Von Zeit zu Zeit ist es sinnvoll für die, die sich in einer bedeutungsvollen Bewegung engagieren, zurückzublicken und den Fortschritt der letzten paar Jahre zu rekapitulieren und das heißt auch, sich umzublicken und festzustellen, wie die Bewegung auf andere wirkt. Neben anderen Gründen gibt es den, dass Menschen, die in einer solchen Bewegung absorbiert sind, oft dazu neigen, sich mit einer künstlichen Atmosphäre zu umgeben, die die Proportionen der Dinge außerhalb verzerrt und sie daran zu sehen hindert, was wirklich abläuft und konsequenterweise zuwenig daraus abzuleiten, was am Besten zu tun sei.
Es sind jetzt etwas sieben Jahre, dass der Sozialismus in diesem Land wiedergeboren wurde. Manchen wird diese Zeit lang erscheinen, in der sich in ihnen so viele Hoffnungen und Enttäuschungen angesammelt haben. Aber in der Geschichte einer ernsthaften Bewegung sind sieben Jahre eigentlich eine kurze Zeit, und sicher haben nur wenige Bewegungen so viel Fortschritte auf die eine oder andere Weise in so kurzer Zeit gemacht wie der Sozialismus.
Wofür sind wir angetreten? Um das System der Gesellschaft zu verändern, auf dem das beeindruckende Gespinst der Zivilisation gegründet ist und das in Jahrhunderten des Konflikts mit älteren und sterbenden Systemen errichtet wurde; gekrönt vom Sieg der modernen Zivilisation über die materielle Umgebung des Lebens.
Können sieben Jahre ein sichtbares Zeichen eines solch riesigen Unterfangens geben?
Bedenkt auch die Eigenschaften derjenigen, die diese Aufgabe des Umstülpens der Basis der modernen Gesellschaft begonnen und unternommen haben! Wer waren die Politiker, die die gewaltigen Fragen aufgriffen, die von den englischen Sozialisten dem England des 19. Jahrhunderts vorgelegt wurden? Wer waren die großen Theologen, die dieses neue Evangelium des Glücks von ihren Kanzeln predigten? Wer waren die Naturphilosophen, die ihre Hoffnung und Freude über das Kommen einer Gesellschaft proklamierten, die endlich ihre wunderbaren Entdeckungen zum Nutzen der Menschheit anwenden sollte?
Man braucht keinen Stift zur Hand nehmen um ihre Namen aufzuschreiben. Der Reisende (d.h. der geplagte Arbeiter) ist unter Diebe gefallen, und der Priester und der Levite gingen dran vorbei oder vielleicht warfen sie in diesem Fall einen Stein oder zwei auf den Verwundeten: Es war bloß ein Samariter, ein Ausgestoßener, eine unrespektable Person, die ihm half.
Die sich aufmachten, „die Revolution zu machen“ – das heißt, wie zuvor gesagt, die Gesellschaft auf eine neue Basis zu stellen im Gegensatz zur existierenden – waren ein paar Arbeiter, weniger erfolgreich meist in ihrem elenden Arbeitsleben als ihre Kollegen; ein kleiner Sprühregen des intellektuellen Proletariats, dessen kühnes Anschieben des Sozialismus ziemlich sicher ihre begrenzten Chancen auf das Erreichen einer gesicherten Stellung verdorben hat; einige Flüchtlinge vor der bürokratischen Tyrannei ihrer Regierungen, und hier und da ein unpraktischer, halbdurchgedrehter Künstler oder Autor.
Dennoch waren sie, so wie sie waren, imstande etwas zu tun. Mit ihnen als Mittel, nicht durch sie, haben die sieben Jahre der neuen Freiheitsbewegung, entgegen aller Erwartung der Epoche die Idee des Sozialismus tief eingeprägt. Es ist wahr, dass die Ausgebeuteten aus diesem Einfluss noch keinen Vorteil geerntet haben, aber das war auch nicht möglich. Ihnen kann kein permanenter materieller Vorteil entstehen, bis der Sozialismus sein Kampfziel erreicht hat und in der neuen Form der Gesellschaft ersteht.
Aber wie ich schon vor Wochen sagte, die Bewegung hat zumindest das erreicht, dass kein denkender Mensch anders als unzufrieden damit ist, wie die Dinge liegen. Das Triumphgeschrei über die Glorie der Zivilisation, das bisher die Klagen der Elenden ertränkte, ist nun auf zittrige Entschuldigungen für den Horror und die Einfältigkeiten unseres Systems geschrumpft; eines System, das nur verteidigt wird als eine Sache, für die es noch nichts Besseres gibt und bis wir das Mittel gefunden haben, es in die Rumpelkammer zu werfen. Und die Arbeiter, die in der Periode des „sprunghaften Wachstums“ ans Ende ihrer Stärke kommen sollten (so wurde gedacht) und in einer Art von Himmel auf Erden für Unterdrückte festgehalten werden sollten, zeigen nun, dass sie an diesem Punkt nicht stehenbleiben wollen, auf keinen Fall, was auch passiert. Die Prinzipien des Sozialismus beginnen verstanden zu werden, so dass sie einigen von uns, die sie ständig im Ohr haben, als reine Allgemeinplätze vorkommen, auf denen man nicht beharren müsse. Aber mit dieser Ansicht kann ich, wie ich gleich zeigen werde, in keiner Weise einverstanden sein.
All das ist so gekommen. Wie und weshalb? War es durch den hohen Wert der Eigenschaften der Leute, die es gefördert haben? Die kleine Gruppe von Sonderlingen, die für den Sozialismus in diesen letzten Jahren angetreten ist, stellte sie sich als etwas viel Besseres heraus, als das, was sie schienen? Nun, sie waren (und sind) zumindest menschlich, aber andererseits kann nicht gesagt werden, dass sich unter uns weder großes unerwartetes Talent für die Ausführung unserer Angelegenheiten herausgebildet hat, noch eine größere Menge an Voraussicht. Wir waren das, was wir zu sein schienen (zumindest für unsere Freunde, hoffe ich) – und das war keine große Sache. Wir haben unter uns so viele Fehler gemacht wie jede andere Organisation in einer ähnlichen Zeitspanne. Streitereien hatten wir mehr als genug und manchmal auch zu schwache Übereinstimmung aus Angst vor Streit.
Es gab auch Egoismus unter uns, und Prahlerei, und Trägheit und Unbesonnenheit; obwohl da immerhin auch Mut und Aufopferung war. Als ich mich der Bewegung anschloss, hoffte ich, dass einige Sprecher der Arbeiter, oder vielleicht Anführer sich zeigen würden, die alle Hilfe aus der Mittelklasse beiseite schieben würden und große historische Personen werden würden. Darauf möchte ich noch immer hoffen, wenn es geschehen könnte, denn ich würde es mir sehr wünschen; aber offen gesagt, es sieht im Moment nicht danach aus.
Also noch mal, trotz aller Rückschläge, der Eindruck wurde gemacht, und warum? Den Grund habe ich auch schon genannt, aber wenn ich es wiederholen soll: weil das scheinbar unbezwingbare Gerüst der modernen Gesellschaft seinem Zusammenbruch entgegengeht; es hat sein Werk getan und ist dabei, sich in etwas anderes zu verwandeln. Das ist der Grund, warum wir trotz all unserer Fehler etwas tun konnten. Ich glaube auch nicht, dass jemals die Instrumente fehlen werden um diese große Veränderung zuwege zu bringen, genau im Verhältnis zur Bereitschaft des Grundelements in einer Gesellschaft – den Arbeitern nämlich – diese Veränderung anzunehmen und die neue Ordnung durchzusetzen, die sie selbst hervorbringen werden.
So können wir uns zumindest Mut machen. Aber sind nicht einige von uns enttäuscht trotz der Verbesserung der öffentlichen Meinung über den Sozialismus? Es ist nur natürlich, dass wir es sein sollten. Als wir zusammen anfingen, war noch nicht viel gesagt, außer über die großen Ideale des Sozialismus und wir schienen von der Realisierung so weit entfernt, dass wir kaum über die Mittel der Realisierung nachzudenken brauchten, wenn nicht große dramatische Ereignisse (die auch unser Leben tragisch machen würden) uns aus der Widerwärtigkeit des sogenannten „Friedens“ der Zivilisation holten. Mit der großen Ausbreitung des Sozialismus ist auch das verändert. Unser tatsächlicher Erfolg hat die großen Ideale gedämpft, die uns anfangs leiteten, denn jetzt drückt die Hoffnung eines teilweisen oder sozusagen vulgarisierten Sozialismus auf uns. Ich denke, wir sind alle zuversichtlich, dass der Sozialismus kommen wird: es ist deshalb auch kein Wunder, wenn wir danach verlangen, seine Verwirklichung in unserer Lebenszeit zu sehen – und zu fühlen. Die Methoden der Verwirklichung stehen deshalb jetzt mehr vor unserem Auge als die Ideale: aber es hat keinen Sinn, über Methoden zu sprechen, die nicht, oder wenigstens teilweise, sofort machbar sind und es liegt in der Natur solcher halber Lösungen, schäbig und entmutigend zu sein, obwohl sie notwendig sein könnten.
Es gibt zwei Tendenzen bei der Frage der Methoden: auf der einen Seite unsere alte Begleitung in Form der Linderungsmittel, jetzt zu viel größerer Bedeutung gekommen durch die wachsende Unzufriedenheit und das sichtbare Anwachsen der Befürworter des Sozialismus; auf der anderen Seite die Methode der vereinzelten, notwendigerweise aussichtslosen inkonsequenten Revolte oder eher des Aufruhrs gegen die Herrschenden, der leicht niedergeschlagen werden kann.
Mit diesen beiden Methoden bin ich nicht einverstanden und das um so mehr, da um die kleinen Verbesserungen ein großes Gezeter gemacht werden muss und die Aufstände von Menschen gemacht werden, die nicht wissen, was der Sozialismus ist und keine Vorstellung von dem nächsten Schritt hätten, wenn sie entgegen aller Erwartung erfolgreich sein sollten. Deshalb werden allenfalls unsere Herren unsere Herren bleiben, denn es wäre nichts da, was an ihre Stelle treten könnte. Wir sind nicht reif für eine Veränderung auf diesem Wege! Die Herrschenden werden ein bisschen geschüttelt werden, werden etwas geneigter werden, den Forderungen ihrer Sklaven nachzugeben, aber diese würden Sklaven bleiben, wie alle Menschen, die nicht darauf vorbereitet sind, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Also, von den isolierten gewaltsamen Mitteln glaube ich nicht, dass sie die Autoritäten im geringsten ins Wackeln bringen; eher würden sie sie stärken, denn sie könnten die Ängstlichen aus allen Klassen zu sich heran ziehen, d.h. alle, bis auf sehr wenige.
Ich habe diese zwei Linien erwähnt, um an ihnen die Methoden der ans Werk gehenden Ungeduld zu besprechen. Bevor ich darangehe, ein paar Worte über die einzige Linie der Methoden zu schreiben, auf der einige von uns arbeiten können, will ich meine Ansicht über den gegenwärtigen Zustand der Bewegung so klar wie möglich geben:
Die sich fest manifestierende Auffassung unter denen, die mehr oder weniger vom Sozialismus angesprochen wurden, geht in Richtung New Unionism und kleinen Verbesserungen. Man glaubt, den Kapitalisten eine gewisse Portion ihrer privilegierten Profite abringen zu können und die Bosse, nach den jüngsten Drohungen zu schließen, dass sie sich ebenfalls besser organisieren wollen, glauben das auch. Dass das nur sehr teilweise möglich ist und man dann nicht dabei stehen bleiben könnte, wissen wir Sozialisten sehr gut, aber andere nicht. Lasst das im Moment geschehen. Die parlamentarische Seite der Sache ist in der Schwebe – für jetzt, sie hat der gewerkschaftlichen Seite Platz gemacht. Aber natürlich wird sie wieder hochkommen und mit der Zeit, wenn nichts den logischen Weg der Ereignisse kreuzt, wird sie den gesetzlichen Achtstundentag erreichen – mit so gut wie keinem Gewinn, weder für die Masse der Menschen, noch für die Herren.
Für den Rest: ich glaube weder an den Staatssozialismus als etwas für sich Wünschenswertes, noch halte ich ihn als komplettes Schema für tatsächlich möglich. Nichtsdestotrotz wird sicherlich eine Annäherung versucht werden und nach meiner Meinung wird das jeder kompletten Erkenntnis über eine Neuordnung vorausgehen. Der Erfolg von Herrn Bellamy’s utopischem Buch, so tödlich stumpfsinnig es ist, ist wie ein Strohhalm, der uns zeigt, woher der Wind weht. Die allgemeine Aufmerksamkeit die unsere cleveren Freunde, die Vortragenden und Pamphleteschreiber der Fabier bekommen, geht nicht gänzlich auf ihre literarischem Fähigkeiten zurück; die Leute haben wirklich mehr oder weniger ihre Köpfe in ihre Richtung gedreht.
Es scheint mir jetzt eine Zeit zu sein, da die Leute nicht nur unzufrieden sind sondern wirklich Hoffnung gefasst haben, die Bedingungen für die Arbeit zu verbessern, während zur gleichen Zeit die Mittel das Ziel zu erreichen, fragwürdig sind. Oder, wenn sie eher den ersten Anfang dieser Mittel als das Ziel selbst ansehen – dann ist diese Zeit, wenn die Leute begeistert vom Sozialismus sind, die Zeit für alle anderen, die einfachen Prinzipien des Sozialismus zu verbreiten, ungeachtet der Taktik der aktuellen Stunde.
Meine Leser werden verstehen, dass wenn ich das sage, ich für die spreche, die ganz Sozialisten sind – oder lasst sie uns Kommunisten nennen. Für uns sage ich, Sozialisten zu gewinnen ist die Aufgabe der Gegenwart und ich glaube nicht, dass wir irgendeine andere nützliche Betätigung ergreifen können. Die, die nicht wirklich Sozialisten sind – die Gewerkschafter sind, Unruhestifter oder was auch nicht – werden tun, wozu sie getrieben werden und wir können es nicht ändern. Schlimmstenfalls wird an ihrem Tun etwas Gutes sein, aber wir können und brauchen nicht von Herzen mit ihnen zusammenarbeiten, wenn wir wissen, dass ihre Methoden neben dem richtigen Weg liegen.
Unsere Aufgabe ist, ich wiederhole es, die Leute vom Sozialismus zu überzeugen, d.h. davon, dass er für sie gut ist und möglich ist. Wenn viele genug auf diese Weise denken, werden sie herausfinden, welche Aktion die richtige ist, um ihre Prinzipien durchzusetzen. Bis wir diese Menge an Überzeugung erreicht haben ist eine Aktion für die allgemeine Veränderung, die allen zugute kommen wird, unmöglich. Haben wir diese feste große Gruppe in irgendeiner Weise? Sicher nicht. Wenn wir über den Glamour, diese bezaubernde Atmosphäre der Fraktionsstreitereien, in der wir uns zwangsläufig vorwärts bewegen, hinaussehen, sollten wir uns klar sein: obwohl es da viele gibt, die es für möglich halten, ihre Herren dazu zu bewegen, sie anständiger zu behandeln (mit sogenannten friedlichen Mitteln, Streiks und so weiter) sind alle außer einer kleinen Minderheit nicht darauf vorbereitet, ohne Herren zurecht zu kommen. Sie vertrauen nicht auf ihre eigene Fähigkeit, die Leitung aller Angelegenheiten selbst zu übernehmen und für ihr Leben in dieser Welt verantwortlich zu sein. Wenn sie darauf vorbereitet sind, dann wird der Sozialismus realisiert werden und nichts kann das an irgendeinem Tag vor diesem Zeitpunkt anstoßen.
Deshalb sage ich, gewinnt neue Sozialisten. Wir Sozialisten können nichts anderes tun, das nützlich wäre und für diese Aufgabe ist das Predigen und Lehren noch nicht überholt, sondern ist für die, die wie ich nicht an einen Staats-Sozialismus glauben, das einzige rationale Mittel, um zu der Neuordnung der Dinge zu kommen.
„Where are we now“, Artikel in Commonweal, 15. November 1890
Eigene Übersetzung, 2013