Wenn ich mich in dieser Versammlung umsehe und darüber nachdenke, was sie repräsentiert, komme ich nicht umhin, bis in die tiefste Seele von der Sorge im Leben zivilisierter Menschen berührt zu werden, aber auch von Hoffnung, die sich trotz dieser Sorge zu Wort meldet.
Ich kann nicht anders, als wieder von der Botschaft zu reden, die mir, wie es scheint, durch zufallhaftes Schicksal aufgetragen wurde. Diese Botschaft besteht kurz gesagt darin, Euch jene Gefahr vor Augen zu bringen, von der die Zivilisation bedroht ist; eine Gefahr, die von ihren eigenen Geschöpfen ausgeht: dass die Menschen im Begriff stehen, sich im Bemühen, den Stärksten unter ihnen den Zugang zu allem Luxus des Lebens zu verschaffen, damit die gesamte Gattung um alle Schönheit des Lebens zu bringen; die Gefahr, dass die Stärksten und Klügsten der Menschheit in ihrem Streben nach vollständiger Herrschaft über die Natur, verbunden mit der Versklavung der im Vergleich mit ihnen gewöhnlicheren Menschen, die einfachsten und in Fülle vorhandenen natürlichen Gaben der Natur zerstören, und so schließlich die Welt in ein neues Barbarentum stürzen werden, tausendfach hoffnungsloser als jedes vorangegangene.
Ich spreche von der Gefahr, dass die gegenwärtige Entwicklung der Zivilisation im Begriff ist, jegliche Schönheit des Lebens zu zerstören. Dies sind harte Worte, von denen ich wünschte, ich könnte sie abschwächen. Aber genau das eben kann ich nicht, weil ich glaube, dass ich mit ihnen die Wahrheit sage. Dass die Schönheit des Lebens etwas ist, worüber es sich nicht nachzudenken lohne, werden nur wenige behaupten wollen, und doch benehmen und verhalten sich zivilisierte Menschen so, als sei all das nicht weiter wichtig, und schädigen so sich selbst und jene, die nach ihnen kommen. Dass Schönheit – und eben das ist es, was man unter Kunst versteht, wenn man das Wort im weitesten Sinn seiner Bedeutung benutzt – dass Schönheit, so sage ich, sich nicht bloß als Zufall im menschlichen Leben ereignet, als etwas, wofür sich Menschen entscheiden oder was sie auch lassen können, sondern von Natur aus uns Menschen bestimmt ist; es sei denn, wir gäben uns mit einem Zustand zufrieden, der weniger als menschlich ist, davon will ich ausgehen. Und nun frage ich Euch, wie ich mich selbst auch oft gefragt habe: welchen Anteil hat die Mehrzahl der Bevölkerung in diesen zivilisierten Ländern an dieser Grundbedingung eines menschenwürdigen Daseins? Ich behaupte, die Antwort, die auf diese Frage gegeben werden muß, rechtfertigt meine Furcht, dass sich die moderne Zivilisation auf einem Weg befindet, auf dem die Schönheit des Lebens ausgelöscht wird und an dessen Ende wir weniger als Menschen geworden sein werden. Und sollte jemand hier sein, der darauf erwidert: das war doch immer so, es gab immer eine Masse, die in ihrer rohen Ignoranz nichts von Kunst wußte noch sich darum kümmerte, so antworte ich darauf: dann war eben immer etwas faul, und es wird höchste Zeit, dass wir uns dessen bewußt werden und Anstrengungen unternehmen, es zu ändern. Zum anderen aber wäre auch daran zu erinnern: seltsamerweise, und trotz aller Leiden, die die Welt sich wissentlich selbst zugefügt und an denen sie in allen Epochen festgehalten hat, als handle es sich dabei um eine gute und heilige Sache, ist es keineswegs immer so gewesen, daß die Masse der Menschen der Kunst gleichgültig gegenübergestanden hat. Soviel ist heute über Kunstepochen bekannt, die uns hinreichende Beispiele ihrer Schöpfungen hinterlassen haben, dass wir sie mit den Relikten anderer Zeiten vergleichen können, aus denen nur wenig vergleichbares auf uns gekommen ist, und wir kommen um die Schlußfolgerung nicht herum, dass bis in die allerjüngste Zeit alles, was von der Hand des Menschen berührt wurde, mehr oder weniger schön war.
Also haben in jenen Zeiten alle Menschen, die etwas herstellten, teilgehabt an Kunst. Aber auch jene anderen hatten an Kunst teil, die die auf diese Weise hergestellten Dinge benutzten. Was bedeutet: Alle Menschen haben teilgehabt an Kunst. Nun mögen manche einwenden: Aber ist das überhaupt wünschenswert?
Hat nicht jene universale Verbreitung von Kunst den Fortschritt in anderen Bereichen aufgehalten? War dies nicht hinderlich für die Arbeit der Welt? Ist solches denn die Aufgabe der Menschheit? Und kommt es nicht zumindest jetzt darauf an, dass sich die Menschen um anderes kümmern?
Ich behaupte, Kunst hat einen notwendigen und natürlichen Platz im menschlichen Leben. Von ihrem Gehalt her ergeben sich Regeln der Ordnung und der Brauchbarkeit für die allgemeinen Lebensumstände. Nehmen wir einmal an, dass Leute, die allzu sehr besorgt sind, dass die äußere Erscheinung der Schönheit eine zu starke Kraft neben den anderen Kräften des Lebens darstellen könnte, sie dann (wenn es an ihnen läge) eine Weizenähre aus Angst weniger schön gemacht hätten, damit sie noch als Nahrungsmittel tauglich wäre.
Aber in der Tat scheint Kunst nur unter der Bedingung eine Chance zu haben, universal zu werden, wenn sie mit wenig Selbstbewusstsein auftritt. Zumeist wird sie mit zu wenig Anstrengung und zu wenig Selbstvertrauen ausgeübt. Wäre dies anders, die Arbeit in der Welt würde davon so wenig behindert wie die Tätigkeit der Natur durch die Tatsache, daß die Formen und Eindrücke, die sie hervorbringt und hervorruft, schön sind. Dies war der Fall in jenen Zeiten, von denen ich gesprochen habe.
Kunst als bewusste Anstrengung, als Resultat individuellen Strebens nach vollkommenem Ausdruck ihres Sinns durch Menschen, die spezielle Begabungen dazu mitbringen: dies hat es, abgesehen von wunderbaren und kurzen Perioden, damals nicht mehr gegeben als heute. Allerdings meine ich, dass sich die Anstrengung, Schönheit hervorzubringen, für jene Menschen nicht unter so bitteren Umständen vollzog wie heute. Und wenn es damals auch nicht mehr große Denker gab als heute, so gab es sehr wohl eine Vielzahl von Arbeitern, die durch ihre Arbeit originelle Gedanken ausdrückten und deren Arbeit infolgedessen auch interessant und schön war.
Nun besteht gewiß keine Chance für eine mehr individuelle Kunst, universal zu werden. Es hat keinen Zweck, sich über den Überfluß oder über die lärmende Selbstgerechtigkeit aufzuregen, die hochkultivierte Menschen daran hindert, den ihnen zukommenden Anteil an anderer Arbeit in dieser Welt zu übernehmen. Es ist zu schwierig: individuelle Kunst wird immer nur die Blüte jener halbbewussten Arbeit darstellen, die sich unterhalb ihrer Differenziertheit vollzieht; in ihr wird sich immer nur verwirklichen, was weniger Begabten verschlossen bleibt.
Aber sie wird auch viel von ihrer Kraft, von ihrem Einfluß auf den Menschen zwangsläufig verlieren, wenn sie nicht umgeben ist von der Vielzahl der einfacheren Arbeiten, an denen alle Menschen teilhaben sollten, und die, wie ich behaupte, leicht und einfach getan werden können, wenn Kunst wirklich erblüht ist. Niemand wird durch solche Kunst von dem, was er tun will, abgehalten werden.
Da ich also glaube, daß Kunst, gemacht vom Volk für das Volk, als Freude für den Hersteller wie für den Benutzer, den Fortschritt in anderen Dingen eher befördern denn hindern würde, meine ich auch, daß höhere Kunst von großen Geistern und wunderbar befähigten Händen auch nur so möglich ist.
Ich glaube, dass der gegenwärtige Zustand, in dem es höhere Kunst gibt, während die populäre Kunst schläft oder krank ist, ein transitorischer sein wird, der schließlich mit der völligen Niederlage oder dem völligen Sieg der Künste enden muss. Denn wie alle handwerklichen Produkte einmal schön waren, sei es aus bewußter Anstrengung oder unbewußt, so sind heute bei ihnen Kunstwerke und Nichtkunstwerke zu unterscheiden. Nichts, was Menschen hervorbringen, kann indifferent sein. Es muss entweder schön und erhöht oder häßlich und abfallend sich darstellen.
Und jene Dinge, die kunstlos sind, wirken aggressiv. Sie verletzen das Künstlerische durch ihr Vorhandensein. Sie verletzen uns durch ihre Existenz. Sie sind nun derart in der Mehrzahl, dass wir nach Kunstwerken suchen müssen, während die anderen Dinge gewöhnlich die Gefährten unseres Alltags sind. Es ist nicht länger möglich, sich mit seinen besonderen Fähigkeiten abzuschotten, sich mit hoher Kultur zu umgeben und abseits des anderen glücklich zu leben. Wer das versucht, wird bald feststellen: er lebt in einem Land des Feindes. Nur eine Wendung des Kopfes, und er wird auf etwas treffen, was sein geschultes Auge und seine wissenden Sinne verletzt. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als am allgemeinen Unbehagen teilzunehmen – und ich bin froh darüber.
So stehen die Dinge. Von den frühesten Anfängen der Geschichte bis in die moderne Zeit erfüllte Kunst, von der Natur dazu ausersehen, den Zweck, alle Menschen zu trösten. Alle Menschen hatten an ihr teil; das war es, was das Leben romantisch machte, wie die Menschen es in jenen Tagen zu nennen pflegten, das, und nicht Räuber-Barone oder unzugängliche Könige mit ihrer Hierarchie lehenspflichtiger Adliger und ähnlichem Blödsinn.
Aber Kunst wuchs und wuchs, sah Reiche versinken und versank mit ihnen, wurde wieder heil und wirksam und war am Ende groß und voller Vertrauen, alles zu erobern. Sie brachte die materielle Welt unter ihre Herrschaft.
Dann aber kam eine Veränderung in einer Periode größter Lebendigkeit und Hoffnung in Europa. So groß und weit gespannt waren die Erwartungen, dass die Menschen diese Epoche die Zeit der Neugeburt nannten.
Was die Künste angeht, so bestreite ich, dass diese Zeit diesen Titel verdient. Es scheint mir vielmehr, dass die großen Männer, die damals lebten und die Ausübung der Künste verherrlichten, Erben von etwas Altem waren und nicht so sehr Gestalter einer neuen Ordnung der Dinge.
Aber eine aufregende und hoffnungsvolle Zeit war es wohl, und viele Dinge wurden neu geboren, die seither hinreichend Früchte getragen haben. Seltsam und bestürzend ist nur, dass von diesen Tagen an durch Verwirrung und Fehler einerseits Privileg und Exklusivität mancher Dinge aufgehoben wurde, während die Kunst ihrerseits zum exklusiven Vorrecht weniger geworden ist, dass dem Menschen damals sein Geburtsrecht in dieser Beziehung abhanden kam.
Jene, die dieses Übel heraufbeschworen, und jene, die darunter zu leiden hatten, handelten unbewusst. Völlig unbewusst – ja, aber so ist es nun nicht länger. Darin liegt der Stachel, aber auch die Hoffnung. Als die Helligkeit der sogenannten Renaissance verblich – und sie verblich plötzlich – legte sich ein tödlicher Kältehauch auf die Künste. Diese Neugeburt bedeutete weitgehend eine Rückschau in vergangene Zeiten, in denen die Menschen jener Tage die Vervollkommnung der Künste zu erkennen meinten, jedenfalls eine Kunst, die nach ihrer Vorstellung von anderer Art war als die rohere, suggestive Kunst ihrer Väter. Diese Vollkommenheit wollten sie nachahmen. Dies allein schien Kunst für sie. Der Rest war Kinderkram. So wundervoll war die Energie, ihr Erfolg so groß, so abgetan jeder Zweifel unter durchschnittlichen Geistern und erst recht unter den großen Meistern, dass Vollkommenheit zu erreichen sei. Und wenn Vollkommenheit erreicht ist, was gibt es dann noch zu tun? Weitergehen kann man nicht. Es muß ein Stillstand kommen.
Die Kunst stand keineswegs still in den Zeiten der späten Renaissance. Vielmehr ging es mit ihr in schrecklicher Schnelligkeit bergab. Sie stürzte hinab zum Boden des Hügels, wo sie, wie verhext, lange zufrieden liegenblieb, immer noch in der Vorstellung befangen, sie sei die Kunst eines Michelangelo, während sie doch in Wahrheit die Kunst von Männern war, an die sich niemand erinnert, die nur ihre Bilder verkaufen wollten.
So erging es den meisten individuellen Arten von Kunst! Und die Volkskunst jener Länder, in denen die größere Kunst zur Blüte gelangt war – mit ihr ging es ebenfalls Schritt für Schritt bergab.
In etwas abgelegenen Regionen, wie zum Beispiel in England, spürte man immer noch den Einfluß des Lebens aus früheren und glücklicheren Tagen. Die Volkskunst lebte weiter, wenn auch mit schwacher Lebenskraft. Und man muss feststellen: weder konnte sie sich den Veränderungen äußerer Umstände entziehen, noch vermochte sie selbst Neues hervorzubringen. Ehe dieses Jahrhundert begonnen hatte, waren ihre letzten Funken verglüht.
Solange sie noch lebte, in welchem Maße auch immer, bewirkte sie doch, dass sich etwas regte bei jenen Dingen des täglichen Bedarfs, und sie befriedigte ein Verlangen nach Schönheit. Als sie tot war, merkten es die Leute lange nicht. Man könnte auch sagen: das, was an ihre Stelle getreten war, kroch in ihren toten Körper hinein. Ich spreche von jener Pseudokunst, die von Maschinen gemacht wird, wenngleich es sich bei den Maschinen manchmal auch um Menschen handelt, die zu Maschinen geworden sind. Davon abgesehen, schon ehe sie tot war, war sie so tief gesunken, daß sie von jedem vernünftigen Menschen nur noch mit Verachtung behandelt wurde. Bald hatte die gesamte zivilisierte Welt vergessen, dass es einst eine Kunst gegeben hatte, gemacht vom Volk für das Volk, zur Freude der Hersteller und der Benutzer.
Aber nun scheint es mir, dass die Raschheit des Wandels uns trösten sollte, daß wir den Bruch in der Kontinuität der goldenen Kette nur als einen Zwischenfall betrachten sollten, bei dem es nicht bleiben wird. Denn überlegen Sie einmal, wie viel tausend Jahre es her ist, seit der Mensch der Vorgeschichte mit einem Feuerstein die Geschichte jenes Mammuts einritzte, das er beobachtet hatte, oder uns von dem langsamen Heben der mit Geweihen schwer beladenen Köpfe der Rentiere erzählte, die er getroffen hatte.
Denken Sie an den Zeitraum, der dann verstrich bis zum ersten Dämmern jener Helligkeit in der italienischen Renaissance! Hingegen sind seit den Tagen, in denen volkstümliche Kunst starb, bis zu uns gerade zweihundert Jahre vergangen.
Merkwürdig auch, dass der Tod von etwas immer zeitgleich mit der Neugeburt von etwas anderem ist. Denn aus all der Verzweiflung erwuchs eine neue Hoffnung durch die Fackel der Französischen Revolution, und die Dinge, die darniederlagen durch die Ermattung der Kunst, erhoben sich erfrischt und verkündeten ihre Neugeburt.
Als gute, ernsthafte Dichtkunst wurde neugeboren, was unter den Händen kriecherischer Versemacher zu einem elenden Jargon herabgewürdigt worden war, dessen Bedeutung, wenn es so etwas wie eine Bedeutung überhaupt gab, nicht ohne Übersetzungshilfen erkenntlich wurde.
Nun aber floss die englische Sprache wieder klar, rein und einfach in der Musik eines Blake und Coleridge, um nur zwei Namen zu nennen, die den frühesten Zeitpunkt jener Veränderung markierten, welche in unserer Literatur seit den Zeiten Georgs II. vor sich gegangen ist. Mit dieser Literatur, in der das Romantische gleichbedeutend ist mit Menschlichkeit, kam auch ein Gefühl für die Romantik der äußeren Natur auf, das jetzt gewiß bei uns stark ausgeprägt ist. Es ist verbunden mit dem Wunsch, etwas über die Wirklichkeit der Menschen, die vor uns lebten, zu erfahren. Die Verbindung jener Gefühle findet ihren deutlichsten Ausdruck in den Werken von Walter Scott. Es ist merkwürdig mit anzusehen, wie manchmal bei einem Revival, einer Wiederbelebung, die eine Kunst hinter der anderen drein hinkt.
Der Mann, der sich einerseits in „Herz von Midlothian“ eines keine Schranken kennenden Naturalismus bedient, scheint sich andererseits seiner Vorliebe für gotische Architektur zu schämen und entschuldigt sich für sie. Er spürte: das war romantisch. Er spürte auch, dass er selbst Vergnügen dabei empfand, aber irgendwie hatte er nicht herausgefunden, dass das Kunst war. Man hatte ihn gelehrt, dass Kunst nur etwas sein könne, was von einem namhaften Mann nach akademischen Regeln geschaffen worden ist. Ich brauche mich bei der Veränderung, die seither vor sich gegangen ist, vielleicht nicht allzu lange aufzuhalten. Sie alle wissen, daß die Krone der Künste, die Kunst der Malerei, eine Revolution durchlief.
Es bereitet mir echte Schwierigkeiten, von Männern zu reden, die meine persönlichen Freunde sind. Dennoch geht es nicht an, dass ich nichts über sie sage. Also muss ich mich an die einfache Wahrheit halten. Sie sieht so aus: Nie im Verlauf der Geschichte der Kunst gelang es Männern auf solche Weise wie bei dieser Gruppe, aus nichts etwas zu machen. Dieses kleine Grüppchen brachte es fertig, die bildende Kunst Englands von dem, was sie war, als ich mir als Junge die Ausstellungen in der Königlichen Akademie anschauen ging, zu dem zu machen, was sie heute ist.
Es wäre undankbar gegenüber jemandem, der mich so viel gelehrt hat und dessen Gedanken in meinen Ausführungen als Echo vorhanden sind, wollte ich nicht den Namen von John Ruskin erwähnen, wenn ich über den Gezeitenwechsel berichte, wenn ich von einer Bewegung spreche, die nun wieder zur Kunst hinläuft.
Es ist wahr: gleichgültig, welchem Thema er sich zugewandt haben würde, sein Stil, der unübertroffen ist, und seine wunderbare Beredsamkeit hätten ihm gewiss immer bei all jenen Gehör verschafft, die Literatur zu schätzen wissen. Der Einfluss, den er auf kultivierte Menschen ausübte, muss das Resultat dieses Stils gewesen sein. In seiner Eloquenz drückte er nur aus, was in den Köpfen vieler anderer spukte. Er hätte nicht das schreiben können was er schrieb, wären die Leute nicht schon aufnahmebereit gewesen.
Gleichermaßen hätten diese Maler nicht vor dreißig Jahren zu jenem Kreuzzug gegen Dumpfheit und Unfähigkeit aufbrechen können, wenn nicht eine gewisse Hoffnung bestanden hätte, daß eines Tages die Leute auch begreifen würden, was sie da anstießen.
Wir sind nun der Meinung, daß der Gewinn seit diesem Umschlag der Gezeiten eben darin besteht: es gibt jetzt einige wenige Künstler, die die zersprungene goldene Kette wieder aufgenommen haben; es gibt einige sensibilisierte Menschen, die begreifen, was es damit auf sich hat. Darüber hinaus gibt es im Ausland ein vages Gefühl der Unzufriedenheit über die unerträgliche Hässlichkeit, die uns umgibt. Dies scheint mir ein Fortschritt, den wir seit dem Absterben volkstümlicher Kunst unter uns beobachten können, und ich behaupte gar nicht, in Betracht ziehend, wo wir damals standen, daß dies nicht sogar schon ein großer Fortschritt wäre, denn muß auch die Schlacht noch gewonnen werden, sind doch viele bereits zu ihr angetreten.
Es wäre eine seltsame Schande für dieses Zeitalter, wenn dies nicht der Fall wäre. Denn jede Zeit der Welt hat ihre eigenen Probleme, die sie verwirren, ihre eigenen Narrheiten, aber zu jeder Zeit gibt es bestimmte Aufgaben, die erledigt werden müssen und auf die durch unübersehbare Zeichen hingewiesen wird. Es ist feige und töricht, wenn die Kinder eines bestimmten Zeitalters sagen: Wir wollen uns die Hände nicht mit Arbeit schmutzig machen. Wir sind an den Problemen nicht schuld. Wir werden uns deswegen auch nicht abplagen, für sie eine Lösung zu finden. So häufen sie nur ihren Nachfahren eine Last auf, die diese überfordert.
So jedenfalls verfuhren unsere Väter mit uns nicht, die von früh bis spät schafften und uns jene Masse Volk hinterließen, so schrecklich lebendig und energieerfüllt, die wir das moderne Europa zu nennen pflegen. So verfuhren jene mit uns nicht, die unsere Gegenwart schufen, fruchtbar für Veränderungen und Erwartungen.
Wenn Menschen den Jahrhunderten Beinamen gäben, würde unser Jahrhundert, das jetzt zu Ende geht, das Jahrhundert des Handels genannt werden, und ich unterschätze gar nicht die Arbeit, die es geleistet hat. Es hat viele Vorurteile niedergeworfen und hat viele Lehren erteilt, die die Welt bis dahin nur langsam zu lernen geneigt war. Es hat für viele Menschen die Möglichkeit geschaffen, frei zu leben, die zu anderen Zeiten Sklaven mit ihrem Körper oder mit ihrer Seele oder beides gewesen wären.
Wenn sich auch nicht in so vollkommenem Maße Frieden und Gerechtigkeit in der Welt ausgebreitet hat, wie man dies gegen Ende der ersten Hälfte des Jahrhunderts vielleicht erwartete, so hat es doch wenigstens in vielen ein neues Verlangen nach Frieden und Gerechtigkeit wachzurufen verstanden. Seine Arbeit war gut und reichlich, aber vieles war grobe Arbeit, den Bedürfnissen entsprechend. Verwegenheit ging zu oft Hand in Hand mit Energie. Blindheit war zu oft die Folge der Hast, so daß an Arbeit genug für das nächste Jahrhundert übrig bleiben mag, um die ärgsten Fehler der Verwegenheit zu beseitigen und den Unrat wegzuräumen, der durch zu hastige Arbeit sich aufgetürmt hat. Aber selbst wir, die wir in der zweiten Hälfte des letzten Viertels dieses Jahrhunderts leben, sollten etwas tun, um dieses Haus wieder in Ordnung zu bringen.
Sie in dieser großen, berühmten Stadt zum Beispiel, die Sie soviel mit diesem Jahrhundert des Handels zu tun gehabt haben: Ihre Gewinne sind augenscheinlich für jeden; aber auch der Preis, der dafür gezahlt wurde, ist für viele einsichtig, am besten bestimmt für Sie selbst.
Ich will nicht sagen, daß der Gewinn die Opfer nicht wert gewesen wäre, die gebracht werden mußten. Ich weiß sehr wohl, daß es England und der Welt schlecht anstünde, das Birmingham von heute gegen das Birmingham des Jahres 1700 einzutauschen, aber gewiß ist auch dies: wenn das Gewonnene mehr als ein Spott sein soll, können Sie sich nicht mit dem Gewinn zufriedengeben oder lediglich fortfahren, weitere Gewinne zu machen.
Nichts kann mich davon überzeugen, daß der gegenwärtige Zustand Ihres „Black Country“ dort drüben eine unveränderbare Notwendigkeit Ihres Lebens darstellt. Solche Missstände wie dieser begannen und entwickelten sich aus reiner Gedankenlosigkeit, und der hundertste Teil jener Energie, die dabei vertan wurde, sie zu schaffen würde ausreichen, sie auch zu beseitigen. Würden wir uns alle nicht mit dem gemeinen Wort „nach mir die Sintflut“ zufrieden geben, es müßte kein müßiger Traum sein, zu hoffen, dass unser schönes Midland-Gebirge und die Felder wieder grün würden, und zwar ohne dass man sie deswegen entvölkern müßte, oder dass die einst so lieblichen Täler Yorkshires im „schwarzen Wolldistrikt“, mit ihren rollenden Hügeln und edlen Flüssen statt Hundelöchern aus dem Jahrhundert des Handels wieder menschenwürdige Behausungen einschlössen. Die Menschen werden sich nicht die Mühe machen oder das Geld für die Reformen aufwenden, weil sie das Übel, das unter ihnen lebt, gar nicht mehr spüren, weil sie zu etwas, das weniger ist als ein Mensch, degradiert worden sind, weil sie aufgehört haben, in angemessener Weise an Kunst teilzuhaben.
Denn noch einmal muss ich auf das verweisen, worum sich arm und reich betrogen sehen: Man kann heute einen feinsinnigen und hochgebildeten Mann treffen, der in Italien und Ägypten gewesen ist oder ich weiß nicht wo noch, der gelehrt und auch phantasievoll genug über Kunst daherredet, der mehr als genug Werke der Literatur und bildenden Kunst aus der Vergangenheit besitzt, sich aber andererseits ohne die geringste Spur von Missbehagen in einem Haus niederläßt, das samt seiner Umgebung geradezu brutal, vulgär und widerlich ist. All seine Bildung vermag ihn in diesem Punkt offenbar nicht zu sensibilisieren.
Die Wahrheit ist, daß in der Kunst und in anderen Dingen die sorgfältige Bildung von wenigen nicht einmal eben diese wenigen dem Zugriff jenes Übels entzieht, das die Ignoranz der großen Massen ausmacht.
Der Mangel an Kunst oder besser die Ermordung der Kunst in unseren Straßen durch den Fluch des Schmutzes aus einer Umwelt, in der die Menschen der Unteren Klassen leben, hat sein Gegenstück in der Öde und Vulgarität der Wohnviertel der Mittelklasse sowie in der doppelt destillierten Öde und der kaum geringeren Vulgarität der Umwelt der Reichen.
Ich sage, es ist dies wie es sein sollte. Es ist gerecht und fair so. Außerdem haben die Reichen ihren Luxus und werden sich erst regen, wenn es sie zwackt.
Aber wie und in welche Richtung sollten sie, wir und alle sich bewegen? Was ist die Lösung? Welch anderen Ausweg gibt es für die üblen Fehler der Zivilisation als abermals mehr Zivilisation? Sie glauben doch nicht etwa, daß wir in dieser Richtung schon so weit gegangen sind wie möglich … selbst in England, meine ich! Wenn irgendeine Veränderung eintritt – und dies wird vielleicht rascher geschehen als viele Leute denken – , dann wird Bildung bestimmt in Qualität und Quantität zunehmen. Also wird vielleicht auf das Jahrhundert des Handels im 20. Jahrhundert ein Jahrhundert der Bildung folgen. Dass es eine Art von Bildung sein wird, die nicht dort endet, wo Menschen die Schule verlassen, ist ein Gemeinplatz. Aber wie kann man tatsächlich Menschen bilden, die das Leben von Maschinen führen, die nur während der paar Stunden, in denen sie nicht arbeiten müssen, dazu in der Lage sind zu denken; die, um es verkürzt zu sagen, fast ihr gesamtes Leben damit verbringen, eine Arbeit zu verrichten, die nicht dazu geeignet ist, dass sich Körper und Bewußtsein in angemessener Weise entwickeln?
Man kann keine Bildung vermitteln, man kann Menschen nicht zivilisieren, wenn man sie nicht an Kunst teilhaben läßt.
Zugegeben, es ist, so wie die Dinge nun einmal stehen, schwierig, jedem Menschen seinen Anteil an Kunst zukommen zu lassen. Die Menschen vermissen ja nichts, sie fragen auch nicht danach, und unmöglich wie unsere Zustände nun einmal sind, sollen sie dergleichen auch gar nicht vermissen oder danach fragen.
Trotzdem, alles hat seinen Anfang und viele große Dinge haben sehr klein begonnen. Diese Ideen breiten sich im Ausland schon aus, deshalb sollten wir uns von dem großen Gewicht dessen, was wir bewegen müssen, nicht allzu sehr entmutigen lassen. Wir haben lediglich unseren Teil zu einer solchen Bewegung beizusteuern, und wenn auch in jedem einzelnen Fall der Beitrag nicht groß sein muss, so wird er doch notwendig sein. Lassen Sie uns deshalb arbeiten und nicht aufgeben. Denken Sie daran, dass es in zweifelhaften Zeiten natürlich und deshalb auch entschuldbar ist, am Erfolg zu zweifeln; aber solche Zweifel nicht zu überwinden und nicht weiterzumachen, das wäre Feigheit und unverzeihlich. Kein Mensch hat das Recht, zu behaupten, alle Anstrengungen seien vergeblich gewesen, all das der Sache treue, unnachgiebige Bemühen derer, die vor uns kamen, habe zu nichts geführt, die Menschheit bewege sich immer nur im Kreis.
Kein Mensch hat ein Recht, dies zu behaupten; am Morgen aufzustehen, zu essen, sich abends ins Bett zu legen, während sich andere Menschen dafür schinden müssen, damit er sein Leben des Müßiggangs fortsetzen kann.
Gewiss wird dieser oder jener Ausweg aus der Verwirrung gefunden werden, selbst wenn die Dinge sich uns heute tatsächlich sehr verwirrend darbieten. Und seien Sie gewiss, dass dann unsere Arbeit ihre Früchte tragen wird, wenn wir sie nur getreu unseren Prinzipien, also mit Sorgfalt und Bedacht, ausführen.
So sage ich es noch einmal: wenn eine Zivilisation eine falsche Entwicklung genommen hat, liegt das Heilmittel nicht darin, stillzustehen, sondern auf eine vollkommenere Zivilisation hinzuarbeiten.
Was immer man über dieses oft benutzte und oft mißbrauchte Wort sagen kann, ich glaube, alle, die mir zuhören, werden mit mir von ganzem Herzen einer Meinung sein und damit nicht nur vorhaben, konventionelle Phrasen wiederzukäuen: eine Zivilisation, die nicht für das ganze Volk da ist, ist dem Untergang geweiht und muß einer anderen Platz machen, die dieses Ziel wenigstens anstrebt.
Wir sprechen von der Zivilisation der alten Völker, von der klassischen Zeit. Nun, zivilisiert waren diese Völker ohne Zweifel, wenigstens waren es einige unter den Menschen damals. Ein Bürger von Athen zum Beispiel führte ein einfaches, würdiges, fast vollkommenes Leben. Die Schattenseite dieses Glücks war das Leben der Sklaven, und die Zivilisation der Alten beruhte auf Sklaverei.
Tatsächlich stellten diese alten Gesellschaften ein Modell der Welt dar. Sie zeigen uns, welche Segnung Freiheit im Leben und Denken bedeutet. Selbstbeschränkung und umfassende Bildung – all dies sind Errungenschaften der freien Menschen im Altertum. Aber sie behielten diese Errungenschaften für sich. Dazu war sich kein Tyrann zu schade, dazu war kein Vorwand zu fadenscheinig: man versklavte die Enkel der Männer von Salamis und der Thermopylen. Deswegen brachten die Nachkommen jener ernsthaften und unter so großer Selbsteinschränkung lebenden Römer, die alles für den Ruhm des Gemeinwesens hinzugeben bereit gewesen wären, jene Monster an Ausschweifungen und wahnwitziger Verrücktheit hervor. Deswegen stürzte über den kleinen Knoten galiläischer Bauern das ganze Imperium.
Die alten Zivilisationen waren untrennbar mit der Sklaverei verbunden, und sie fielen. Die Barbarei, die an ihre Stelle trat, hat uns von der Sklaverei errettet und war die Voraussetzung für das Entstehen der modernen Zivilisation, und diese steht nun vor der Alternative eines nie innehaltenden Wachstums oder ihrer Zerstörung, die in sich die Saat eines weiteren Wachstums enthalten würde.
Es gibt einen schrecklichen Begriff für einen schrecklichen Tatbestand. Ich muß mich immer erst zwingen, ihn zu benutzen. Der Begriff lautet: Residuum oder Rückstand. Er hat seit der Zeit, als ich ihn zum ersten Mal jemanden benutzen hörte, eine schreckliche Bedeutung für mich erlangt, und ich fühle im tiefsten Herzen, daß, sofern Residuum ein notwendiger Teil der modernen Zivilisation ist – wie manche Leute offen, andere mehr stillschweigend meinen – , wir davon ausgehen müssen: Diese Zivilisation trägt in sich ein Gift, das sie einmal zerstören wird, so wie ihre ältere Schwester zerstört worden ist. Wenn Zivilisation nichts weiter als dies bedeutete, wäre es besser, es hätte sie überhaupt nicht gegeben. Wenn sie nicht darauf abzielt, das Elend abzuschaffen und einen gerechten Anteil an Glück und Würde allen Menschen zu geben, die sie hervorgebracht hat, so verbraucht sie nur unermüdlich Energie, ist sie nichts weiter als organisierte Ungerechtigkeit, ein bloßes Instrument der Unterdrückung, schlimmer als die alte Zivilisation insofern, als ihre Versprechungen und Ansprüche hochgestimmter sind, ihre Sklaverei sich nicht so offensichtlich abspielt, ihre Herren schwerer zu stürzen sind, weil sie nämlich von der dichten Masse eines allgemeinen Wohlbefindens und einer dumpfen Zufriedenheit gestützt werden. Gewiss darf das nicht sein. Sicherlich gibt es ein bestimmtes Gefühl hinsichtlich dieser Ungerechtigkeit. Wenn nun das Residuum alle Anstrengungen der modernen Zivilisation zunichte macht, sich über das reine Geldmachen und die Bevölkerungsvermehrung zu erheben, besteht die Schwierigkeit, sich mit ihm auseinanderzusetzen eben darin, dass es sich um die Erbschaft aus dem Zeitalter von Gewalt und bewußter brutaler Ungerechtigkeit handelt und in unserem Jahrhundert Hast und Blindheit dazugekommen sind. Gewiss sind alle, die an die Zukunft der Welt denken, auf die eine oder andere Art damit beschäftigt, diese Schande loszuwerden. Dies ist nach meiner Überzeugung die Bedeutung und der Sinn dessen, was wir Allgemeines Schulsystem nennen, mit dem wir begonnen haben; das zweifellos schon Früchte trägt, die noch mehr Früchte tragen werden. Nicht in dem Sinn, dass die Leute dann dazu befähigt werden, noch mehr Geld zu scheffeln, sondern im Hinblick auf ihre Denkfähigkeit.
Welchen Effekt dies auf die Zukunft der Künste hat, kann ich nicht sagen, aber ich würde doch meinen, daß die Auswirkungen beträchtlich sein werden. Dann werden nämlich den Leuten Dinge aufgehen, die heute noch völlig vor ihnen verborgen sind. Dies wird sich nicht nur auf jene auswirken, die ganz direkt unter dem Übel der Unwissenheit leiden, sondern auch auf solche, die es nur indirekt zu spüren bekommen – auf uns Gebildete. Eine große Welle aufblühender Intelligenz, und mit ihr viele natürliche Wünsche und Eingebungen, wird alle Klassen mitreißen und uns dazu zwingen, Dinge, die wir bisher als notwendiges und ewiges Übel angesehen haben, als nur zufällige und zeitlich vergängliche Gewächse einer vergangenen Dummheit zu betrachten, denen man durch Anstrengungen und Übung in Mut, durch guten Willen und Umsicht beikommen kann. Unter dieses Übel fällt ganz gewiß auch jenes, welches ich zum größten aller Übel rechne, zu der unerträglichsten aller Sklavereien; jenes Übel, welches darin besteht, dass der größte Teil der Menschen während der meisten Zeit seines Lebens mit Arbeiten beschäftigt ist, die sie bestenfalls nicht interessieren. Im schlimmsten Fall aber (und diese Situation ist fast allgemein) stellt es eine sklavenhafte Plackerei dar, die dem Menschen unter strengstem Zwang auferlegt ist – eine Mühe, der sich der Mensch, wen könnte dies wundern? – zu entziehen versucht, wann immer er kann.
Diese Schinderei macht aus Menschen etwas, das weniger ist als Mensch zu sein. Eines Tages werden die Menschen das wissen. Sie werden danach verlangen, wieder Menschen zu werden, und nur die Kunst kann ihnen zu der Erlösung aus dieser Sklaverei verhelfen.
Ich sage es noch einmal: es ist das schönste und ruhmreichste Ziel der Menschheit, und es wird in diesem Kampf sein, daß sie sich selbst reinigt und sich der Vollkommenheit annähert. Aber unterdessen sollten wir nicht wartend herumsitzen und nach Zeichen für das Kommen dieser fernen und ruhmreichen Tage auf Erden Ausschau halten; vielmehr sollten wir uns an die alltägliche, oft zermürbende Arbeit machen, diese Tage vorzubereiten. Nur so werden wir sie kommen sehen. Wir sollten unser Bestes geben, den Weg für ihr Kommen zu ebnen, damit diese Tage wenigstens beginnen, wenn wir sterben.
Was also können wir tun, die Traditionen vergangener Zeiten zu schützen, damit wir nicht eines Tages bei Nichts beginnen müssen? Was können wir tun, diesen Prozeß zu fördern, was können wir tun, um wenigstens ein Feld zu schaffen, auf dem Kunst gedeiht und herangewachsen ist, wenn Menschen einmal nach ihr verlangen werden? Was kann jeder von uns tun, um einen Keim von Kunst zu hegen, damit er neben anderen aufwächst, sich ausbreitet und schließlich daraus das entsteht, was wir als so dringend notwendig gekennzeichnet haben?
Zunächst einmal sind viele schöne alte Bauten in ganz Europa und in England deswegen zerstört worden, weil sie der Bequemlichkeit im Weg standen, während es doch nur ein wenig des Nachdenkens bedurft hätte, ohne dass die Bequemlichkeit hätte zu kurz kommen müssen. Aber davon einmal ganz abgesehen meine ich: wenn wir nicht bereit sind, in unserem Leben etwas Unbequemlichkeit auf uns zu nehmen, wenn wir jene Kunstdenkmäler, die nicht nur schön sind, sondern auch zu unserer Bildung beitragen könnten, einfach niederreissen, ist es eitel und sinnlos, andererseits überhaupt von der Notwendigkeit der Kunst und der Bildung zu sprechen. Aus solcher Brutalität muss neue Brutalität erwachsen.
Dasselbe trifft zu, wo alte Gebäude, die noch nahezu ihrem ursprünglichen Verwendungszweck dienen, erweitert, umgebaut oder aus Gründen der Bequemlichkeit sonstwie verändert werden. In fast allen Fällen geht es da lediglich um etwas Geld, soviel nämlich, um ein neues Grundstück erwerben zu können. Dann könnte nämlich das neue Bauwerk nach den Bedürfnissen und in einer Ausstattung, wie sie heute möglich ist, entstehen, während das alte Gebäude stehenbleiben könnte, um die Geschichte von Veränderung und Fortschritt zu erzählen, als Beispiel und Warnung für den Gebrauch der Künste. Derart würden die Bequemlichkeit, der Fortschritt und die Sache der Bildung gleichermaßen für wenig Geld zu ihrem Recht kommen.
Gewiss ist es wichtig, dass, während wir uns um die heutige Kunst bemühen, von der es nie genug geben kann, auch ein gewisses Maß an Fürsorge, Umsicht und etwas Geld dazu verwandt wird, die Kunst vergangener Zeiten, von der es so wenig gibt und die nicht vermehrbar ist, wie auch immer man es anstellt, zu pflegen.
Kein Mensch, der mit der Zerstörung und der Verschandelung alter Gebäude einverstanden ist, hat ein Recht zu behaupten, er liebe die Kunst. Er begeht ein unentschuldbares Verbrechen. Er kann sich seinerseits auch nicht kritisch und anklagend gegen Zivilisation und Fortschritt wenden, weil er sich selbst brutaler Ignoranz schuldig macht.
Ehe ich mich von diesem Thema abwende, muss ich noch ein paar Worte über eine merkwürdige Erfindung unserer Tage sagen, die Restauration genannt wird. Es handelt sich um eine Methode des Umgangs mit Kunstwerken vergangener Tage, die – wenngleich nicht ganz so erniedrigend wie der Geist der direkten Zerstörung – in ihren Auswirkungen auf den Zustand dieser Kunstwerke kaum viel besser ist. Ich kann diese Frage heute abend nicht erschöpfend untersuchen und muss es bei ein paar Behauptungen belassen: Alte Gebäude, die sowohl Kunstwerke wie auch Geschichtsdenkmäler sind, müssen mit größter Vorsicht behandelt werden. Die imitierende Kunst von heute ist und kann nicht dasselbe sein wie die alte Kunst und kann diese nicht ersetzen. Wenn wir sie dem Alten aufpfropfen, zerstören wir dieses als Kunst wie als Geschichtsdenkmal. Die natürliche Verwitterung der Oberfläche eines Gebäudes ist schön, ihre Beseitigung katastrophal.
Nun nehmen die Restauratoren einen genau entgegengesetzten Standpunkt ein. Sie meinen, dass jeder einigermaßen geschickte Architekt heute leichterhand mit den alten Arbeiten umgehen kann. Sie sind der Ansicht, dass, mag sich auch alles andere seit dem (sagen wir) 13. Jahrhundert verändert haben, die Kunst sich nicht verändert habe und unsere Arbeiter ohne weiteres Dinge hervorzubringen vermögen, die mit denen des 13. Jahrhunderts identisch sind. Letztlich behaupten sie, die verwitterte Fassade eines alten Gebäudes sei wertlos, und man müsse sie so rasch wie möglich beseitigen. Die Frage ist schwer zu erörtern, weil es zwischen Restauratoren und Anti-Restauratoren keine Gemeinsamkeiten gibt. Ich appelliere deswegen an die Öffentlichkeit und bitte diese zur Kenntnis zu nehmen, daß unsere Ansichten vielleicht falsch sein mögen, doch nehmen wir unseren Standpunkt nicht unbedacht ein. Man sollte diese Frage für eine Weile ruhen lassen. Sofern, wie wir das immer wieder verlangen, diese Baudenkmäler so behandelt werden, dass sie nicht einstürzen, kann man sie immer noch restaurieren, wenn das die Leute für richtig halten und sich unsere Meinung als falsch erwiesen hat. Aber wie lassen sich, sofern sich unser Standpunkt als richtig durchsetzt, restaurierte Gebäude noch restaurieren?
Deswegen plädiere ich dafür, dass man in dieser Frage solange nichts unternimmt, bis unser Kunstwissen sich so differenziert hat, um eine auf Autorität beruhende Entscheidung treffen zu können.
Soviel ist gewiss, was immer auch die Rechtsanwälte behaupten mögen: diese Kunst- und Geschichtsdenkmäler gehören nicht einer Clique oder einem reichen Mann hier und dort. Sie gehören allen. Somit ist eine solche Denkpause durchaus richtig.
Die letzten Überreste des Lebens berühmter Männer und jener, die uns zeugten, können erwarten, dass wir hier etwas Geduld an den Tag legen. Die Fürsorge für unseren Besitz wird mühsam sein, aber es wird an anderer Stelle noch weit mehr Ärger geben. Ich muss nun von Besitztümern reden, die uns allen gemeinsam gehören sollten, von grünem Gras, von Blättern, von Gewässern, dem Licht und der Luft des Himmels – alles Dinge, mit denen das Zeitalter des Handels unerhört sorglos verfahren ist.
Es gibt unter uns einige reiche Leute, die sich merkwürdigerweise Fabrikanten nennen, darunter verstehen wir Kapitalisten, die andere Leute dafür bezahlen, damit diese Fabriken organisieren. Viele von diesen Herren kaufen Bilder und geben vor, sich für Kunst zu interessieren. Gleichzeitig verbrennen sie Kohle in beträchtlicher Menge. Es gibt ein Gesetz, welches gemacht wurde, um sie daran zu hindern, allzu dichte Rauchwolken auf die Welt auszublasen. Nach meiner Ansicht ist dies ein sehr lahmes, parteiisches Gesetz, aber nichts würde die Kunstfreunde daran hindern, strenger zu verfahren, als es das Gesetz vorschreibt. Sie könnten es sich zur Ehre rechnen, die Luftverschmutzung auf ein Minimum zu beschränken, soweit ihre Fabriken betroffen sind. Und wenn sie das Geld, was es sie kosten würde, nicht bereit sind aufzubringen, so behaupte ich, ihre ganze Liebe zur Kunst ist nichts als Heuchelei. Wie kann man das Ebenbild einer Landschaft zu würdigen wissen, wenn einem die Landschaft selbst völlig gleichgültig ist? Welches Recht haben diese Herren, mit schönen Farben und Formen sich in ihre Häuser einzuschließen, wenn sie es anderen unmöglich machen, diese Freuden mit ihnen zu teilen?
Was das Luftverschmutzungsgesetz betrifft, so weiß ich nicht, wie es hier in Birmingham angewendet wird, aber ich habe erlebt, wie es in anderen Orten zugeht. Nehmen Sie Bradford: ganz in der Nähe, in Saltaire, findet sich ein Beispiel, von dem man meinen sollte, daß es andere beschäme, denn der hohe Schornstein, der zu den riesigen Flächen mit Web- und Spinnmaschinen des Sir Titus Salt gehört, macht nicht mehr Schmutz als ein gewöhnlicher Küchenschornstein. Oder nehmen Sie Manchester. Ein Herr sagte mir, dass dort das Gesetz nichts als ein toter Buchstabe sei. Nun, die Leute kaufen Gemälde in Manchester, und sie geben vor, etwas für die Künste tun zu wollen, aber das ist bloßes Geschwätz, sofern derlei von reichen Leuten geäußert wird. Sie reden nur von Kunst und wollen, daß man von ihnen redet. Ich habe damit von einem gewaltigen Ärgernis gesprochen, einer Art von Ärgernis, auf das sich jemand berufen könnte, falls es ihm in den Sinn käme, nicht vom Jahrhundert des Handels, sondern von einem Jahrhundert des Ärgernisses zu sprechen.
Ich wende mich nicht nur an das Gewissen der Reichen und Einflußreichen hier unter uns, sondern spreche auch von einem kleinen Ärgernis, das jeder von uns abstellen könnte. Ich rede von Butterbrotpapieren … nun lachen Sie. Aber wie denn, was denn, stimmt es denn etwa nicht, daß Sie, zivilisiert wie Sie alle sind, den Abfall Ihrer Picknicks in den Hügeln von Lickey und in den öffentlichen Parks herumliegen lassen? Ich weiß kaum, mit welchen Worten ich Ihr Lob singen soll. Wenn wir Londoner uns in Hampton Court erfreuen, wollen wir auch unbedingt jeden wissen lassen, daß wir etwas zu essen mithatten. Also sieht der Park außerhalb der Tore so aus, als habe es schmutziges Papier geschneit. Ich finde, ein jeder, der hier ist, könnte mir bei seiner Ehre versprechen, dass es mit dieser nachlässigen Angewohnheit endlich einmal ein Ende hat, die auf ihre Art durchaus mit der Luftverschmutzung zu vergleichen ist. Oder nehmen Sie die Unsitte, Namen auf Denkmäler zu kritzeln, Zweige von Bäumen abzureißen und dergleichen. Ich denke, es wird höchste Zeit, im Zusammenhang mit einer Wiederbelebung der Kunst sich über die täglich weiter wachsende Flut von Plakaten zu empören, die unsere Städte verschandeln. Ich meine, der sicherste Weg, da eine Änderung herbeizuführen, wäre, von den dort angepriesenen Waren keine mehr zu kaufen. Ich kann nicht glauben, dass solche Waren viel wert sind, wenn es notwendig ist, sie so laut und marktschreierisch anzupreisen. Und weiter. Ich frage Sie, wie verhalten Sie sich gegenüber Bäumen auf einem Bauplatz? Versuchen Sie sie zu retten und Ihr Haus den Bäumen anzupassen? Begreifen Sie, welche Schätze Bäume für die Stadt oder den Vorort darstellen? Welche Augenweide Bäume verglichen mit jenen gräßlichen Hundehütten sind, mit denen Sie wahrscheinlich (verzeihen Sie mir) dieses Grundstück überbauen werden?
Ich frage das zornig und mit Trauer, denn es wird nicht mehr lange dauern, und es gibt in London und seinen Vororten nichts mehr als nacktes Pflaster. Ich glaube wirklich, daß fast alle unter Ihnen schockiert wären, wenn ich Ihnen einige dieser Bäume zeigte, die in jenem Vorort, in dem ich lebe, gedankenlos umgebracht worden sind, darunter auch einige jener großartigen Zedern, für die diese Gegend entlang das Flusses (Hammersmith) einmal berühmt war. Aber auch hier sieht man wieder einmal, wie hilflos jene sind, die sich im eilfertigen Jahrhundert des Handels um Kunst oder Natur sorgen.
Bitte, vergessen Sie auch nicht, dass jeder, der einen Baum mutwillig oder gedankenlos niederlegt, besonders in den großen Städten oder in den Vororten, kein Anrecht darauf hat, sich als Kunstkenner aufzuspielen.
Was mehr können wir tun, um uns und andere auf dem Pfad der Kunst voranzubringen, auf der Straße hin zu dem Zustand einer Kunst, die hergestellt wird vom Volk für das Volk und zur Freude der Hersteller und Benutzer?
Nachdem wir begriffen haben, was Kunst einmal war, nachdem wir uns vorgenommen haben, alte Kunstwerke als Freunde anzusehen, die uns etwas von vergangenen Zeiten berichten und deren Gesicht wir nicht zu verändern wünschen, nachdem wir Mühe und Geld aufgewandt haben für Dinge voll Würde, groß und klein; nachdem wir zu verstehen gegeben haben, dass uns Natur etwas bedeutet, selbst in den Vororten einer Großstadt – nachdem wir soweit gelangt sind, sollten wir nun über unsere Häuser nachdenken, über die Häuser, in denen wir leben. Denn nun muß ich Ihnen sagen: solange Sie nicht entschlossen sind, auf eine gute und vernünftige Architektur zu setzen, bleibt Ihr Nachdenken über Kunst zwecklos.
Ich habe von Volkskünsten gesprochen. Man könnte sie alle unter dem Wort Architektur zusammenfassen. Sie sind alle Teil eines größeren Ganzen, und die Kunst des Hausbaus steht dabei am Anfang. Wenn wir nicht färben oder weben können, wenn wir kein Gold noch Silber haben, weder Seide noch Pigmente für ein halbes Dutzend Ocker- und Umbraschattierungen, können wir doch mit einer wertzuschätzenden Kunst beginnen, die uns zu allem führt, sofern wir nur Bauholz, Steine, Kalk und ein paar Schneidwerkzeuge besitzen, um diese Dinge nicht nur in einen Schutz gegen Wind und Wetter zu verwandeln, sondern mit ihnen auch jene Gedanken und Vorstellungen auszudrücken, die uns beschäftigen. Architektur führt uns zu all den Künsten der Menschen von früher. Wenn wir sie verachten, wenn wir nicht darauf achten, wie wir behaust sind, werden all diese anderen Künste auch einen schweren Stand haben.
Ich denke, selbst der größte Optimist wird nicht leugnen, daß es im allgemeinen um unsere Häuser schändlich bestellt ist. Da der größte Teil von uns in Häusern leben muss, die bereits gebaut sind, bleibt uns nicht viel anderes übrig als zu warten, bis sie einstürzen.
Nur müssen wir nicht die Schuld daran allein den Bauleuten geben, wie das viele Menschen tun. Sie sind nur ergebene Diener. Sie bauen, was man sie bauen heißt. Erinnern Sie sich bitte daran, daß reiche Leute nicht gezwungen werden, in häßlichen Häusern zu wohnen. Trotzdem tun sie es. Hier sehen Sie, dass Architekten und Bauunternehmer letztlich das tun, was von ihnen verlangt wird. Man kann, vom Üblichen ausgehend, behaupten: wir wollen für unsere Häuser mehr den Schein als das Ding selbst. Wir wollen kleinbürgerlichen Luxus zur Schau stellen, wenn wir nicht reich sind. Wir betreiben eine Zurschaustellung von beleidigender Dummheit, sofern wir reich sind. Und als Regel kann gelten: wir wollen etwas, das aussieht, als habe es doppelt soviel gekostet wie in Wirklichkeit dafür ausgegeben wurde.
Unter solchen Bedingungen gibt es keine Architektur, deren Haupteigenschaften Einfachheit und Gediegenheit sind. Urteilen Sie selbst, ob es nicht so ist! Wie sehr gefällt uns bei einem alten Gebäude die Vorstellung, daß so viele Generationen von Menschen bereits darin gelebt haben. Wir denken an Freud und Leid, die sich darin abgespielt haben, selbst Verrücktheiten erfüllen uns nicht mit Abscheu. Immer noch sieht dieses Haus so freundlich aus, wie es schon damals auf Menschen gewirkt haben mag. Genau das Umgekehrte müßten wir bei einem neugebauten Haus empfinden, wenn es mit rechten Dingen zuginge. Wir sollten ein Gefühl von Vergnügen verspüren, wenn wir daran denken, daß der Bauherr ein Stück seiner Seele mit hineingegeben hat, das den Betrachter noch begrüßen wird, lange nachdem der Bauherr schon tot ist.
Aber was für Gefühle rufen neuerbaute Häuser tatsächlich bei uns hervor – nichts als die Hoffnung, sie in ihrer erniedrigenden Hässlichkeit möglichst bald wieder zu vergessen. Aber wenn Sie mich fragen, wie wir für die Solidität zahlen sollen, und ob sie nicht einen besonderen Aufwand bedingt, so scheint mir dies eine vernünftige Frage. Denn ich muss sofort jener Vorstellung als Täuschung widersprechen, die sich häufig einstellt. Man kann eben nicht einen Bau, der ein Kunstwerk ist, also vor allem gediegen gebaut, zum selben Preis haben wie ein Gebäude, das nur vorgibt, ein Kunstwerk zu sein. Vergessen Sie nie, wenn von billiger Kunst im allgemeinen geredet wird, dass alle Kunst Zeit braucht, Mühe, Überlegung, und dass Geld nur der Gegenwert ist, der diese Dinge repräsentiert.
Ich sollte jedoch versuchen, die Frage zu beantworten, von der ich gerade gesagt habe, ich hätte Verständnis dafür, wenn sie gestellt wird: wie soll man ein anständiges Haus bezahlen?
Es scheint mir, daß durch einen glücklichen Umstand der größere Aufwand, also die höhere Geldsumme, die nötig wird, durch etwas kompensiert werden kann, das allein populäre Kunst hervorbringen wird: ich meine eine einfache Lebensführung. Noch einmal sage ich es: der größte Feind von Kunst ist Luxus. Kunst kann in einer luxuriösen Atmosphäre nicht gedeihen.
Wenn Sie vom Luxus der Alten hören, sollten Sie daran denken, dass dieser Luxus nicht mit unserem Luxus gleichzusetzen ist. Es waren mehr einzelne Stücke von außergewöhnlicher Besonderheit als das, was wir heute Luxus nennen, was vielleicht besser mit dem Wort Komfort charakterisiert werden sollte. Ich finde dieses Wort richtig und meine, daß ein Grieche oder Römer der luxuriösen Zeit höchst erstaunt dreinblicken würde, wenn er heute wieder aufwachen und die Einrichtungen in einem Haus eines wohlhabenden Mittelstandsbürgers sehen würde.
Aber einige, wie ich weiß, meinen, daß die Verfügung über solchen Komfort gerade den Unterschied zwischen Zivilisation und Unzivilisiertheit darstelle. Ist das wirklich so? Dann ade alle Hoffnung. Ich hatte immer gemeint, dass die Zivilisiertheit etwas mit Frieden, Ordnung, Freiheit und Hass auf die Ungerechtigkeit und von daher mit einem Leben frei von feiger Furcht, aber voller Ereignisse zu tun habe. Davon bin ich immer ausgegangen, wenn ich an Zivilisiertheit dachte. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass es nur um noch mehr Polsterstühle, mehr Kissen, mehr Teppiche, mehr Glas, um ausgefallene Spezialitäten beim Essen und Trinken und somit um eine noch schärfere Trennung zwischen den Klassen ginge.
Wenn dem aber so ist, dann möchte ich keinen Teil daran haben, sondern lieber in einem Zelt in der Persischen Wüste leben oder in einer Torfhütte auf Island. Aber wie dem auch sei – und ich glaube, dass meine Ansicht die richtige Ansicht ist – , ich sage Ihnen, dass die Kunst diese Seite der Zivilisation wie die Pest hasst, daß sie nicht atmen kann, wenn Häuser unter solchen Verkörperungen der Sklaverei ächzen. Glauben Sie mir, wenn wir mit Kunst daheim ernst machen wollen, müssen wir unsere Häuser von allen ärgerlichen Überflüssigkeiten befreien, von den konventionellen Bequemlichkeiten, die keine wahre Bequemlichkeit bringen und nur Dienern und Ärzten Arbeit schaffen. Wenn Sie eine goldene Regel wollen, die für jeden passt, so besteht sie in dem Satz: Nehmen Sie nichts in Ihr Haus auf, das nicht entweder nützlich ist oder das Sie für schön ansehen! Wenn Sie diese Regel strikt anwenden, werden Sie zum ersten jenen, die Bauten errichten, zeigen, was Sie wirklich wollen, und Sie werden gewiß mehr Geld dafür ausgeben können, das Haus anständig zu bauen.
Vielleicht strapaziert es Ihre Geduld nicht allzu sehr, wenn ich Ihnen hier meine Vorstellungen darüber darlege, welche Ausstattung ich für den Wohnraum eines gesunden Menschen für angemessen erachte: Ich meine ein Zimmer, in dem nicht gekocht wird, das nicht ständig als Schlafraum benutzt wird und in dem Sie auch keine Abfälle mit sich bringende Handarbeit verrichten. Zum ersten gehört in einen solchen Raum ein Bücherregal mit sehr vielen Büchern; als nächstes ein Tisch, der fest steht, wenn man darauf schreibt und arbeitet. Sodann mehrere Stühle, die man verrücken kann, eine Bank zum Sitzen und Liegen und ein Schrank mit Schubladen. Weiter: Wenn der Schrank nicht sehr schön ist, bemalt oder geschnitzt, werden Sie Bilder haben wollen oder Drucke, sofern Sie sie sich leisten können, keine Lückenfüller, sondern wirkliche Kunstwerke an der Wand, sonst aber müßte die Wand selbst mit schönen und ruhigen Mustern verziert sein. Wir brauchen auch eine Vase, in die man Blumen stellen kann, letztere ist unerläßlich, vor allem, wenn man in der Großstadt lebt. Dann sollte es natürlich einen Kamin geben; bei unseren Witterungsverhältnissen dürfte er der wichtigste Gegenstand im Zimmer sein.
Das ist alles, vorausgesetzt, der Fußboden ist ordentlich, wo nicht, und das dürfte in einem modernen Haus mit ziemlicher Sicherheit der Fall sein, würde ich nichts gegen einen kleinen Teppich einzuwenden haben, vorausgesetzt, er läßt sich rasch zusammenrollen und innerhalb von zwei Minuten hinausschaffen. Wir sollten darauf achten, dass er schön ist, weil wir uns sonst ständig ärgern. Sofern wir musikalisch sind und ein Klavier brauchen (in diesem Fall sind wir, was den Schönheitssinn angeht, schlecht dran), sollte dies alles sein, was wir uns an Möbeln wünschen. Wir können nur noch wenig zu diesen Notwendigkeiten hinzufügen, ohne uns selbst zu ärgern, ohne uns bei der Arbeit, beim Nachdenken und Ausruhen zu behindern.
Wenn diese Gegenstände zu den Kosten hergestellt sind, zu denen Schönes und Solides gerade noch hergestellt werden kann, müssen sie nicht allzuviel kosten, und es sind ja so wenige Dinge, daß die, welche es sich leisten können, alle zu haben, es sich auch leisten sollten, einige Sorgfalt bei ihrer Auswahl aufzuwenden und keinen Kitsch um sich zu haben; nichts, was den Menschen, der den Gegenstand herstellt und verkauft, herabwürdigt. Ich bin ganz sicher, wenn wir uns so um Kunst bemühen würden, müsste dies einen großen Einfluß auf die Öffentlichkeit machen.
Diese Einfachheit können Sie nun so kostbar gestalten, wie es Ihnen gefällt. Andererseits: Sie können für Ihre Wände auch Tapeten wählen, statt sie weiß zu lassen. Sie können sie mit Mosaiken verzieren oder mit Fresken eines großen Malers: all dies ist kein Luxus, wenn es um der Schönheit willen geschieht und nicht nur, um damit anzugeben. Es verstößt nicht gegen die goldene Regel: Nehmen Sie nichts in Ihr Haus auf, das nicht entweder nützlich ist oder das Sie als schön ansehen.
Alle Künste gehen von dieser Einfachheit aus. Je höher sich die Künste entwickeln, desto größer die Einfachheit. Ich habe von der Einrichtung eines Wohnhauses gesprochen, von einem Platz, an dem wir essen und trinken, an dem die Familie zusammenkommt; aber wenn Sie an Orte kommen, die die Menschen schön gestalten wollten wegen des Ernstes und der Würde ihres Benutzungszwecks, werden Sie sehen, daß sie noch einfacher sind, dass kaum etwas in diesen Räumen vorhanden ist außer Wänden, die allerdings sehr schön sein können.
St. Markus in Venedig hat sehr wenig Mobiliar, viel weniger als die meisten römisch-katholischen Kirchen; deren liebenswerte und stattliche Mutter, St. Sophia in Konstantinopel, enthielt vielleicht sogar noch weniger, selbst als sie eine christliche Kirche war.
Aber wir brauchen nicht nach Istanbul oder nach Venedig zu fahren, um dies zu sehen. Gehen Sie in unsere mächtigen gotischen Kirchenschiffe. (Kann sich jemand von Ihnen daran erinnern, was er empfand, als er zum ersten Mal eine solche Kirche betrat?) Achten Sie darauf, wie wir einen hohen, freien Raum als angenehm empfinden, wie er uns erhebt, selbst noch heute, da die Fenster und Wände ihre Ornamente verloren haben. Und dann denken Sie über die Bedeutung von Einfachheit und die Abwesenheit von Schnickschnack nach.
Nach all dem liegt für uns, die wir Kunst lernen wollen, der sicherste Weg, sie weiter voranzubringen, gleich um die Ecke: Kunst selbst ist es, die hilft, Kunst durchzusetzen. Jedes Stück Arbeit, das wir gut tun, hilft dieser Sache; jedes Stück, das nur auf Angabe beruht, nur halbherzig gestaltet ist, schadet ihr.
Die meisten von Ihnen, die versuchen, eine Kunst auszuüben, werden nicht lange brauchen, um festzustellen, ob sie begabt dazu sind oder nicht. Wo nicht, geben Sie den Versuch auf, oder Sie werden eine schlimme Zeit mit sich selbst durchzustehen haben und der Sache nur schaden. Aber haben Sie eine Begabung irgendwelcher Art, dann sind Sie glücklich dran, glücklicher als die Mehrzahl der Menschen, denn Ihre Freude und Ihr Vergnügen ist immer bei Ihnen. Diese Freude wird nicht abnehmen, sondern, sofern Sie Ihre Begabung benutzen, wird sie wachsen.
Wenn Sie nachts abgekämpft und erschöpft davon ins Bett fallen, so werden Sie doch am Morgen diese Lust wieder spüren, etwas zu tun, oder, wenn es ihnen am Morgen als eine Verrücktheit und närrisch erscheint, was Sie da treiben, so brauchen Sie nur ein wenig weiterzuarbeiten, dann wird sich wieder Hoffnung einstellen und Sie werden wieder glücklich sein. Während andere durch den Tag treiben wie Pflanzen, die in die Erde gesteckt worden sind, die die Richtung ihres Wachsens nicht ändern können, es sei denn, der Wind verhülfe ihnen dazu, wissen Sie, was Sie wollen, Ihr Wille ist am Werk, dies noch genauer einzukreisen, und Sie sind, was immer auch geschieht, ob Ihnen Freude oder Kummer zustößt, damit jedenfalls noch lebendig. Als ich letztes Jahr zu Ihnen sprach, überkam mich, als ich mich wieder hinsetzte, die Furcht, ich könnte in meinem Eifer zu bitter geworden sein. Ein unüberlegtes Wort, so dachte ich mir, könnte manche von Ihnen entmutigen. Das habe ich freilich nicht gewollt. Was ich wollte, was ich jetzt will, ist, Ihnen das Ziel entschieden vor Augen zu stellen, jenes Ziel, nach dem zu streben es sich lohnt. Dieses Ziel ist die Demokratie der Kunst, die Veredlung der täglichen und gewöhnlichen Arbeit, durch die eines Tages Hoffnung und Freude an die Stelle von Furcht und Pein treten werden. Hoffnung und Freude werden es dann sein, was den Menschen veranlaßt, zu arbeiten. Sie werden es sein, die die Welt in Gang halten.
Wenn ich nur einen von Ihnen für dieses Tun gewonnen habe; mögen meine Worte zu unbedacht oder zu schwach gewesen sein, dann haben sie doch mehr Gutes bewirkt als geschadet. Ich glaube auch nicht, dass irgendeines meiner Worte jemanden entmutigen könnte, der sich dem Kampf für diese Sache angeschlossen hat oder bereit ist, sich ihm anzuschließen. Der Weg, den es dabei einzuschlagen gilt, ist klar. Jeder von uns kann an diesem Kampf mitwirken, ob er nun schwach oder stark ist.
Ich weiß sehr wohl, dass Menschen, aufgerieben durch die vielen Kleinigkeiten in diesem Kampf, an einen Punkt gelangen können, da ihre Geduld erschöpft, ihre Hoffnung zerronnen ist. Verständlich auch, dass sie sich dann im stillen nach jenen anderen Zeiten sehnen, in denen sich vielleicht zwar die Aufgaben auch nicht klarer darstellten, aber die Mittel, um sie zu lösen, noch einfacher waren. In solch erregenden Zeiten mag manch einer bereit gewesen sein, um Fehler und Rückschläge wettzumachen, für die große Sache sichtbar sein Leben hinzugeben.
Den spanischen Piken bei Leyden die Brust geboten, sein Schwert mit Oliver gezogen zu haben – dies mag uns in der Verwirrung des Heute als ein glückliches Schicksal erscheinen. Denn es ist schon eindrucksvoll, wenn ein Mensch sich dazu aufrafft zu sagen: Ich habe wie ein Narr gelebt, aber nun hat es ein Ende damit, und ich will wie ein Mensch sterben. Doch auch dies sollte klar sein: nur wenige Menschen sterben gleich für eine Sache, ohne zuvor nicht erst einmal für sie gelebt zu haben. Und wenn dies das Äußerste ist, was von dem größten Menschen, der sich für eine Sache einsetzt, verlangt werden kann, so ist die auch das, worum man den einfachen Mann so leicht nicht bringen kann. Also ist für uns, die wir ein Ziel kennen, höchster Ehrgeiz und einfachste Pflicht in derselben Sache beschlossen.
Meist werden wir ausreichend damit beschäftigt sein, jene Arbeit zu tun, die vor uns liegt. Wir werden uns durch die Ungeduld, mit der wir nach einem großen, sichtbaren Fortschritt verlangen, nicht allzu sehr erschüttern lassen. Aber da wir für eine Sache eintreten, muss immer Hoffnung in uns sein. Irgendwann einmal wird dies unsere Vision so antreiben, dass sie den langsamen Lauf der Zeit überholt. Dann wird jener siegreiche Tag anbrechen, an dem Millionen derer, die heute in der Dunkelheit sitzen, erleuchtet sein werden von einer Kunst, hergestellt durch das Volk und für das Volk, zur Freude derer, die sie machen, und derer, die sie benutzen.
Als Vortrag gehalten vor der Birmingham Society of Arts and School of Design am 19. Februar 1880, von Morris aufgenommen in: Hopes and Fears for Art: Five Lectures Delivered in Birmingham, London and Nottingham, 1878 – 1881 (1882).