Manifest der Socialist League

Mitbürger,
wir treten vor Euch als eine Vereinigung, die die Prinzipien des revolutionären internationalen Sozialismus vertritt – das heißt, wir streben eine Veränderung der Grundlagen der Gesellschaft an: eine Änderung, die die Trennung in Klassen und Nationalitäten aufheben wird.
So wie die zivilisierte Welt gegenwärtig konstituiert ist, gibt es in ihr zwei gesellschaftliche Klassen – die eine besitzt den Reichtum und die Produktionsmittel, die andere schafft mit diesen Hilfsmitteln den Reichtum, aber nur, um ihn der besitzenden Klasse zu deren Verwendung zu überlassen.
Socialist-League-Manifesto-1885Diese beiden Klassen stehen notwendigerweise zueinander in Widerspruch. Die besitzende oder nicht-produzierende Klasse kann als Klasse nur von der unbezahlten Arbeit der Produzenten existieren – je mehr unbezahlte Arbeit sie aus ihnen herauspressen können, um so reicher werden sie; deshalb ist die produzierende Klasse – die der Arbeiter – gezwungen, die Verbesserung ihrer Lage auf Kosten der besitzenden Klasse zu erkämpfen. Dieser Konflikt hat kein Ende. Manchmal nimmt er die Form offener Rebellion an, manchmal von Streiks, manchmal nur von weit verbreiteter Bettelei und Kriminalität; aber er wird immer in der einen oder anderen Form bestehen, obwohl für den gedankenlosen Betrachter nicht immer offensichtlich. (Anmerkung A)
Wir sprachen von unbezahlter Arbeit: es muss erklärt werden, was damit gemeint ist. Der einzige Besitz der Menschen der produzierenden Klasse ist die ihren Körpern innewohnende Arbeitskraft. Aber da, wie wir schon sagten, die reicheren Klassen alle Werkzeuge der Arbeit besitzen – d.h. das Land, das Kapital und die Maschinen – müssen die Produzenten oder Arbeiter ihren einzigen Besitz verkaufen: ihre Arbeitskraft; und das zu den Bedingungen, die die besitzende Klasse gewährt.
Diese Bedingungen sind so, dass nachdem sie genügend produziert haben um sich arbeitsfähig zu erhalten und Kinder großzuziehen, die sie ersetzen können, wenn sie selber abgearbeitet sind, der Überschuss den Eigentümern der Produktionsanlagen gehört. Das Geschäft beruht darauf, dass jeder Mensch in einem zivilisierten Gemeinwesen mehr produzieren kann als das, was er für den eigenen Unterhalt braucht. (Anmerkung B)
Dieses Verhältnis der besitzenden Klasse zur arbeitenden Klasse ist die entscheidende Basis des für Profit produzierenden Systems, worauf unsere moderne Gesellschaft gegründet ist. Es funktioniert auf folgende Weise: Der Fabrikant stellt etwas her um es mit Profit an den Zwischenhändler zu verkaufen, der wiederum macht seinen Profit aus dem Weiterverkauf an den Großhändler, der wieder für Profit an den Kleinhändler verkauft, der seinerseits seinen Profit von der breiten Kundschaft holen muss – unterstützt in verschiedenem Grad von Betrug und Fälschung und von der Unwissenheit über Wert und Qualität der Güter, auf die dieses System den Konsumenten reduziert hat.
Das profitauspressende System wird durch Wettbewerb aufrechterhalten (oder verdeckten Krieg), nicht nur zwischen den sich bekämpfenden Klassen, sondern auch innerhalb der Klassen selbst: es gibt immer Krieg unter den Arbeitern um die reine Existenz wie unter ihren Herren und deren Mittelsmännern um den Anteil am Profit; zuletzt gibt es immer Wettbewerb und manchmal offenen Krieg zwischen den Ländern der zivilisierten Welt um ihre Position auf dem Weltmarkt. Aber heute sind tatsächlich alle Rivalitäten der Nationen auf diese eine reduziert – auf den erniedrigenden Streit um ihren Anteil an der Beute aus den kolonialisierten Ländern – um ihn hier dazu zu verwenden, den Reichtum der Reichen und die Armut der Armen zu vermehren.
Denn, nachdem die Güter für den Verkauf und erst in zweiter Linie für den Gebrauch hergestellt werden, wird Arbeit auf vielerlei Weise verschwendet; weil der Fabrikant zur Erlangung von Profit mit den anderen Fabrikanten konkurrieren muss um seine Ware auf dem Markt durch niedrigere Preise durchzusetzen – ob es eine wirkliche Nachfrage danach gibt oder nicht. In den Worten des Kommunistischen Manifests von 1847:
„Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“
Mehr noch, der ganze Bereich der Güterverteilung in diesem System ist voller Verschwendung, denn er beschäftigt ganze Armeen von Büroangestellten, Reisenden, Verkäufern, Werbeleuten und was nicht noch alles nur dafür, Geld aus der Tasche der einen Person in die einer anderen umzuleiten. Diese Verschwendung in Produktion und Güterverteilung plus dem Unterhalt der nutzlosen Leben der besitzenden und nicht-produzierenden Klasse – das alles muss aus dem Produkt der Arbeitenden bezahlt werden und liegt als ständige Bürde auf ihrem Leben.
Deshalb sind die zwangsläufigen Resultate der sogenannten Zivilisation nur zu offensichtlich am Leben ihrer Sklaven – der arbeitenden Klasse – abzulesen: an ihren Sorgen und dem Fehlen von freier Zeit neben der Plackerei; an der Ärmlichkeit und dem Elend der Viertel unserer großen Städte, in denen sie leben; an der Entstellung ihrer Körper; ihrer kaputten Gesundheit; an der kurzen Dauer ihres Lebens; an der schrecklichen Brutalität, die sie gewohnt sind – die aber nur der Reflex der zynischen Selbstsüchtigkeit ist, die wir unter den wohlhabenden Klassen finden – eine Brutalität so abstoßend wie die andere; und zuletzt an der Menge Krimineller, die genauso Produkte unseres kommerziellen Systems sind wie die billigen und schlechten Waren, die für die Armen gemacht werden – für ihren Konsum und zur ihrer Versklavung.
Was schlagen wir also vor zur Abhilfe dieses Versagens unserer Zivilisation, das jetzt von fast allen denkenden Leuten zugegeben wird?
Wir haben gezeigt, dass die Arbeiter, obwohl sie allen Reichtum der Gesellschaft produzieren, keinen Einfluss auf Produktion und Verteilung haben: das Volk, der einzig organische Teil der Gesellschaft, wird wie ein Anhängsel des Kapitals behandelt – als Teil seines Mechanismus. Das muss von Grund auf geändert werden: das Land, das Kapital, die Maschinen, Fabriken, Werkstätten, Läden, Transportmittel, Bergwerke, Banken – alle Mittel der Produktion und Verteilung des Reichtums müssen zum gemeinsamen Eigentum aller erklärt und so behandelt werden. Jeder Mensch wird dann den vollen Ertrag seiner Arbeit erhalten, ohne Abzug eines Profits für seinen Herrn und da dann alle arbeiten müssen und da die Verschwendung, die jetzt auf der Jagd nach Profit verursacht wird, aufhören wird, wird die von jedem Individuum zu leistende Menge an notwendiger Arbeit, um die Welt am Laufen zu halten, auf vielleicht zwei oder drei Stunden am Tag reduziert werden, wodurch jedes einzelne Individuum genügend Freizeit haben wird, um den geistigen oder anderen, seinem besonderen Wesen entsprechenden Beschäftigungen nachzugehen. (Anmerkung C)
Diese Veränderung in den Methoden von Produktion und Verteilung würde es allen erlauben, anständig und befreit von der schäbigen Sorge um den täglichen Unterhalt zu leben, die jetzt so schwer auf dem größten Teil der Menschheit lastet. (Anmerkung D)
Darüber hinaus würden die sozialen und menschlichen Beziehungen stark modifiziert werden durch diesen Gewinn an ökonomischer Freiheit und durch den Zusammenbruch der moralischen und anderer Formen des Aberglaubens, die notwendigerweise mit dem Zustand ökonomischer Sklaverei einhergehen. Die Bewährungsprobe bestünde dann in der Erfüllung klarer und wohldefinierter Aufgaben der Gemeinschaft statt in der Ummodelung des individuellen Charakters und Verhaltens nach vorgefassten Standards außerhalb eines gesellschaftlichen Bezugs. (Anmerkung E)
Unsere moderne bürgerliche Besitzheirat, die, so wie die Dinge liegen, aufrechterhalten wird durch ihre notwendige Ergänzung der allgemeinen Prostitution, würde freundlicheren und menschlicheren Beziehungen zwischen den Geschlechtern Platz machen. (Anmerkung F)
Wenn die Erziehung von den Fesseln des Kommerzes und des Aberglaubens befreit ist, würde sie zur individuell angemessenen Herausentwicklung der verschiedenen Fähigkeiten des Menschen werden, um ihn für soziales Zusammenleben und Glücksempfinden zu bilden, denn die Arbeit allein würde nicht länger zum Höchsten des Lebens erklärt werden, sondern das Glück für jeden und alle.
Nur durch diese fundamentalen Änderungen im menschlichen Leben, nur durch die Transformation der Zivilisation in den Sozialismus, kann die hier dargestellte Misere der Welt abgewendet werden. (Anmerkung G)
Absolutismus, Konstitutionalismus, Republikanismus – alle Formen der Politik wurden in unseren Tagen und unter dem bestehenden gesellschaftlichen System ausprobiert und alle sind gleichermaßen an der Behebung der realen Übel des Lebens gescheitert. Noch werden auf der anderen Seite verschiedene Programme der Sozialreform, die jetzt in die Öffentlichkeit getragen werden, die Frage lösen.
Die sogenannte Kooperation – d.h. die konkurrente Kooperation für Profit – würde nur die Anzahl von kleinen anteilhabenden Kapitalisten erhöhen unter der Maske der Schaffung einer Aristokratie der Arbeit, während es die Last der Arbeit durch die Tendenz zur Überarbeitung intensivieren würde. (Anmerkung H)
Auch die Nationalisierung des Landes, die von vielen ernsthaften Menschen jetzt gepredigt wird, wäre sinnlos, solange die Arbeit das Objekt der Abschöpfung von Mehrwert bliebe, wie es unter kapitalistischen Bedingungen unvermeidbar ist. (Anmerkung I)
Unter welcher Namensgebung auch immer: Staats-Sozialismus ist auch keine bessere Lösung, weil sein Ziel es zwar wäre, der arbeitenden Klasse Zugeständnisse zu machen; aber auch, das System von Kapital und Lohnarbeit aufrecht zu erhalten: keine noch so große Zahl rein administrativer Veränderungen wird eine wirkliche Annäherung zum Sozialismus bringen, solange die Arbeiter nicht im Besitz aller politischen Macht sind. (Anmerkung J)
Die Socialist League hat deshalb die vollständige Verwirklichung des revolutionären Sozialismus zum Ziel, und sie weiß sehr gut, dass das in keinem Land für sich allein möglich ist ohne die Hilfe der Arbeiter aller zivilisierten Länder. Uns machen weder geographische, politische, historische, rassische oder Glaubensgründe zu Rivalen oder Feinden; für uns gibt es keine Nationen, sondern nur verschiedene Teilmengen von Arbeitern und Freunden, deren gegenseitige Sympathien gestört und pervertiert werden durch Gruppen von Herrschern und Nutznießern, in dem Interesse, Rivalität und Hass zwischen den Bewohnern verschiedener Länder anzufachen.
Es ist klar, dass sich für alle Unterdrückten und Gedemütigten auf der Seite der Arbeiter und für ihre Herren ein großer Wechsel vorbereitet: die herrschenden Klassen fühlen sich unwohl, ängstlich und sogar in ihrem Gewissen berührt von der Weise, wie sie regieren; die Märkte der Welt werden mit nie gekanntem Eifer umkämpft, alles zeigt auf die Tatsache, dass das große System des Kommerzes unbeherrschbar wird und dem Griff seiner derzeitigen Lenker entgleitet.
Die einzig mögliche Änderung für all das ist der Sozialismus. So wie die Sklaverei in die Leibeigenschaft überging und die Leibeigenschaft in das sogenannte System der freien Arbeit, so wird das letztere höchst wahrscheinlich in eine soziale Ordnung übergehen.
Die Socialist League ist der Verwirklichung dieser Veränderung in ihrer ganzen Bedeutung verpflichtet. Als Mittel dafür wird sie alles in ihrer Möglichkeit Stehende tun, in der Bevölkerung die Prinzipien dieser großen Sache zu verbreiten und sie wird sich einsetzen, alle zu organisieren, die sich diese Lehren aneignen wollen, damit – wenn die Krise kommt – es eine gefestigte Gruppe von Menschen gibt; bereit, ihren jeweiligen Platz einzunehmen, zu handeln und der unbesiegbaren Bewegung Richtung zu geben.
Enge Kameradschaftlichheit untereinander und beständiger Wille für das Vorankommen auf dieses Ziel wird auf natürliche Weise die Organisation und Disziplin unter uns schaffen, die für den Sieg absolut notwendig ist. Aber wir werden darauf achten müssen, dass keine Unterschiede des Rangs oder der Erhabenheit unter uns Gelegenheit zu selbstsüchtigen Ambitionen auf Führertum geben, was schon so oft der Sache der Arbeiter geschadet hat. Wir kämpfen für Gleichheit und Brüderlichkeit für die ganze Welt und nur durch Gleichheit und Brüderlichkeit können wir unsere Arbeit effektiv machen.
Lasst uns zusammen für dieses Ziel der neuen sozialen Ordnung kämpfen, der einzigen Sache, die unter allen Angeboten die Aufmerksamkeit der Arbeiter wert ist. Lasst uns für diese Sache geduldig aber hoffnungsvoll arbeiten und nicht vor Opfern zurückschrecken. Fleiß im Erlernen seiner Grundlagen, Fleiß darin, sie weiter zu predigen, sind für unser Vorankommen am notwendigsten; aber dem müssen wir, um nicht sofort zu scheitern, Offenheit und brüderliches Vertrauen untereinander hinzufügen und eine Ergebenheit für die Religion des Sozialismus aus ganzem Herzen, der einzigen Religion, die die Socialist League vertritt.

Anmerkungen
A. Die Güterverteilung ist in einem Gemeinwesen so notwendig wie die Produktion. Die zur Verteilung gebrauchten Beschäftigten gehören deshalb zur Klasse der Produzenten, solange sie diese Funktion wirklich ausfüllen, nicht überbezahlt sind, ihr Einkommen für ihren Lebensunterhalt ausgeben und nicht von den Zinsen investierten Geldes leben. Dasselbe könnte für diejenigen gelten, die Berufe in der Medizin oder der Lehre ausüben. Zu den Medizinern sei noch gesagt, dass die überall vorhandene Konkurrenz viele von ihnen in unserer Zeit arm genug macht – bei ihrer Position in der Mittelschicht – und einige von ihnen nicht mehr verdienen als ein durchschnittlicher Facharbeiter. Menschen wie diese haben nichts zu verlieren und alles zu gewinnen von einer sozialen Revolution. Sie, gemeinsam mit den ärmeren der Schriftsteller und Journalisten gehören zum intellektuellen Proletariat und sind auf ihre Weise ebenso Sklaven des Kapitals wie z.B.  Mechaniker auf die ihre.
Ein oder zwei Worte noch zu denen aus der Arbeiterklasse, die sich durch die vielgelobte Tugend von „Sparsamkeit und Fleiß“ in die Position von kleinen Kapitalisten hochgebracht haben und die bspw. Geld auf Sparkonten oder in Baugesellschaften haben. Diese „Aristokraten der Arbeit“ haben in der Tat eine Doppeleigenschaft und sind sowohl Sklaventreiber wie selber Sklaven: vergleichsweise komfortabel lebend, aber ohne Aussicht auf ein Leben in wirklicher Raffinesse, geben sie gutes Material für die Muster von Reaktionären ab. Übereinstimmend mit der breiten Entstehung einer solchen Zwischenklasse setzen die Vorausschauenderen der herrschenden Klassen ihre Hoffnungen für die Kontinuität des gegenwärtigen Systems auf sie als die unentbehrliche Stütze von „Holzfällern und Wasserträgern“.
B. Der Lebensstandard variiert mit der Zeit und in den verschiedenen Ländern: er war immer ein Objekt bitterer Auseinandersetzung zwischen „Arbeitgebern“ und Lohnarbeitern, manchmal führte er zu offenem Krieg zwischen ihnen und kontinuierlich zu Streiks und anderen Scharmützeln; aber das ganze Ergebnis dieses Streits war immer, dass mindestens eine niederste Schicht der Arbeiter bleibt, die nur wenig über dem Hungerniveau existiert. Auf der anderen Seite kann von keiner Gruppe der Arbeiter wirklich gesagt werden, dass sie wenigstens einen Subsistenzlohn erhält, wenn ihr Standard unter dem der wohlgestellten Mittelklasse liegt. Sie leben, das stimmt, aber die Statistik des Durchschnittslebensalters in den verschiedenen Schichten zeigt, dass sie nicht so lange leben wie die besser ernährten und weniger arbeitenden Klassen (wenn eine Statistik notwendig wäre, um diesen offensichtlichen Fakt zu beweisen). Sie sterben vor ihrer Zeit.
C. Das Ziel, das wahrer Sozialismus vor uns stellt ist die Verwirklichung von völliger Gleichheit der Bedingungen, unterstützt durch die Entwicklung einer Vielfalt von Fähigkeiten, entsprechend dem Motto: von jedem nach seinen Fähigkeiten, für jeden nach seinen Bedürfnissen. Aber es kann notwendig sein und wird es wahrscheinlich auch sein, durch eine Transformationsphase zu gehen, während der Geld weiter als Tauschmittel benützt wird; es wird aber natürlich nicht mehr den Charakter von Mehrwert tragen. Für die Bezahlung der Arbeit in dieser Periode wurden verschiedene Vorschläge gemacht. Die Gemeinschaft muss eine gewisse Menge an Arbeit von jeder Person einfordern, außer von Minderjährigen oder von denen, die physisch oder geistig nicht dazu in der Lage sind. Dieser Zwang ist in der Tat nur der Zwang der Natur, die nichts für nichts gibt.

Erstens muss diese Arbeit auf dem Verständnis aufbauen, dass jede Person eine Arbeitsmenge verrichtet, die eine gewöhnliche gesunde Person im Durchschnitt in einer gegeben Zeit erbringen kann. Der Standard wäre die Zeit, die für die Produktion einer bestimmten Menge an Brot gebraucht wird. Es ist klar, dass in einem solchen System, durch die unterschiedliche Fähigkeiten zu längerer oder kürzerer Arbeit als nach dem erwarteten Durchschnitt, das Ergebnis dem kommunistischen Ideal der absoluten Gleichheit widersprechen würde. Aber wahrscheinlich werden diese Unterschiede keinen großen praktischen Einfluss auf das soziale Leben haben, denn die Vorteile, die die besseren Arbeiter erzielen, könnten nicht in Macht umgewandelt werden, um von anderen unbezahlte Arbeit zu erzwingen; denn Rente, Profit und Zins existieren dann nicht mehr. Jene, die zusätzliche Güter bekommen, müssten sie selber konsumieren, andersfalls wären sie für sie ohne Nutzen. Es sollte dabei auch daran gedacht werden, dass die Tendenz der modernen Produktion zur Angleichung der Arbeitsfähigkeiten geht, so dass der Ungelernte, der Schwächere, die Frau oder sogar das Kind auf so etwas wie Gleichheit der Fähigkeiten kommen. Natürlich ist das als Illustration zu sehen, die nach dem gegenwärtigen Stand der industriellen Produktion gezeichnet ist, die aus diesem Grund der Frauen- und Kinderarbeit einen Vorzug gibt.
Und zweitens sollte die Arbeit so eingerichtet werden, dass ihr eine abgeschätzte notwendige Durchschnittszeit zugrunde liegt, damit niemand länger als andere arbeiten müsste. Die Gemeinschaft müsste mit den Unterschieden in den verschiedenen Fähigkeiten umgehen, wobei die Unzulänglichkeiten der einen von der Überlegenheit der anderen ausgeglichen würde. Der Bourgeois wird da natürlich sofort losschreien, dass das eine Prämie für Untätigkeit und Dusselei sei, aber wieder dürfen wir nicht vergessen, dass der Einsatz von Technik die Schwierigkeiten sehr vermindern würde und weiter, dass eine nützliche Position für jeden gefunden würde, da alle ermutigt werden, ihre besonderen Fähigkeiten zu entwickeln. Welcher Bodensatz an Nachteilen übrig bliebe, ihm würde die revolutionierte Ethik der sozialistischen Epoche begegnen, die alle ihre erste Pflicht der energischen Ausübung der sozialen Funktionen fühlen lassen würde: das Zurückschrecken vor der Arbeit würde dann von einem normalen Menschen als so unehrenhaft empfunden werden, wie die Feigheit vor dem Feind von einem heutigen Armeeoffizier und würde folglich kaum vorkommen.
Und schließlich erwarten wir eine Zeit, in der jeder Tauschhandel aufgehört haben wird; so wie er im primitiven Kommunismus, der der Zivilisation vorausging, niemals existierte.
Der Gegner wird sagen, „das ist Rückentwicklung und nicht Fortschritt“. Darauf antworten wir: jeder Fortschritt, jede besondere Stufe des Fortschritts beinhaltet eine Rückwärtsbewegung ebenso wie eine Vorwärtsbewegung; die neue Entwicklung geht zu einem Punkt zurück, der das alte Prinzip, auf eine höhere Ebene gestellt, wiedergibt. Das alte Prinzip erscheint wieder, umgewandelt, gereinigt, verstärkt und bereit, nach scheinbarem Tod zu vollerem Leben aufzusteigen. Als Illustration (unvollkommen wie alle Veranschaulichungen sein müssen) nehmt die Fälle des Voranschreitens auf gerader Linie und in einer Spirale – der Fortschritt alles Lebens kann nicht auf einer geraden Linie gehen, sondern in einer Spirale.
D. Die Freiheit von diesen schäbigen Ängsten bietet die einzige Möglichkeit, der Geschmacklosigkeit oder der Bitterkeit zu entkommen, worin (in einem von beiden) das Leben der meisten Menschen in der Gegenwart landen muss. Dann würde wirkliche Vielfalt und gesunde Anspannung in das menschliche Leben gebracht werden. Das „langweilige Niveau des Mittelmaßes“ als notwendiges Charakteristikum der Epoche der kapitalistischen Produktion, das alle bis auf eine kleine Minderheit zu reinen Maschinen werden lässt, wäre beendet. Die Individualität des Charakters ist das echte Kind von gemeinschaftlicher Produktion; es ist das ruhelose Gedränge um individuelle Vorteile, das die Entwicklung des Charakters reduziert auf einen Zweck im Leben, ärmlich für sich selbst genommen, und an den alle anderen Aspirationen und Ziele, wie nobel auch immer, gebunden sind und ihm dienstbar sein müssen.
E. Ein neues System der industriellen Produktion wird notwendigerweise von ihrer eigenen Moral begleitet sein. Einer Moral, die in einem guten Zustand der Gesellschaft nicht mehr bedeuten sollte als die Verantwortlichkeit des einzelnen Menschen für das soziale Ganze, von dem er einen Teil bildet. Dagegen bedeutet sie jetzt seine Verantwortlichkeit gegenüber einem übernatürlichen Wesen, das willkürlich sein Bewusstsein erschafft und lenkt wie auch die Gesetze, die es regieren sollen, obwohl die Attribute dieses Wesens nur der Reflex einer gewissen vergangenen Phase der menschlichen Existenz sind. Eine rein theologische Moral ist deshalb einfach ein Überbleibsel vergangener Gesellschaftsverhältnisse und es darf hinzugefügt werden, dass wie immer heilig sie angesehen wird, sie mit wenig Skrupel beiseite geschoben wird, wenn sie mit den Erfordernissen in Konflikt kommt, die dem jeweiligen Stand der Dinge zugehören.
Der ökonomische Wechsel, den wir vertreten, würde deshalb nicht stabil sein ohne eine begleitende entsprechende Revolution der Ethik, die sie jedoch ganz sicher begleiten wird, da die beiden untrennbare Elemente eines einzigen Ganzen sind, der sozialen Revolution.
F. In einem sozialistischen System wären Verträge zwischen Individuen freiwillig und die Einhaltung würde von der Gemeinschaft nicht erzwungen. Das würde für den Heiratsvertrag ebenso zutreffen wie auf andere und er würde zu einer simplen Frage der Zuneigung werden. Frauen würden auch wie alle zusammen teilhaben an der Sicherheit des Lebensunterhalts und Kinder würden von Geburt an als Mitglieder der Gemeinschaft behandelt werden mit Anrecht auf alle Vorteile: deshalb könnte kein ökonomischer Zwang mehr durch diesen Vertrag auferlegt werden und es gäbe auch keine gesetzlichen Sanktionen mehr. Noch würde eine wirklich aufgeklärte öffentliche Meinung, befreit von rein theologischen Ansichten über z.B. die Keuschheit, auf seiner dauernden Bindungskraft beharren im Falle irgendeiner Beschwerde oder daraus folgendem Leid.
G. Die erste feststellbare Stufe der menschlichen Gesellschaft stand auf einer kommunistischen Basis. Religiöse, geistige, politische, ökonomische und künstlerische Tätigkeiten waren nicht in verschiedene Bereiche des Seins getrennt. Die Zivilisation erst, die im Grunde die Enstehung des großen Widerspruchs zwischen Individuum und Gesellschaft bedeutet, brachte im Verlauf der Entwicklung diese Unterschiede der verschiedenen Bereiche des menschlichen Lebens zur Geltung, um die Kosten all des Unglücks, das dieser Widerspruch notwendigerweise erzeugt. Historischer Fortschritt (in der geschichtlichen Phase der menschlichen Entwicklung) bedeutet einfach nur die Aufspaltung dieser Bereiche mit den damit verbundenen Widersprüchen; „glücklich das Volk, das keine Geschichte kennt“ sagt das Sprichwort. Der Sozialismus beschließt dieses Zeitalter des Widerspruchs und was immer mit der Zeit eintreten wird (weil wir auch keine Endgültigkeit akzeptieren können) – wir können im Moment darüber hinaus nichts sehen.
H. Die sogenannten kooperativen Firmen, unabhängig von ihren internen Vereinbarungen, würden, soweit es um ihre Außenbeziehungen geht, so als Firmen handeln müssen wie andere Kapitalisten; auch jedes Einzelmitglied außerhalb der Firma wäre ein Kapitalist. Es versteht sich, dass das über Genossenschaften gesagt ist, die ihren Standard einhalten und ihre Profite gleich unter ihren Arbeitern aufteilen; aber wir glauben, dass keine von ihnen diesen Standard erreicht und dass die meisten der existierenden reine Aktiengesellschaften sind, die nur mit besseren Geschäftsprinzipien arbeiten.
I. Nachdem das Feudalsystem mit den daraus folgenden Herrschaftsrechten der Landbesitzer abgeschafft ist, ist Land nur noch eine der Formen des Kapitals. Das Grundstück, auf dem eine Fabrik steht, ist Teil des konstanten Kapitals, genauso wie das Gebäude oder die Maschinen. Die Miete oder Pacht eines Landbesitzers ist exakt analog zu den Zinsen des Geldverleihers als eine der vielen Formen, aus der Arbeit Mehrwert zu quetschen.
J. Unter politischer Macht verstehen wir nicht die Ausübung des Wahlrechts oder sogar die vollste Entwicklung des Repräsentativprinzips, sondern die direkte Kontrolle des Volkes über die ganze Administration des Gemeinwesens, was immer die letztendliche Bestimmung dieser Administration sein mag. Wir wagen den Vorschlag, dass der erste Schritt des Übergangsstadiums zum Kommunismus möglicherweise der Erlass eines Gesetzes über einen Mindestlohn und über Maximalpreise sein wird (angewandt auf die gesamte Industrieproduktion und Güterverteilung). Uns scheint, dass das, verbunden mit der sofortigen Abschaffung aller Gesetze, die die Einhaltung von Verträgen erzwingen, unmittelbar die Möglichkeit des Profitmachens zerstören würde und uns Gelegenheit gäbe, die dezentralisierte und freiwillige Organisation der Produktion in die Wege zu leiten, von der wir hoffen, dass sie den Platz der jetzigen Hierarchie des Zwangs einnehmen wird.

manifesto2Die Socialist League wurde am 28. Dezember 1884 gegründet. Die Mehrheit des Council der Social Democratic Federation wollte sich von Hyndman trennen (dies scheint am Ende des Manifests auf) und tat dies durch Neugründung. William Morris entwarf das Manifest, das u.a. von Eleanor Marx, Edward Aveling, Andreas Scheu, Joseph Lane und Charles Faulkner unterzeichnet wurde. Es wurde auf der ersten Generalkonferenz offiziell beschlossen und im Februar 1885 in der Startnummer des Commonweal veröffentlicht.  Die zweite Auflage des Manifests in der Ausgabe als Broschüre wurde durch Anmerkungen von Morris und Bax ergänzt. Die Erstausgabe im Original.

Eigene Übersetzung, 2013

Dieser Beitrag wurde unter Texte von William Morris veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.