Bericht über den Londoner 1. Mai 1890 im Commonweal:
Die Mai-Demonstration
Trotz der Fehlschlagsprophezeihungen von Seiten Zaghafter und den Proklamationen der Polizei von Mr. James Munro können wir glücklich sagen, die die Mai-Demonstration ein vollständiger Erfolg war. Lange bevor der Zug losging, versammelte sich eine große Menge und das Themseufer zwischen Westminster und Blackfriars bot ein lebhaftes Spektakel. Die Polizei war in großer Stärke gekommen. Eine kleine Schwadron von berittener Polizei war an der Stelle der Straße aufgestellt, wo es zur Blackfriars Bridge hochgeht und 2000 Mann zu Fuß und zu Pferd bewachten die engen Straßen zwischen Embankment, Fleet Street und Strand.
Die Polizei tat sich während des Tages groß hervor. Der Zug unserer Eastend-Genossen wurde in Aldgate aufgehalten. Einige unserer Freunde aus Frankreich wurden daran erinnert, dass sie im freien und glücklichen England leben, indem sie in der St. Martins Lane von der Polizei verfolgt wurden. Diese Rabauken traten und stießen die „bloody foreigners“, wie sie sie vornehm nannten und zerrissen eine von ihnen mitgeführte Fahne. In der Clerkenwell Street griff unsere galante Polizei die Frauen an, die gerade in der der Kuvert-Fabrik Fenner im Streik stehen und schubste sie herum mit der wilden Grobheit, die wir nun schon gewöhnt sind. Das schreckte diese beherzten Frauen allerdings nicht und sie marschierten zum Embankment, um sich dem Zug anzuschließen.
Um halb vier zogen wir los zum Hyde Park. Die sich auf dem Gehsteig drängenden Menschen schlossen sich unseren Reihen an, bis der Zug zu einer großen Masse vorwärts marschierender Leute wurde. Wir strömten am Bataillion der Polizei vorbei, das den Eingang in die Northumberland Avenue sperrte; herausfordernd erklang die „Marseillaise“, als wir den Hügel zum House of Commons hinaufzogen; die roten Fahnen und Transparente flatterten fröhlich über unseren Köpfen in der hellen Mai-Sonne. Das Transparent an der Spitze des Zuges trug als Aufschrift das Motto der Demonstration „Workers of the World, Unite!“ in Englisch, Französisch und Deutsch. „Workers of the World, we hail you as Brothers!“ lautete ein anderes. Während ein drittes die einleuchtende Wahrheit „Those who dare not celebrate this day are Slaves!“ aussprach, trug das Banner der Nord-Londoner Branch der Socialist League das Motto „No Master, High or Low!“ und das der Commonweal Branch die bedeutungsvollen Worte über die von uns gepredigte Revolution: „Away with Authority and Monopoly! Free access to the means of Life!“
Eine Zeichnung auf einem großen weißen Transparent stellte zum großen Spaß der Teilnehmer einen dicken Kapitalisten dar, der von einem genagelten Arbeitsschuh in die Luft gekickt wird. Die Eisenbahner der Metropolitan trugen eine Fahne, die mit ihrer Aufschrift auf den Wert unserer „Freiheit der Arbeit“ zeigte: „Eisenbahner werden wegen Gewerkschaftsbeitritt boykottiert“. Es waren da auch Transparente verschiedener Betriebsgruppen der National Federation of Trades and Industries und Transparente der Feuerholzmacher, der Maler und Dekorateure und der South-Side Labour Protection League. Über allen schwebte die rote Fahne, das Zeichen der sich erhebenden Arbeiterbewegung jedes Landes.
Als wir den Hyde Park hinein betraten, war das ansteigende Gelände zur Achilles-Statue hin dicht gefüllt und als wir den Baum der Reformer erreichten, sammelten sich etwa 20.000 Menschen um die Redebühnen der Socialist League und der Federation of Trades and Industries. Die Redner auf der Plattform der League waren Morris, Kitz, Mowbray, Turner, Mainwaring, Tochatti und Nicoll, von der Plattform der Federation sprachen John Williams, Votair, John Wood, James Macdonald, Miss Edith Lupon, J. Baker, Bentley, Buckerbridge, Cores und Greenman. Die Resolution der Socialist League wurde von beiden Plattformen vorgetragen. Sie lautete:
„Dieses Treffen begrüßt mit Freude das Erwachen der Arbeiterbewegung, das überall in der zivilisierten Welt stattfindet; es erklärt die Notwendigkeit der Vereinigung der Arbeiter aller Länder zur Erreichung der vollständigen Befreiung von den Vorrechten des Kapitals; es steht zu der einzig möglichen Abhilfe gegen Armut und Elend durch freien Zugang zu den Ressourcen der Natur und durch die Leitung der Organisation der Arbeit durch die Arbeiter selbst; und ruft alle Arbeiter auf, diese Aufgabe der Erringung der Freiheit als höchste Pflicht vor allen anderen anzunehmen.“
Daneben gab es Resolutionen, die die despotischen Aktionen der Regierungen im In- und Ausland verurteilten.
Am Abend wurde noch eine sehr erfolgreiche Kundgebung im Fackelschein in Clerkenwell Green abgehalten. Es sprachen dort Barker, Kitz, Mowbray, Nicoll, Hicks und Mrs. Lahr vor etwa 5000 Menschen. Der Mesner der benachbarten Kirche bemühte sich, die Redner mit gewaltigem Glockengeläute zu nerven, aber der Versuch, den Erfolg der Kundgebung zu trüben, misslang.
Wir alle hoffen und vertrauen darauf, dass nun, da der Kampf begonnen ist, im nächsten Jahr die Londoner Arbeiter am Mai-Tag demonstrieren werden und es nicht auf den Sonntag verschieben, um ihren Herren und den reaktionären Mitgliedern des London Trades Council einen Gefallen zu tun. Die englischen Arbeiter werden dann ihre Solidarität mit der Arbeiterbewegung der gesamten zivilisierten Welt beweisen.
Der ganze Bericht im Commonweal
(Der Internationale Arbeiterkongress 1889 in Paris hatte aufgerufen, den 1. Mai zum Internationalen Tag der Arbeiter zu machen. Auf die Demonstration der Socialist League am 1. Mai, einem Arbeitstag, folgte am Sonntag den 4. Mai noch eine Kundgebung der anderen sozialistischen Gruppen und anderer Gewerkschaften mit mehr als 100.000 Teilnehmern.)
Artikel zum 1. Mai 1896
Gewiss ist der 1. Mai jener unter allen Tagen des Jahres, an dem man am meisten dazu neigt, auf der Seite der Enterbten gegen ein System der Räuberei zu protestieren, welches die Tür zwischen ihnen und einem anständigen Leben zuschlägt. Es ist ein Tag, an dem die Versprechen auch mit der Verschwendung in Zusammenhang gebracht werden sollten, die untrennbar mit einer Gesellschaft der Ungleichheit verbunden ist; Verschwendung, wie sie die künstliche Zivilisation hervorbringt, aber für die heute Armen weit bitterer zu ertragen ist als die natürliche Armut roher Barbarei.
Es gibt keinen Zweifel, dass der Volldampf-voraus-Kapitalismus die Schuld daran trägt, wenn in ihm der größte Teil der Bevölkerung dieses Landes in bitterster Armut lebt. Sollen wir zufrieden dasitzen und darauf hoffen, dass der Segen vom Himmel fällt und der Klasse, die alles produziert, was produziert wird, nun Zufriedenheit, Selbstachtung und den angemessenen Teil an Schönheit und Freuden schenkt, ohne dass die besitzende und verschwendende Klasse etwas von der Würde, der Bequemlichkeit und der Süße des Lebens einbüßt, deren sie sich heute erfreut?
Die meisten von uns werden bei dieser Frage lächeln. Aber denkt daran, dass derlei lange Zeit allgemein auf der Welt vorgeschlagen wurde und viele sich immer noch daran halten. Sie denken, die Zivilisation werde so rasch und triumphierend wachsen, dass die besitzenden Klassen mehr und mehr von dem großen Kuchen des Reichtums an die arbeitenden Klassen abgeben könnten, so dass jenen am Schluss nichts mehr zu wünschen übrig bleibt und Friede und Wohlstand einkehren. Eine wahrlich sinnlose Hoffnung!
Eine Hoffnung, die bei einem Blick zurück in die Geschichte zerrinnt, denn wir finden, dass zu einer Zeit, da die Menschen dem Halbbarbarentum gerade erst entgangen und offene Gewalttaten noch üblich waren und die Privilegierten sich noch nicht genötigt sahen, eine Maske vor dem Gesicht zu tragen, es den Arbeitern nicht schlechter ging, sondern besser. Kurz gesagt: All die Entdeckungen der Wissenschaft, die gewaltige Organisation des Fabrikwesens und des Marktes werden nicht wirklichen Reichtum hervorbringen, solange das Ende und Ziel von allem die Produktion von Profit für die privilegierten Klassen ist.
Nichts anderes wird geschehen als mehr und mehr Verschwendung; nur, dass diese sich vielleicht in eine andere Richtung entwickeln könnte. Verschwendung von Material, Verschwendung von Arbeitskraft (denn tatsächlich sind nur wenige der Lohnabhängigen damit beschäftigt, etwas Nützliches zu produzieren), Verschwendung also von Leben!
Einige werden nun sagen: Ja, gewiss, mit dem kapitalistischen System wird es ein schlimmes Ende nehmen. Der Tod auf der Müllkippe ist sein vorgezeichnetes Schicksal! Aber es wird doch auch enden, wenn wir nicht nachhelfen? Ich fürchte, meine Freunde, diese Vorstellung ist falsch.
Die kapitalistische Klasse ist zweifellos alarmiert über die Verbreitung des Sozialismus in der zivilisierten Welt. Sie hat bestimmt einen Instinkt für diese Gefahr, aber zu diesem Instinkt kommt ein anderer: der der Selbstverteidigung. Schaut, wie die ganze kapitalistische Welt ihren langen Arm nach den barbarischen Ländern ausstreckt, sie vereinnahmt, sie an sich reißt, obwohl die Bewohner dieser Länder nicht Teil des Wettbewerbssystems werden wollen; ja, in vielen Fällen sogar lieber tapfer in der Schlacht sterben als sich dieses System aufdrängen zu lassen. So uneinsichtig benehmen sich diese Wilden gegenüber den Segnungen der Zivilisation, die ihnen doch nichts Schlimmeres antun will (aber auch nichts Besseres!), als sie auf ein eigentumsloses Proletariat zu reduzieren.
Und weshalb geschieht all dies? Zur Ausbreitung der abstrakten Idee von Zivilisation, aus bloßer Wohltätigkeit, zu Ehre und Ruhm der Eroberer? Keineswegs. Es geschieht zur Öffnung neuer Märkte, die den Profit gewordenen Reichtum aufnehmen sollen, der mit jedem Tag anwächst. Es geschieht, um neue Möglichkeiten der Verschwendung zu erschließen: unserer Arbeitskraft und unseres Lebens.
Und ich behaupte: dieser unwiderstehliche Instinkt auf Seiten der Kapitalisten ist ein Impuls wie der Hunger, und ich glaube, er kann nur durch einen anderen Hunger überwunden werden: durch den Hunger nach Freiheit und Gerechtigkeit für alle, für das Volk und die Völker. Alles was geringer ist wird durch die Macht des Kapitals beiseite gefegt werden. Dieser Hunger aber nicht und warum? Der wichtigste Teil ihrer Maschinerie, „die Hände der Arbeit“, würde zu MENSCHEN und sagen:
Nun endlich wollen wir es: wir wollen nicht länger für den Profit produzieren, sondern für etwas Nützliches, für das Glück, für das LEBEN!
Artikel in „Justice“, 1896
Eigene Übersetzung 2013
Bilder: Federzeichnungen von Walter Crane, 1890 und 1893 (Morris auf der 1. Mai Kundgebung diesen Jahres)