbst jene, die gegen die Herrschaft der exzessiven Arbeitsteilung in den lebensnotwendigen Beschäftigungen aufbegehren und mehr oder weniger zum Handwerk zurück wollen, auch darin unwissend sind, was das Wesen des Handwerks war, als es alle Güter herstellte. Wenn ihre Empörung von irgendeiner Hoffnung begleitet sein soll, dann ist es notwendig, dass sie etwas darüber wissen. Ich muss davon ausgehen, dass viele oder die meisten meiner Leser nicht mit sozialistischer Literatur vertraut sind und wenige unter ihnen die bewundernswerte Darlegung der verschiedenen Epochen der Produktion kennen, die in dem großen Werk von Karl Marx mit dem Titel „Kapital“ gegeben wird. Ich bitte deshalb um Verzeihung, wenn ich sehr kurz zusammenfasse, was hauptsächlich durch Marx zum selbstverständlichen Wissen von Sozialisten geworden ist, was außerhalb des Sozialismus aber kaum bekannt ist. Seit dem Beginn des Mittelalters gab es drei große Perioden der Produktion. Während der ersten oder mittelalterlichen Periode war jede Produktion der Methode nach individuell. Während die Arbeiter in größeren Einheiten der Produktion und Organisation zusammengeschlossen waren, waren sie darin als Bürger (citizens) verbunden, nicht als bloße Arbeitskräfte. Es gab nur geringe oder keine Arbeitsteilung und die maschinellen Hilfsmittel waren von der Art kombinierter Werkzeuge, die die Handarbeit nicht ersetzten, sondern nur erleichterten. Der Arbeiter schaffte für sich und nicht für einen kapitalistischen Arbeitgeber und er war demzufolge Herr seiner Arbeit und seiner Zeit. Das war die Periode der reinen Handarbeit. Als in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts der kapitalistische Arbeitgeber und der sogenannte freie Arbeiter erschienen, wurden die Arbeiter in Werkstätten konzentriert, die alten Werkzeuge wurden verbessert und schließlich fand eine neue Erfindung, die Arbeitsteilung, ihren Eingang in die Werkstätten. Die Arbeitsteilung wuchs weiter durch das ganze siebzehnte Jahrhundert und wurde im achtzehnten perfektioniert, als statt einem Einzelnen die Gruppe zur Arbeitseinheit wurde. Oder in anderen Worten, als der Arbeiter Teil einer Maschine wurde, die manchmal nur aus menschlichen Wesen bestand und manchmal aus Menschen plus arbeitssparende Maschinen, die gegen Ende dieser Periode zahlreich erfunden wurden. Die letzte Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sah den Beginn der letzten Periode der Produktion, die die Welt kennt: die der automatischen Maschine, die die Handarbeit ersetzt und den Arbeiter, der zunächst ein Handarbeiter mit unterstützenden Werkzeugen war, dann ein Teil der Maschine, zuletzt ein Anhängsel der Maschine. Und soweit wir sehen können ist die Revolution in dieser Richtung der Art nach vollkommen, obwohl dem Grad nach die Tendenz weitergeht zur Ersetzung von mehr und mehr „Muskelarbeit“, wie es David A. Wells letztes Jahr (1887) aufgezeigt und benannt hat.
Das ist kurz gefasst die Evolutionsgeschichte der Industrie der letzten fünfhundert Jahre und jetzt kommt die Frage: ist der Wunsch berechtigt, dass das Handwerk seinerseits wiederum die Maschinen ersetzen soll? Vielleicht ist es besser, die Frage anders zu stellen. Wird die Maschinenperiode sich in einer erneuten Periode der noch größeren Unabhängigkeit von menschlicher Arbeit, als wir uns das jetzt überhaupt vorstellen können, fortsetzen oder wird sie ihre Widersprüchlichkeit in der Gestalt einer neuen und verbesserten Periode der Handwerksproduktion ausformen? Die zweite Fassung der Frage ist vorzuziehen, denn sie hilft uns, eine vernünftige Antwort darauf zu geben, was Menschen mit irgendeinem Interesse an äußerer Schönheit mit Sicherheit fragen werden: Ist der Übergang vom Handwerk zur Industrie gut oder schlecht? Und die Antwort für mich lautet, so wie es mein Freund Belfort Bax ausdrückte: statisch gesehen schlecht, dynamisch gesehen gut. Als Grundbedingung des Lebens ist Maschinenproduktion insgesamt ein Übel; als Instrument, das uns bessere Lebensbedingungen aufzwingt, war sie und wird sie für einige Zeit noch unverzichtbar sein.
Nachdem ich so versucht habe, mich von purem reaktionärem Pessimismus zu säubern, lasst mich nun versuchen zu erklären, warum Handwerk für mich unbedingt vorzuziehen ist und seine Zerstörung eine Degradation des Lebens darstellt. Nun, zunächst schrecke ich nicht davor zurück, offen zu sagen, dass Maschinenproduktion notwendigerweise in utilitaristischer Hässlichkeit von allem endet, woran der Mensch arbeitet; das ist ein ernstes Übel und eine Degradation des menschlichen Lebens. Diese Tatsache ist sehr klar; obwohl einige Leute es wagen werden, den letzten Teil der These zu leugnen, sieht es der größere Teil der kultivierten Menschen im Grunde ihres Herzens doch nicht als Übel an, denn ihre Degradation ist schon so weit gediehen, dass sie, was ihren Sehsinn betrifft, nicht mehr zwischen Schönheit und Hässlichkeit unterscheiden können. Ihr mattes Einverständnis mit der Erwünschtheit von Schönheit ist bei Ihnen lediglich eine Konvention, ein geheucheltes Überbleibsel aus der Zeit, als Schönheit allen Menschen eine Notwendigkeit war. Den ersten Teil der These (dass die Maschinenindustrie Hässlichkeit produziert) kann ich mit diesen Menschen nicht diskutieren, weil sie vom Unterschied zwischen Schönem und Hässlichen weder wissen, noch darauf achten und mit jenen, die verstehen, was Schönheit bedeutet, muss ich nicht argumentieren, weil sie mit der Tatsache, dass die Produkte des modernen Industrialismus hässlich sind, nur zu vertraut sind. Wann immer etwas Altes verschwindet, wird seine Stelle von etwas eingenommen, was geringer ist an Schönheit und das sogar auf den Feldern und in der offenen Landschaft. Die Kunst, alle gewöhnlichen Dinge, Fahrzeuge, Tore, Zäune, Boote, Schüsseln, man denke nur an Häuser und öffentliche Bauten usw. schön zu machen, unbewusst und ohne Anstrengung, ist verschwunden. Wenn irgendetwas von diesen einfachen Dingen erneuert werden muss, ist die einzige Frage, die gestellt wird, wie man es mit geringstem Aufwand bewerkstelligen kann, um uns so über unsere Verantwortung hinwegzuhelfen und das In-Ordnung-Bringen auf die nächste Generation zu übertragen.
Man könnte sagen und ich habe das auch schon gehört: da der Welt noch einiges an Schönheit übrig geblieben sei und auch einige Leute, die sie bewundern, so müsse es sicher auch einen gewissen Zuwachs zu dem zugegebenen Eklektizismus unserer Tage geben, denn die Hässlichkeit, die so allgemein geworden ist, brauche einen Kontrast, wodurch die vergleichsweise seltene Schönheit höher geschätzt würde. Das vermute ich ist nur eine weitere Ausprägung jener Maxime, jenem Notanker der faulsten und feigsten Gruppe in unseren kultivierten Schichten, dass es von den Vielen ein gutes Werk sei, für die Wenigen zu leiden. Aber wenn jemand in gutem Glauben die Furcht äußert, dass wir vor lauter Glück über eine angenehme Umgebung diese nicht geniessen können, dann muss ich antworten, dass mir das wie eine sehr weit hergeholte Furchtsamkeit vorkommt. Selbst wenn die Gezeiten schließlich einmal die Richtung ändern und den modernen Schmutz und diese Vulgarität hinwegschwemmen, werden, wie ich vermute, viele Generationen sich mühen, die Transformation zu vollenden. Wenn das erreicht ist, wird uns als Erstes der Triumph unseres Erfolges freuen und dann die Geschichte des langen Watens durch das faulige Meer der Hässlichkeit, dem wir entkommen sein werden.
Die richtige Antwort auf diesen Einwand geht aber tiefer: meiner Meinung nach ist es gerade diese Einstellung, Schönheit um der Schönheit willen zu schaffen, die wir vermeiden wollen – gerade sie ist geeignet, unter den Künstlern und ihrem Anhang Affektiertheit und Verweichlichung zu fördern. In den großen Tagen der Kunst galt es dem bewussten künstlerischen Streben, große Werke zum Ruhm der Stadt zu schaffen, zum Triumph der Kirche, der Begeisterung der Bürger und der Festigung der Schar der Getreuen; sogar in der höheren Kunst war das Erzählen der Geschichte, die Instruktion lebender und nachfolgender Menschen mehr das Ziel der Kunst als Schönheit für sich genommen und die niederen Künste waren unbewusst und spontan, sie gingen keineswegs in den raueren Seiten des Lebens auf, während sie die Menschen im allgemeinen dazu heranführten, die edleren Künste zu verstehen und mit ihnen zu sympathisieren. Aber wie unbewusst jene Hersteller der gewöhnlichen Schönheit sein mögen, sie werden und können nicht davon frei bleiben, unter diesen Bedingungen Vergnügen aus dem Tun ihrer Arbeit zu ziehen und das ist es, was mich am meisten bestärkt in meiner Hoffnung für die Wiedergenesung des Handwerks. Oft genug habe ich es gesagt und muss es hier wiederholen, denn es gehört so zentral zu meinem Eintreten für das Handwerk: solange die Menschen es zulassen, dass ihre tägliche Arbeit ungelinderte Sklavenarbeit ist, werden sie das Glück vergeblich suchen. Und ich sage, dass die schlimmsten Tyrannen in den Tagen der Gewalt nur schwache Quäler waren, verglichen mit den Industriekapitänen, die den Arbeitenden das Vergnügen an der Arbeit genommen haben. Ich bin absolut sicher, dass das Handwerk, im Zusammenwirken mit anderen Bedingungen Schönheit und Vergnügen in der Arbeit wiederbringen wird. Und wenn das so ist, und dieses doppelte Vergnügen von hübscher Umgebung und glücklicher Arbeit den Platz der doppelten Quälerei durch elende Umgebung und erbärmliche Sklavenarbeit einnehmen könnte, haben wir dann nicht guten Grund zu dem Wunsch, dass das Handwerk wieder die maschinelle Produktion ersetzen sollte?
Ich bin nicht so blind, die gewaltigen Veränderungen zu übersehen, die diese Revolution bedeutet. Für einen Wohlhabenden lautet der Leitspruch der modernen Zivilisation: Vermeide es, Mühen auf dich zu nehmen! Lass möglichst viele deiner Lebensaufgaben von anderen für dich erledigen! Ein Stellvertreter-Leben ist die Devise unserer Zivilisation und wir wohlhabenden und kultivierten Leute leben wahrlich sanft, solange sie andauert. Aber schaut, was ist mit den Vikaren, die mehr für uns tun als nur eine Messe zu lesen gegen mageres Gehalt? Werden sie das bis in alle Ewigkeit tun? Denn das Abwälzen von Verantwortlichkeiten von dem einen auf den anderen muss einmal enden und irgendjemand muss schließlich die Last tragen. Lassen wir das hier, denn ich schreibe nicht über Politik; betrachten wir einen anderen Aspekt der Sache.
Zu welch desolaten, verdrehten Kreaturen sind wir geworden durch das Übermaß an Arbeitsteilung in den Beschäftigungen des Lebens! Was im Himmel machen wir mit unserer Zeit, wenn wir die Kunst eines Stellvertreter-Lebens zur Perfektion getrieben haben, nachdem wir vorher die Frage noch verkompliziert haben durch unablässige Erfindung künstlicher Bedürfnisse, die wir uns aber nicht selbst erfüllen wollen? Werden wir alle (ich meine die breite Mittelklasse) zu Philosophen, Dichtern, Schriftstellern werden – in einem Wort Genies, die auf die ordinären Funktionen des Lebens mit derselben Art von Verachtung herabblicken wie Personen mit guter Abstammung auf ein gutes Dinner, um es trotzdem eifrig zu futtern? Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie wir uns gegenseitig langweilen werden, wenn wir bei dieser Perfektion angelangt sind. Nein, ich glaube, dass wir in allen kulturellen Disziplinen deutlich mehr Genies haben, als wir bequem ertragen können und dass es uns eher an Publikum, denn an Predigern mangelt. Ich muss meine Leser um Pardon bitten, aber unsere Frage ist so schwerwiegend und so absurd zugleich, dass man kaum das Lachen aus erbitterter Seele heraus unterdrücken kann. Mitten aus unserem Pessimismus heraus prahlen wir mit unserer Weisheit, doch wir sind hilflos angesichts der Bedürfnisse, die wir geschaffen haben, und die uns trotz unserer Sorge um die Kunst jetzt auf der einen Seite in einen Luxusanspruch treiben, der nicht von Schönheit eingelöst wird und in tiefes Elend, ereignislos und unromatisch, auf der anderen Seite. Und eines Tages wird uns das in den blanken Ruin treiben.
Ja, wir brauchen bitterlich ein System der Produktion, das uns schöne Umgebungen und vergnügliche Beschäftigung bietet. Das uns dahin leitet, gute menschliche Lebewesen zu sein, die etwas für sich selbst tun können, damit wir alle zusammen intelligent sein können, anstatt uns auf der einen Seite in beschränkte Arbeitssklaven oder noch beschränktere Vergnügungssuchende zu unterteilen – entsprechend unserer Klassenlage – oder in glücklose, pessimistische Personen und Anwärter auf diese Ehre andererseits. Ganz gewiss brauchen wir Freude in unserer täglichen Arbeit und Zufriedenheit in unserer täglichen Ruhezeit und beides können wir nicht bekommen, wenn wir die ganze Verantwortung für die Einzelheiten unseres täglichen Lebens an Maschinen und ihre Betreiber abgeben. Wir haben damit Recht, wenn wir nach intelligenter Handwerksarbeit verlangen, dass sie in die Welt zurückkehre, die sie früher erträglich machte, umgeben von Krieg, Tumult und Lebensunsicherheit und die, möchte man meinen, jetzt glücklich machen könnte, nachdem wir so friedlich sind und gegenseitig so aufmerksam auf unser irdisches Wohlbefinden achten.
Damit kommen wir zu der Frage: wie kann die Veränderung herbeigeführt werden? Und hier stoßen wir sofort auf die Schwierigkeit, dass Krankheit und Tod des Handwerks, so wie es aussieht, eine der Tendenz unserer Zeit innewohnende Folge ist. Wir wollten dieses Ziel und deshalb auch die Mittel. Seit den letzten Tagen des Mittelalters war die Schaffung einer intellektuellen Aristokratie sozusagen die geistige Absicht der Zivilisation, Seite an Seite mit ihrer materiellen Absicht, die Aristokratie des Status durch die Aristokratie des Besitzes zu ersetzen. Ein Teil des Preises, der für ihren Erfolg in dieser Absicht gezahlt werden musste (und einige werden sagen, es sei ein vergleichsweise unbedeutender Teil) ist, dass diese neue Aristokratie der Bildung aufgerufen war, das lebendige Interesse an der Schönheit und Romanze des Lebens aufzugeben, das einst immerhin der Anteil jedes Handwerker-Künstlers wenn nicht jedes Arbeiters war, und umgeben von einer häßlichen Vulgarität zu leben, wie sie die Welt bei all ihren Veränderungen bis zur modernen Zeit nicht kannte. Es ist nicht verwunderlich, dass sie sich bis vor kurzem dieser Degradation nicht bewusst war, aber manchen mag es verwunderlich erscheinen, dass sie sich nun teilweise dessen bewusst geworden ist. Es ist jetzt ganz üblich, Leute über diesen oder jenen Teil der Landschaft oder einen Vorort sagen zu hören: ‚Ach, vor einem Jahr oder so war es noch so schön, aber es ist durch die Bebauung ganz verunstaltet worden‘. Vor vierzig Jahren hätte man so ein Gebäude als große Errungenschaft angesehen, jetzt werden wir uns der Hässlichkeiten, die wir schaffen bewusst – und machen damit weiter. Wir erkennen den Preis für die Schaffung einer Aristokratie des Intellekts und selbst diese Aristokratie ist mehr als nur halb bedauernd über diesen Handel und wäre froh, wenn man das Gewonnene behalten könnte ohne den vollen Preis dafür zu bezahlen. Aber nicht nur das bloße Grummeln über diesen fortgesetzten Vormarsch der Maschinerie gegen das sterbende Handwerk, sondern auch die verschiedenen eleganten Kleinprojekte, mit denen einige von uns sich den Konsequenzen des Eine-hochstehende-Person-zu-sein entziehen wollen – niemand kann damit mehr als nur vorübergehenden und sehr beschränkten Erfolg haben. Die große Welle der kommerziellen Notwendigkeiten wird alle diese gutgemeinten Versuche des Dagegenstemmens überfluten.
Da aber schon all diese schwachen Bekundungen der Unzufriedenheit mit der Tyrannei des Kommerz Anzeichen einer revolutionären Phase sind, ist es für mich unvorstellbar, dass die Maschinenproduktion in ein ewiges Maschinenzeitalter übergehen wird oder dass das Leben voll und ganz in eine Missachtung des Lebens abgleiten wird. Es ist wahr, so mächtig wie die kultivierte Mittelklasse auch sein mag, ihr fehlt die Macht, um die Schönheit und die Geschichten des Lebens neu zu erschaffen. Das wird das Werk der neuen Gesellschaft sein, die das blinde Fortschreiten des Kommerzes herbeiführen wird – ja, schon jetzt herbeiführt. Die kultivierte Mittelklasse ist eine Klasse von Slavenhaltern und ihre Macht, entsprechend ihrer Wahl zu leben, wird begrenzt durch die Notwendigkeit, dauerhaft Lebensunterhalt und Beschäftigung für die Sklaven zu finden, von denen sie am Leben erhalten werden. Es kann nur eine Gesellschaft von Gleichen sein, die ein Leben nach ihrem Willen führen und sich damit dafür entscheiden können, auf großen Luxus und selbstsüchtigen Utilitarismus zu verzichten, im Ausgleich für das nicht nachlassende Vergnügen, die Fülle des Lebens auszukosten. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir schließlich die Gesellschaft von Gleichen verwirklichen werden. Und ebenso, dass diese dann nicht weiter ein stellvertreterhaftes Leben mittels der Maschinen erdulden werden – dass sie, kurz gesagt, die Herren der Maschinen und nicht ihre Diener sein werden, so wie es in unserer Zeit ist.
In der Zwischenzeit, in der wir durch eine lange Folge von sozialen und politischen Ereignissen werden gehen müssen, bevor wir frei entscheiden können, wie wir leben wollen, sollten wir selbst den schwächsten Protest begrüßen, der jetzt gegen die Vulgarisierung allen Lebens erhoben wird: erstens weil er ein Zeichen unter anderen für die Krankheit der modernen Zivilisation ist und dann, weil er helfen kann, Erinnerungen an die Vergangenheit lebendig zu halten, die notwendige Bestandteile des Lebens der Zukunft sind; ebenso an Arbeitsmethoden, die zu vergessen sich keine Gesellschaft leisten kann. Kurz, es soll gesagt werden, dass obwohl die Bewegung zur Wiederbelebung des Handwerks oberflächlich gesehen vernachlässigbar klein ist angesichts des riesigen Geflechts des Kommerzialismus, ist sie doch, im Zusammenwirken mit der allgemeinen Bewegung für ein freies Leben für alle, von der wir jetzt zunehmend umfasst werden, als Protest gegen geistige Tyrannei und als Anzeichen des Wandels, der die Transformation der Zivilisation in den Sozialismus bringt, ebenso beachtenswert wie ermutigend.
„The Revival of Handicraft“ in Fortnightly Review, November 1888.
Eigene Übersetzung 2015