Was wir zu erwarten haben

Damit meine ich nicht, was uns das Ideal des Sozialismus anzubieten hat, wenn wir es geschafft haben werden, die Köpfe der Leute in die richtige Richtung zu drehen. Ich meine die rationale Überlegung, was unserer heutigen Bewegung bei ihrem Herankommen an den Sozialismus begegnen wird. Es ist mir heute Abend nicht um Prophezeiungen zu tun, sondern um eine durchdachte Vorausschau auf die nächsten Schritte, abgeleitet aus den Erfahrungen der letzten. Das erscheint mir als trockene, entmutigende Aufgabe, denn sie hat notwendigerweise mit Scheitern und Enttäuschung zu tun, mit Dummheit und grundlosen Streitereien, kurz gefasst, mit der ganzen Misere, die das entwürdigende Spiel der Politik ausmacht. Dennoch muss es gemacht werden, damit wir den nächsten Schritt schaffen, den nächsten und wieder den nächsten, bis wir an den kommen, der uns das Ende aller Politik anzeigen wird.

In den letzten fünf Jahren hat die Bewegung, die für den Übergang von der Gesellschaft des sogenannten freien Vertrages zu der gemeinschaftlicher Organisation steht, eine große Veränderung durchgemacht. In den ersten Tagen unserer Bewegung konnten wir uns ernsthaft nichts anderes vornehmen, als jenen den Sozialismus zu predigen, die wenn überhaupt, von ihm nur den Namen kannten – in der Hoffnung, dass unter den Angesprochenen einige sein würden, die mit der Bewegung sympathisieren und fähig sein würden, zu lernen, was wir zu lehren haben oder sogar noch einiges mehr. In dieser Hoffnung wurden wir nicht enttäuscht.
Der größere Teil der Öffentlichkeit sah uns aus der Tiefe seiner Unwissenheit als reine Visionäre und aus der Tiefe seiner verworrenen, undurchführbaren eigenen Gedanken hielt er unsere Ansichten für undurchführbar. Zugegeben, hinter dieser Propaganda des Predigens stand der Gedanke, die von uns vorgeschlagene Änderung der Dinge werde durch einen Aufstand erreicht und das vermuteten selbst die mit der größten Aversion gegen Gewalt – keine anderen Mittel schienen vorstellbar, die unerträgliche Last wegzuheben, die auf uns lag. Wir dachten, dass jedem Schritt in Richtung Sozialismus durch die Reaktionäre Widerstand geleistet würde, indem sie gegen uns die staatlichen Ordnungskräfte einsetzten, die bis heute vollkommen unter der Macht der besitzenden Klassen stehen – dass je breiter die Bewegung, die Staatsmacht sie umso rigoroser unterdrücken würde. Und wir wurden darin bestätigt durch die Art, wie sie uns behandelten. Als die Bewegung noch ziemlich jung war, dachte die besagte Staatsmacht bereits, dass wir nicht nur verrückt, sondern gefährlich seien. Letzteres sind wir danach vielleicht auch geworden, aber nicht in der Weise wie sie meinten: daher all die dummen Polizeihändeleien gegen harmlose Versammlungen, Black Monday und Bloody Sunday und alles andere.
Nun kam noch das Andere: wie gesagt gewannen wir Anhänger und zwar gute. Schneller als erwartet, weil die Idee des Sozialismus lebendig war, auf dem Weg und ihr nur – wie jetzt – die entsprechend starke Gruppe an Leuten fehlte, die sie zu einer mächtigen Kraft machen würde. Über eine lange Zeit erreichten wir genau die Leute nicht, an die wir vor allem herankommen wollten – die Arbeiterklasse nämlich. Natürlich waren unter uns viele Arbeiter, aber sie kamen wegen ihrer eigenen Intelligenz oder Exzentrik, nicht einfach, weil sie Arbeiter waren. Tatsächlich ist es so, wie mir einmal ein Freund von uns sagte: wir waren viel zu sehr eine Ansammlung von Sonderlingen. Wie dem auch sei, die große Masse der Arbeiter und insbesondere die der Industrien mit dem höchsten Organisierungsgrad, standen dem Sozialismus feindlich gegenüber: sie sahen sich nicht wirklich als eine Klasse, sie identifizierten ihre Interessen mit denen ihrer Gewerkschaft, ihres Berufszweigs, ihrer Werkstatt oder Fabrik: das kapitalistische System erschien ihnen, wenn nicht himmelsgeboren, dann zumindest als vorgegeben und zweifellos unbesiegbar.
Ich kann nicht sagen, ob wir das erwartet hatten, aber es entmutigte uns nicht. Zum Teil weil wir es uns nicht eingestehen wollten, zuversichtlich bis zur Angeberei. Nun, vieles hat sich verändert: die Vorstellung eines erfolgreichen Aufstands innerhalb absehbarer Zeit verblieb allein in den Köpfen der Anarchisten, die eine seltsame Neigung zu der Ansicht zu haben scheinen, dass selbst die Gleichheit nicht zu akzeptieren sei, wenn sie nicht allein durch Gewalt gewonnen wäre. Fast alle haben aufgehört, an einen Wechsel durch katastrophisches Geschehen zu glauben. Kurz ausgedrückt, als Mittel zur Verwirklichung der neuen Gesellschaft hoffen die Sozialisten nunmehr, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, wodurch schließlich eine Mehrheit in das Parlament geschickt werden sollte um dort als erklärte Sozialisten und Delegierte des Sozialismus zu sitzen und darauf sollte folgen, was an Gesetzgebung nötig ist. Und obwohl die Zeit dafür noch sehr weit entfernt liegen mag, denken jetzt die meisten, dass die Hoffnung so handeln zu können, keineswegs unbegründet ist.
Daneben ist es nicht mehr so, dass die arbeitende Klasse dem Sozialismus feindlich ist; immerhin nimmt sie ihn allgemein, wenn auch vage an und von Zeit zu Zeit tritt sie durch Streiks und andere Agitation in Aktion, um ihre Anerkennung als Teil der Gesellschaft zu fordern und um nicht nur von oben herab als bloßer Bestandteil der profitschaffenden Maschinerie angesehen zu werden. Die Zahl derer, die grob als Sozialisten eingeschätzt werden können, ist enorm gestiegen, neben einer beträchtlichen Zunahme der Anzahl erklärter Sozialisten. All das hat so viel Eindruck auf die besitzenden Klassen gemacht, dass sie beginnen, über das Eingehen gewisser Konzessionen nachzudenken, gegenüber dem, was sie für Sozialismus halten – solange das „sicher“ gehandhabt werden könne.
Eine andere Veränderung hat außerhalb des Sozialismus stattgefunden unter den gewöhnlichen Politikern, die bestimmt in einem Zusammenhang mit unserer Bewegung steht: die alten politischen Parteien und ihre Losungen verlieren an Bedeutung. Als wir unsere sozialistische Arbeit in London begannen, waren die die orthodoxen Parteien der Tories und Liberalen so vollkommen dominierend, dass an die Möglichkeit keiner anderen Partei gedacht werden konnte und es war wirklich so, dass Wahlzeiten die schlechteste Zeit für unsere Propaganda waren: niemand mit irgendeiner politischen Färbung konnte seine Gedanken und Erwartungen von dem Schaukampf der großen Parteien fern halten. Jetzt ist es dagegen ein Allgemeinplatz geworden, dass zwischen den beiden großen Parteien kaum ein Unterschied besteht und viele denken sogar, dass auf dem Weg der Zugeständnisse von den Tories mehr rauszuholen wäre als von den Liberalen. Möglich, aber ich denke nicht. Auf der anderen Seite verliert die Liberale Partei an Boden und könnte auseinander brechen, vielleicht weil zu ihren einfachen Mitgliedern Menschen zählen, die man halbe Sozialisten nennen könnte. Wenn sie sich tatsächlich spaltet, wird das offensichtlich zu einer Koalition der rechten Liberalen mit den Tories führen, was eine ausreichend starke Partei ergäbe, um den Sozialisten die Stirn zu bieten und sich allen Zugeständnissen zu verweigern. Daneben der Rest der Radikalen, der sich dann als Parlamentspartei formiert und eine sehr schwache Partei bliebe, die zur Verschmelzung mit dem vorrückenden Sozialismus tendieren würde. Noch einmal, was immer geschehen ist oder auch nicht, die alte Manchester-Schule, das utilitaristische Laissez-Faire-Business, ist kurz nach erreichter allgemeinen Akzeptanz als unanfechtbare Theorie in den Augen aller intelligent-sein-wollenden Menschen abgestürzt. Neben allen Fortschritten auf der Arbeiterseite, was letztlich der Grund dafür ist, wird das ein großes Aufwühlen des Denkens und der Erwartungen außerhalb der engeren sozialistischen Bewegung bedeuten. Es bedeutet, dass überall Menschen in ihrer Ansicht von der Ewigkeitsdauer des bestehenden Systems erschüttert sind, die ihnen einmal als so unbezweifelte Tatsache galt, wie das Vorhandensein der Sonne am Himmel.

Was wird dann kommen? Es kann kein großes Erwachen und Gären in den Köpfen der Menschen geben, das ohne Folgen bliebe. Doch was ist bisher herausgekommen? Zuerst – folgte daraus irgendeine Verbesserung im materiellen Lebensstandard der Arbeiter? Ich denke nicht. Die  heftigen Streikkämpfe sind insgesamt gesehen sicherlich notwendig, aber es muss dafür bezahlt werden. Es war notwendig, die Aufmerksamkeit auf die Arbeitslosen unter uns zu richten. Aber sie sind arbeitslos geblieben. Nichts wurde für sie in der Masse getan und nichts wird für sie getan werden, denn es kann nichts getan werden, solange das bestehende System andauert. Dass periodisch Menschen, die arbeiten können, nicht arbeiten, ist unter dem jetzigen System notwendig, damit um die Arbeit Konkurrenz stattfindet. Und sicher ist: käme es dazu, dass denen, die in dieser Konkurrenz scheitern, Arbeitsplätze vom Staat gestellt werden, dann fallen tendenziell die Löhne aller Lohnbeschäftigten.
Ihr werdet sehen, dass allgemein gesprochen, das ebenso der Fall ist wie bei allen Maßnahmen, die die materiellen Bedingungen der Arbeiter verbessern sollen, ohne ihre Position zu verändern. Es bedeutet mehr oder weniger immer, den Hund mit seinem Schwanz zu füttern. Man verbessert die Bedingungen der einen Gruppe von Arbeitern auf Kosten anderer: damit schafft man partielle Zufriedenheit innerhalb allgemeiner Unzufriedenheit, täuscht die Leute und verhindert ihr Aktiv-Werden. Teile um zu herrschen – eine uralte Maxime der Gaunerzunft.
Ich hatte noch nicht begründet, warum ich nicht glaube, dass aus den Tories mehr herauszuholen ist als aus den Liberalen. Es liegt für mich auf der Hand; es ist diese Art von Konzessionen, die Euch die Tories machen werden: ihr Instinkt lässt sie lieber ein scheinbar großzügiges Geschenk geben (das Euch langfristig nichts helfen wird), als ein noch so geringes Recht zu gewähren. Natürlich ist von keiner Partei irgendeine wirklich sozialistische Maßnahme zu erwarten, das ist eine Unmöglichkeit; aber durch Druck könntet Ihr von den Liberalen gewisse nützliche Verbesserungen der jetzt knarrenden und schwerfälligen Wahlmaschinerie bekommen, wenn ihr Parlamentsmitglieder haben wollt, die für Euch die schmutzige Arbeit im Parlament erledigen.
Nein, Ihr dürft von der beginnenden Schlacht für den Sozialismus keinerlei deutliche Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse erwarten, die nur der Sozialismus bringen kann; solange die Schlacht dauert, bleibt nur die Hoffnung auf den Sozialismus. Meiner Ansicht nach wird für den entscheidenden Fortschritt der Arbeiterbewegung, dem Bewusstsein unter den Arbeitern, Bürger (Citizens) und nicht Maschinen sein zu wollen, wie für andere Dinge bezahlt werden müssen und dieser Preis wird nicht gering sein. Ich habe die Frage von allen Seiten her betrachtet und kann ums Leben nicht erkennen, wie der große Umschwung, den wir ersehnen, anders kommen sollte als durch Durcheinander und Leid in bestimmtem Maße. Nun, da selbst eine Schlacht zu einer Geschäftsangelegenheit gemacht wurde, der Kriegsgott jetzt einen Mantel aus Banknoten tragen und mit Goldstücken gekrönt werden muss, da der menschliche Mut hinter der dicksten Geldbörse und der neuesten Erfindung zurücksteht (worüber ich nicht klage, denn es erschwert die Ausübung der verfluchten Kunst des Verheerens und Abschlachtens), da der Krieg kommerzialisiert wurde – meine ich, wie schon gesagt: wir stehen nicht unter dem Appell, unser Ziel dem Schlachtfeld zu erringen.

Aber das Durcheinander und das Leid – können wir dem ausweichen? Ich fürchte nein. Wir leben in der kapitalistischen Weltepoche und da ich vor einer sozialistischen Gruppe spreche, zu einem mehrheitlich sozialistischen Publikum, demnach in einer Epoche, in der der Kapitalismus nicht mehr allein dasteht, d.h. in einer Epoche des Kampfes zwischen Kapitalismus, dem System rücksichtsloser Verschwendung und Kommunismus, dem System nachbarschaftlicher Gemeinschaft. Kann dieser Kampf ohne Leid und Verluste ausgefochten werden? Offen gesagt, ich weiß, dass es nicht so sein kann. Die Hebung des Lebensstandards, wenn nicht der Position der Arbeiterklasse, muss den reibungslosen Lauf der Märkte stören, muss die Profite der Arbeitgeber mindern, muss ihre Möglichkeit, Leute einzustellen verringern, muss ihre Finanzkraft reduzieren und der Herstellung mancher der vielen nutzlosen Artikel schaden, wovon die Arbeiterklasse hauptsächlich lebt. Was wäre der Schaden davon? Ihr könntet sagen keiner, denn es wäre ein Gewinn, lebten wir unter sozialistischen Bedingungen. So wie es jetzt steht, würde es den Rauswurf arbeitswilliger Menschen in großer Zahl bedeuten, wobei für den größeren Teil sehr schwer andere Beschäftigung zu finden wäre. Nehmt einen Strohhalm, der anzeigt, woher der Wind weht. Vor einigen Tagen bekam ich den Brief einer Dame, die ich etwas kenne: einst sehr reich und Frau eines sehr reichen Fabrikbesitzers in Manchester. Die Tendenz des Briefes war zweifach: 1. Klage über die Konkurrenz und wie sie anstatt früher mit großem Profit nun ihre Geschäfte mit Verlust betreiben. 2. Vorwürfe gegen mich, dass ich die Leute anstachle, um nach mehr Lohn und dergl. zu rufen, was die Möglichkeiten der Herren mindere, Beschäftigung zu schaffen: die Lösung für alle sei, dass die Leute ihre Forderungen zurückziehen und mit den Arbeitgebern, welche sie so liebhaben, zusammenarbeiten, usw. usf. Erst war ich nach dem Lesen des Briefes ärgerlich, aber dann lachte ich und dachte, wie recht hat doch der alte Spruch: Die Sorgen anderer Leute hängen an nur einem Haar. Und ich fühlte es schwierig, die Sorgen der Lady zu beweinen, so wie sie ihrerseits die gesenkten Löhne und das beschwerliche Leben der Arbeiter ihres Ehegatten. Aber wisst Ihr, zuletzt sagte ich mir: aus ihrer Sicht und der ihres Mannes wird sie schon recht haben. Denn zuerst, bevor ich etwas zu Eurer Taktik und Euren Forderungen sage, würde ich sie fragen: Was ist es, was Sie wirklich wollen?

Ja, denn vor allem anderen möchte ich eine aufrichtige Antwort auf diese Frage und lassen wir alle Konventionen, alle Rhetorik und Flunkerei beiseite: was erwartet Ihr von der heutigen Arbeiterbewegung? Höhere Löhne, regelmäßigere Beschäftigung? Kürzere Arbeitszeit, bessere Bildung für Eure Kinder, Altersrenten, Büchereien, Parks und den Rest? Ist es das und ähnliche Dinge, was Ihr wollt? Das sind sie natürlich, aber was wollt ihr darüber hinaus? Wenn Ihr diese Frage nicht geradeheraus beantworten könnt, dann muss ich Euch sagen, ihr wandert auf einer Straße ohne sagen zu können, wo sie hinführt. Und dann habt Ihr dabei weder eine hilfreiche Politik oder Taktik. Wenn Ihr die Frage beantworten könnt und sagt, ja, das ist alles, was wir wollen, dann gebe ich Euch den guten Rat: verzettelt Euch nicht mit Sozialismus, macht Frieden mit Euren Arbeitgebern bevor es zu spät ist und Ihr werdet merken, dass Ihr von ihnen und ihrem Komitee, dem House of Commons, jenes Maß an diesen Dingen bekommen werdet, das Euch höchstwahrscheinlich zufrieden stellt und auf jeden Fall alles, was sie Euch geben können, ohne sich zu ruinieren, wie sie es ausdrücken. Wenn das alles ist, was Ihr wollt, dann arbeitet mit und für Eure Arbeitgeber nach bester Möglichkeit; bedenkt ihre Interessen wie die Euren; passt auf, die Märkte nicht zu überfordern; bringt heute Opfer, damit es Euch morgen besser geht; konkurriert eifrig mit anderen Ländern; achtet sehr darauf, das zu produzieren und zu dem Preis, wie es Eure Absatzmärkte fordern und ich denke, dann werdet Ihr gut dabei sein. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass Ihr damit das Land in eine Aufschwungperiode zurückbringt, sondern Ihr werdet eher den Zusammenbruch um Einiges hinauszögern, der seit den letzten Jahren sehr wahrscheinlich näher zu rücken scheint. Auf jeden Fall werdet Ihr das Beste aus dem machen, was an Prosperität für uns, dem Lebensstandard entsprechend, als Arbeiter übrig bleibt.
Wenn das alles ist, was Ihr wollt – wie können dann wir, die wir keine Arbeiter sind, Euch Vorwürfe machen? Bei diesen Dingen denke ich immer, wie würde ich mich selber verhalten und finde es schwierig, eine Antwort zu geben. Was sollte ich an dieser Stelle tun? Deshalb muss ich zugeben, manchmal zu denken, wenn ich niedergeschlagen bin, dies sei alles, was Arbeiterbewegung meint: sie meint überhaupt nicht Sozialismus, sie meint nur Verbesserung der Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse: die wird sie in gewisser Art bekommen – bis der Zusammenbruch kommt, der noch sehr weit entfernt liegen mag. Aber es scheint mir, dass die Arbeiter unseres Landes von diesem geraden Weg zu einem Sklaven-Frieden doch so weit entfernt sind, dass ich nicht denken kann, sie würden nur dieses meinen: unperfekt, irrend, unorganisiert, chaotisch, wie diese Bewegung ist, trägt sie in sich Widerspruchsgeist gegen unser verrücktes, verschwenderisches System und einen Sinn für die Einheit der Arbeit gegen die Ausbeuter der Arbeit und das ist der eine erforderliche Gedanke für die, die sich noch so wenig bewusst zum Sozialismus orientieren. Eine Sache allein schon lässt mich denken, dass das Ziel größer ist als die Schablonisierung einer schöngefärbten akzeptablen Dienstbarkeit der arbeitenden Klassen und das ist der Erfolg von „Merry England“* unseres Genossen Blatchford: die Tausende, die das Buch gelesen haben, müssen, wenn sie es sorgfältig gelesen haben, entdeckt haben, dass etwas Besseres vorstellbar ist, als das Leben eines glücklichen Fabrikarbeiters. Denn was wäre ein solches schließlich mehr als als eine niedere Form des Arbeiterwohlstands, also Dauerbeschäftigung und ein „fairer Lohn für faire Arbeit“. Mit Sicherheit nicht weniger als das ist es, was das Leben lebenswert macht: Selbstrespekt, fröhliche und angemessene Arbeit, Freizeit, schöne Umgebung – in einem Wort, unser die Erde und ihre Fülle. Und sollte sonst niemand wagen wollen zu sagen, dass dieses gute Leben erreichbar ist, so lasst uns dieses Ziel hochhalten, bis wir von Grund auf und in Praxis sozialisiert sind. So möchte ich in der Hoffnung schwelgen, dass alle, die sich Sozialisten nennen, Labour Party und die am Rand dazu Gehörenden, sich nicht damit zufrieden geben, mit den besitzenden Klassen Frieden zu schließen, außer unter der Bedingung, dass alles, was die Arbeit betrifft, gründlich überlegt wird, dass die Interessen der Arbeiter an erster Stelle stehen usw., – dass sie wirklich den Sozialismus herbeiführen wollen und vorbereitet sind, den zeitweiligen dramatischen Effekten von Lohnsteigerungen zu stellen und all den Einzelheiten, die den gegenwärtigen Kampf zwischen Arbeit und Kapital ausmachen. Und dann kommt die Frage, was tun? Eine Frage, die umso mehr zu stellen ist, da wir im Moment sehr wenig tun.

Wir müssen also davon ausgehen, dass sozusagen die erste Etappe die Eroberung der allgemeinen Meinung im Land und die schrittweise erreichte Mehrheit im House of Commons bildet: und Ihr alle dürft nicht vergessen, dass bevor das getan werden kann, der denkende Teil der Bevölkerung sozialistisch geworden sein muss, so dass nur mehr der letzte Akt des Stücks zu spielen ist.
Nun, das ist das Ziel, zweifellos eine weite Strecke entfernt, doch keineswegs unerreichbar oder ein gestaltloser Traum. Was ist zu tun, um dahin zu kommen? Erstens – wer sind die sozialistischen Kräfte in diesem Land? Es sind zwei oder drei – zwei Gruppen, einesteils propagandistisch, andernteils wahlorientiert, vielleicht nicht stark, wenn nach Köpfen gezählt. Mehr zu ihnen möchte ich jetzt nicht sagen, da ich keine Kontroverse über ihre jeweiligen Verdienste will. Zumindest möchte ich festhalten, dass zwischen ihnen Rivalität besteht und manchmal Dissens. Neben diesen beiden Gruppen gibt es ohne Zweifel viele erklärte Sozialisten, die keiner Seite angeschlossen sind und daneben viele, die zum Sozialismus tendieren und sicherlich absorbiert werden, wenn es zu bestimmterer Aktion kommen wird. Aber es gibt natürlich keine Möglichkeit, genau zu sagen, wie viele ungebundene Sozialisten und halbe Sozialisten es sind.
Was soll mit diesen Rekruten angefangen werden, die im allgemeinen jetzt nicht gemeinsam agieren und meist ziemlich „ungedrillt“ sind? Also, sollen wir Sekte oder Partei sein? Das ist die nächste Frage: in der Anfangszeit, von der ich sprach, waren wir eine Sekte ohne den Anspruch, eine Partei zu sein und mussten auch keine sein. Bedenkt bitte, dass ich das Wort Sekte nicht mit Vorwurf oder Geringschätzung verbinde. Sekten hatten in der Vergangenheit großen Anteil an der Formung der Weltgeschichte: aber ihr wisst, wir haben beschlossen, ins Parlament gehen zu wollen und dafür scheint mir eine Partei definitiv notwendig zu sein. Indem wir uns als Sozialisten erklären, sollten wir unsere direkte Taktik auf dieses Ziel hin formulieren: ist einmal eine solche Partei gegründet, die keine der existierenden Gruppen spalten, sondern sie integrieren würde, wäre das ein Aufruf an alle wirklichen Sozialisten. Zumindest einer Sache bin ich mir sicher, dass wir, bis sie gebildet ist, gute propagandistische Arbeit leisten können aber nichts auf politischem Wege, was der Rede wert wäre. Meine Hoffnung ist, und sie wird erfüllt werden: wenn wir den Sozialismus nur wichtig genug nehmen, dass wir so viel Propagandaarbeit leisten und so viele Menschen für den Sozialismus gewinnen werden, dass sie dann darauf bestehen, eine wirkliche sozialistische Partei zu haben, die ihre Aufgaben richtig macht und dass sie es nicht erlauben, dass persönliche Spleens und Eitelkeiten von Führern (wie man sie nennt) der wirklichen Arbeit im Wege stehen.

Es mag noch einige Zeit hin sein, bis wir diese Partei bekommen, denn wir müssen warten, bis die Sozialisten allgemein die Vergeblichkeit erkennen, wenn einzelne Sektoren versuchen wollten, das zu tun, wozu es die ganze, gut organisierte Masse braucht. Wie sollte in der Zwischenzeit unsere Taktik aussehen? Ich denke, bis wir unsere Parteiarbeit effektiv angehen können, sollten wir alle Versuche darin besser lassen. Wir sollten uns auf das alte Lehren und Predigen des Sozialismus besinnen, klar und verständlich, was mehr oder weniger beim besagten vergeblichen Versuch, wie eine Partei zu agieren ohne eine zu sein, vergessen wird. Vor allem müssen wir gegenüber den Arbeitern mit Sympathien für den Sozialismus herausstellen: es gibt viele Maßnahmen, die Eurer Klasse zeitweilig zum Vorteil sein könnten, zeitlich begrenzt und experimentell, nur beim jetzigen Stand der Dinge anwendbar – aber es ist nicht Aufgabe der entschiedenen Sozialisten, sie durchzusetzen. Sollen die Liberalen und Radikalen und die Tories, wenn sie wollen, diese Experimente machen und alle Verantwortung für ihr Scheitern tragen, denn sie werden scheitern auf lange Sicht. Unser jetziges System wird keine dauerhafte Änderung in dieser Richtung zulassen. Grenzenlose Konkurrenz, das Laissez-faire der alten Manchester-Schule, das Privileg der besitzenden Klasse, modifiziert vielleicht durch Geschenke von der Art verbesserter Arbeitshäuser – in einem Wort: das Maschinen-Leben der nützlichen Klassen so unbeschwerlich gemacht wie möglich – das ist alles, was vom bestehenden System zu bekommen ist. Und noch einmal sage ich: wenn das Euer Ideal ist, kämpft nicht gegen Eure Arbeitgeber, denn damit werdet ihr nur Euren Lebensunterhalt aufs Spiel setzen.

Aber auf der anderen Seite: jene, die die wilde Sehnsucht haben, freie Menschen zu sein; die ihre Angelegenheiten selbst bestimmen wollen; die mit Freude arbeiten wollen ohne zu verschwenden; die heilen wollen, was auf der Oberfläche der Erde beschädigt wurde und die das Unbeschädigte erhalten wollen; die das Ausruhen, das Denken und Arbeiten ohne Angst und schlechtes Gewissen geniessen wollen, die – in einem Wort – wie Menschen leben wollen: lasst sie sagen: guter oder schlechter Lohn, gute Zeiten oder schlechte, gute Herren oder schlechte – nützen wir das, so gut wir können. Weniger wegen des Vorteils, den wir daraus ziehen können, sondern zur schnelleren Verwirklichung der neuen Gesellschaft – der Zeit, in der wir schließlich frei sein werden, weil wir gleich sind.


„What we have to look for“– die letzte öffentliche Rede von William Morris, vorgetragen am 31. März 1895 in London vor der Hammersmith Socialist Society und am 30. Oktober vor der Oxford and District Socialist Union.
Der Originaltext wurde vollständig erst 2010 veröffentlicht. Das handgeschriebene Manuskript befindet sich in der British Library.
In dieser Rede gibt Morris ein Bild der Lage und der zukünftigen Möglichkeiten und Strategie der sozialistischen Bewegung Englands aus seiner Sicht. Seine sozialistische Haltung ist unverändert, er geht aber einerseits (wie schon 1890 in Where are we now?) von der Vorstellung eines zu erwartenden Aufstandes ab. Andererseits stellt er in Rechnung, dass die Mehrheit der englischen Sozialisten unbedingt das Parlament benützen will. Aber er verweist das „üble Geschäft der Politik“ im Parlament auf die Situation, in der die Mehrheit der Bevölkerung für den Sozialismus gewonnen ist.
Seine Antwort auf die Frage „Was tun im Moment, in der womöglich langen Zwischenzeit?“ ist gleich geblieben: das Gewinnen von möglichst vielen Menschen für das sozialistische Ideal, wie er es am Ende der Rede knapp darstellt: Freiheit, Gleichheit, Einheit mit der Natur, Freude an der Arbeit und am Leben. Den Kampf um die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen findet Morris notwendig, aber opferreich und im Kapitalismus ohne große Aussicht. Nicht darüber gehe der Weg zur Umgestaltung der Gesellschaft. Und er sieht die Gefahr (wie 1893 in „Kommunismus“), dass gewonnene Zugeständnisse die Herrschaft des Kapitalismus befestigen könnten.
Wenn Morris von der (bald darauf gegründeten) Labour Party spricht, dann versteht er darunter eine nicht durch eine Strömung dominierte orthodoxe Verengung, keine Kaderpartei, keine Führer/Gefolgschafts-Partei, keine Parlamentspartei, sondern mehr eine One Big Union, die große Vereinigung aller Arbeiter und Sozialisten.
Ein Auszug der Rede von etwa dem halben Umfang wurde 1936 in einem der zwei Ergänzungsbände seiner Gesammelten Werke veröffentlicht. Dass nun die ganze Rede vorliegt, ist eine tolle Sache. Schade ist, dass ohne diesen wichtigen Quellentext in vielen Büchern über Morris seine Haltung gegen Ende seines Lebens unklar blieb oder sogar fehlinterpretiert wurde.

Dieser Beitrag wurde unter Texte von William Morris veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.