Im Verlauf der Französischen Revolution von 1848 marschierten die Arbeiter von Paris für das „Recht auf Arbeit“. Über 160 Jahre und zahllose Demonstrationen später fordern Arbeiter immer noch dieses fragwürdige Recht und werden in den schlimmeren Fällen auseinander getrieben oder verletzt und getötet. Unter dem Kapitalismus gibt es dieses Recht nicht und könnte es auch nicht geben. Dieses globale Gesellschaftssystem ist gegründet auf das Eigentum einer Minderheit an den Produktionsmitteln. Dem Rest bleibt keine Alternative, als ihre Fähigkeit zur Arbeit an den einen oder den anderen der „Arbeitgeber“ zu verkaufen – wenn sie können. Und diese ausbeutende Klasse stellt nur ein, wenn es in ihrem Profitinteresse liegt, das zu tun. Sozialisten haben das immer wieder erklärt und über ein Jahrhundert lang vertreten, dass sich die Arbeiter von den Fesseln der Lohnsklaverei befreien und das „Recht auf Faulheit“ beanspruchen sollten!
Als Paul Lafargue seine wohlbekannte Schrift Das Recht auf Faulheit schrieb, wählte er diesen Titel um die Forderung nach einem Recht auf Arbeit zu parodieren, die auch heute noch verwendet wird. Das „Recht“, von einem Kapitalisten angestellt zu werden ist nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnt (ganz abgesehen davon, dass es unerreichbar ist). Gegeben die entwürdigende und ausbeuterische Natur dieser Anstellung wäre es tatsächlich besser, das Recht, nicht zu arbeiten zu fordern: das Recht auf Faulheit. In einem anderen Sinn jedoch ist dieser Titel irreführend, indem er suggeriert, dass das soziale Leben ohne Arbeit weitergehen könnte; dann nicht im Sinn von Arbeit für andere sondern in dem von produktiver Aktivität.
Die sechziger und siebziger Jahre erlebten ein Anwachsen und eine Verbreitung der Idee der „Abschaffung der Arbeit“, einer arbeitslosen Gesellschaft, in der die Produktion vollautomatisiert wäre und es den Menschen frei liesse, sich in „Spiel“ oder „Freizeit“ oder „kreativer Aktivität“ zu engagieren, wie das auf verschiedene Weise dargestellt wurde. Das zeigte sich nicht nur in der Anzahl der Bücher, Broschüren oder Artikel zu diesem Thema, sondern auch in der außergewöhnlichen Popularität von Lafargues Broschüre, die eine Herausgabe nach der anderen in fast jeder westeuropäischen Sprache durchlebte, hauptsächlich wegen der kräftigen Überschrift.
Die Verbreitung der Idee der Abschaffung der Arbeit war positiv darin, dass sie die Ablehnung (auch der praktischen) der kapitalistischen „Arbeitsethik“ durch eine zunehmende Zahl von Menschen reflektierte. Aber schließlich wurde deutlich, dass die Idee nicht vollständig ausgearbeitet war. War es die Arbeit als solche – die Verausgabung von menschlicher Energie, physisch und geistig – die abgelehnt wurde oder galt die Ablehnung nicht vielmehr der Arbeit als angestellter Arbeit für einen „Arbeitgeber“, also der Lohnarbeit? Ist es nicht möglich, dass die Anwendung der menschlichen physischen und geistigen Kräfte nicht sogar ein grundsätzliches menschliches Bedürfnis ist? Ist eine vollautomatisierte Gesellschaft in jedem Fall ein erstrebenswertes Ziel? Wäre sie kompatibel mit der Notwendigkeit, die Ressourcen zu erhalten und eine tragfähige Balance zwischen menschlicher Gesellschaft und Natur zu bewahren?
Diese Überlegungen führten manche zu der Folgerung, dass die Ablehnung in Wirklichkeit der Lohnarbeit gilt und weniger der menschlichen produktiven Aktivität als solcher und dass das Ziel nicht sein sollte, alle produktive Arbeit zu automatisieren, sondern vielmehr eine Gesellschaft zu erreichen, in der produktive Aktivität vergnüglich und „kreativ“ sein würde. Das war in der Tat die Position, die von Lafargues Zeitgenossen William Morris eingenommen wurde. Und natürlich hatte auch Fourier argumentiert, dass Arbeit attraktiv gemacht werden soll und kann und dass das die Antwort wäre auf die Fragen, die an die Advokaten einer freien Gesellschaft gerichtet werden: „Was soll der Anreiz zu Arbeit sein?“ und „Warum sollte jemand arbeiten wollen?“.
Einige von denen, die zu dieser Schlussfolgerung kamen, gingen weiter zu dem anderen Extrem, nicht nur die vollständige Automatisierung, sondern alle moderne Technologie abzulehnen mit dem Vorschlag, dass die Lösung ein Zurückgehen auf ein „einfaches Leben“ auf der Grundlage handwerklicher Produktion sei. Aber das hiesse, aus „Maschinen“ und „Technik“ einen Fetisch zu machen und ihnen ein Bewusstsein und einen Willen zuzuschreiben, den sie als leblose Objekte nicht haben. Maschinen und Technik machen und können nichts aus sich heraus machen. Die Art der Maschinen, wie sie konstruiert werden und ihre Verwendung, hängt vom sozialen Kontext ab. In einer Gesellschaft, die auf maximalen Profit ausgerichtet ist, werden Maschinen anders verwendet (und werden dann auch anders sein) als in einer Gesellschaft, die auf die menschlichen Bedürfnissen ausgerichtet ist, mit eingeschlossen das Bedürfnis, sich in befriedigender, kreativer Arbeit zu betätigen.
Das Erreichen des Ziels, die notwendigen Verpflichtungen der Produktion in kreative, attraktive Aktivität zu verwandeln, schließt nicht mit ein, alle Maschinen und jede industrielle Technik abzulehnen; es kann möglich werden, wenn die Produktion, ihr Zweck und ihre Methoden, voll unter menschliche Kontrolle gebracht werden. Das setzt die Abschaffung des Privateigentums voraus (privates und staatliches); der Produktion für Verkauf und Profit und der Arbeit für Lohn. In anderen Worten, durch die Etablierung der sozialistischen Gesellschaft, die nicht die industrielle Produktion abschaffen sondern so anpassen muss, damit sie den menschlichen Bedürfnissen dient.
Ein starkes Argument kann damit eingebracht werden, erfüllende und kreative Arbeit nicht nur als erstrebenswertes Ziel zu sehen, sondern als wesentliches menschliches Bedürfnis. Auf jeden Fall ist irgendeine Art von physischer und geistiger Aktivität notwendig von einem rein biologischen Standpunkt aus, da die chemische Energie, die wir in Form von Nahrung zu uns nehmen, verbraucht werden muss auf noch anderen Wegen, als nur die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Deshalb liegt es im menschlichen Wesen, die physischen und geistigen Energien zu verausgaben und ihre Fähigkeiten anzuwenden: zu arbeiten.
Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb die Menschen ihre physische und mentale Energie verbrauchen müssen, nämlich um von der Natur die Nahrung, Bekleidung und Behausung zu bekommen, die sie zum Überleben brauchen. Wenn die Einwirkung auf die Natur zur Befriedigung von Bedürfnissen die Definition von Produktion ist, dann ist diese Betätigung eine produktive Betätigung und eine notwendige menschliche Aktivität in jedem gesellschaftlichen System, ob sozialistisch oder kapitalistisch.
Von der Wortabstammung her meinen produktiv und kreativ eigentlich dasselbe: Die Umwandlung von Stoffen aus der Natur in etwas für das menschliche Leben Nützliche. Wenn etwas aus der Natur Genommene durch Umwandlung zu etwas Neuem gemacht wird, das vorher nicht existierte, wurde es kreiert. Produktive und kreative Aktivität sollten deshalb Synonyme sein, aber das wäre daran zu messen, in welchem Maß produktive Aktivität mittlerweile erniedrigt wurde so dass wir die Forderung erheben sollten, dass sie von einer unbefriedigenden, von außen aufgezwungener Last (die sie für die große Mehrheit der Menschen darstellt) in eine befriedigende, frei gewählte Betätigung verwandelt werden sollte. Die produktive Aktivität sollte wieder zu einer „kreativen“ werden.
Der Ausdruck „wieder“ ist in diesem Zusammenhang angemessen, weil es den Beweis durch die Anthropologen gibt, dass die ursprünglich eigentumslose, klassenlose – kommunistische – Form der produktiven Aktivität der Menschen kreativ war, in Sinne einer befriedigenden, selbst gewählten Betätigung. Sie wurde erst die unbefriedigende, von außen auferlegte Last, die sie die Geschichte hindurch für die meisten Menschen war, mit dem Entstehen der Eigentums- und Klassengesellschaft, in der sie zu erzwungener Arbeit wurde, um den Bedürfnissen der herrschenden Klassen zu dienen.
Wenn diese ursprüngliche Situation mit Blick auf die produktive Aktivität als die natürliche Bedingung menschlichen Lebens angesehen werden kann, ist die frei gewählte produktive Aktivität („kreative Aktivität“) genauso ein menschliches Bedürfnis und die Gesellschaft sollte es ebenso erfüllen wie das nach Nahrung, Bekleidung und Behausung – und die verschiedenen Klassengesellschaften der Geschichte, eingeschlossen die existierende kapitalistische Gesellschaft, die dieses Bedürfnis verweigern, müssen als gegensätzlich zur menschlichen Natur angesehen werden und die Form von produktiver Aktivität, die sie aufzwingen (Sklavenarbeit, Leibeigenenarbeit, Lohnarbeit) als unnatürliche, entfremdete Arbeit.
Das bedeutet, dass es keine Frage sein kann, in einer sozialistischen Gesellschaft zu unterscheiden zwischen einem „Reich der Notwendigkeit“ (der von außen auferlegten Aktivität) und einem „Reich der Freiheit“ (oder der frei gewählten Aktivität) und dass das Ziel wäre, die angeblich von außen auferlegte Aktivität auf ein Minimum zu reduzieren um ein Maximum an „freier“ Zeit zu haben, in der man sich mit anderen Aktivitäten beschäftigt. Die ganze Zeit muss frei sein, andernfalls wird die Gesellschaft noch nicht der Tyrannei entkommen sein, Arbeitszeit einzusparen – was genau die ökonomische Logik des Kapitalismus ist und was gemeint ist mit dem Ausdruck „von außen auferlegt“. Jede produktive Aktivität, die größte Routinearbeit eingeschlossen, muss frei wählbar sein, die Arbeit in einer sozialistischen Gesellschaft muss vollkommen freiwillig sein.
In einer Gesellschaft, in der die Menschen frei das Tempo und die Länge der Arbeitszeit wählen können, würde der blinde Druck, die Arbeitszeit zur Herstellung eines Produkts auf ein Minimum zu reduzieren, nicht mehr länger existieren. Es würde geradezu bedeutungslos werden, den „Wert“ oder die „Kosten“ eines Produkts in Ziffern der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit messen zu wollen. Eine Gesellschaft, die auf freiwilliger Arbeit basiert, wäre frei von solchen Erwägungen. Und wenn produktive Betätigung ein Genuss ist, wie kann sie dann als Kostenpunkt gesehen werden?
Artikel aus Socialist Standard, Oktober 1986, Autorenname nicht genannt.
Eigene Übersetzung, 2013
Entnommen von der Internetseite der Socialist Party of Great Britain. Die SPGB wurde 1905 als Abspaltung von der Social Democratic Federation gegründet, die zu der Zeit immer noch von Hyndman dominiert wurde (auch Morris hatte die SDF wegen Hyndman verlassen und 1885 die Socialist League mitbegründet, die 1905 nicht mehr existierte.)
http://socialismoryourmoneyback.blogspot.de/2009/03/socialism-and-work.html
Noch dazu: Paul Lafargue war nach 1883, dem Jahr des Erscheinens von Das Recht auf Faulheit öfters in London, war mit William Morris bekannt und schrieb eine ganze Reihe von Artikeln für The Commonweal. Unter anderem im Juli 1887 „The Morrow of the Revolution“ (wozu Morris als Herausgeber kleine Anmerkungen machte). In dem Artikel stellt Lafargue Überlegungen an, wie die Arbeit nach der Revolution in Selbstverwaltung weitergehen könnte…