Sozialistische Arbeit in Norwich

Ich bin mir sicher, dass unsere Genossen allgemein gern etwas erfahren vom Fortgang der sozialistischen Propaganda in Norwich und Umgebung, das aus einigen Gründen eine starke Bastion für unsere Sache geworden ist.
Unsere Genossen hatten beschlossen, eine Kundgebung in Norwich abzuhalten und luden mehrere von unserer League sowie Mrs. Besant und Herbert Burrows ein, um ihnen dabei zu helfen. Faulkner, Mrs. Schack, Mainwaring und Morris kamen in der alten Stadt am Samstagabend an und wurden von der Ortsgruppe in Gordon Hall auf das Herzlichste begrüßt, wo erst gesungen und rezitiert wurde mit anschließender erfreulicher allgemeiner Unterhaltung.
Am Sonntagmorgen ging Mainwaring nach Yarmouth und sprach zu einer großen Versammlung am Strand. Mrs. Schack ging nach Wymondham, und obwohl die Versammlung an diesem ruhigen kleinen Ort nicht groß war, wurde sehr aufmerksam und genau zugehört. In der Stadt selbst sprach Faulkner in St. Mary’s Plain und Morris, mit Mowbray als Versammlungsleiter auf dem Marktplatz. Zu dieser Versammlung kamen einiges über Tausend und die Zuhörer waren aufmerksam und sympathisierend. Faulkner kam gegen Ende dazu und gab eine kurze Ansprache über Erziehung und die Versammlung hielt bis zum Schluss gut zusammen.
DukeofWellington    Am Nachmittag wurde ein Kutschenwagen in den bronzefarbenen Schatten eines besonders glanzlosen Helden, des Eisernen Herzogs, gezogen und Mowbray eröffnete die Versammlung um halb drei. Unsere Genossen der Branch gruppierten sich um die Plattform. Es war eine aufregende Szene, als wir dort ankamen. Der Andrang um die Plattform herum war sehr groß, trotz der alternativen Attraktionen einer Nachhutgruppe der Heilsarmee und dem Dröhnen der Glocken vom hohen Turm von St. Peter Mancroft. Die abziehende „Army“, die mit einer Musikband und wenigen Anhängern auf den Platz gekommen war und das Erscheinen eines Gospelchors hatten keinen Einfluss auf die Versammlung, außer dass sie etwas anschwoll. Bis drei Uhr müssen es volle zehntausend Leute gewesen sein, die sich eng um den Kutschenwagen drängten. Die Genossen sangen nun das Lied „No Master“, in dessen Mittelteil dann Herbert Burrows und Mrs. Besant pünktlichst erschienen, und die Sache begann. Eine Resolution zugunsten der Aufhebung des Privateigentums war vorbereitet worden und wurde von Herbert Burrows eingebracht, der mit der Bemerkung anfing, dass er nur fünf Jahre zuvor einen Vortrag über Sozialismus in Norwich gehalten hatte – vor einer Zuhörerschaft von fünf Personen. Seine klare und vielsagende Rede wurde gut aufgenommen. Morris unterstützte und die Resolution wurde abgestimmt, nachdem ohne Wortmeldungen nach Abänderungsanträgen gefragt worden war. Vier Fünftel der Anwesenden oder mehr hoben dafür ihre Hand, sechs dagegen. Dann sprachen Mrs. Schack und Faulkner und die Versammlung kam zum Ende, ohne die geringste Unordnung, außer dass ein Mann, ein Unbekannter, irgendwie ungebärdig wurde (oder der Alkohol in ihm tat es) und die Polizei hinter ihm her lief. Das wäre nicht erwähnenswert, wenn nicht unsere Genossen verärgert und empört gewesen wären, weil die Richter von Norwich ihn am nächsten Tag zu einem Monat verurteilten, während unsere Genossen keinesfalls wollten, dass das Gesetz über einen Opponenten wegen Lappalien herfällt.
Am Abend sprachen Burrows und Mainwaring noch mal auf dem Marktplatz zu einem großen Publikum und Morris hielt einen Vortrag (über die Monopole) in Cordon Hall, wo es so voll war wie der Raum nur fassen konnte. Es kam zu keiner Opposition und es war klar, dass alle Zuhörer wirklich Sozialisten waren.
norwichleafletAm Montag sprachen Burrows, Mainwaring und Morris zur Mittagsstunde auf dem Marktplatz, das Publikum war wieder groß für einen Wochentag und blieb bis halb drei, nachdem es die ganze Zeit eifrig zugehört hatte. Burrows und Mrs. Besant sprachen in Carrow in der Nähe der Colman Senffabrik während der Mittagspause und hatten ein großes und dankbares Publikum aus Arbeitern und jungen Arbeiterinnen. Mrs. Besant sprach dort über die Gesetzwidrigkeit von Lohnabzügen. Die letzte Versammlung unter freiem Himmel fand um halb sieben auf dem Marktplatz statt, es sprachen Burrows, Mainwaring und Morris. Eine oder zwei schlecht-konditionierte Personen versuchten bei der Gelegenheit zu stören, ohne Auswirkung auf die Menge, die ebenfalls wieder aufmerksam zuhörte.
Die Reihe der Versammlungen endete mit Mrs. Besants Vortrag in St. Augustine’s School, einem großen Raum etwas außerhalb des Zentrums, auf den wir angewiesen waren wegen der Verweigerung der großen Säle in der Stadt. Der Raum war überfüllt von einem begierigen Publikum, das jeden Punkt des eloquenten und klaren Vortrags erfasste, aber dem ein Nicht-Sozialist nicht so leicht hätte folgen können ohne Vorbefassung mit dem Thema. Die Beantwortung der gestellten Fragen gab ebenfalls den Zuhörern Gelegenheit, ihre Zustimmung zu den einzelnen Punkten zu zeigen. Außer einigen Honoratioren, die uns mit ihrer Anwesenheit ehrten, waren gewiss nur wenige anwesend, die nicht stark mit uns sympathisierten.
Die Presse, sowohl der Liberalen wie der Tories, berichtete ausführlich über den Ablauf und besprach alles mit der Fairness, die erwartet werden konnte. Beim Vergleich des Publikums mit anderen musste man beeindruckt sein von der Atmosphäre von Spannung und Aufnahmebereitschaft, die zeigt, dass die Propaganda ihre Arbeit macht. Die Zuhörer kamen nicht, um zu gaffen oder herumzuhängen, sondern um zuzuhören.
Der Eindruck, den der Sozialismus auf diese Weise an einem Ort gemacht hat, der weder sehr bedeutend noch besonders fortschrittlich ist, war das Ergebnis schierer harter Arbeit von seiten unserer Genossen, die alle zu den Armen gehören und die keinen Einfluss haben, außer dem, den ihnen ihre Festigkeit und ihr Enthusiasmus für die Sache verleiht. Was dort getan wurde, kann überall getan werden, wenn Menschen sich nur der Propaganda widmen.
Unsere Genossen in Yarmouth sind in Schwierigkeiten. Die Woche vor den Kundgebungen wurde Genosse Poynts verurteilt, weil er auf dem Kirchplatz dieser Stadt gesprochen hatte, obwohl wir dort seit langem Versammlungen abhalten und gleichzeitig mit der sozialistischen eine religiöse Versammlung stattfand. Unser Genosse wurde für einen Monat ins Gefängnis geschickt wegen dieser schrecklichen „Verletzung“ der Redefreiheit und das ist klar ein Stück von Bestrafung wegen einer bestimmten Meinung. Es ist zu hoffen, dass alle Parteien, die irgend ein Gefühl für Freiheit besitzen, unsere Freunde unterstützen werden, die für alle aufrechten Menschen der Gegenwart und Zukunft den Kampf für das freie Rederecht führen.

“Socialist Work at Norwich”, The Commonweal, 25. August 1888
Eigene Übersetzung, 2013

Ein weiterer detaillierter Bericht auf libcom (englisch):

http://libcom.org/history/revolt-norfolk-seaside-resort-anarchist-communism-great-yarmouth

Dieser Beitrag wurde unter Texte von William Morris veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.